JudikaturJustiz13Os1/95

13Os1/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. März 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15.März 1995 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Brustbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Markel, Dr.Mayrhofer, Dr.Ebner und Dr.Rouschal als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr.Schaumberger als Schriftführer in der Strafsache gegen Horst Stefan H***** wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie über die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Feldkirch vom 11.November 1994, GZ 15 Vr 1897/93-53, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr.Bassler, des Angeklagten Horst Stefan H***** und des Verteidigers Dr.Reif-Breitwieser zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Hingegen wird der Berufung der Staatsanwaltschaft teilweise Folge gegeben und die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe auf 2 (zwei) Jahre erhöht, wobei gemäß § 43 a Abs 3 StGB ein Strafteil von 16 (sechzehn) Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wird.

Der Angeklagte wird mit seiner Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390 a StPO fallen ihm auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhendem Urteil wurde Horst Stefan H***** des Verbrechens der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1 StGB (A des Schuldspruchs) und des Vergehens nach § 36 Abs 1 Z 1 WaffenG (B) schuldig erkannt. Von der Anklage wegen des Verbrechens des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB und der Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB sowie nach § 36 Abs 1 Z 1 WaffenG in bezug auf eine weitere Pistole wurde er gemäß § 336 StPO (rechtskräftig) freigesprochen.

Ihm liegt zur Last, am 9.Dezember 1993 in Feldkirch die Prostituierte Sabine P***** zur Duldung des Beischlafes sowie zur Vornahme des wiederholten Oralverkehrs genötigt zu haben, indem er ihr eine Pistole an den Hals drückte und sie aufforderte, sich auszuziehen, ihr während der folgenden Sexualhandlungen immer wieder die Pistole am Hals ansetzte, indem er sie an einer Schulter erfaßte, ihr eine Hand zurückbog, was starke Schmerzen zur Folge hatte und sie auf das Bett warf, einen Fluchtversuch vereitelte, sie aufforderte, ihm "einen zu blasen", erklärte, daß sie tun solle, was er verlange, ansonsten er ihr die anderen Zähne auch noch herausschlagen und sie zusammenschlagen würde, sodaß sie sich entkleidete und den verlangten Mundverkehr vornahm, was sie in der Folge über entsprechendes Verlangen mehrmals tat, und sie auch veranlaßte, einen Vaginalverkehr von hinten zu dulden (A).

Ferner wurde ihm angelastet, im Dezember 1993 (in Bludenz, Feldkirch, Zürich und an anderen Orten) eine Selbstladepistole Marke Astra, Modell Cub, Kaliber 6,35 mm, samt 200 Stück Munition unbefugt besessen und geführt zu haben (B).

Die Geschworenen haben die (anklagekonform) gestellte Hauptfrage I (Verbrechen des versuchten schweren Raubes nach §§ 15, 142 Abs 1, 143 zweiter Fall StGB) stimmeneinhellig verneint, die Hauptfrage II (Verbrechen der Vergewaltigung nach § 201 Abs 1, Abs 3 zweiter Fall StGB) mit fünf Stimmen und der Beschränkung bejaht, daß die vergewaltigte Person durch die Tat nicht längere Zeit hindurch in einen qualvollen Zustand versetzt wurde, die Hauptfrage III (Vergehen der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB) stimmeneinhellig verneint sowie die Hauptfrage IV (Vergehen nach § 36 Abs 1 Z 1 WaffenG) mit acht Stimmen, jedoch mit der Beschränkung (mit fünf Stimmen), daß der Angeklagte neben der Selbstladepistole Marke Astra Modell Cub, Kaliber 6,35 mm samt 200 Stück Munition keine weitere Pistole unbekannter Marke besessen und geführt hat, bejaht.

Rechtliche Beurteilung

Der Angeklagte bekämpft den Schuldspruch mit Nichtigkeitsbeschwerde aus § 345 Abs 1 Z 4, 5, 6 und 9 StPO; indes zu Unrecht.

Die Rüge nach § 345 Abs 1 Z 4 StPO moniert in Wahrheit keine in der Hauptverhandlung unterlaufene Verletzung oder Nichtbeachtung von Vorschriften, deren Beobachtung im Gesetz bei sonstiger Nichtigkeit vorgeschrieben ist. Vielmehr wird unter Hinweis auf die Urteilserwägungen des Geschworenengerichtes zur Straffrage, "daß Sabine P***** durch die Tat eine erhebliche Zeitspanne, wenngleich nicht sicher eine Stunde lang, in einen qualvollen Zustand der Todesangst versetzt wurde" (US 8), ein Widerspruch zum Wahrspruch der Geschworenen behauptet. Damit entbehrt der geltend gemachte Nichtigkeitsgrund der gesetzmäßigen Darstellung. Der Angeklagte übersieht auch, daß (infolge gemäß § 330 Abs 2 StPO nur teilweise bejahter Frage) verneinte Qualifikation nach § 201 Abs 3 zweiter Fall StGB zu den vom Geschworenengericht genannten Erwägungen zur Strafzumessung niemals den Widerspruch nach § 345 Abs 1 Z 9 StPO begründen kann.

Die Verfahrensrüge (Z 5) bemängelt die Abweisung mehrerer in der Hauptverhandlung gestellter Beweisanträge.

Der Schwurgerichtshof hat den Antrag auf Beischaffung von Akten der Bezirkshauptmannschaft Bludenz zur Einsicht in die dort erliegenden verkehrspsychologischen und amtsärztlichen Befunde sowie die "psychiatrische Untersuchung" des Angeklagten zum Nachweis dafür, daß er psychisch völlig gesund sei "und die ihm vorgeworfenen Taten nicht persönlichkeitsadäqat sind" (S 365), ohne Verletzung von Verteidigungsrechten mit der zutreffenden Begründung abgewiesen, daß dem Beweisthema keine entscheidungswesentliche Bedeutung zukommt (S 369), weil das Beweisverfahren dem widersprechende Tatsachen ohnedies nicht erbrachte.

Der Antrag auf Vernehmung der Zeuginnen Maria C***** F***** und Maria G***** (S 367) war schon deshalb verfehlt, weil nach der gesamten Verfahrenslage im Zeitpunkt des Zwischenerkenntnisses die beantragte Beweisaufnahme ein maßgebliches Ergebnis nicht erwarten ließ, steht doch keineswegs fest, daß der Angeklagte bei der Tat die in gerichtlicher Verwahrung befindliche Pistole der Marke Astra verwendet hat, die nach seiner Behauptung am Abend des Tattages im Tresor seines Gastbetriebes verwahrt gewesen sein soll (S 367, 369).

Die in diesem Zusammenhang vorgenommene Interpretation des Wahrspruches der Geschworenen durch den Angeklagten, wonach diese durch die einschränkende Bejahung der Hauptfrage IV den Besitz einer zweiten Waffe ausdrücklich ausgeschlossen hätten, ist nämlich unzutreffend. Vielmehr haben sie lediglich den Besitz einer weiteren Faustfeuerwaffe (§ 3 WaffenG), nicht aber den Besitz einer in Rede stehenden Gaspistole (S 281, 295), sohin einer Waffe im Sinne des § 1 WaffenG, ausgeschlossen (Mayerhofer-Rieder, Nebenstrafrecht3, E 1 zu § 2 WaffenG).

Ohne Beeinträchtigung der Verteidigungsrechte des Angeklagten konnte schließlich auch der Antrag auf Vernehmung von Gendarmeriebeamten zum Nachweis dafür, daß die Vergewaltigte bereits in einem von diesen Beamten mitgehörten Telefongespräch vom 14.Dezember 1993 angegeben hätte, der Täter sei Pächter eines Gasthauses, mit einer Südamerikanerin verheiratet und verfüge über zwei Hunde (S 383), als auf einen unzulässigen Erkundungsbeweis gerichtet abgewiesen werden (S 383, 385).

Nach dem Bericht des Gendarmeriepostens Bludenz vom 23.Juni 1994 (ON 39) ist die Ausforschung des Angeklagten auf Grund der Angaben des Tatopfers über die Personsbeschreibung und den Spitznamen (Buddy) des Angeklagten gelungen. Der Zeuge Alfred V***** selbst gab in der Hauptverhandlung dazu an, daß er den Hinweis auf ein Gasthaus und Hunde des Täters erst zwei Wochen nach dem vom Gendarmerieposten Bludenz ausgeführten Telefongespräch erhalten hat (S 377). Der Beschwerdeführer hätte nach dieser Sach- und Beweislage somit in seinem Antrag darlegen müssen, aus welchen Gründen die Beamten in ihrem Bericht den behaupteten, eindeutig auf den Angeklagten hinweisenden, vom Zeugen aber nicht bestätigten, Gesprächsinhalt über das Umfeld des Angeklagten verschwiegen haben sollten und die beantragte Beweisführung unbeschadet der Aktenlage das angestrebte Beweisergebnis (der Erschütterung der Glaubwürdigkeit der Zeugin P*****) erbringen werde, zumal das Verfahren auch keinen weiteren Hinweis auf eine objektive Falschaussage des Opfers ergab.

Die Rüge zur Fragestellung (Z 6) behauptet in Wahrheit keine Verletzung der diesbezüglichen Verfahrensvorschriften (§§ 312 bis 317 StPO), sondern weist lediglich darauf hin, nach dem Wahrspruch der Geschworenen habe die inkriminierte Vergewaltigung "ca eine Stunde" gedauert, im Schuldspruch fehle jedoch diese Zeitangabe. Die Rüge der Fragestellung entbehrt damit einerseits der prozeßordnungsgemäßen Ausführung, andererseits verkennt sie, daß der Schwurgerichtshof insoweit lediglich der einschränkenden Fragebeantwortung durch die Geschworenen zur Hauptfrage II Rechnung trug und die nur für das von diesen verneinte Vorliegen der Qualifikation nach dem § 201 Abs 3 zweiter Fall StGB, nicht aber für das Vorliegen des Grundtatbestandes nach dem § 201 Abs 1 StGB relevante zeitliche Komponente tatbestandsmäßigen Handelns aus dem Schuldspruch eliminierte. Daß das Erstgericht bei der Strafzumessung auf die für das Opfer qualvolle Handlungsweise des Angeklagten Bedacht nahm, weil dieses "eine erhebliche Zeitspanne" (und damit nach dem Urteil des Geschworenengerichtes für eine an die Qualifikation des § 201 Abs 3 zweiter Fall StGB heranreichende Zeit) in Todesangst versetzte, findet seine Begründung im Strafgesetz (§§ 32 Abs 2 erster Satz, 33 Z 6 StGB).

Die Beschwerdebehauptung, der Wahrspruch sei in sich widersprechend (Z 9), stellt nicht auf dessen Inhalt selbst ab. Den diesbezüglichen Ausführungen zuwider ist ihm nämlich nicht zu entnehmen, der Angeklagte habe bei der Vergewaltigung die Selbstladepistole Marke Astra (und damit eine Faustfeuerwaffe) verwendet. Er stellt lediglich fest, dem Opfer sei wiederholt eine Pistole, mithin eine Waffe nach § 1 Z 1 WaffenG angesetzt worden. Aus der Verneinung der Qualifikation nach § 201 Abs 3 zweiter Fall StGB durch die einschränkende Fragebeantwortung der Geschworenen geht darüber hinaus eindeutig hervor, daß diese die bezeichnete Qualifikation nicht als erfüllt erachteten. Der behauptete innere Widerspruch liegt aber damit nicht vor.

Eine vom Beschwerdeführer dazu behauptete Beweisregel, wonach sich die Unglaubwürdigkeit eines Zeugen bei Schilderung eines einheitlichen Tatgeschehens auf die gesamte Aussage zu beziehen habe, ist dem österreichischen Strafprozeß fremd. Auch im geschworenengerichtlichen Verfahren gilt uneingeschränkt der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§§ 258 Abs 2; 302 Abs 1, 305 Abs 1, 325 Abs 1 StPO). Die Geschworenen sind berechtigt, in freier Überzeugung der Aussage eines Zeugen auf Grund des persönlichen Eindrucks nur in einzelnen Punkten (den Denkgesetzen und der allgemeinen menschlichen Erfahrung folgend) Glauben zu schenken, in anderen aber mangels subjektiv voller Gewißheit über Täterschaft und Schuld deren Glaubwürdigkeit in Zweifel zu ziehen und zu verneinen. Damit kann auch aus der Verneinung der Hauptfragen I und III kein innerer Widerspruch des Wahrspruchs abgeleitet werden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verurteilte den Angeklagten (unter Anrechnung der Vorhaft) nach §§ 28, 201 Abs 1 StGB zu eineinhalb Jahren Freiheitsstrafe, wobei gemäß § 43 a Abs 3 StGB ein Strafteil von zwölf Monaten für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Als erschwerend wertete es dabei das Zusammentreffen des Verbrechens mit einem Vergehen, die verstärkte Tatbildmäßigkeit des Verbrechens durch Einsetzen beider Begehungsmittel des § 201 Abs 1 StGB und den Umstand, daß das Opfer durch die Tat eine erhebliche Zeitspanne, wenngleich nicht sicher eine Stunde lang, in den qualvollen Zustand der Todesangst versetzt wurde; mildernd war hingegen der bisher ordentliche Lebenswandel des Angeklagten und sein (wegen Zwecklosigkeit des Leugnens kaum ins Gewicht fallendes) Teilgeständnis zum Vergehen nach dem Waffengesetz.

Zur bedingten Nachsicht eines Teiles der Strafe wurde weiters das Fehlen jeder Schuldeinsicht zum Verbrechen und die das unschuldige Opfer nicht schonende Verantwortung des Angeklagten, der diesem auch in der Hauptverhandlung eine schwere Verleumdung aus gewinnsüchtigen Motiven unterstellte, erwogen.

Staatsanwaltschaft und Angeklagter bekämpfen den Strafausspruch, jene Straferhöhung und Ausschaltung der (teil-)bedingten Strafnachsicht, dieser Strafherabsetzung und Anwendung der §§ 37 und 43 StGB beantragend, mit Berufung. Nur das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist teilweise berechtigt.

Wenn auch das Erstgericht die Strafzumessungsgründe im wesentlichen vollständig erfaßt hat, ist im Hinblick auf die allgemeinen Grundsätze der Strafbemessung unter Beachtung der gesetzlichen Strafdrohung die nach den Feststellungen des Wahrspruches der Geschworenen zum Verbrechen des Angeklagten hervorkommende ablehnende Einstellung gegenüber den rechtlich geschützten Werten (§ 32 Abs 2 StGB) durch das vom Geschworenengericht bestimmte Strafmaß keineswegs vollständig erfaßt. Dieses war daher, wie aus dem Spruch ersichtlich, jedoch im Hinblick auf die Ersttäterschaft des Angeklagten und sein Wohlverhalten bis ins 27.Lebensjahr unter Beibehaltung der bedingten teilweisen Strafnachsicht gemäß § 43 a Abs 3 StPO wie im angefochtenen Strafausspruch, zu korrigieren.

Der Angeklagte war mit seiner Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.