JudikaturJustiz12Os82/09i

12Os82/09i – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. März 2010

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. März 2010 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Holzweber als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. T. Solé und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jauk als Schriftführerin im Verfahren AZ 29 Hs 14/05d des Landesgerichts Linz über die von der Generalprokuratur gegen die Beschlüsse des Landesgerichts Linz vom 9. März 2009, GZ 18 HR 87/09y-87, und des Oberlandesgerichts Linz vom 27. März 2009, AZ 10 Bs 74/09t (ON 90 des Aktes), erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Anlässlich einer vom Landesgericht Linz in der Rechtshilfesache gegen Rupert A***** ua, AZ 29 Hs 14/05d, mit Beschluss vom 15. November 2005 angeordneten Hausdurchsuchung (ON 8) wurden bei Christine S***** insgesamt 336 antike Gegenstände beschlagnahmt (ON 11, 15). Die von der Republik Italien begehrte Ausfolgung dieser Gegenstände wurde vom Landesgericht Linz mit Beschluss vom 29. November 2005 - unter Vorbehalt der Rückgabe - angeordnet (ON 20). Die Ratskammer dieses Landesgerichts gab der Beschwerde der Christine S***** Folge und wies den Antrag der Staatsanwaltschaft Linz auf Ausfolgung der beschlagnahmten Objekte an die Staatsanwaltschaft Rom mit der Begründung ab, dass von - zumindest partiell - unklaren Eigentumsverhältnissen auszugehen und demnach von einer Übersendung ins Ausland gemäß § 52 Abs 2 letzter Satz ARHG (in diesem Sinne auch Artikel III Abs 3 lit c des Vertrags zwischen der Republik Österreich und der Italienischen Republik über die Ergänzung des Europäischen Rechtshilfeübereinkommens, BGBl 1977/558) Abstand zu nehmen sei (ON 30).

Mit Beschluss des Landesgerichts Linz vom 26. Jänner 2007, GZ 29 Hs 14/05d-76, wurden die beschlagnahmten Gegenstände gemäß § 2 Abs 2 des Bundesgesetzes vom 26. November 1963 über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse idF BGBl I 8/2006 iVm § 1425 ABGB „infolge unklarer Rechtslage aufgrund widerstreitender Anspruchserhebungen“ - unter Hinweis auf das beim Landesgericht Linz zu AZ 2 Nc 3/06i zwischen der Republik Italien, Ministerio per i Beni e le Attivitá Culturali della Republica d’Italia und Christine S***** anhängige Verfahren - beim Bezirksgericht Linz hinterlegt. Das Bezirksgericht Linz nahm mit Beschluss vom 7. März 2007, GZ 36 Nc 4/07w-3 (ON 82 des Aktes 29 Hs 14/05d), den Erlag an (Pkt 1./ des Spruchs), bestellte das O***** zum gerichtlichen Verwahrer (Pkt 2./ des Spruchs) und verpflichtete das Landesgericht Linz als Erleger für den Versicherungsschutz der erlegten Gegenstände Sorge zu tragen (Pkt 4./ des Spruchs). Dieser Beschluss erwuchs unangefochten in Rechtskraft.

Die bestehende Sachversicherung (vgl ON 45) wurde vom Landesgericht Linz im Jahr 2008 durch Zahlung der Versicherungsprämie bis April 2009 verlängert (vgl ON 86), sodass im Jahr 2008 über den „Antrag“ der Staatsanwaltschaft Linz vom 5. Mai 2008 (AB-Bogen S 41; vgl auch den Vermerk des Richters über die erfolgte Prämienzahlung) nicht förmlich entschieden wurde. Nachdem das O***** am 2. März 2009 auf den bevorstehenden Ablauf des Versicherungsschutzes hinwies (ON 91), beantragte die Staatsanwaltschaft Linz am 4. März 2009, die Sachversicherung um ein weiteres Jahr zu verlängern (AB-Bogen S 47). Dieser „Antrag“ wurde vom Landesgericht Linz mit Beschluss vom 9. März 2009, AZ 18 HR 87/09y (ON 87 des Aktes), „mangels Zuständigkeit“ abgewiesen, weil der Einzelrichter des Landesgerichts nach § 31 Abs 1 StPO hiefür nicht zuständig sei, sondern die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren über Fortgang und Beendigung des Verfahrens zu entscheiden und zugleich die sachliche Kompetenz für Rechtshilfeersuchen habe (§§ 20 Abs 1 und 3; 20a StPO; § 55 Abs 1 ARHG). §§ 113 ff StPO sähen die alleinige Ingerenz der Staatsanwaltschaft für die Beschlagnahme sowie § 367 Abs 2 und 3 StPO deren Berechtigung zur Ausfolgung bzw Hinterlegung gemäß § 1425 ABGB vor. Der von der Staatsanwaltschaft dagegen erhobenen Beschwerde (ON 88) gab das Oberlandesgericht Linz mit Beschluss vom 27. März 2009, AZ 10 Bs 74/09t (ON 90 des Aktes), nicht Folge, weil die Zuständigkeit des Landesgerichts im Ermittlungsverfahren in § 31 Abs 1 StPO taxativ geregelt sei und führte unter Hinweis auf die Begründung des Landesgerichts aus, dass seit 1. Jänner 2008 die allfällige Pflicht zur Hinterlegung nach § 1425 ABGB samt der Verpflichtung, „allenfalls“ für einen entsprechenden Versicherungsschutz im bzw auch nach Abschluss des Ermittlungs- und Rechtshilfeverfahrens zu sorgen, allein die Staatsanwaltschaft treffe. „Mangels eines zu einem anderen Ergebnis führenden Hinweises in den Übergangsbestimmungen des § 516 StPO sowie mit Blick auf § 514 StPO ist die nach der StPO aF den Untersuchungsrichter des Landesgerichts Linz im Vorverfahren treffende Pflicht zur Hinterlegung (bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 1425 ABGB) samt allfälliger Fürsorgemaßnahmen mit 1. Jänner 2008 auf die Staatsanwaltschaft übergegangen“. Eine Zuständigkeit des Haft- und Rechtschutzrichters für die beantragte Verlängerung des Versicherungsschutzes sei nicht gegeben.

In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde führt die Generalprokuratur folgendes aus:

§ 2 Abs 2 des Bundesgesetzes vom 26. November 1963 über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse, BGBl Nr 281/1963 sieht vor, dass strafgerichtliche Verwahrnisse, die nach Wegfall des Rechtsgrundes für die gerichtliche Verwahrung nicht ausgefolgt werden können, vom Strafgericht nach § 1425 ABGB zu hinterlegen sind. Auf diese Weise ist vor allem dann vorzugehen, wenn es mehrere Eigentumsansprecher gibt oder die Berechtigung des einzigen Eigentumsansprechers infolge der Erklärungen des Beschuldigten oder aus anderen Gründen zweifelhaft ist. Die wahre Rechtslage im Verhältnis zwischen den Erlagsgegnern ist sodann auf dem Prozessweg klarzustellen ( Danzl Geo FN 9a zu § 613).

Mit der Hinterlegung - vorliegend beim Bezirksgericht Linz - ist die strafgerichtliche Verwahrung beendet ( Maleczky , Das Schicksal beschlagnahmter Gegenstände im Strafprozess, in ÖJZ 1997, 456 [457]), sodass die Verwahrgegenstände demnach nicht mehr einer strafgerichtlichen Verfügungsgewalt unterliegen. Maßgebend ist der Ausgang des zivilen Rechtsstreits. Die Hinterlegung hatte auch vorliegend den Zweck, dass die Erlagsgegner ihre widerstreitenden Interessen im Zivilrechtsweg klären können, wobei in diesem beim Landesgericht Linz anhängigen Verfahren AZ 2 Nc 3/06i zwischen der Republik Italien und Christine S***** über die Rückgabe von Kulturgütern für den Erleger „Landesgericht Linz“ die Republik Österreich - vertreten durch die Finanzprokuratur - als „sonstige Verfahrensbeteiligte“ einschreitet.

Bei Hinterlegung durch Strafgerichte nimmt der OGH eine Fürsorgepflicht des Hinterlegungsgerichts an ( Reischauer , ÖJZ 2001, 465; 1 Ob 376/98w = EvBl 1999/137 = RZ 1999/37). Im Zusammenhang mit der strafgerichtlichen Hinterlegung hat der OGH zwar offen gelassen, ob dem Strafgericht (im Rahmen seiner Fürsorgepflicht) gegenüber dem Erlagsgericht ein Antragsrecht zusteht, oder ob dessen Antrag bloß als Anregung zum amtswegigen Einschreiten des Erlagsgerichts aufzufassen ist. Die Vertretung der Republik Österreich in (Zivil-)Verfahren nach rechtskräftiger Annahme der Hinterlegung kommt jedoch weder dem Strafgericht noch der Staatsanwaltschaft, sondern der Finanzprokuratur zu (§ 3 Abs 1 Prokuraturgesetz, BGBl I Nr 110/2008; vgl 1 Ob 376/98w, 6 Ob 105/08x).

Im gegenständlichen Erlagsverfahren wurde dem „Landesgericht Linz“ als Erleger die Auflage erteilt, „für den Versicherungsschutz der erlegten Gegenstände Sorge zu tragen“ (Beschluss des Bezirksgerichts Linz GZ 36 Nc 4/07w-3, ON 82 des Aktes). Ungeachtet des Umstandes, dass eine derartige Auflage im gegenständlich zur Anwendung gelangenden Außerstreitverfahren ungewöhnlich ist, weil zufolge der Bestellung eines Sequesters - vorliegend des O***** diesen die Sorgfaltsverpflichtungen eines Verwahrers treffen und Versicherungsprämien als Teil des Verwahrungsentgelts geltend zu machen wären (zum gerichtlich bestellten Verwahrer und den zivilrechtlichen Folgen vgl Reischauer in Rummel ³, § 1425 Rz 24 ff), ist diese beschlussmäßig dem Landesgericht Linz auferlegte Verpflichtung nur nach den Regeln des Außerstreitgesetzes (bzw der EO) durchsetzbar.

Die Erstreckung der Wirkungen der materiellen Rechtskraft des im außerstreitigen Verfahren (vgl Reischauer in Rummel ³ Rz 15 zu § 1425; Danzl , Geo Anm 8b zu § 284) ergangenen Beschlusses des Bezirksgerichts Linz auf die Staatsanwaltschaft zufolge Änderung der Bestimmungen der StPO, wie dies die Begründungen der Beschlüsse des Landesgerichts Linz und des Oberlandesgerichts Linz der Sache nach tun, widerspricht dem Gesetz (§§ 42, 43 AußStrG). Durch die Änderung der Strafprozessordnung ist die Staatsanwaltschaft keineswegs „Gesamtrechtsnachfolger“ des Landesgerichts geworden. Einen „Parteiwechsel“ in Bezug auf eine rechtskräftige Entscheidung eines Außerstreitgerichts über die Hinterlegung nach § 1425 ABGB, womit noch dazu die strafgerichtliche Verwahrung beendet wird, kann ein Strafgericht nicht verfügen.

Durch die ergangenen Beschlüsse haben das Landesgericht Linz und das Oberlandesgericht Linz in den jeweiligen Begründungen ihren durch § 31 Abs 1 StPO vorbehaltenen strafprozessualen Zuständigkeitsbereich überschritten, wobei es in Ermangelung einer konkreten Wirkung dieser Beschlüsse mit der Feststellung der Gesetzesverletzung sein Bewenden haben wird.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

1. Nachdem der über Ersuchen der Staatsanwaltschaft der Republik am Gericht von Rom erfolgte Antrag der Staatsanwaltschaft Linz auf Übergabe der am 16. November 2005 bei Christine S***** beschlagnahmten etruskischen Objekte an die Staatsanwaltschaft Rom abgewiesen worden war, die beschlagnahmten Gegenstände nach Wegfall des Rechtsgrundes für diese Verwahrung aber „infolge unklarer Rechtslage aufgrund widerstreitender Anspruchserhebungen“ nicht ausgefolgt werden konnten, verfügte das Landesgericht Linz mit Beschluss vom 26. Jänner 2007 gemäß § 2 Abs 2 des Bundesgesetzes vom 26. November 1963 über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse idF BGBl I 8/2006 iVm § 1425 ABGB deren Hinterlegung beim Bezirksgericht Linz. Mit unangefochten in Rechtskraft erwachsenem Beschluss nahm das Bezirksgericht diesen Erlag an und verpflichtete das Landesgericht Linz als Erleger, für den Versicherungsschutz der erlegten Gegenstände Sorge zu tragen. Dieser rechtskräftige Ausspruch des Zivil gerichts ist einer Überprüfung aus Anlass der erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nicht zugänglich.

Die dem Landesgericht Linz auferlegte Verpflichtung, für den entsprechenden Versicherungsschutz zu sorgen, resultiert somit aus dem ursprünglich anhängigen Rechtshilfeverfahren und der nachfolgenden Hinterlegung.

2. Seit Inkrafttreten des Strafprozessreformgesetzes am 1. Jänner 2008 ist die Staatsanwaltschaft - soweit im Einzelnen nichts anderes bestimmt ist - für die Erledigung von Rechtshilfeersuchen in- und ausländischer Justizbehörden zuständig (§§ 20 Abs 3, 20a Abs 3 StPO; § 55 Abs 1 ARHG). In ihre Kompetenz im Ermittlungsverfahren fällt nunmehr auch die Ausfolgung sichergestellter und beschlagnahmter Gegenstände bzw deren gerichtliche Hinterlegung nach § 1425 ABGB (§§ 114, 115 Abs 6, 367 Abs 2 und Abs 3 StPO).

Durch die zuletzt genannte Zuständigkeitsverschiebung mit Inkrafttreten von BGBl I 2007/93 wurde dem bislang nicht an die neue Rechtslage angepassten § 2 Abs 2 des Bundesgesetzes vom 26. November 1963 über die Einziehung gerichtlicher Verwahrnisse idF BGBl I 8/2006, wonach strafgerichtliche Verwahrnisse, die nach Wegfall des Rechtsgrundes für die gerichtliche Verwahrung nicht ausgefolgt werden können, vom Strafgericht nach § 1425 ABGB zu hinterlegen sind, für den Bereich des Ermittlungsverfahrens entsprechend dem Grundsatz „lex posterior derogat legi priori” derogiert, sodass auch insoweit die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft - statt wie bisher des Gerichts - gegeben ist.

Es besteht daher seit 1. Jänner 2008 keine gerichtliche Zuständigkeit für eine Hinterlegung nach § 1425 ABGB im Ermittlungsverfahren; mangels anderslautender Übergangsbestimmung (vgl § 516 StPO) aber auch nicht für eine durch einen solchen Rechtsakt begründete Verpflichtung (hier: für den Versicherungsschutz zu sorgen).

3. Der Gesetzgeber hat derartige Agenden vielmehr in die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft als einem anderen in Vollziehung der Gesetze tätigen Organ der Rechtspflege, sohin des Staates, verlagert (vgl Art 82 Abs 1, 90a B-VG; § 1 StAG), weshalb sich weder die Frage einer Gesamtrechtsnachfolge noch eines Parteiwechsels stellt.

4. Infolge der bereits ex lege zustande gekommenen Übertragung der Zuständigkeit auf ein anderes staatliches (Justiz-)Organ haben die beteiligten Gerichte im Rahmen der Begründung der die gerichtliche Zuständigkeit verneinenden Beschlüsse weder mit dem zutreffenden Hinweis auf die dargelegte Kompetenzverschiebung noch durch die Rechtsmeinung, die Staatsanwaltschaft sei nunmehr für eine allfällige Verlängerung des mit der U***** AG abgeschlossenen Versicherungsvertrags zuständig, die Wirkungen der materiellen Rechtskraft des im außerstreitigen Verfahren ergangenen Beschlusses des Bezirksgerichts Linz missachtet. Sie haben damit auch nicht den ihnen durch § 31 Abs 1 StPO vorbehaltenen prozessualen Zuständigkeitsbereich überschritten.

Die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war demgemäß zu verwerfen.