JudikaturJustiz12Os70/03

12Os70/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
11. September 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 11. September 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Habl, Dr. Philipp und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Bauer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Abaz W***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB, AZ 17 U 160/02y des Bezirksgerichtes Linz, über die vom Generalprokurator zur Wahrung des Gesetzes erhobene Nichtigkeitsbeschwerde gegen Vorgänge in diesem Strafverfahren sowie gegen das Urteil und den Beschluss des Landesgerichtes Linz als Rechtsmittelgericht vom 15. Jänner 2003, AZ 20 Bl 131/02, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Solé, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten Abaz W***** zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen Abaz W*****, AZ 17 U 160/02y des Bezirksgerichtes Linz, verletzen

1. der Vorgang, dass es das Bezirksgericht Linz unterließ, dem Landesgericht Linz die Berufung und die Beschwerde des Beschuldigten vorzulegen,

2. die Vorgänge im Rechtsmittelverfahren vor dem Landesgericht Linz (AZ 20 Bl 131/02) sowie dessen Urteil und Beschluss vom 15. Jänner 2003, soweit die Berufung und die gemäß § 498 Abs 3 (dritter Satz) StPO als erhoben zu betrachtende Beschwerde des Angeklagten nicht in Behandlung gezogen und erledigt wurden,

das Gesetz in den (durch § 179 Abs 1 Geo ergänzten) Bestimmungen des XXVI. Hauptstückes der Strafprozessordnung über Rechtsmittel gegen Urteile der Bezirksgerichte.

Das Urteil und der Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 15. Jänner 2003, AZ 20 Bl 131/02, werden aufgehoben. Dem Landesgericht Linz wird die Erneuerung des Rechtsmittelverfahrens aufgetragen.

Text

Gründe:

Das Bezirksgericht Linz verhängte mit Urteil vom 30. Juli 2002, GZ 17 U 160/02y-10, über Abaz W***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB gemäß dieser Gesetzesstelle eine Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15 EUR, für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 40 Tagen und sah mit unter einem gefasstem Beschluss gemäß § 494a Abs 1 Z 2 StPO vom Widerruf der zu GZ 17 U 39/00a-7 vom Bezirksgericht Linz hinsichtlich einer vierwöchigen Freiheitsstrafe gewährten bedingten Strafnachsicht ab, verlängerte hiezu aber nach § 494a Abs 6 StPO die Probezeit auf fünf Jahre.

Gegen dieses Urteil meldete der Beschuldigte sogleich (S 59) - gemäß § 498 Abs 3 (dritter Satz) StPO auch als Beschwerde gegen den Beschluss auf Verlängerung der Probezeit zu betrachtende - "volle" Berufung an, führte diese jedoch in der Folge nicht aus. Die Staatsanwaltschaft Linz bekämpfte das Urteil mit Strafberufung, den Beschluss auf Absehen vom Widerruf mit Beschwerde (ON 12, 14). Obwohl somit die Entscheidungen vom 30. Juli 2002 von beiden Prozessparteien angefochten wurden, erstattete das Erstgericht am 31. Oktober 2002 - entgegen der Bestimmung des § 179 Abs 1 letzter Satz Geo - nur bezüglich der Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Vorlageberichte an das Landesgericht Linz als Berufungs- und Beschwerdegericht (ON 15, 16).

Dieser Fehler setzte sich in dem zu AZ 20 Bl 131/02 vor dem genannten Gerichtshof geführten Rechtsmittelverfahren fort, wenngleich die Endfassung des Protokolls über die Berufungsverhandlung vom 15. Jänner 2003 (ON 17) - entgegen dem handschriftlichen Vermerk der Schriftführerin und solcherart offenbar irrtümlich - (alleine) den Beschuldigten als Berufungswerber ausweist (S 81). Im Zuge der Verhandlung wurde der Beschuldigte zwar zur Äußerung zu den Rechtsmitteln der Staatsanwaltschaft, nicht jedoch zur Begründung der von ihm eingelegten Berufung aufgefordert (S 83). Mit Urteil vom selben Tag erhöhte das Landesgericht Linz in Stattgebung der Berufung der Staatsanwaltschaft die Geldstrafe auf 120 Tagessätze, die Ersatzfreiheitsstrafe auf 60 Tage und gab mit gleichzeitig gefasstem Beschluss der Beschwerde gegen das Absehen vom Widerruf nicht Folge, ohne auf die vom Beschuldigten erhobenen Rechtsmittel einzugehen (ON 19).

Rechtliche Beurteilung

Die unterlassene Vorlage der Rechtsmittel des Beschuldigten, die Vorgänge in der Berufungsverhandlung vom 15. Jänner 2003 (ON 17) sowie das Berufungsurteil und die Beschwerdeentscheidung (ON 19) vom selben Tag stehen - wie der Generalprokurator in seiner zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Da die StPO - wie auch in § 179 Abs 1 letzter Satz Geo zum Ausdruck kommt - eine mehrmalige Entscheidung des Rechtsmittelgerichts über denselben Prozessgegenstand nicht kennt (13 Os 35, 36/03), richtet sich die Möglichkeit, mehrere gegen eine bestimmte gerichtliche Entscheidung erhobene Rechtsmittel getrennt erledigen zu können, nach der Fähigkeit der betroffenen Entscheidungsteile zur partiellen Rechtskraft, also danach, ob sie losgelöst voneinander selbständig geprüft und beurteilt werden können (vgl Foregger/Fabrizy StPO8 § 352 Rz 2). Dies ist im konkreten Fall zu verneinen, weil die Strafberufung und die Beschwerde der Staatsanwaltschaft ausschließlich Entscheidungsteile betreffen, die auch durch die Rechtsmittel des Beschuldigten in Beschwer gezogen worden sind, weshalb insoweit der Eintritt von Teilrechtskraft ausgeschlossen ist. Aufgrund dieser - logischen wie rechtlichen - Untrennbarkeit der Erledigung der Rechtsmittel des Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft wären beide Berufungen sowie beide Beschwerden gleichzeitig vorzulegen und - wie in der Strafprozessordnung vorgesehen - zum Gegenstand gemeinsamer Verhandlung sowie Entscheidung zu machen gewesen, was jedoch vorliegend verabsäumt wurde.

Dadurch wurde das Gesetz in den im Spruch genannten Bestimmungen verletzt.

Weil nicht auszuschließen ist, dass diese Verstöße dem Angeklagten zum Nachteil gereicht haben, war dem Landesgericht Linz nach Aufhebung seiner zu 20 Bl 131/02 ergangenen Entscheidungen die Erneuerung des Rechtsmittelverfahrens aufzutragen.