JudikaturJustiz12Os68/07b

12Os68/07b – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. Juni 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. Juni 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Höller als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. Kurt P***** und einen anderen Beschuldigten wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB, AZ 4 U 79/05p des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Ybbs, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes St. Pölten vom 14. März 2007, GZ 36 Rk 18/07h-5, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators Generalanwalt Dr. Eisenmenger zu Recht erkannt:

Spruch

Der im Verfahren AZ 4 U 79/05p des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Ybbs ergangene Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes St. Pölten vom 14. März 2007, GZ 36 Rk 18/07h-5 (ON 49 der U-Akten), verletzt im Ausspruch, das Strafverfahren zur weiteren Verhandlung dem Bezirksgericht Melk zu übertragen, das Gesetz in § 74 Abs 3 Satz 2 StPO iVm Art 83 Abs 2 und Art 87 Abs 3 B-VG.

Der Beschluss wird in diesem Ausspruch aufgehoben und der Ratskammer eine neuerliche Entscheidung nach § 74 Abs 3 Satz 2 StPO aufgetragen.

Text

Gründe:

Im Verfahren 4 U 79/05p des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Ybbs legt die Staatsanwaltschaft mit Antrag auf Bestrafung vom 4. Oktober 2006, 62 BAZ 202/06i (ON 28 der U-Akten), Dr. Kurt P***** und Dr. Ulrike T***** das Vergehen der fahrlässigen Tötung nach § 80 StGB zur Last.

Mit Beschluss der Ratskammer des Landesgerichtes St. Pölten vom 14. März 2007, GZ 36 Rk 18/07h-5 (ON 49 der U-Akten), wurde die auf behauptete außerdienstliche Äußerungen des zur Entscheidung berufenen Richters gestützte Ablehnung des Vorstehers des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Ybbs durch Dr. P***** (ON 2 und 3 der Rk-Akten) als gerechtfertigt erkannt und das Strafverfahren zur weiteren Verhandlung - auf Grund der Kleinstadtstruktur von Waidhofen an der Ybbs, der Größe des Bezirksgerichtes sowie der zentralen Bedeutung des Klinikums und um weiteren Ablehnungen vorzubeugen - dem Bezirksgericht Melk übertragen.

Rechtliche Beurteilung

Der Beschluss der Ratskammer verstößt - wie der Generalprokurator (§ 33 Abs 2 StPO) zutreffend ausführt - gegen das Gesetz. Der Entscheidungsträger des § 74 Abs 3 Satz 2 StPO hat im Falle einer stattgebenden Ablehnungsentscheidung bei der Bezeichnung des Richters, dem die Sache übertragen wird, dem Gebot verfassungskonformer Auslegung folgend das in Art 83 Abs 2 B-VG verankerte und in Art 87 Abs 3 B-VG näher umschriebene verfassungsrechtlich gewährleistete Recht auf den gesetzlichen Richter zu beachten. Soweit die Geschäftsverteilung Vertreter ausweist (§§ 26 Abs 4, 33 Abs 1 GOG), sind diese in der dort bestimmten Reihenfolge heranzuziehen (11 Os 115/02, EvBl 2003/59, 269; Lässig, WK-StPO § 74 Rz 7; Fabrizy, StPO9 § 74 Rz 2; Pollak, RZ 2000, 246 [248]), sofern diese nicht - was von Amts wegen, also auch ohne darauf abzielenden Antrag zu berücksichtigen wäre (arg „geeignet" in § 183 Abs 3 letzter Satz Geo) - selbst ersichtlich ebenfalls (sei es aus den beim primär Zuständigen vorliegenden oder anderen aktenkundigen Umständen) ausgeschlossen, abgelehnt oder dem Anschein der Befangenheit ausgesetzt sind.

Nach der aktuellen Geschäftsverteilung des Bezirksgerichtes Waidhofen an der Ybbs ist ein bestimmter Richter als Stellvertreter des Vorstehers des Bezirksgerichtes vorgesehen. Nach Punkt 2 der Erläuterungen zur relevanten Geschäftsverteilung ist eine Sache, die einem ausgeschlossenen oder befangenen Richter abgenommen wird, von seinem Stellvertreter zu führen.

Mit der unter Übergehung der Geschäftsverteilung vorgenommenen Übertragung an ein anderes Bezirksgericht machte die Ratskammer von dem ihr im zweiten Satz des § 74 Abs 3 StPO eingeräumten (gebundenen) Ermessen gesetzwidrigen Gebrauch, weil der nach der Geschäftsverteilung vorgesehene Vertreter des abgelehnten Richters nach der Aktenlage weder ausgeschlossen (§§ 67 f StPO) noch seinerseits abgelehnt war. Die in den Erwägungen der Zuweisungsentscheidung antizipierte (zumindest als Anschein vorliegende) Befangenheit aller Richter des Tatortgerichtes wurde ohne subjektsbezogene Unterscheidungsmöglichkeit, somit abstrakt-spekulativ unterstellt (vgl Lässig, WK-StPO § 73 Rz 5), zumal die darin genannten Umstände einer allenfalls bestehenden sozialen Wirklichkeit gerade nicht den Grund für den Anschein der Befangenheit des ursprünglich zuständigen Richters bildeten. Die Gesetzesverletzung gereicht den in ihrem verfassungsrechtlich geschützten Recht auf den gesetzlichen Richter beeinträchtigten Beschuldigten zum Nachteil. Deshalb sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, seine Feststellung mit konkreter Wirkung zu versehen. Anders als vom Generalprokurator beantragt war die aktuelle Übertragung nicht vom Höchstgericht selbst vorzunehmen, sondern der Ratskammer des Landesgerichtes St. Pölten aufzutragen, um dieser vor neuerlicher Entscheidung die verfahrensbeschleunigende (sinngemäß § 183 Abs 3 letzter Satz Geo) Gelegenheit zu geben, Gründe, die fallbezogen gegen eine Zuweisung an den nächstberufenen Richter sprächen (namentlich durch dessen Befragung), zu erheben.