JudikaturJustiz12Os59/19x

12Os59/19x – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. Oktober 2019

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. Oktober 2019 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oshidari und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Brenner und Dr. Setz Hummel in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Jukic als Schriftführerin in der Strafsache gegen Dr. Gabriel L***** wegen des Vergehens des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 6 St 60/15t der Staatsanwaltschaft Linz, über den Antrag des Dr. Bernhard P***** auf Erneuerung des Strafverfahrens analog § 363a StPO nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

Die Staatsanwaltschaft Linz führte zu AZ 6 St 60/15t gegen Dr. Gabriel L***** ein Strafverfahren wegen des Vergehens des geheimen Nachrichtendienstes zum Nachteil Österreichs nach § 256 dritter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen, welches am 4. April 2017 eingestellt wurde (ON 2 S 53).

Die Zentrale Staatsanwaltschaft zur Bekämpfung von Wirtschaftstrafsachen und Korruption (WKStA) führte zu AZ 6 St 2/18f gegen Dr. Bernhard P***** und andere Personen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts des Missbrauchs der Amtsgewalt nach § 302 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen.

Gegenstand dieses Verfahrens war im Wesentlichen der gegen Dr. Bernhard P***** gerichtete Verdacht, er habe im Zuge des Strafverfahrens gegen Dr. Gabriel L***** sichergestellte Daten entgegen gerichtlicher Anordnung zum Zwecke der Weiterverwendung kopiert.

In Bezug auf diesen Vorwurf stellte die WKStA das Ermittlungsverfahren am 2. Mai 2019 ein (ON 1 S 415 in AZ 6 St 2/18f).

Am 11. April 2018 beantragte Dr. Bernhard P***** gemäß § 77 Abs 1 StPO Einsicht in die Ergebnisse des eingangs erwähnten Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Linz mit der Begründung, dass er an der Akteneinsicht im Hinblick auf die Wahrnehmung seiner Rechte in dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren ein begründetes rechtliches Interesse habe.

Gegen die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Linz (ON 868), die die Akteneinsicht wegen der als höherwertig einzustufenden Geheimhaltungsinteressen des Dr. Gabriel L***** in Bezug auf dessen anwaltliches Berufsgeheimnis ablehnte, erhob Dr. Bernhard P***** Einspruch wegen Rechtsverletzung (§ 106 Abs 1 StPO). Dieser blieb ohne Erfolg, weil sowohl das Landesgericht Linz (Beschluss vom 11. September 2018, GZ 19 HR 217/15g 889) als auch das in der Folge mittels Beschwerde befasste Oberlandesgericht Linz (Beschluss vom 22. Oktober 2018, AZ 7 Bs 149/18p) die – mit der neueren (allerdings erst zeitlich nachfolgend entwickelten) Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs nicht im Einklang stehende – Auffassung vertraten, dass gegen erst nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens getroffene Entscheidungen der Staatsanwaltschaft in Fällen behaupteter Verletzung in einem von der Strafprozessordnung eingeräumten subjektiven Recht Einspruch wegen Rechtsverletzung nicht zustehe (vgl demgegenüber RIS Justiz RS0132414).

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich der Erneuerungsantrag des Dr. Bernhard P*****, mit welchem dieser im Wesentlichen Verletzungen des Art 6 Abs 3 MRK sowie des Art 6 iVm Art 13 MRK geltend macht.

Die Generalprokuratur führt dazu Folgendes aus:

Hiebei entzieht sich das unter Hinweis auf RIS Justiz RS0132414 erstattete Vorbringen, wonach Bestimmungen der StPO verletzt worden seien, grundsätzlich einer inhaltlichen Erwiderung, weil die Behandlung des Rechtsbehelfs auf Erneuerung ohne vorherige Befassung des EGMR allein aus dem Blickwinkel der Grund- oder Menschenrechte erfolgt und andere Rechtsverletzungen somit außer Betracht bleiben (RIS Justiz RS0129606).

Den hiezu weiters vorgebrachten Vorwurf einer Verletzung seines Rechts auf Akteneinsicht und auf wirksame Beschwerde im Sinn des „Art 6 Abs 3 und Art 6 iVm Art 13“ MRK sowie des Grundsatzes der Waffengleichheit nach Art 6 Abs 3 lit d MRK leitet der Erneuerungswerber, der im Übrigen privatrechtliche Ansprüche gegen den Beschuldigten nicht geltend macht (vgl Meyer-Ladewig/Harrendorf/König in Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer EMRK 4 Art 6 Rz 4 und 21), allein aus Vorgängen im – ihn selbst nicht betreffenden – Verfahren der Staatsanwaltschaft Linz, AZ 6 St 60/15t, ab, übersieht dabei jedoch, dass die reklamierten Grundrechte im Zusammenhang mit Strafverfahren nur für Angeklagte bzw Beschuldigte normiert sind (vgl 15 Os 177/13p).

Im (gegenständlichen) Verfahren AZ 6 St 60/15t der Staatsanwaltschaft Linz ist Dr. P***** hingegen weder Beschuldigter noch Angeklagter; seine Verfahrensstellung und die damit verbundenen Rechte ergeben sich lediglich aus seinem Antrag auf Akteneinsicht gemäß § 77 Abs 1 StPO. Allein aus dieser Verfahrensstellung abgeleitete Grundrechtsverletzungen werden nicht dargetan.

Der Erneuerungsantrag bezieht sich vielmehr ausschließlich auf Konventionsgarantien des Art 6 Abs 3 MRK, in deren Anwendungsbereich indes nur solche Verfahren fallen, in welchen über eine strafrechtliche Anklage selbst – mithin über Schuld oder Nichtschuld des Angeklagten – entschieden wird ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 24 Rz 4, 28). Da sich die vom Erneuerungswerber eingeforderten Verteidigungsrechte allein aus seiner Beschuldigtenposition im (Ermittlungs-)Verfahren AZ 6 St 2/18f der WKStA ergeben, können diese auch nur in jenem Verfahren – durch entsprechende Antragstellung und erforderlichenfalls (nach [vertikaler und horizontaler] Ausschöpfung des Rechtswegs; vgl RIS-Justiz RS0122737 [T13]; Grabenwarter/Pabel , EMRK 6 § 13 Rz 24 ff) mittels darauf bezogenen Erneuerungsantrags – wirksam (Art 13 MRK) durchgesetzt werden.

Der Oberste Gerichtshof hat erwogen:

Nach mittlerweile ständiger Rechtsprechung bedarf es zur Erneuerung des Strafverfahrens in analoger Anwendung des § 363a StPO keines Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (RIS Justiz RS0122229, RS0122737). Der Kreis der zu einer solchen Antragstellung legitimierten Personen ist allerdings beschränkt. Ankläger (Staatsanwaltschaften, Privat- oder Subsidiarankläger, Antragsteller iSd MedienG), Anzeiger oder Opfer (Privatbeteiligte) stellen etwa keine von der „festgestellten Verletzung Betroffenen“ iSd § 363a Abs 2 StPO dar (vgl RIS Justiz RS0126446, RS0123644, RS0126176; Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 11.113).

Gleiches gilt für denjenigen Antragsteller, dem Akteneinsicht im Verfahren nach § 77 Abs 1 StPO verweigert wurde. Denn einerseits hat die Rechtsprechung Dritten bislang die Parteistellung im Erneuerungsverfahren nur insoweit zuerkannt, als diese von Zwangsmaßnahmen betroffen waren (vgl 13 Os 109/10v: Beschlagnahme; 13 Os 130/10g: Sicherstellung; generell gegen die Antragslegitimation Dritter aber Reindl-Krauskopf , WK StPO § 363a Rz 21). Eine solche Beeinträchtigung liegt bei der Ablehnung von Akteneinsicht nicht vor (vgl Hinterhofer/Oshidari , Strafverfahren Rz 7.1078). Andererseits wäre es aber auch nicht einzusehen, dass sich etwa Opfer (und Privatbeteiligte) gegen solche abschlägige Entscheidungen (vgl § 68 StPO) nicht mittels Erneuerungsantrags zur Wehr setzen könnten, während dies beim Antragsteller iSd § 77 Abs 1 StPO schon möglich wäre. Diese Schieflage wäre überdies dadurch verstärkt, dass die Antragslegitimation eines solchen Akteneinsichtswerbers davon abhängig wäre, ob sich sein Begehren auf ein Verfahren bezieht, in dem er zuvor als Anzeiger aufgetreten ist oder nicht (zur mangelnden Antragslegitimation des Anzeigers vgl erneut RIS Justiz RS0126176).

Da der vorliegende Erneuerungsantrag somit von einer Person gestellt wurde, der das Antragsrecht nicht zusteht, war er bereits bei der nichtöffentlichen Beratung zurückzuweisen (§ 363b Abs 2 Z 2 StPO).

Damit erübrigt sich auch ein Eingehen auf die – im Übrigen zutreffenden – grundrechtlichen Erwägungen der Generalprokuratur.

Rechtssätze
3
  • RS0126446OGH Rechtssatz

    29. September 2021·3 Entscheidungen

    Die von § 363b Abs 2 Z 1 StPO genannte, in der Unterschrift eines Verteidigers bestehende Zulässigkeitsvoraussetzung hat den Obersten Gerichtshof - mit Blick auf das bloß zwischen Anklägern und Beschuldigten (§ 38 Abs 3 StPO idF vor BGBl I 2004/19) differenzierende Verständnis des (von der Anpassungsgesetzgebung an das StPRefG unberührt gebliebenen) Erneuerungsverfahrens - dazu veranlasst, Grundrechtsschutz nach § 363a StPO unter dem Aspekt als verletzt reklamierter Anklägerinteressen zu verneinen. Ankläger (zu denen neben Privatanklägern, Subsidiaranklägern und Privatbeteiligten etwa auch Antragsteller nach §§ 6 bis 7c und 9 f MedienG zählen) sind nicht antragslegitimiert, weil diese sich selbst nach dem Verständnis des historischen Gesetzgebers (BGBl 1996/762) keines Verteidigers bedienen konnten (§ 39 StPO idF vor BGBl I 2004/19). Personen, die als Ankläger von einer Grundrechtsverletzung betroffen sind, sollte unter dem Aspekt innerstaatlicher Umsetzung von Urteilen des EGMR (Art 46 MRK; zur nachträglich erkannten Lücke aufgrund veränderter Normsituation vgl 13 Os 135/06m, EvBl 2007/154, 832) kein Recht auf Neudurchführung von strafgerichtlichen Verfahren eingeräumt werden (vgl RIS-Justiz RS0123644). Angesichts der vom historischen Gesetzgeber intendierten, weiterhin systemkonformen Schutzrichtung gilt nichts anderes für Opfer (§ 65 StPO) in dieser Eigenschaft. Deren Interesse wird durch die Zulässigkeit von Fortführungsanträgen (§ 195 StPO) ausreichend geschützt. Für andere von strafgerichtlicher Grundrechtsverletzung im vorstehend definierten Sinn Betroffene gelten diese Überlegungen jedoch nicht. Sie gelten auch nicht in Betreff des hier reklamierten Grundrechtsschutzes Dritter (vgl bereits 13 Os 162/07h, EvBl-LS 2008/31, 189; 14 Os 160/07x), für welche das Erfordernis der Verteidigerunterschrift demnach mit der Maßgabe gilt, dass von ihnen gestellte Anträge der Unterschrift einer im Sinn des § 48 Abs 1 Z 4 StPO zur Verteidigung befähigten Person bedürfen.