JudikaturJustiz12Os48/05h

12Os48/05h – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Juni 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Juni 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Rupert M***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Schöffengericht vom 27. Jänner 2005, GZ 40 Hv 12/04d-47, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

I. In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in den Schuldsprüchen wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person (I.) und des Vergehens nach § 30 Abs 1 SMG (III.), demgemäß auch im Strafausspruch einschließlich der Vorhaftanrechnung, ferner im Zuspruch von 1.500 EUR an die Privatbeteiligte Milena M***** aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

II. Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

III. Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft werden mit ihren Berufungen auf diese Entscheidung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die auf den erfolglosen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde entfallenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Rupert M***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB idF BGBl I 2004/15 (I.) sowie des Vergehens des versuchten Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB (II./1, 2) und des Vergehens nach § 30 Abs 1 SMG (III.) schuldig erkannt.

Darnach hat er

I. am 19. April 2004 gegen 20.00 Uhr in Wohlfurt eine wehrlose Person, nämlich Milena M*****, der er in Kenntnis der von ihr an diesem Tag zuvor eingenommenen hohen Dosis an Somnubene-Tabletten mindestens einen Viertelliter Whisky verabreichte, wobei sie nach dessen Konsum in einen akuten körperlich beeinträchtigten Zustand mit Unfähigkeit zu jeglicher Gegenwehr geriet, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr eine geschlechtliche Handlung, nämlich einen vaginalen Geschlechtsverkehr vornahm;

II. in Bregenz fremde bewegliche Sachen anderen mit dem Vorsatz unrechtmäßiger Bereicherung wegzunehmen versucht, nämlich

1. am 8. Juni 2001 dem Edelbert A***** ein Glas Nescafé im Wert von 4,35 EUR;

2. am 13. Dezember 2003 Verfügungsberechtigten des Sparmarktes im G***** eine Flasche Whisky der Marke Jim Beam im Wert von 7,80 EUR;

III. von Herbst 2003 bis 19. April 2004 in Wolfurt den bestehenden Vorschriften zuwider einen psychotropen Stoff, nämlich Somnubene-Tabletten (mit dem Wirkstoff Flunitrazepam) einem anderen überlassen, indem er sie wiederholt zum Preis von einem EUR pro Stück an Milena M***** veräußerte.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 4 und 5 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde kommt im Ergebnis zum Teil, nämlich in Ansehung der Schuldspruchpunkte I. und III. Berechtigung zu. Fehl geht die - die Diebstahlsfakten II. nicht ausnehmende - Verfahrensrüge (Z 4), soweit sie eine Nichtigkeit darin erblickt, dass der Angeklagte und sein Verteidiger (im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft) nach dem Urteil erster Instanz über seinen am 30. März 2005 gestellten Antrag nicht den gesamten Gerichtsakt, sondern bloß Abschriften von Teilen des Aktes erhielten, weil damit weder der angezogene noch ein anderer in § 281 Abs 1 StPO normierter Nichtigkeitsgrund dargetan wird.

Im Übrigen legt die Beschwerde ferner nicht dar, was den Verteidiger allenfalls hinderte, bei Gericht Akteneinsicht zu nehmen. Der Einwand (nominell Z 4, der Sache nach Z 3), wonach durch die „gegen seinen Widerspruch" unter Berufung auf § 252 Abs 1 Z 2a StPO erfolgte Verlesung der im Vorverfahren abgelegten Aussage der Zeugin Milena M***** die Nichtigkeit der davon betroffenen Schuldspruchpunkte I. und III. bewirkt, ist berechtigt. Denn nach der in Rede stehenden Verfahrensbestimmung dürfen gerichtliche Protokolle über die Vernehmung von Zeugen verlesen werden, wenn Zeugen die Aussage berechtigt verweigern (§ 152 StPO) und die Parteien Gelegenheit hatten, sich an einer gerichtlichen Vernehmung zu beteiligen (§§ 162a, 247 StPO).

Eine „kontradiktorische Vernehmung" im Sinn des § 162a Abs 1 StPO liegt somit nur dann vor, wenn den Parteien, also dem Ankläger, Privatbeteiligten und Beschuldigten (Angeklagten) sowie (soweit vorhanden) deren Vertretern Gelegenheit gegeben wird, sich an der (924 BlgNR 18. GP, S 31f) Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter zu beteiligen und Fragen an den Zeugen zu stellen. Der freiwillige Verzicht auf die Teilnahme an der Zeugenvernehmung nach - auch informeller - in angemessener Frist ergangener Einladung zu einem konkreten Termin ändert nichts am Charakter der kontradiktorischen Vernehmung (vgl auch den Einführungserlass zum StPÄG 1993, JMZ 578.012/41-II3/93, S 41).

Eine solche dem Recht auf ein faires Verfahren nach Art 6 Abs 3 lit d EMRK („Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen …") genügende Gelegenheit, an einen Zeugen Fragen zu stellen (1157 BlgNR 18. GP, S 10) und dessen Glaubwürdigkeit in Frage zu stellen (924 BlgNR, S 32), wurde dem Angeklagten vorliegend nicht geboten, weil ihm bereits anlässlich seiner Vernehmung als Beschuldigter am 16. September 2004 (ON 21), also zu einem Zeitpunkt die Erklärung des Verzichts auf die Ladung zu einer kontradiktorischen Vernehmung der Milena M***** abgenommen wurde, als noch gar nicht feststand, ob es dazu kommen werde, geschweige denn, dass Zeit und Ort derselben feststanden, somit auch nicht abschätzbar war, mit welchen allenfalls bis dahin hervorkommenden Beweisergebnissen die Zeugin zu konfrontieren war.

Da schon die aufgezeigte Nichtigkeit die Aufhebung der auf die zu Unrecht erfolgte Verlesung des Protokolls über die Aussage der Zeugin M***** gegründeten Schuldspruchpunkte I. und III. nach sich zieht, musste auf die weiteren dagegen erhobenen Beschwerdeeinwände nicht eingegangen werden.

Der Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher schon bei der nichtöffentlichen Beratung sofort teilweise, nämlich in Ansehung der Schuldspruchpunkte I. und III. Folge zu geben und dem Erstgericht die Verfahrenserneuerung im Umfang der Aufhebung aufzutragen, weil die Anordnung einer neuen Hauptverhandlung nicht zu vermeiden ist, eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes in der Sache selbst aber noch nicht einzutreten hat (§ 285e StPO).

Im zweiten Rechtsgang wird das Schöffengericht zu beachten haben, dass der in seiner Geschlechtssphäre verletzte Zeuge nur dann nach § 152 Abs 1 Z 2a StPO entschlagungsberechtigt ist, wenn die Parteien im Sinn des § 162a Abs 1 StPO Gelegenheit hatten, sich an der vorausgegangenen gerichtlichen Vernehmung zu beteiligen (Fabrizy StPO9 § 152 Rz 12, EvBl 2002/49, 11 Os 95/01), weshalb vorliegend der vom Schöffengericht - allenfalls unter Ausschöpfung des in § 250 StPO vorgesehenen Möglichkeiten - zu vernehmenden Zeugin M***** das Entschlagungsrecht nach dieser Verfahrensbestimmung nicht zukommt. Im Übrigen (Punkt II. betreffend) war die Nichtigkeitsbeschwerde - gleichfalls bereits in nichtöffentlicher Sitzung - sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft waren mit ihren Berufungen auf die Kassation des Strafausspruchs zu verweisen. Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.

Rechtssätze
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