JudikaturJustiz12Os32/22f

12Os32/22f – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Juni 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Juni 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Marko, BA, BA, in der Strafsache gegen * A* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 3. Dezember 2021, GZ 46 Hv 95/21g 19, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Leitner, der Verteidigerin Mag. Kronlachner und des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wird verworfen.

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und im Umfang der Aufhebung in der Sache selbst erkannt:

* A* wird für das ihm zur Last liegende Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB nach dem Strafsatz des § 87 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 39 Abs 1a StGB und des § 39a Abs 1 Z 4 StGB (iVm § 39a Abs 2 Z 4 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von

vier Jahren

verurteilt.

Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird die vom 22. Oktober 2021, 11:50 Uhr, bis zum 3. Dezember 2021, 11:34 Uhr, erlittene Vorhaft auf die Freiheitsstrafe angerechnet.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung verwiesen.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde * A* – soweit hier von Bedeutung – des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 22. Oktober 2021 in W* * U* eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB) absichtlich zuzufügen versucht, indem er ihm mehrere Faustschläge gegen den Kopfbereich versetzte, dann ein Brotmesser mit einer Klingenlänge von 32 cm ergriff und insgesamt drei Hiebe gegen * U* setzte, wobei dieser zwei Hieben ausweichen konnte und beim dritten Hieb versuchte, das Messer an der Klinge festzuhalten, worauf * A* die Klinge aus der Hand von * U* zog, wodurch dieser Schnittwunden an beiden Händen sowie zahlreiche Hämatome erlitt.

[3] Hiefür wurde er nach § 87 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 39 Abs 1a StGB zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt.

Rechtliche Beurteilung

[4] Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 5 und 5a StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten. Die Staatsanwaltschaft wendet sich mit ihrer auf § 281 Abs 1 Z 11 StPO gegründeten Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Strafausspruch.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten:

[5] Die Mängelrüge behauptet, das Erstgericht habe gegen die Glaubwürdigkeit von * U* sprechende Verfahrensergebnisse unberücksichtigt gelassen (Z 5 zweiter Fall).

[6] Die tatrichterliche Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen (also die Glaubhaftigkeit der Angaben von Zeugen und Angeklagten) ist jedoch – so sie nicht undeutlich (Z 5 erster Fall) oder in sich widersprüchlich (Z 5 dritter Fall) ist (was hier nicht behauptet wird) – einer Anfechtung mit Nichtigkeitsbeschwerde entzogen (RIS Justiz RS0106588 [T13]). Sie kann nur unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubhaftigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat.

[7] Der Bezugspunkt besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubhaftigkeit oder Unglaubhaftigkeit (die ihrerseits eine erhebliche Tatsache darstellt), sondern ausschließlich in den Feststellungen über entscheidende Tatsachen (RIS-Justiz RS0119422 [T2 und T4]; zu den Begriffen entscheidende und erhebliche Tatsachen Ratz , WK-StPO § 281 Rz 398 und 409). Erheblich, somit nach Maßgabe ihres Vorkommens in der Hauptverhandlung (§ 258 Abs 1 StPO) erörterungsbedürftig, sind insoweit demnach (nur) Tatumstände, welche die – von den Tatrichtern als notwendige Bedingung für die Feststellung einer entscheidenden Tatsache bejahte (vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 410) – Überzeugungskraft der Aussage (eines Zeugen oder Angeklagten) in Bezug auf diese entscheidende Tatsache ernsthaft in Frage stellen (vgl RIS-Justiz RS0120109 [T3] sowie Ratz , WK-StPO § 281 Rz 29).

[8] Dies trifft auf die von der Beschwerde relevierten geringfügigen Divergenze n betreffend die Beschreibung der Faustschläge des Angeklagten in der Aussage des Opfers vor der Polizei (ON 2 S 77) und in der Hauptverhandlung (ON 17 S 10) nicht zu .

[9] Die vom Opfer geschilderten Ausweichbewegungen haben die Tatrichter erörtert und mit mängelfreier Begründung als möglich und glaubwürdig erachtet (US 7). Einer darüber hinausgehenden Auseinandersetzung (auch) mit der im Gerichtssaal erfolgten Nachstellung des von * U* ohnedies verbal beschriebenen Zurückweichens (ON 17 S 12) bedurfte es – dem Gebot zur gedrängten Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) folgend – nicht.

[10] In der Beschwerde relevierte Abweichungen zwischen der Darstellung des Opfers und jener der Zeugin * E* hat der Schöffensenat ohnehin einer Würdigung unterzogen (US 6).

[11] Mit Spekulationen über ein Motiv für die belastenden Angaben des Opfers bekämpft die Rüge lediglich die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld. Gleiches gilt für den Einwand, wonach das Opfer durch die ersten Messerhiebe keine Verletzungen erlitten habe.

[12] Die Tatsachenrüge (Z 5a) soll nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern (RIS Justiz RS0118780). Indem der Beschwerdeführer den vom Erstgericht konstatierten Tathergang bloß mit dem spekulativen Vorbringen in Zweifel zieht, dass aufgrund der geschilderten Messerhiebe auf kleinstem Raum und „angesichts des beim Angeklagten angenommenen Vorsatzes (Absichtlichkeit!) realistisch betrachtet“ Verletzungen hätten entstehen müssen, wendet er sich erneut – außerhalb der Anfechtungskategorien der Z 5a – bloß gegen die Würdigung von Beweisergebnissen nach Art einer Schuldberufung.

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur zu verwerfen.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft:

[14] Entgegen der Beschwerdeauffassung (Z 11 erster Fall) sind die Voraussetzungen des § 39a Abs 1 Z 3 StGB nicht erfüllt. Denn n ach den Urteilsfeststellungen setzte der Angeklagte in einem rund drei Meter tiefen Kebab Stand insgesamt drei Hiebe mit einem Messer mit 32 cm Klingenlänge gegen das Opfer, wobei er es zweimal nicht traf und dieses beim dritten Hieb das Messer mit beiden Händen an der Schneide packte (US 4). Davon ausgehend liegt dem Angeklagten der Einsatz eines außergewöhnlich hohen Ausmaßes an Gewalt (vgl dazu Flora in WK 2 StG B § 39a Rz 10; Leukauf/Steininger/Tipold , StGB Update 2020 § 39a Rz 5b) bei der Begehung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB nicht zur Last.

[15] Zu Recht weist die Sanktionsrüge allerdings darauf hin, dass der Strafausspruch mit Nichtigkeit gemäß § 281 Z 11 erster Fall StPO behaftet ist, weil das Erstgericht bei der Sanktionsfindung ausgehend vom Strafsatz des § 87 Abs 1 StGB von einem bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe zwar (zutreffend [US 3 f]) von einem nach § 39 Abs 1a StGB erweiterten Strafrahmen bis zu fünfzehn Jahren Freiheitsstrafe ausging (US 9), allerdings die die Strafuntergrenze zwingend erhöhende (vgl 12 Os 7/21b) Bestimmung des § 39a Abs 1 Z 4 StGB unbeachtet ließ.

[16] Danach kommt es zu einer Änderung des Strafrahmens, wenn der Täter – wie hier – die Tat unter Einsatz oder Drohung mit einer Waffe (im funktionalen Sinn [RIS Justiz RS0093928; eingehend 11 Os 16/22w mwN]) begeht, wobei an die Stelle der Androhung einer Freiheitsstrafe, deren Mindestmaß ein Jahr beträgt, gemäß § 39a Abs 2 Z 4 StGB die Androhung eines Mindestmaßes von zwei Jahren Freiheitsstrafe tritt.

[17] Da der Angeklagte das ihm zur Last gelegte Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB unter Einsatz eines Brotmessers mit einer Klingenlänge von 32 cm (vgl zuletzt 13 Os 21/17p; Eder Rieder in WK 2 StGB § 143 Rz 18) beging, liegen somit die Voraussetzungen des § 39a Abs 1 Z 4 StGB vor.

[18] Dieser Fehler bei der Sanktionsfindung führte – erneut in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zur Aufhebung des Strafausspruchs und zur Neubemessung der Strafe durch den Obersten Gerichtshof (§ 288 Abs 2 Z 3 erster Satz StPO).

[19] Mildernd war zu werten, dass es beim Versuch geblieben ist (§ 34 Abs 1 Z 13 StGB), erschwerend hingegen die einschlägigen Vorstrafen (§ 33 Abs 1 Z 2 StGB) .

[20] Ausgehend davon (§ 32 Abs 2 erster Satz StGB) erweist sich auf der Grundlage der Schuld des Angeklagten (§ 32 Abs 1 StGB) die im Spruch genannte Sanktion als angemessen.

[21] Die Anrechnung der Vorhaftzeiten gründet sich auf § 38 Abs 1 Z 1 StGB.

[22] Über die Anrechnung der nach Fällung des Urteils erster Instanz in der Vorhaft (§ 38 StGB) zugebrachten Zeit hat gemäß § 400 StPO die Vorsitzende des Erstgerichts mit Beschluss zu entscheiden.

[23] Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Strafneubemessung zu verweisen.

[24] Der Kostenausspruch beruht auf § 390a Abs 1 StPO.