JudikaturJustiz12Os27/23x

12Os27/23x – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. Mai 2023

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 22. Mai 2023 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Oshidari, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Brenner, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Sadoghi in Gegenwart der Schriftführerin Mag. Fitzthum in der Strafsache gegen * P* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Schöffengericht vom 30. November 2022, GZ 13 Hv 51/22m-55, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen Urteil wurde – soweit hier von Relevanz – * P* des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 3 StGB (I.) sowie jeweils eines Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 3 StGB (II.), der absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs 1 StGB (III.) und der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 zweiter Fall StGB (IV.) schuldig erkannt.

[2] Danach hat er in A*

I. * Pa* vorsätzlich am Körper verletzt, und zwar dadurch, dass er jeweils ohne begreiflichen Anlass und unter Anwendung erheblicher Gewalt

1. ihr im Sommer 2017 einen „starken Rempler“ versetzte, wodurch sie auf ihr Gesäß fiel und ein Hämatom an der Hüfte sowie am linken Oberarm erlitt;

2. ihr im Sommer 2017 mit einer Fernbedienung gegen Kopf und Handrücken schlug, wodurch sie Hämatome am Handrücken und eine blutende Beule am Kopf erlitt;

3. sie im Sommer 2018, nachdem er sie vom Bett auf den Boden gezogen hatte, schlug und trat, wodurch sie Hämatome an den Schienbeinen erlitt;

4. ihr Ende des Jahres 2018 ein Zippo-Feuerzeug gegen das linke Bein warf, wodurch sie einen blauen Fleck im Bereich des linken Oberschenkels erlitt, und dadurch, dass er sie daran anschließend die Kellerstiege hinunterstieß, wodurch sie Abschürfungen und blaue Flecken im Gesicht und an einem Arm erlitt;

5. sie im Frühjahr 2019 an den Haaren zog und ihr gegen die Füße trat, wodurch sie blaue Flecken erlitt;

6. sie im Zeitraum 23. August 2019 und 7. Februar 2020 in der Sauna von der oberen Liege auf den Boden „schliff“, wodurch sie blaue Flecken an der Hüfte erlitt;

7. sie im Herbst 2019 im Stiegenaufgang würgte und zur Mauer drückte, wodurch sie blaue Flecken am Hals erlitt;

8. am 16. März 2020 zunächst im Wohnzimmer eine Holzbox nach ihr warf und, nachdem sie sich im Wohnzimmer auf die Couch gesetzt hatte, ihren linken Fuß erfasste und verdrehte, wodurch sie eine Zerrung des medialen Seitenbandes des linken Kniegelenks erlitt;

9. sie am 24. Februar 2022 unter dem Schreibtisch hervorzog und sodann, nachdem sie aufgestanden war, an den Haaren zu Boden zog und ihr die Hände zusammenhielt und Faustschläge versetzte, in der Folge ihren Mund zuhielt und ihr den Kopf verdrehte, wodurch sie Hämatome im Gesicht und eine blutende Wunde an der Stirn sowie einen blauen Fleck am rechten Oberarm erlitt;

10. sie am 16. April 2022 im Badezimmer an den Haaren zu Boden riss, gegen sie trat und ihr Faustschläge versetzte, wodurch sie eine Beule an der rechten Schläfenregion, ein Hämatom und eine Abschürfung an der linken Hand, eine Prellmarke am linken Wadenbeinkopf und mehrere Hämatome am linken Unterschenkel erlitt;

II. * Pa* durch die zu I.9. angeführte Tathandlung unter Zufügung besonderer Qualen vorsätzlich am Körper verletzt, wobei er ihr den Kopf so stark verdrehte, dass sie fürchtete, ihr „Hals“ werde „gebrochen“;

III. am 7. oder 8. Februar 2020 * Pa* dadurch, dass er ihr einen heißen Erdapfel in das Gesicht drückte und verrieb, eine schwere Körperverletzung (§ 84 Abs 1 StGB), nämlich eine an sich schwere Brandverletzung, absichtlich zuzufügen versucht, wobei * Pa* eine gerade noch leichte Körperverletzung, nämlich Verbrennungen zweiten Grades im Ausmaß von ungefähr 9,5 cm x 9,5 cm mit einer nachfolgenden Superinfektion erlitt;

IV. am 23. August 2019 * Pa* durch Drohung mit einer erheblichen Verstümmelung „oder auffallenden Verunstaltung“, nämlich dadurch, dass er mit laufender, auf Brusthöhe gehaltener Motorsäge auf sie zuging, Stichbewegungen ausführte (US 19) und erhebliche Schnittverletzungen in Brusthöhe in Aussicht stellte (US 17 und 19), zu einer Handlung, nämlich zum Verlassen der Garage, genötigt.

Rechtliche Beurteilung

[3] Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.

[4] Die (zu I. die Nichtannahme der Qualifikation nach § 84 Abs 3 StGB anstrebende) Subsumtionsrüge (Z 10) orientiert sich mit der Behauptung fehlender Feststellungen zum Nichtvorliegen begreiflicher Anlässe für die Taten prozessordnungswidrig nicht am Urteilssachverhalt (RIS Justiz RS0099810). Denn bei vernetzter Betrachtung der Entscheidungsgründe ergibt sich mit hinreichender Deutlichkeit der (von der Beschwerde bestrittene) notwendige Sachverhaltsbezug der Feststellung, wonach der Angeklagte „all diese Taten ohne begreiflichen Anlass beging“ (US 13), aus der Annahme der Überzeugungskraft der Zeugenaussage der * Pa*, die den Angeklagten als aufbrausende Person, der es an Selbstkontrolle mangle und die sich „in etwas hineinsteigere, sich Sachen einbilde und rot sehe“, wenn man nicht [ihrer] Meinung sei, und „innerhalb von einer Sekunde von Traummann auf Monster“ umschalte (US 25), und des Gutachtens der (durch Vernehmung der Hauptverhandlung beigezogenen) Sachverständigen DDr. W*, wonach der Angeklagte im Rahmen seiner Persönlichkeitsstruktur dazu neige, aus nichtigen Anlässen heraus, „überschießend bis tätlich aggressiv zu werden“ (US 25 f).

[5] Soweit die Beschwerde (Z 5 vierter Fall, nominell Z 10) in diesem Zusammenhang das Fehlen einer „nachvollziehbaren Begründung“ moniert, nimmt sie prozessordnungswidrig nicht an diesen Entscheidungsgründen Maß (RIS-Justiz RS0119370).

[6] Die weitere Subsumtionsrüge macht – im Widerspruch zur vorhergehenden Kritik über das (vermeintliche) Fehlen von das Nichtvorliegen eines begreiflichen Anlasses tragenden Feststellungen – geltend, dass die Konstatierungen über nicht näher konkretisierte Streitigkeiten zwischen dem Angeklagten und * Pa* (jeweils) das Tatbestandsmerkmal eines begreiflichen Anlasses für die Taten des Angeklagten erfüllten. Mit diesem Vorbringen orientiert sie sich aber nicht am (bereits zuvor geschilderten) Urteilssachverhalt, wonach (jeweils) kein solcher Anlass bestanden hat (US 13). Im Übrigen wäre ein nicht näher bekannter Streit (noch) kein begreiflicher Anlass iSd § 84 Abs 3 StGB (vgl Burgstaller/Schütz in WK² StGB § 84 Rz 61).

[7] Die zu I.1. einen Schuldspruch nach § 83 Abs 1 StGB anstrebende Subsumtionsrüge ist nicht zum Vorteil des Angeklagten ausgeführt, weil die Feststellungen zu den übrigen zu I. dargestellten Taten die Qualifikation nach § 84 Abs 3 StGB tragen, die Beschwerde sohin im Ergebnis einen weiteren Schuldspruch wegen eines Vergehens nach § 83 Abs 1 StGB einfordert (12 Os 148/17g, 14 Os 102/97; vgl Ratz , WK-StPO § 281 Rz 655, § 290 Rz 21).

[8] Indem die (zu II. der Sache nach die Nichtannahme der Qualifikation nach § 84 Abs 5 Z 3 StGB anstrebende) Subsumtionsrüge (Z 10) das (Nicht-)Vorliegen besonderer (entgegen dem Beschwerdevorbringen nicht auf starke körperliche Schmerzen beschränkter [vgl RIS-Justiz RS0092914, RS0092891]) Qualen allein nach „Grad und Dauer“ des Kopfverdrehens beurteilt und solcherart bloß einen Teilaspekt des Tatgeschehens zum Bezugspunkt hat, hält sie abermals nicht am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt fest (erneut RIS-Justiz RS0099810). Denn der Angeklagte zerrte * Pa* unter dem Schreibtisch hervor, zog sie an den Haaren zu Boden, hielt ihr die Hände zusammen, kniete sich auf sie, versetzte ihr Faustschläge, hielt ihr wegen ihrer Hilfeschreie den Mund zu und verdrehte ihr den Kopf derart stark, dass sie (von seinem Vorsatz umfasst [US 14]) einen Genickbruch befürchtete (vgl dazu RIS-Justiz RS0092914 [T6], RS0093194), wobei er erst von ihr abließ, als sie sich nicht mehr bewegte (US 11 und 14).

[9] Zu III. des Schuldspruchs stellte das Erstgericht fest, dass es dem Angeklagten darauf ankam, * Pa* eine „an sich schwere Verletzung“ zuzufügen (US 14). Das Urteil lässt im Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe – unter Einbeziehung der Feststellungen über die erlittene, als „gerade noch leichte Verletzung“ beurteilte Brandwunde (US 15) – mit hinreichender Deutlichkeit (vgl RIS-Justiz RS0117228) einen Sachverhaltsbezug (vgl RIS-Justiz RS0119090) für die Konstatierung erkennen, dass sich die Absicht des Angeklagten auf die Zufügung einer dem Grad nach schwereren Verbrennung als eine solche zweiten Grades über eine Fläche von 9,5 cm x 9,5 cm bezog.

[10] Welche weiteren Feststellungen zur subjektiven Tatseite erforderlich sein sollten, erklärt die (eine Unterstellung der Tat unter § 83 Abs 1 StGB anstrebende) Subsumtionsrüge (Z 10) nicht und entzieht sich damit einer inhaltlichen Erwiderung (RIS-Justiz RS0095939).

[11] Indem die Beschwerde in diesem Zusammenhang einerseits kritisiert, das Nachtatverhalten des Angeklagten stelle keine „taugliche Grundlage“ für die Begründung der subjektiven Tatseite dar und die (vom Erstgericht nach eingehender Begründung verworfene [US 15]) Verantwortung des Angeklagten sei nicht berücksichtigt worden, und andererseits eigene Schlussfolgerungen aus den Tatumständen zieht, bekämpft sie die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung (§ 283 Abs 1 StPO).

[12] Mit dem (zu IV. erhobenen) Einwand des Fehlens von Feststellungen zum Bedeutungs- und Sinngehalt der Drohung übergeht die (der Sache nach) Rechtsrüge (Z 9 lit a, nominell Z 10) prozessordnungswidrig (neuerlich RIS-Justiz RS0099810) die gerade dazu getroffenen Urteilskonstatierungen, wonach der Angeklagte (unter anderem) die Zufügung einer auffallenden Verunstaltung in Gestalt erheblicher Schnittverletzungen mit einer laufenden Motorsäge im Brustbereich ankündigte (US 17 und 19; vgl zu § 85 Abs 1 Z 2 StGB 12 Os 110/91, RIS Justiz RS0031128).

[13] Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits bei der nichtöffentlichen Beratung gemäß § 285d Abs 1 StPO sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).

[14] Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

Rechtssätze
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