JudikaturJustiz12Os26/04

12Os26/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. Mai 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 27. Mai 2004 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Pröstler-Zehetmaier als Schriftführer, in der Strafsache gegen Bane O***** wegen der Vergehen des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und Abs 2 StGB über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse der Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck vom 20. Mai 2003, GZ 36 Hv 223/02z-15, und des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 16. September 2003, AZ 6 Bs 225/03, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Mag. Knibbe, hingegen in Abwesenheit des Beschuldigten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschlüsse der Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck vom 20. Mai 2003, GZ 36 Hv 223/02z-15, und des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht vom 16. September 2003, AZ 6 Bs 225/03, verletzen das Gesetz in der Bestimmung des Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK.

Text

Gründe:

Die Bezirkshauptmannschaft Kufstein verhängte über Bane O***** mit (rechtskräftiger) Strafverfügung vom 17. September 2002, Zl VK-18462-2002, wegen der Verwaltungsübertretung nach § 37 Abs 1 iVm § 1 Abs 3 FSG eine Geldstrafe von 363 EUR, weil er am 31. August 2002 im Gemeindegebiet von Kufstein den PKW mit dem amtlichen Kennzeichen ***** gelenkt hatte, ohne im Besitz einer von der Behörde erteilten Lenkberechtigung der betreffenden Klasse oder Unterklasse zu sein. Mit (nach mündlicher Verkündung sogleich in Rechtskraft erwachsenem) Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kufstein vom 29. Oktober 2002, Zl VK-19153-2002, wurde über Bane O***** abermals wegen der zuvor genannten Verwaltungsübertretung eine Geldstrafe von 639 EUR verhängt, weil er, ohne im Besitz einer entsprechenden Lenkberechtigung zu sein, den oben bezeichneten PKW am 13. September 2002 in Kufstein gelenkt hatte.

Da sich im Zuge der gegen die Halterin dieses Kraftfahrzeuges Daniela M***** wegen des Verdachts der Verwaltungsübertretung nach § 103 Abs 1 Z 3 KFG geführten sicherheitsbehördlichen Erhebungen der Verdacht ergab, Bane O***** habe den PKW ohne deren Einwilligung in Betrieb genommen, wurde gegen ihn auch Strafanzeige wegen des Verdachts gerichtlich strafbaren Verhaltens (§ 136 StGB) erstattet (ON 2, 5). Mit daraufhin (teils durch mündliche Ausdehnung in der Hauptverhandlung) wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 Abs 1 und 2 StGB zum AZ 36 Hv 223/02z des Landesgerichtes Innsbruck erhobenem Strafantrag legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck Bane O***** zur Last, er habe am 31. August und 13. September 2002 in Kufstein ein Fahrzeug, das zum Antrieb mit Maschinenkraft eingerichtet ist, nämlich den PKW der Daniela M***** mit dem amtlichen Kennzeichen *****, ohne Einwilligung der Berechtigten in Gebrauch genommen, wobei er sich die Gewalt über das Fahrzeug durch einen widerrechtlich erlangten Schlüssel, den er aus deren Wohnung genommen hatte, mithin durch eine in § 129 StGB geschilderte Handlung, verschafft habe (ON 3, S 69 iVm S 35). In der Hauptverhandlung vom 15. Jänner 2003 beantragte der Staatsanwalt zur Prüfung der Behauptung des Beschuldigten, er sei wegen des identen Sachverhalts bereits von der Verwaltungsbehörde bestraft worden, die Beischaffung der bezüglichen Verwaltungsstrafakten, weiters für den Fall des Zutreffens dieser Behauptung die Abbrechung des Verfahrens gemäß § 412 StPO und die Anregung bei der Verwaltungsbehörde, das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 68 AVG wieder aufzunehmen und das "verurteilende" Erkenntnis aufzuheben (S 71).

Da eine Prüfung der Verwaltungsstrafakten die Richtigkeit der Behauptung des Beschuldigten ergab, brach der Einzelrichter das Verfahren gemäß § 412 StPO ab und regte bei der Bezirkshauptmannschaft Kufstein an, "hinsichtlich Bane O***** nach § 30 Abs 3 VStG vorzugehen" (ON 9 und 10).

Mit Schreiben vom 28. März 2003 (ON 13) lehnte die Bezirkshauptmannschaft Kufstein ein Vorgehen nach § 30 Abs 3 VStG mit der Begründung ab, dass verwaltungsstrafbehördlich nicht der unbefugte Gebrauch eines Fahrzeuges, sondern die - somit unbeachtlich eines eventuell gerichtlich relevanten Sachverhaltes zu verfolgende und zu bestrafende - Verwaltungsübertretung des Lenkens eines Fahrzeugs ohne die dafür erforderliche Lenkberechtigung geahndet worden sei.

Mit Beschluss vom 20. Mai 2003 stellte die Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck das Strafverfahren gegen Bane O***** gemäß § 486 Abs 3 iVm § 485 Abs 1 Z 6 StPO mit der Begründung ein, dass die - entgegen der Subsidiaritätsbestimmung des § 99 Abs 6 lit c StVO ergangenen - rechtskräftigen Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft Kufstein wegen der Taten, die der Beschuldigte im Zuge der den Gegenstand des Strafantrages bildenden Fahrten begangen habe, in Hinsicht auf das Doppelverfolgungsverbot nach Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK ein - zufolge der Weigerung der Bezirkshauptmannschaft, gemäß § 30 Abs 3 VStG vorzugehen, nicht bloß temporäres - Verfolgungshindernis darstellten (ON 15). Mit Beschluss vom 16. September 2003, AZ 6 Bs 225/03, gab das Oberlandesgericht Innsbruck der gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde der Staatsanwaltschaft nicht Folge. Darin führte es aus, dass die eine nachfolgende gerichtliche Verfolgung hindernde - schon aus dem strafprozessualen Grundsatz der Unzulässigkeit gesonderter Verfolgung ideell konkurrierender strafbarer Handlungen folgende - Sperrwirkung der verwaltungsbehördlichen Straferkenntnisse aus deren Nichtbeachtung der in § 99 Abs 6 lit c StVO statuierten - an den prozessualen Tatbegriff anknüpfenden - Subsidiarität resultiere. Im Sinne der so verstandenen Bestimmung des § 99 Abs 6 lit c StVO sei nämlich eine Verwaltungsübertretung nicht vorgelegen, weil im Hinblick auf das - tateinheitlich (insoweit) sowohl den Verwaltungsstraftatbestand des § 37 Abs 1 iVm § 1 Abs 3 FSG als auch den Tatbestand des § 136 StGB verwirklichende - tatsächliche Verhalten des Beschuldigten, nämlich das Lenken des PKW der Daniela M***** auf öffentlichen Straßen in Kufstein, deren (hinsichtlich des Tatvorfalls vom 13. September 2002) ausgesprochenes Verbot des Gebrauches des PKW sich ausschließlich auf das Lenken ihres Fahrzeuges ohne Lenkberechtigung (als Reaktion auf das gegen sie gemäß § 103 Abs 1 Z 3 KFG eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren) bezogen habe, die "Tat nach § 37 Abs 1 (iVm § 1 Abs 3) FSG", aber (auch) den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Beschlüsse der Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck und des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Beschwerdegericht stehen - wie der Generalprokurator in seiner deshalb zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend ausführt - mit dem Gesetz nicht im Einklang:

Nach Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden.

Mit Sicht auf die Subsidiaritätsklausel des § 99 Abs 6 lit c StVO, der zufolge eine Verwaltungsübertretung nicht vorliegt, wenn eine Tat nach diesem Bundesgesetz oder nach den §§ 37 und 37a FSG den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht, ist vorweg festzuhalten, dass die Lehre von der Scheinkonkurrenz materiell-rechtlicher Natur ist und daher für die Lösung der prozessualen Frage einer allfälligen Doppelbestrafung oder -verfolgung nur interpretativ herangezogen werden kann (Thienel/Hauenschild, Verfassungsrechtliches "ne bis in idem" und seine Auswirkung auf das Verhältnis von Justiz- und Verwaltungsstrafverfahren, JBl 2004, 69, 77 ff).

Das hier durch den einfachen Gesetzgeber ausdrücklich angeordnete Subsidiaritätsgebot des § 99 Abs 6 lit c StVO für Verwaltungsübertretungen, dessen teleologische Reduktion nicht in Betracht kommt, weil solcherart der Anwendungsbereich der gesetzlich verdrängten Strafvorschrift über die Wortlautgrenze hinaus erweitert würde (Ratz in WK2 Vorbem §§ 28-31 Rz 39), tangiert - fallbezogen - nicht die Anwendung des Grundrechts nach Art 4 Abs 1 7. ZPEMRK und steht somit der Auslegung der genannten Verfassungsbestimmung (nämlich Prüfung - und hier Verneinung - materieller Subsidiarität) nicht im Wege (vgl VfGH 19. 6. 2000, B 246/99, ZVR 2001/21 = VfSlg 15.824):

Nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR 29. Mai 2001 Fall Fischer gegen Österreich, ÖJZ-MRK 2001/22; 30. Mai 2002 Fall W., F. gegen Österreich, ÖJZ-MRK 2003/23; 6. Juni 2002 Fall Sailer gegen Österreich, NL 2002, 105) wie auch der ständigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl statt mehrerer das Grundsatzerkenntnis vom 5. Dezember 1996, G 9/96 und andere Zahlen, JBl 1997, 447 = VfSlg 14.696) verbietet Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK die - nicht schon aus dem bloßen Umstand an sich, dass mehrere strafbare Handlungen durch strafbares Verhalten tateinheitlich verwirklicht werden, unzulässige - gesonderte Verfolgung teils bereits rechtskräftig geahndeter idealkonkurrierender strafbarer Handlungen dann, wenn die zusammentreffenden Delikte, deren eines den Unrechtsgehalt des anderen in jeder Beziehung mitumfasst, dieselben wesentlichen Tatbestandsmerkmale (Tatbestandselemente) aufweisen, somit strafbares Verhalten unter dem gleichen wesentlichen unrechtsbegründenden Gesichtspunkt eines bereits geahndeten tateinheitlich verwirklichten Straftatbestandes einer neuerlichen Verfolgung und Bestrafung zu unterziehen (vgl auch Markel, WK-StPO §§ 1 Rz 77 f; Kienapfel/Höpfel AT10 E 8 RN 55d f; Thienel/Hauenschild aaO 76 ff).

Die Reichweite des - sich auch auf das Zusammentreffen gerichtlich strafbarer mit verwaltungsbehördlich zu ahndenden strafbaren Handlungen beziehenden - Verbots der mehrfachen Verfolgung und Verurteilung nach § 4 Abs 1 7. ZPEMRK ist demnach im Sinn vorangeführter Rechtsprechung unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit jedweder staatlicher Sanktion an Hand der Prinzipien der (Schein )Konkurrenzlehre in einem normativen Wertungsakt zu ermitteln (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 639; ders in WK2 Vorbem §§ 28-31 Rz 9, 26; Thienel/Hauenschild aaO 74 und FN 74 sowie 76, 79, 82, 83).

Das prozessuale Verfolgungshindernis des Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK greift solcherart nur im Fall der Überlagerung der normativ zu ermittelnden wesentlichen Tatbestandselemente der in Rede stehenden Normen Platz (vgl insbesondere VfGH 19. 6. 2000, B 246/99, ZVR 2001/21 = VfSlg 15.824), nicht aber, wenn zur vollen Auswertung ihres Unrechtsgehalts ihre Betrachtung unter dem Aspekt mehrerer einander ergänzender Tatbestände erforderlich ist.

Bei fallbezogener Anwendung dieser Grundsätze auf das - nach den tatsächlichen Annahmen der Ratskammer des Landesgerichtes Innsbruck und des Oberlandesgerichtes Innsbruck jeweils tateinheitliche - Zusammentreffen der Verwaltungsübertretung nach § 37 Abs 1 iVm § 1 Abs 3 FSG (Lenken eines Kraftfahrzeugs ohne die dafür erforderliche Lenkberechtigung) mit dem Dauerdelikt (vgl Mayerhofer StGB5 § 136 E 15; Triffterer StGB-Komm § 136 RN 6; Kienapfel BT II3 § 136 Rz 4, 22) des Vergehens des unbefugten Gebrauchs von Fahrzeugen nach § 136 StGB zeigt sich, dass Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK die gerichtliche Verfolgung wegen § 136 StGB ungeachtet der rechtskräftigen Ahndung der Verwaltungsübertretung nicht hindert.

Denn die - einander bloß in der Tatkomponente des Lenken eines Kraftfahrzeuges (fallbezogen eines Personenkraftwagens) überschneidenden - konkurrierenden Straftatbestände unterscheiden sich in den jeweils wesentlichen Tatbestandsmerkmalen (vgl dazu Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention § 24 Rn 97 mwN; neuerlich VfGH 19. 6. 2000, B 246/99, ZVR 2001/21 = VfSlg 15.824) grundlegend voneinander. Während nämlich § 37 Abs 1 FSG iVm § 1 Abs 3 FSG das Lenken eines Kraftfahrzeugs ohne von der Behörde erteilte gültige Lenkberechtigung verbietet, pönalisiert § 136 StGB dessen Ingebrauchnahme ohne Einwilligung des Berechtigten. Ob dieser in den Fahrzeuggebrauch eingewilligt hat, ist für die Tatbildverwirklichung nach § 37 Abs 1 iVm § 1 Abs 3 FSG ebenso nicht von Bedeutung, wie das Fehlen einer Lenkberechtigung für die Tatbestandsverwirklichung nach § 136 StGB.

Daraus folgt, dass die Rechtsansicht des Landesgerichtes und Oberlandesgerichtes Innsbruck nicht zutreffend ist. Im gegebenen Kontext ist ferner festzuhalten, dass im Falle Verwaltungsstraftatbestände eine Subsidiaritätsklausel zugunsten des judiziellen Strafrechts enthalten, der Sachverhalt bei Gesetzeskonkurrenz der sachlichen Rechtsprechungskompetenz der Verwaltungsbehörde entzogen ist, und zwar unabhängig davon, ob das Gericht bereits entschieden hat oder nicht.

Ein dennoch ergangenes verwaltungsrechtliches Straferkenntnis ist daher jedenfalls (ohne Rücksicht darauf, ob eine gerichtliche Entscheidung schon vorliegt oder noch aussteht) gesetzwidrig. Dass es nach § 52a VStG aufgehoben werden kann, zeigt mit hinreichender Deutlichkeit, dass die aufgezeigte Problematik dringend legistischer Klärung bedarf, um zumindest für die Zukunft gleichheitswidrigen, sohin unerträglichen und in den solcherart unvermeidlichen Falldivergenzen geradezu skurrilen Judikaturresultaten vorzubeugen. Die vom Oberlandesgericht Innsbruck betonte konkrete Fallkomponente, wonach sich (hinsichtlich des Tatvorfalls vom 13. September 2002) das von der Berechtigten ausgesprochene Gebrauchsverbot ausschließlich auf das Lenken ohne Lenkberechtigung bezogen habe, ändert fallbezogen nichts am einwilligungsdifformen Gebrauch des Pkw und erfordert demgemäß keine Erörterung hypothetischer Sachverhaltskonstellationen. Die rechtskräftigen Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft Kufstein begründeten somit für das gerichtliche Strafverfahren wegen des (echt) idealkonkurrierenden Vergehens nach § 136 StGB - dessen Verfolgung im Übrigen auch das sich nur auf das tateinheitliche Zusammentreffen gerichtlich strafbarer Handlungen beziehende im XX. Hauptstück der StPO verankerte ne-bis-in-idem-Verbot (vgl 15 Os 27/02; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 639) nicht entgegensteht - nach Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK kein Verfolgungshindernis.

Da die Gesetzesverletzungen den Beschuldigten begünstigten, hat es mit deren Feststellung sein Bewenden.