JudikaturJustiz12Os24/07g

12Os24/07g – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Mai 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 31. Mai 2007 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Kurz als Schriftführerin in der Strafsache gegen Martin V***** und Rene S***** wegen des Vergehens der Zuhälterei nach § 216 Abs 2 StGB und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz als Schöffengericht vom 16. November 2006, GZ 22 Hv 166/06p-57, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Oberstaatsanwalt Mag. Holzleithner, der beiden Angeklagten und deren Verteidiger Dr. Kovacsevich und Dr. Deutsch zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Martin V***** und Rene S***** von der wider sie erhobenen Anklage der Staatsanwaltschaft (ON 48), sie hätten

in Graz im bewussten und gewollten Zusammenwirken als unmittelbare Täter Verena M*****

1. von 20. bis 26. August 2006 mit dem Vorsatz, sich aus der Prostitution einer anderen Person eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, ausgebeutet, eingeschüchtert und ihr die Bedingungen der Ausübung der Prostitution vorgeschrieben, wobei sie diese zumindest teilweise auch durch gefährliche Drohungen zur Übergabe ihres Lohnes zwangen, sowie

2. zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt während des genannten Zeitraumes durch gefährliche Drohung mit einer Verletzung am Körper, nämlich die Äußerung: „Wennst nit mit dem mitfoast und des tuast wos mir sogn, daun scheppats aber gewoitig, weil du host zum tuan, wos wir dir sogn. Sunst siegst dei Kind nie wieder!", zu einer Handlung, nämlich zur Durchführung eines Geschlechtsverkehres mit einem bislang unbekannten Schwarzafrikaner gegen ihren Willen genötigt, mithin die genötigte Person zur Prostitution veranlasst,

gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die Staatsanwaltschaft bekämpft allein den Freispruch von Punkt 1 der oben wiedergegebenen Vorwürfe mit einer auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

In Ansehung des angefochtenen Freispruches stellte das Erstgericht im Wesentlichen fest, dass beide Angeklagten zur Tatzeit drogenabhängig waren, sich im Substitutionsprogramm befanden und Arbeitslosengeld bezogen. Ende Juli 2006 lernten sie die drogenabhängige und Notstandshilfe beziehende Verena M*****, die bis 9. Juli 2006 in der Schweiz der Prostitution nachgegangen war, kennen. Um ihre finanzielle Situation zu verbessern, betrieb M***** am 19. August 2006 in Graz Prostitution, wobei sie innerhalb einer halben Stunde 75 Euro verdiente. Nachdem sie tags darauf den beiden Angeklagten davon erzählt hatte, schlug der Erstangeklagte ihr vor, sie möge sich weiterhin prostituieren; sie vereinbarten schließlich, dass einerseits die Angeklagten M***** bei deren Tätigkeit begleiten und sich die Kennzeichen der Freier merken sowie dass andererseits die Frau V***** jeweils per SMS bekannt gibt, wohin sie mit ihrem Freier fährt, um den beiden Angeklagten im Notfall die Veranlassung von Hilfe zu ermöglichen. Noch am selben Tag setzten die drei ihren Plan in die Tat um; M***** verdiente an diesem Abend durch ihre Prostitution etwa 150 Euro. Da sie in Graz über keine Bezugsquelle für Drogen verfügte, übergab sie das Geld - vereinbarungsgemäß - V*****; dieser besorgte damit Suchtmittel, welche die beiden Angeklagten und M***** gemeinsam in der Wohnung des V***** konsumierten. Bis zum 26. August 2006 ging M***** jeden Abend freiwillig - und ohne dass die beiden Angeklagten (die jeweils die erwähnten Aufpasserdienste verrichteten) deren freie Entscheidung beeinträchtigten - der Prostitution nach; die dabei pro Abend durchschnittlich verdienten 150 Euro überließ sie den beiden Männern, womit Drogen zum gemeinsamen Konsum beschafft wurden. Überdies übernachtete Verena M***** in dieser Zeit in der Wohnung des Martin V*****, weil das Frauenhaus, in dem die Genannte an sich über eine Unterkunft verfügte, seine Pforten um 24.00 Uhr schloss, M***** aber meist bis ca 1.00 Uhr morgens als Prostituierte arbeitete. Ein Teil des Einkommens aus der Prostitution wurde zum täglichen Lebensmittel- und Zigarettenbedarf verwendet; dazu trugen auch die beiden Angeklagten in einem nicht näher bekannten Ausmaß finanziell bei. Die Angeklagten gaben Verena M***** weder die Preise für ihre Prostitutionshandlungen vor noch gingen sie gewaltsam gegen die Genannte vor oder bedrohten diese mit einer Verletzung an Körper, Freiheit, Ehre oder Vermögen.

Weiters führte das Erstgericht aus, es könne „nicht festgestellt werden, dass die beiden Angeklagten es zumindest ernstlich für möglich hielten und sich damit abfanden, dass sie dadurch, dass sie das von Verena M***** freiwillig zur Verfügung gestellte durch die Prostitution verdiente Geld annahmen und damit Drogen für sich und M***** kauften bzw dieses teilweise für den Lebensunterhalt verwendeten, Vorteile in Anspruch nahmen, denen keine entsprechende Gegenleistung gegenüberstand, sie also Verena M***** ausnützten" (US 3-6).

In der rechtlichen Beurteilung des solcherart festgestellten Sachverhaltes legte das Schöffengericht zusammengefasst dar, dass von einer Unverhältnismäßigkeit der wechselseitig erbrachten Leistungen und damit von einem Ausnützen iSd § 216 Abs 1 StGB oder gar einem Ausbeuten iSd § 216 Abs 2 erster Fall StGB keine Rede sein könne (US 9 f).

Ausgehend von diesen Feststellungen hat das Erstgericht die - von der Anklagebehörde angenommenen - Qualifikationen des § 216 Abs 2 erster, zweiter und dritter Fall StGB zutreffend verneint. Zu § 216 Abs 2 erster Fall StGB sei bemerkt, dass die dort genannte „Ausbeutung" die rücksichtslose Ausnützung der sich prostituierenden Person unter Hintanstellung deren eigenen vitalen Interessen durch Ab- oder Übernahme des ganzen oder überwiegenden Entgelts ihrer Tätigkeit meint; krasses Schmarotzertum auf der einen und die Notwendigkeit, sich in der Lebensführung fühlbar einzuschränken, auf der anderen Seite stellen das Wesen der Ausbeutung dar (Philipp in WK² § 216 [2006] Rz 9; Fabrizy StGB9 § 216 Rz 2 f). Fallbezogen kann von einer solchen tiefgreifenden Einschränkung der Lebensführung mit Blick auf ihre bisherige Tätigkeit als Prostituierte, den Umstand, dass sie ihre so erzielten Einkünfte jeweils freiwillig an die beiden Angeklagten zur Beschaffung von Drogen und somit zur Befriedigung auch ihrer eigenen Drogensucht übergab, den Bezug von Sozialhilfe und die an und für sich bestehende Wohnmöglichkeit im Frauenhaus nicht gesprochen werden. Somit ist auf Basis der vorliegenden Urteilsannahmen ein rücksichtsloses, gegen lebenswichtige Interessen der Prostituierten gerichtetes Agieren der beiden Angeklagten in objektiver Hinsicht zu verneinen.

Der erkennende Senat ist überdies der Meinung, dass die Erstrichter auch hinsichtlich des Vergehens nach § 216 Abs 1 StGB zum richtigen Ergebnis gelangten.

In der rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht den - völlig korrekten - Standpunkt, dass ein Ausnützen iSd § 216 Abs 1 StGB nur vorliege, wenn der Täter für die von der Prostituierten empfangenen materiellen Vorteile, die über trinkgeldartige Zuwendungen hinausgehen, keine oder nur unverhältnismäßig geringe Gegenleistungen erbringt (US 9; vgl dazu zuletzt 13 Os 65/06t, EvBl 2006/166, 863). Mit Blick auf den gleichbleibenden Umfang der Prostitutionserlöse während der inkriminierten sieben Tage kommt aus den Urteilsannahmen mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck (vgl insbesondere US 4: ... „um mit dem Geld Drogen kaufen zu können"), dass sich Verena M***** lediglich eingeschränkt prostituierte, vornehmlich zwecks Finanzierung der gemeinsam befriedigten Sucht aller drei Beteiligten (US 4 f). Damit wurde aber auch der Vorfeldbereich der Ausbeutung noch nicht erreicht, zumal das Ausnützen iSd § 216 Abs 1 StGB eine Unterlegenheit des Opfers voraussetzt (vgl Kienapfel/Schmoller BT III §§ 214 - 217 Rz 30), welche bei der gezielten Geldbeschaffung der Prostituierten für den gemeinsamen Drogenkonsum nach Lage des Falles nicht vorliegt.

Dem Einwand der Anklagebehörde (Z 9 lit a) wonach die der Zeugin eingeräumte kostenlose Übernachtungsmöglichkeit in der Wohnung des Angeklagten V***** nicht ins Gewicht falle, ist zu entgegnen, dass nach den Urteilsannahmen Verena M***** ihre Unterkunft im Frauenhaus nur bis 24 Uhr offen stand, währenddessen sie die inkriminierten sieben Tage täglich bis 1 Uhr früh der Prostitution nachgegangen war (US 4). Die eingeräumte Wohnmöglichkeit war daher - weil für die aktuelle (von der Frau in dieser Form intendierten) Ausübung der Prostitution unabdingbar (vgl neuerlich 13 Os 65/06t) - bei der Bewertung von Gegenleistungen sehr wohl zu berücksichtigen. Damit ist - wie bereits vom Erstgericht vertreten - davon auszugehen, dass ein Ausnützen schon objektiv nicht vorlag. Dazu kommt, dass sich bei beiden Angeklagten kein Vorsatz auf ein solches (als normatives Tatbildmerkmal wertausfüllungsbedürftiges, vom Schöffengericht objektiv zutreffend umschriebenes) Ausnutzen feststellen ließ. Die rechtliche Beurteilung des erkennenden Gerichts, wonach die Gegenleistungen zur Überlassung von jeweils gleichen und von Verena M***** finanzierten Suchtgiftportionen nicht unverhältnismäßig sei (US 10), beinhaltet überdies die Konstatierung, dass die ziffernmäßig nicht genau fassbaren (US 5 und US 9) Leistungen der beiden Angeklagten wertmäßig jedenfalls nicht deutlich unter der solcherart von beiden Angeklagten empfangenen Zuwendung von täglich 100 Euro gelegen haben können.

Es wäre daher an der Rechtsmittelwerberin gelegen gewesen, in einer prozessordnungsgemäß ausgeführten Mängelrüge (Z 5) auf unerörtert gebliebene Beweisergebnisse hinzuweisen, wonach die von den Angeklagten erbrachten (im Urteil jedenfalls wertmäßig nicht bezifferten) Gegenleistungen einen wesentlich geringeren Wert hatten, als dies vom Erstgericht angenommen wurde und Verena M*****s Anteil am auch von den beiden Angeklagten ermöglichten Konsum von Zigaretten, Nahrungsmitteln und Getränken - zuzüglich des Wertes der (schwer einschätzbaren; vgl Philipp in WK2 § 216 Rz 8) „Aufpasserdienste" und der Übernachtungsmöglichkeit in der Wohnung des Angeklagten V***** - deutlich unter 100 Euro täglich lag. Dies gelingt der - im Übrigen nominell durchgehend auf Z 9 lit a gestützten - Beschwerde nicht, weil sie sich teilweise auf nicht entscheidende Tatsachen bezieht (Verwendung des einmal von einem Freier erhaltenen Heroins - US 4), das Wesen des Nichtigkeitsgrundes der Undeutlichkeit verkennt (Mayerhofer StPO5 § 281 Z 5 E 42, 43) und bei der Behauptung unzureichender Begründung inhaltlich in eine - noch dazu gegen ein Ausnützen sprechende Argumente aufzeigende - im kollegialgerichtlichen Prozess unzulässige Schuldberufung verfällt. Allenfalls könnte man die Auffassung vertreten, dass insoweit ein Mangel an Feststellungen vorliege, weil selbst der ungefähre Wert der Gegenleistung im Urteil nicht zum Ausdruck gebracht worden sei (vgl auch dazu 13 Os 65/06t, EvBl 2006/166, 863). Dies wird aber in der nur Feststellungsmängel zur subjektiven Tatseite monierenden Beschwerde (Z 9 lit a) nicht geltend gemacht.

Welche weiteren Feststellungen als für „die Annahme der Erfüllung der Tatbestandsmerkmale des Ausbeutens oder des Ausnützens wesentlich sind", legt die Rechtsmittelwerberin durch die Hinweise „auf die Ausführungen zur Regelmäßigkeit der Übergabe des aus der Prostitution erlangten Geldes an die Angeklagten sowie den Konsum des für Prostitution erhaltenen Heroins auch durch die Angeklagte im Rahmen der Mängelrüge" nicht dar (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584; Mayerhofer StPO5 § 281 Z 9a E 5c, 5d).

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher - entgegen der Meinung der Generalprokuratur, die im Gegenstand ein Ausnützen im Sinne von § 216 Abs 1 StGB bejahte und wegen des Feststellungsmangels zum erweiterten Vorsatz dieses Tatbestandes Urteilsaufhebung und Verfahrenserneuerung begehrte - zu verwerfen.

Rechtssätze
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