JudikaturJustiz12Os115/04

12Os115/04 – OGH Entscheidung

Entscheidung
28. April 2005

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 28. April 2005 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krammer als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dr. Norbert B***** wegen der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiteren strafbaren Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Wiener Neustadt als Schöffengericht vom 18. Mai 2004, GZ 43 Hv 33/04k-30, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Dr. Norbert B***** (richtig:) der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und (richtig:) der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 „Abs 1" StGB schuldig erkannt. Danach hat er in der Zeit von Jänner 2001 bis zum 12. Dezember 2002 in Mödling und Perchtoldsdorf dadurch, dass er in oftmals wiederholten Angriffen jeweils einen Finger in die Scheide der am 13. Dezember 1988 geborenen Katharina W***** einführte,

I. mit einer unmündigen Person eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung unternommen;

II. unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber der als Tochter seiner Lebensgefährtin seiner Erziehung, Ausbildung oder Aufsicht unterstehenden minderjährigen Person diese zur Unzucht missbraucht.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen vom Angeklagten aus den Gründen der Z 5, 5a, 8, 9 lit a, 9 lit c, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde geht fehl.

Das Schöffengericht gründete seine die Schuldspruchpunkte tragenden Feststellungen auf die belastenden Angaben der Zeugin Katharina W*****. Deren Glaubwürdigkeit leitete es daraus ab, dass die Genannte wiederholt, übereinstimmend und nachvollziehbar schilderte, „wie sich die Übergriffe vom bloßen Massieren hin bis zu den geschlechtlichen Übergriffen entwickelten" (US 8). Die Tatrichter erwogen ferner, dass die Verantwortung des Angeklagten, wonach er das Mädchen als ausgebildeter Sportmediziner gelegentlich auch im Beisein der Mutter massierte und mit deren Zustimmung bloß ein einziges Mal aus rein medizinischen Gründen seinen Finger in die Scheide der Katharina W***** einführte, auch durch die Aussage der Zeugin Claudia W***** widerlegt ist (US 9 f), wodurch sie die Glaubwürdigkeit der Erstgenannten als untermauert erachteten. Die medizinisch indizierte und motivierte Einführung eines Fingers in die Scheide des Opfers - „ohne einen medizinischen Handschuh zu benutzen" (US 6) - lehnte das Schöffengericht auch deshalb ab, weil zwar „in älteren Lehrbüchern die Vaginaluntersuchung bei Verdacht einer Blinddarmentzündung benannt ist, allerdings auch damals als eine mögliche Untersuchungsmethode von vielen anderen vorrangigen, die allenfalls an Frauen und keinesfalls an Mädchen praktiziert werden soll" (US 10).

Dass Katharina W***** einerseits zum Angeklagten ein Vertrauensverhältnis und andererseits Angst hatte, wurde von den Tatrichtern in den Kreis ihrer Erwägungen miteinbezogen und – der Mängelrüge (Z 5) zuwider – logisch und empirisch einwandfrei damit erklärt, dass das Mädchen „die Beziehung zwischen ihrer Mutter und dem Angeklagten nicht zerstören wollte und die Konsequenzen im Fall der Aufdeckung der Übergriffe nicht abschätzen konnte" (US 12). Bei gebotener gedrängter Darstellung der Urteilsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) musste - im Hinblick auf das zwischen beiden bestehende enge Vertrauensverhältnis (US 10, 12) - nicht gesondert erörtert werden, dass Katharina W***** freiwillig dem nackten Angeklagten in das Badezimmer folgte.

Gleiches gilt für ihre Aussage, wonach der Angeklagte bei den Übergriffen (noch) nicht alkoholisiert war (S 115) und die damit nicht korrespondierende Deposition ihrer Freundin Astrid P*****, der zufolge ihr das Opfer erklärte, sich nicht zu trauen, den Angeklagten zurückzuweisen, „weil er meistens alkoholisiert war und sie deswegen nicht wusste, wie er reagiert", ist doch die gegenüber einer außenstehenden Person abgegebene Erklärung, aus welchem Grund sie den Angriffen keinen Widerstand entgegensetzte, nicht von entscheidender Bedeutung.

Die Beschwerde vermag auch nicht darzulegen (§ 285a Z 2 StPO), weshalb die Äußerung der Katharina W***** gegenüber der psychologisch geschulten Beratungslehrerin Brigitte D*****, wonach, die von dieser vorgeschlagene Ablehnung der sexuellen Annäherung des Angeklagten beim folgenden sexuellen Übergriff von ihm nicht akzeptiert worden sei, im Widerspruch zu ihren Angaben anlässlich der kontradiktorischen" Vernehmung stehen sollte, sie habe - insoweit relativierend - „eigentlich" nicht (und nicht wie in der Rüge aktenwidrig behauptet: „nie") versucht, sich dem Beschwerdeführer zu entziehen (S 115); sämtliche auf der vermeintlichen Diskrepanz basierenden Einwände können daher auf sich beruhen. Mit Spekulationen über hypothetische Reaktionen ihres Bruders, der laut Aussage der Katharina W***** während eines inkriminierten Verfalls das Tatzimmer betrat und der „niemals übersehen hätte können, dass sie nackt gewesen sein müsste, weil sie deponierte, dass sie der Angeklagte bei den Taten entkleidete", sowie darüber, „dass man auf eine angenehme Massage verzichtet und sich dieser entzieht, wenn man weiß (oder auch nur vermutet), dass diesen Massagen regelmäßig ein als negativ ""schmutzig"" empfundener sexueller Missbrauch nachfolgt", bekämpft der Beschwerdeführer die logisch und empirisch einwandfreie Beweiswürdigung bloß nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren unzulässigen Schuldberufung. Der – insoweit eine Undeutlichkeit der Urteilsgründe behauptenden - Rüge zuwider sind die Tatrichter unmissverständlich davon ausgegangen, dass die „digitale Vaginaluntersuchung" medizinisch nicht indiziert und motiviert war (US 10 f).

Mit dem Hinweis auf die Aussagepassage der Katharina W*****, dass der Angeklagte ihr und ihrer Mutter die Möglichkeit einer digitalen Vaginaluntersuchung bei Verdacht auf eine Blinddarmentzündung erklärte (S 101 f), wird ein Widerspruch zu der – dies übrigens bestätigenden (S 287) – im gegebenen Kontext relevanten Aussage der Claudia W*****, wonach der Angeklagte Dr. B***** ihr Einverständnis dazu nicht einholte, nicht aufgezeigt.

Dass der Angeklagte am Beginn des Tatzeitraums noch keinen Schlüssel zur Wohnung seiner damaligen Freundin Claudia W***** besaß, ist nicht von entscheidender Bedeutung, steht dieser Umstand doch der bekämpften Feststellung der Ausnützung seiner Aufsicht über das Opfer nicht entgegen.

Mit dem Hinweis darauf, dass der Schuldspruch Punkt II. (zum Vorteil des Beschwerdeführers) bloß bis zum 12. Dezember 2002 (Vollendung des 14. Lebensjahres des Opfers, das damit als Tatobjekt des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen ausschied) verwirklichte Missbräuche des Autoritätsverhältnisses umfasst, nach den den Schuldspruch tragenden Zeugendepositionen aber noch im Jänner 2003 Angriffe erfolgten, wird gleichfalls eine Urteilsnichtigkeit nicht aufgezeigt.

Die zur subjektiven Tatseite der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses bloß den Gebrauch der verba legalia monierende Rüge übergeht die bezüglichen Begründungspassagen (US 5 f).

Aus welchem Grund - bei massiv indiziertem dolus directus - die erstgerichtliche Annahme, dass der Beschwerdeführer die Verwirklichung des Tatbilds des hier aktuellen Verbrechens (bloß) „ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand", auch die Möglichkeit fahrlässigen Handelns offen ließe, vermag die Rüge gleichfalls nicht darzulegen.

Dass Katharina W***** der Aufsicht des Angeklagten unterstellt war, konnte das Schöffengericht mängelfrei daraus ableiten, dass er zunächst der Freund, später der Lebensgefährte der Kindesmutter und als solcher in die Erziehung der „Minderjährigen" eingebunden war und zum Tatopfer in einem engen Vertrauensverhältnis stand (US 4 f). Die Behauptung, wonach mangels eines Gesprächs zwischen dem Täter und seinem Opfer während der angelasteten Handlungen das Erfordernis des Missbrauchs des Autoritätsverhältnisses ausgeschlossen sei, kann nicht nachvollzogen werden. Dass das Mädchen allenfalls weitere Motive hatte, die Sexualverbrechen zu dulden, steht keiner hier entscheidenden Tatsache entgegen.

Nach Prüfung der Akten anhand des Vorbringens der Tatsachenrüge (Z 5a) ergeben sich für den Obersten Gerichtshof keine erheblichen Bedenken gegen die die Schuldsprüche tragenden Tatsachenfeststellungen.

Dass das Schöffengericht über den in der Anklage inkriminierten Zeitraum hinaus (illustrativ) weitere Missbräuche des Autoritätsverhältnisses konstatierte, stellt keine Nichtigkeit begründende Überschreitung der Anklage (Z 8) dar. Denn ihre Erwähnung in den Entscheidungsgründen ist einem Schuldspruch nicht gleichzuhalten (§ 260 Abs 1 Z 2 StPO). Beim Vergleich zwischen der Anklage und dem Urteilstenor ist vorliegend aber eine Differenz nicht festzustellen (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 503 sowie 265 ff). Die gegen die Schuldsprüche wegen der Vergehen nach § 212 Abs 1 (Z 2) StGB (II.) gerichtete Rechtsrüge (Z 9 lit a) verfehlt den notwendigen Vergleich des im Urteil festgestellten Sachverhalts mit dem darauf angewendeten Gesetz, indem sie das konstatierte Bestehen und Ausnützen des Aufsichtsverhältnisses (US 7) bestreitet. Gleiches gilt für die Behauptung, der Angeklagte habe nicht gewusst, dass die - entgegen seiner Verantwortung sämtliche Tatkomponenten verwirkende - „digitale Vaginaluntersuchung" medizinisch nicht indiziert war (US 6).

Aus welchem Grund der Beschwerdeführer von ihm weder in der Anklageschrift noch im Urteil zur Last gelegten Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses (vgl Ausführungen zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs 1 Z 8 StPO) freigesprochen werden sollte, wird in der Beschwerde nachvollziehbar nicht dargelegt (§ 285a Z 2 StPO).

Mit der Reklamierung rechtsirrtümlich unterlassener Feststellungen (Z 9 lit b) zur Rechtfertigung der „digitalen Vaginaluntersuchung" vernachlässigt der Beschwerdeführer abermals die gegenteiligen Urteilsannahmen (US 6, 10).

Aktenfremd ist ferner die Behauptung (Z 9 lit a und Z 11), der Angeklagte sei durch die Feststellung solcher Missbrauchsaktivitäten nach dem 12. Dezember 2002 beschwert, weil diese in die Strafzumessung eingeflossen sei (vgl US 13).

Auch der Einwand (Z 11), das Erstgericht habe die Rechtsfolge des Erlöschens des Vertragsverhältnisses zwischen dem Angeklagten als Vertragsarzt und dem Träger der Krankenversicherung nach § 343 Abs 2 Z 4 lit a ASVG bedingt unter Bestimmung einer Probezeit nachgesehen und dadurch seine Strafbefugnis überschritten, geht fehl, weil § 44 Abs 2 StGB in Verbindung mit § 43 StGB zu lesen und somit auch die bedingte Nachsicht einer Rechtsfolge mit der Bestimmung einer Probezeit von einem bis zu drei Jahren zu verbinden ist (Jerabek, WK2 § 44 Rz 6).

Das Schöffengericht unterstellte die unter Punkt II. bezeichneten Vergehen § 212 „Abs 1" StGB und verdeutlichte seine verfehlte Auffassung auf US 13, indem es ausführte, das ab 1. Mai 2004 gültige StRÄG 2004 sei noch nicht anzuwenden, obwohl das Urteil I. Instanz nach dessen Intrafttreten, nämlich am 18. Mai 2004 gefällt wurde, die Taten daher richtigerweise § 212 Abs 1 Z 2 StGB (= idF BGBl I 2004/15) zu unterstellen gewesen wären (Art VI und VII des BGBl I 2004/15).

Dieser nicht gerügte rechtliche Fehler gereicht dem Angeklagten aber nicht zum Nachteil, sodass eine Maßnahme nach § 290 Abs 1 StPO unterbleibt.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bereits in nichtöffentlicher Sitzung sofort zurückzuweisen, weil sie teils offenbar unbegründet, teils nicht gesetzmäßig ausgeführt ist (§ 285d Abs 1 Z 1 und Z 2, Abs 2 StPO). Aus diesem Grund ergeben sich – der in der gemäß § 35 StPO zur Stellungnahme der Generalprokuratur erstatteten Äußerung zuwider – keine grundrechtlichen (Art 6 EMRK) Bedenken gegen die nichtöffentliche Erledigung des in Rede stehenden Rechtsmittels (Ratz, WK-StPO § 285d Rz 1).

Daraus folgt die Kompetenz des Gerichtshofes zweiter Instanz zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten (§ 285i StPO). Die Kostenentscheidung ist in § 390a Abs 1 StPO begründet.