JudikaturJustiz12Os108/94

12Os108/94 – OGH Entscheidung

Entscheidung
29. September 1994

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 29. September 1994 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rzeszut, Dr. Schindler, Dr. Adamovic und Dr. Holzweber als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Reinhart als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Dursun E* wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschworenengerichtes beim Landesgericht Innsbruck vom 9. Juni 1994, GZ 20 Vr 3975/93 111, nach öffentlicher Vehandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, des Angeklagten Dursun E*, und des Verteidigers Dr. Wallnöfer zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

Dursun E* wurde auf Grund des Wahrspruchs der Geschworenen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt. Demnach hat er am 10. Dezember 1993 in J* seine Ehegattin Meryem E* durch zehn Stiche mit einem Küchenmesser vorsätzlich getötet.

Die Geschworenen hatten jeweils stimmeneinhellig die (anklagekonforme) Hauptfrage nach Mord bejaht und die Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) verneint. Eine Beantwortung der Eventualfrage nach dem Verbrechen des Totschlags (§ 76 StGB) entfiel demgemäß.

Die dagegen aus § 345 Abs 1 Z 8 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten geht fehl.

Richtig ist zwar, daß die nach einem objektiv normativen Maßstab vorzunehmende Beurteilung, ob eine heftige Gemütsbewegung allgemein begreiflich ist, die Einbeziehung aller konkreten Tatumstände und psychologischen Zusammenhänge in die entscheidungsleitenden Erwägungen erfordert, wobei sich der jeweils nach dem Einzelfall zu individualisierende objektive Maßstab auch am Lebenskreis des Angeklagten mitzuorientieren hat (Leukauf Steininger, StGB3, § 76 RN 12 und 13). Dem Beschwerdestandpunkt zuwider trägt die im konkreten Fall den Geschworenen erteilte Rechtsbelehrung unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die gebotene Berücksichtigung des fallbezogenen psychologischen Konnexes (auch) den vorerwähnten Tatbestandskriterien nach § 76 StGB eingehend und unmißverständlich Rechnung, ohne daß dazu eine in anderen Sittenvorstellungen wurzelnde, für Inländer trotz aller Fremdheit noch sittlich verständliche Affektanfälligkeit von Ausländern in Betracht gekommen wäre. Bei Prüfung der allgemeinen Begreiflichkeit einer Gemütsbewegung ist nämlich unter Anlegung eines individualisierenden objektiv normativen Maßstabes vom Verhalten eines rechtstreuen Durchschnittsmenschen auszugehen, der mit den durch die inländische Rechtsordnung geschützten Werten innerlich verbunden ist (ua 12 Os 123/81).

Als nicht berechtigt erweist sich auch der weitere Einwand einer für den Angeklagten nachteiligen Beirrung der Geschworenen dadurch, daß die tiefgreifende Bewußtseinsstörung, die in § 11 StGB (neben Geisteskrankheit, Schwachsinn und einer anderen, einem dieser Zustände gleichwertigen schweren seelischen Störung) als weitere Zurechnungsunfähigkeit des Täters bewirkende Beeinträchtigung bezeichnet ist, in der Rechtsbelehrung durch eine verfehlte Klammersetzung der Sache nach bloß als Fall einer Geisteskrankheit dargestellt wird. Wenn auch eine solche tiefgreifende Bewußtseinsstörung, worunter das seelische Gefühl des Betroffenen maßgeblich beeinträchtigende Trübungen oder Einengungen des Selbst oder Umweltbewußtseins zu verstehen sind, nicht krankhafter Natur sein muß und allenfalls allein auf einem hochgradigen Affektzustand beruhen kann, kommt im relevierten Zusammenhang eine auch nur abstrakt denkbare -Beeinträchtigung von Verteidigungsinteressen vorweg nicht in Betracht. Abgesehen davon, daß eine nach verbindlichen Kriterien scharfe Grenzziehung zwischen den in § 11 StGB normierten gleichwertigen Varianten exkulpierender Zurechnungsunfähigkeit im Einzelfall ausgeschlossen sein kann (dazu ua Triffterer, Österreichisches Strafrecht, Allgemeiner Teil2, S 257 Rz 33), liegt der entscheidende Kern der Beurteilung tataktueller Zurechnungsfähigkeit primär in der Erfassung der für die Aufhebung der Diskretions- und/oder Dispositionsfähigkeit maßgebenden psychischen Komponenten, nicht aber in der Frage, welcher der aus strafrechtlicher Sicht gleichwertigen Erscheinungsformen der Zurechnungsunfähigkeit der als erwiesen angenommene schuldausschließende Täterzustand zuzuordnen ist. Daß jedenfalls auch eine tiefgreifende Bewußtseinsstörung wie jede andere, einem der in § 11 StGB bezeichneten Zustände gleichwertige seelische Störung als mögliche Exkulpierungsvariante mitzubeachten ist, kommt in der Rechtsbelehrung ohnedies in (eine für den Angeklagten nachteilige Beirrung der Geschworenen ausschließender) unmißverständlicher Weise zum Ausdruck. Demgemäß stellte sie dem Beschwerdestandpunkt zuwider für die Geschworenen auch keinen wie immer gearteten Anlaß dar, das Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Univ.-Prof. Dr.P* auch nur partiell zu problematisieren, welcher im übrigen bloß das Vorliegen eines die Zurechnungsfähigkeit nicht ausschließenden Täteraffektes attestierte, diesem jedoch unter keinem der in § 11 StGB bezeichneten Zustände exkulpierendes Gewicht beimaß (ON 71/II, S 98/III).

Da Zurechnungsunfähigkeit im Sinne des § 11 StGB durchwegs einen Zustand voraussetzt, der dem Täter die Fähigkeit nimmt, das Unrecht der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln, bedurfte es in der Rechtsbelehrung auch keiner näheren Erläuterung der Problematik einer "entscheidenden Einschränkung" der Diskretions oder Dispositionsfähigkeit. Erweist sich doch der (eine Aufhebung der Zurechnungsfähigkeit nicht erreichende) Zustand bloß reduzierter Diskretions oder Dispositionsfähigkeit lediglich als besonderer Milderungsgrund im Rahmen der Strafbemessung (§ 34 Z 1 StGB), dessen Tragweite bei der dem Schwurgerichtshof und den Geschworenen obliegenden gemeinsamen Beratung über die Straffrage, nicht aber in der schriftlichen Rechtsbelehrung zu erörtern ist.

Die insgesamt nicht berechtigte Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschworenengericht verhängte über den Angeklagten gemäß § 75 StGB siebzehn Jahre Freiheitsstrafe, wobei es "die grausame Vorgangsweise" durch insgesamt zehn Messerstiche als erschwerend, das Tatsachengeständnis, die Unbescholtenheit, eine stark verminderte Zurechnungsfähigkeit und den Umstand als mildernd wertete, daß die Tat dem sonstigen Verhalten des Angeklagten widersprach.

Mit seiner dagegen erhobenen Berufung strebt der Angeklagte eine Strafreduktion im wesentlichen mit der Begründung an, mit seiner Bewußtseinsprägung durch einen fremden Kulturkreis und dem angeblichen Ausnahmecharakter der tatauslösenden Gemütsbewegung mit grundsätzlich persönlichkeitsfremdem Kontrollverlust lägen vom Erstgericht nicht hinreichend beachtete Milderungskomponenten vor.

Der Berufung kommt keine Berechtigung zu.

Daß das regelmäßig mit Mord verbundene, im hier aktuellen Fall exzessiver Stichführung gegen eine wehrlose Frau umso schwerer wiegende Tatunrecht keine Aspekte eröffnet, aus denen nach der Berufungsauffassung aus der Sicht kultureller Wertungsunterschiede bisher nicht beachtete Milderungsgründe folgen sollten, bedarf keiner näheren Erörterung. Die tatauslösende Anfälligkeit des Angeklagten für übersteigerte Eifersucht wurde nach den Verfahrensergebnissen nicht durch ehewidrige Tendenzen des Tatopfers gefördert, war vielmehr allein in spezifischen Zügen der Täterpersönlichkeit begründet und fand aus dieser Sicht ohnedies im Rahmen der erstgerichtlichen Strafzumessungserwägungen angemessene Berücksichtigung. Angesichts der hier aktuellen Tatmodalitäten (konsequent realisierte Tötung der dem für sie überraschenden Angriff chancenlos ausgelieferten jungen Frau aus unkontrollierter Eifersuchtsregung) und des damit verbundenen Tatunrechts im obersten Bereich der entsprechenden Gewichtungsskala erweist sich das in erster Instanz ausgesprochene Strafausmaß als nicht überhöht und schon aus generalpräventiver Sicht als der angestrebten Reduktion nicht zugänglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf der bezogenen Gesetzesstelle.