JudikaturJustiz12Os107/22k

12Os107/22k – OGH Entscheidung

Entscheidung
04. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 4. November 2022 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel Kwapinski, Dr. Mann und Dr. Brenner und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Haslwanter LL.M. in Gegenwart der Schriftführerin OKontr. Kolar in der Strafsache gegen Mag. K* B* wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB, AZ 13 Hv 58/21i des Landesgerichts Wels, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des genannten Gerichts vom 8. Oktober 2021, GZ 13 Hv 58/21i 15, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit der Vertreterin der Generalprokuratur, Generalanwältin Mag. Wehofer, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 13 Hv 58/21i des Landesgerichts Wels verletzt das Urteil dieses Gerichts vom 8. Oktober 2021 (ON 15) § 84 Abs 4 StGB.

Dieses Urteil wird aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Wels verwiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit Urteil vom 8. Oktober 2021 (ON 15) erkannte das Landesgericht Wels Mag. K* B* des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB schuldig.

[2] Danach hat er am 23. April 2021 in O* * S* am Körper verletzt und (zu 2.) dadurch, wenn auch nur fahrlässig, eine schwere Körperverletzung des Genannten herbeigeführt, und zwar

1. Prellungen im Bereich der rechten Ohrmuschel und des rechten Unterkiefers, indem er ihm einen Faustschlag gegen den Kopf versetzte,

2. eine komplexe Verletzung des rechten Knies mit blutigem Kniegelenkserguss, knöchernem Ausriss des hinteren Kreuzbandes und Läsion des äußeren Seitenbandes, indem er ihm einen Stoß versetzte,

3. eine Fraktur der achten Rippe, indem er ihn, als er bereits am Boden lag, trat und wiederholt mit der Hand schlug.

[3] Nach den Urteilsannahmen (US 3) schlug der Angeklagte S* zunächst mit der Faust gegen das Gesicht und versetzte er ihm sodann einen Stoß, wodurch S* das Gleichgewicht verlor und stürzte. Als der Genannte am Boden lag, trat ihn der Angeklagte und schlug ihn einige Male mit der Hand.

[4] Durch den Faustschlag gegen das Gesicht erlitt S* Prellungen im Bereich der rechten Ohrmuschel und des rechten Unterkiefers, durch den Sturz eine (mit länger als 24 Tage dauernder Gesundheitsschädigung verbundene) komplexe Verletzung des rechten Knies mit blutigem Kniegelenkserguss, knöchernem Ausriss des hinteren Kreuzbandes und Läsion des äußeren Seitenbandes sowie durch die danach erfolgten Tätlichkeiten eine (in rechtlicher Hinsicht nicht als an sich schwere Verletzung oder Gesundheitsschädigung beurteilte) Fraktur der achten Rippe ohne Begleitläsionen der Lunge oder ähnliche Folgen.

[5] Beim Versetzen der Schläge sowie der Tritte hielt es der Angeklagte ernstlich für möglich und fand sich damit ab, S* die festgestellten Verletzungen im Bereich des Gesichts und des Brustkorbs zuzufügen. Beim Stoß wusste er und fand er sich damit ab, dass er S* am Körper misshandelt, wobei die Folge der schweren Knieverletzung objektiv und subjektiv vorhersehbar war.

[6] Über die Berufung des Angeklagten (ON 21) hat das Oberlandesgericht Linz bisher nicht entschieden.

Rechtliche Beurteilung

[7] Dieses Urteil verletzt – wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt – das Gesetz.

[8] Schwere Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB erfordert die vorsätzliche Verletzung eines anderen am Körper oder Schädigung an seiner Gesundheit und einen dadurch, wenn euch nur fahrlässig, herbeigeführten Erfolg iSd § 84 Abs 4 StGB (vgl zum Versuch im Fall eines auf einen Erfolg iSd § 84 Abs 1 StGB gerichteten Vorsatzes RIS Justiz RS0131591). Da der Angeklagte nach den Sachverhaltsannahmen S* durch die Schläge und Tritte vorsätzlich am Körper verletzte, beim Stoß aber mit Misshandlungsvorsatz handelte und allein durch letztgenannte Tätlichkeit fahrlässig einen Erfolg iSd § 84 Abs 1 StGB herbeiführte, verletzt das Urteil durch die dennoch erfolgte Subsumtion dieser Verhaltensweisen unter § 84 Abs 4 StGB das Gesetz in der genannten Bestimmung.

[9] Aufgrund nachteiliger Auswirkungen der aufgezeigten Gesetzesverletzung sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO ).

[10] Bleibt zu bemerken, dass entgegen der Ansicht der Generalprokuratur eine tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinn – und demnach nur eine einzige Tat im materiellen Sinn (RIS Justiz RS0127374) – bloß bei wiederholter Verwirklichung (nur) des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also nur bei quantitativer Steigerung (einheitlichem Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitlicher Schuld), oder bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage vorliegt (13 Os 1/07g [verstärkter Senat] = SSt 2007/27, EvBl 2007/114; RIS Justiz RS0122006; Ratz in WK² StGB Vor §§ 28–31 Rz 88 ff; vgl RIS Justiz RS0120233), nicht aber bei Verwirklichung verschiedener Tatbestände, nämlich hier (ausgehend von den Urteilskonstatierungen) von § 83 Abs 1 StGB und § 84 Abs 1 StGB. Nur für den Fall, dass im zweiten Rechtsgang ein Handeln des Angeklagten sowohl beim Stoß und als auch bei den anderen Tätlichkeiten mit einheitlichem Vorsatz erweislich sein sollte, kommt eine tatbestandliche Handlungseinheit in Betracht.

[11] Die Berufung des Angeklagten ist zufolge Aufhebung des Strafausspruchs gegenstandslos.

Rechtssätze
5
  • RS0122006OGH Rechtssatz

    28. Juni 2023·3 Entscheidungen

    Soweit in früherer Rechtsprechung unter dem Begriff des „fortgesetzten Delikts" (nach Maßgabe zuweilen geforderter, indes uneinheitlich gehandhabter weiterer Erfordernisse) mehrere den gleichen Tatbestand (ob versucht oder vollendet) erfüllende, mit einem „Gesamtvorsatz" begangene Handlungen zu einer dem Gesetz nicht bekannten rechtlichen Handlungseinheit mit der Konsequenz zusammengefasst wurden, dass durch die je für sich selbständigen gleichartigen Straftaten doch nur eine einzige strafbare Handlung begründet würde, hat der Oberste Gerichtshof diese Rechtsfigur der Sache nach bereits mit der Bejahung ihrer prozessualen Teilbarkeit durch die Grundsatzentscheidung SSt 56/88 = EvBl 1986/123 aufgegeben. Seither reduziert er deren Bedeutung auf den unverzichtbaren Kernbereich der der Rechtsfigur zugrunde liegenden Vorstellung, den er als tatbestandliche Handlungseinheit bezeichnet. In der Anerkennung des Fortsetzungszusammenhangs bloß nach Maßgabe tatbestandlicher Handlungseinheiten liegt gezielte Ablehnung einer absoluten Sicht des fortgesetzten Delikts und ein Bekenntnis zur deliktsspezifischen Konzeption. Denn der Unterschied zwischen der Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts und der tatbestandlichen Handlungseinheit besteht darin, dass die Rechtsfigur des fortgesetzten Delikts aus dem allgemeinen Teil des materiellen Strafrechts abgeleitet wird, die der tatbestandlichen Handlungseinheit aber gleichartige Handlungen nach Maßgabe einzelner Tatbestände zusammenfasst. Die Kriterien einer Zusammenfassung können demnach durchaus deliktsspezifisch verschieden sein, ohne dass daraus das ganze Strafrechtssystem erfassende Widersprüche auftreten. Von einer tatbestandlichen Handlungseinheit spricht man im Anschluss an Jescheck/Weigend5 (711ff) bei einfacher Tatbestandsverwirklichung, also der Erfüllung der Mindestvoraussetzungen des gesetzlichen Tatbestands, insbesondere bei mehraktigen Delikten und Dauerdelikten (tatbestandliche Handlungseinheit im engeren Sinn) und dort, wo es nur um die Intensität der einheitlichen Tatausführung geht (SSt 56/88), demnach bei wiederholter Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also bei nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) und einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld), auch wenn höchstpersönliche Rechtsgüter verschiedener Träger verletzt werden, sowie bei fortlaufender Tatbestandsverwirklichung, also der Annäherung an den tatbestandsmäßigen Erfolg durch mehrere Einzelakte im Fall einheitlicher Tatsituation und gleicher Motivationslage, etwa beim Übergang vom Versuch zur Vollendung oder bei einem Einbruchsdiebstahl in zwei Etappen (tatbestandliche Handlungseinheit im weiteren Sinn).