JudikaturJustiz12Os100/03

12Os100/03 – OGH Entscheidung

Entscheidung
23. Oktober 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Oktober 2003 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Holzweber, Dr. Philipp, Hon. Prof. Dr. Schroll und Dr. Schwab als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Proksch als Schriftführer, in der Strafsache gegen Karl S***** wegen des Verbrechens des schweren Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 15. April 2003, GZ 20 Hv 25/03w-37, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, des Angeklagten sowie dessen Verteidiger Dr. Resch zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird Folge gegeben und das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, im Freispruch Punkt II und demgemäß auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst zu Recht erkannt:

Karl S***** hat durch die im Spruch des angefochtenen Urteils unter C und D/2 bezeichnete strafbare Handlung (auch) das Verbrechen des versuchten schweren Missbrauchs von Unmündigen nach den §§ 15, 206 Abs 1 StGB begangen und wird hiefür sowie für die ihm weiterhin zur Last liegenden Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A), des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB aF und nF (B) und die Vergehen der versuchten Blutschande nach §§ 15, 211 Abs 1 StGB (C), des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (D/1) sowie des versuchten Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach §§ 15, 212 Abs 1 StGB (D/2) nach §§ 28 Abs 1, 206 Abs 1 StGB zu 3 (drei) Jahren Freiheitsstrafe

verurteilt.

Gemäß § 38 Abs 1 Z 1 StGB wird Karl S***** die Vorhaft vom 19. November 2002, 15.00 Uhr, bis 18. April 2003, 8.00 Uhr auf die Strafe angerechnet.

Mit ihrer Berufung wird die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß § 390a Abs 1 StPO fallen dem Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Karl S***** der Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (A) und des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB aF und nF (B) sowie der Vergehen der versuchten Blutschande nach §§ 15, 211 Abs 1 StGB (C), des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (D/1) und des versuchten Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach den §§ 15, 212 Abs 1 StGB (D/2) schuldig erkannt.

Danach hat er in Ybbs bzw Mödling

im August 1998 mit der am 22. Jänner (richtig:) 1988 geborenen Evelyn S*****, sohin mit einer unmündigen Person, den Beischlaf dadurch unternommen, dass er sein Glied an ihrer Scheide ansetzte; in der Zeit zwischen 1996 und Ende September 1998 wiederholt außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen

l. an einer unmündigen Person vorgenommen, indem er in zahlreichen Angriffen in die Scheide der unter Punkt A Genannten mit einem Finger bzw mit der Zunge eindrang und sie im Genitalbereich intensiv berührte;

die am 12. August 1988 geborene Tanja S***** oftmals im Scheidenbereich betastete;

2. von einer unmündigen Person an sich vornehmen lassen, indem er teils anlässlich der unter Punkt B/1/a beschriebenen Gelegenheiten, teils darüber hinausgehend, Evelyn S***** zu intensiven Berührungen seines Gliedes veranlasste, sowie in einem Angriff überdies dazu bewegte, sein Glied bis zum Samenerguss in den Mund zu nehmen;

C) mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist,

nämlich mit seiner unter Punkt A genannten Enkelin durch die unter Punkt A/l/a beschriebene Tathandlung sowie dadurch, dass er sie im Frühjahr 1999 aufforderte, sich aufs Bett zu legen, ankündigte, er werde mir ihr nun den Geschlechtsverkehr durchführen, und seinen Hosenschlitz öffnete, den Beischlaf zu vollziehen versucht;

D) unter Ausnützung seiner Stellung gegenüber einer seiner Aufsicht

unterstehenden minderjährigen Person, Evelyn S***** "bzw" Tanja S*****

durch die unter Punkt A und B beschriebenen Tathandlungen zur Unzucht missbraucht;

dadurch, dass er sie (Evelyn S*****) aufforderte, sich auf das Bett zu legen, ihr die Überhose nach unten zog und seinen Hosenschlitz öffnete, zur Unzucht zu missbrauchen versucht.

Von der weiteren Anklage, er habe in Ybbs bzw Mödling mit der am 22. Jänner 1988 geborenen Evelyn S*****, mithin einer unmündigen Person, den Beischlaf bzw eine dem Beischlaf gleichzusetzende Handlung I. im Frühjahr 2000 unternommen, indem er wiederholt seinen Finger in ihre Scheide einführte (Punkt A/l/b der Anklageschrift), II. im Frühjahr 1999 zu unternehmen versucht, indem er sie aufforderte, sich aufs Bett zu legen, ankündigte, er werde mit ihr nun den Geschlechtsverkehr durchführen, und seinen Hosenschlitz öffnete (Punkt A/2 der Anklageschrift),

wurde er "gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen".

Rechtliche Beurteilung

Die Anklagebehörde bekämpft dieses Urteil im Freispruch zu Punkt II mit einer auf den Nichtigkeitsgrund der Z 10 des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Berechtigung zukommt. Das Erstgericht traf dazu (zusammengefasst) die Feststellungen, dass der Angeklagte im Sommer 1999 die Oberhose seiner Enkelin Evelyn S***** nach unten zog, seinen Hosenschlitz öffnete und dem Mädchen zu verstehen gab, dass er mit ihm nun den Geschlechtsverkehr durchführen werde; er wollte den Beischlaf mit seiner Enkelin vornehmen, wobei er in Kenntnis des Alters des Opfers und der Tatsache der Beaufsichtigung war (US 5).

Es unterstellte diesen Sachverhalt den Strafbestimmungen des Vergehens der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB und des Vergehens des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB, jeweils im Deliktsstadium des Versuchs nach § 15 StGB (C und D/2). Vom Anklagevorwurf, hiedurch (auch) das Verbrechen des versuchten schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach den §§ 15, 206 Abs 1 StGB begangen zu haben, sprach das Erstgericht den Angeklagten hingegen frei (II).

Dieser Qualifikationsfreispruch war - nach insoweit jahrzehntelang gefestigter Judikatur - schon - worauf die Staatsanwaltschaft zu Recht hinweist - formell verfehlt, weil ein Freispruch nur hinsichtlich einer Tat, nicht aber hinsichtlich deren rechtlichen Bezeichnung erfolgen kann. Im Falle fraglicher Idealkonkurrenz ist daher ein Freispruch von einer der mehreren möglichen Qualifikationen unzulässig (Foregger/Fabrizy StPO8 § 259 Rz 16; 13 Os 114/01). Aber auch in der Bekämpfung der Ablehnung des Erstgerichtes, den erwähnten Sachverhalt der Strafbestimmung des § 206 Abs 1 StGB in der Erscheinungsform des Versuchs nach § 15 StGB zu unterziehen, ist die Anklagebehörde im Recht.

Entgegen der Ansicht des Erstgerichtes handelt es sich beim Tatbestand des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen um kein "Unternehmensdelikt" im eigentlichen Sinn, bei dem ein Versuch ausgeschlossen wäre; vielmehr ist ein eigenständiges Versuchsstadium vor dem Unternehmen des Beischlafs bzw einer dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlung möglich (Schick WK2 § 206 Rz 10 mwN).

Indem der Angeklagte dem Mädchen die Oberhose nach unten zog und seinen Hosenschlitz öffnete (US 5), hat er seinen auf Begehung des Verbrechens des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen gerichteten Tatentschluss durch eine der Ausführung unmittelbar vorangehende Handlung betätigt (§ 15 Abs 2 StGB; vgl 15 Os 73/95). Es war daher der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft Folge zu geben und das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt zu bleiben hatte, im Freispruch Punkt II und demgemäß auch im Strafausspruch aufzuheben und gemäß § 288 Abs 2 Z 3 StPO in der Sache selbst dahin zu erkennen, dass Karl S***** auch des Verbrechens des versuchten schweren Missbrauchs von Unmündigen nach den §§ 15, 206 Abs 1 StGB schuldig erkannt wird.

Bei der dadurch notwendig gewordenen Strafneubemessung war die Verwirklichung mehrerer gleichartiger aber auch verschiedener gegen zwei Opfer gerichteter Verbrechen und Vergehen über einen längeren Zeitraum erschwerend, mildernd hingegen der ordentliche Lebenswandel, das der Wahrheitsfindung dienende Teilgeständnis und der Umstand, dass es teilweise beim Versuch der strafbaren Handlung geblieben ist. In Anbetracht der hier vorliegenden, zumindest bei Evelyn S***** mit psychischen Schäden (S 65) verbundenen skrupellosen und schwerwiegenden sexuellen Ausbeutung zweier ihm überwiegend wehrlos ausgelieferter Kinder, entspricht die verhängte unbedingte Freiheitsstrafe der tat- und täterbezogenen Schuld. Mit ihrer Berufung war die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung ist in der bezogenen Gesetzesstelle begründet.

Rechtssätze
4