JudikaturJustiz12Ns16/24k

12Ns16/24k – OGH Entscheidung

Entscheidung
21. März 2024

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21. März 2024 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Solé als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Oshidari, Dr. Brenner, Dr. Haslwanter LL.M. und Dr. Sadoghi in der Strafsache gegen * N* und andere Angeklagte wegen des Vergehens des gewerbsmäßigen Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach §§ 127, 130 Abs 1 erster und zweiter Fall, 15 StGB, AZ 10 Hv 13/24a des Landesgerichts für Strafsachen Graz, in dem zwischen diesem Gericht und dem Landesgericht für Strafsachen Wien (zur AZ 144 Hv 119/23k) geführten Zuständigkeitsstreit nach Anhörung der Generalprokuratur nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH Geo 2019) den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die zur Entscheidung über einen Zuständigkeitsstreit vorgelegten Akten werden dem Landesgericht für Strafsachen Wien zur Zustellung des am 26. Dezember 2023 gefassten Beschlusses, mit dem es seine örtliche Unzuständigkeit (§ 485 Abs 1 Z 1 erster Fall StPO) ausgesprochen hat (ON 11), an die (Verteidiger der) Angeklagten * N*, * T* und * S* zurückgestellt.

Gründe:

Rechtliche Beurteilung

[1] Die Staatsanwaltschaft Wien brachte am 20. November 2023 beim Landesgericht für Strafsachen Wien (zur AZ 115 Hv 80/23m) Strafantrag gegen * N* wegen dem Vergehen des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 127, 130 Abs 1 erster Fall, 15 StGB subsumierter Taten ein (ON 3). D a nach habe er am 10. Oktober 2023 in T* und am 13. Oktober 2023 in W* mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz „gewerbsmäßig (§ 70 StGB)“ näher bezeichneten Opfern Parfums im Gesamtwert von 4.545,55 Euro weggenommen und wegzunehmen versucht.

[2] Am selben Tag fasste der Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien den Beschluss auf Abbrechung des Verfahrens mangels bekannten Aufenthalts und verfügte die Ausschreibung des * N* zur Aufenthaltsermittlung im Inland (ON 1.3).

[3] Am 21. Dezember 2023 brachte die Staatsanwaltschaft Wels beim Landesgericht Wels (zur AZ 39 Hv 135/23g) Strafantrag gegen * N*, (den Jugendlichen) * H* und * T* wegen dem Vergehen des gewerbsmäßigen Diebstahls nach §§ 15, 127, 130 Abs 1 erster Fall StGB subsumierter Taten und gegen * S* wegen dem „Vergehen des gewerbsmäßigen Diebstahls und Diebstahls im Rahmen einer kriminellen Vereinigung nach §§ 15, 127, 130 Abs 1, 2 StGB“ subsumierter Taten ein (ON 9.3).

[4] D a nach haben sie als Mitglied einer kriminellen Vereinigung unter Mitwirkung (§ 12 StGB) eines anderen Mitglieds dieser Vereinigung mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz (unter Verwirklichung der Kriterien der Z 1 [und teilweise der Z 3] des § 70 Abs 1 StGB) gewerbsmäßig anderen fremde bewegliche Sachen weg zunehmen versucht, nämlich

I. * N*, * H*, * T* und * S* Verfügungsberechtigten des D*

a) am 15. Dezember 2023 in S* sieben Parfums im Gesamtwert von 922,15 Euro,

b) am 13. Dezember 2023 in P* Parfums im Gesamtwert von 1.650 Euro,

II. * S* am 18. Jänner 2023 in V* Verfügungsberechtigten des M* V* Go-Pro-Kameras im Gesamtwert von 2.689,40 Euro, „sohin an Sachen in EUR 5.000,- übersteigendem Gesamtwert“.

[5] Der Einzelrichter des Landesgerichts Wels dokumentierte die Prüfung des Strafantrags (nach den Kriterien des § 485 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO), ordnete die Hauptverhandlung an und trat das Verfahren „wegen früherer Rechtswirksamkeit der Anklage betreffend 01 N*“ gemäß § 37 Abs 3 StPO an das Landesgericht für Strafsachen Wien zur AZ 115 Hv 80/23m zur gemeinsamen Verfahrensführung ab. Dabei verwies er darauf, dass der (einzige) jugendliche Angeklagte H* nach dem Akteninhalt in Österreich keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet habe (ON 9.1.3).

[6] D er Einzelrichter des Landesgerichts für Strafsachen Wien bezog im Verfahren AZ 115 Hv 80/23m das Verfahren AZ 39 Hv 135/23g des Landesgerichts [richtig:] Wels zur gemeinsamen Führung wegen Konnexität ein und veranlasste die Neuzuteilung in eine Abteilung für Jugendstrafsachen (ON 1.8); daraufhin wurde das Verfahren zur AZ 144 Hv 119/23k des Landesgerichts für Strafsachen Wien im Register erfasst. In diesem Verfahren erklärte sich die Einzelrichterin mit Beschluss vom 26. Dezember 2023 (ON 11) für örtlich unzuständig (§ 485 Abs 1 Z 1 StPO). Begründend führte sie unter Hinweis auf § 29 JGG aus , dass der Jugendliche * H* zur Zeit des Beginns des Strafverfahrens seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Linz gehabt habe. Diesen Beschluss stellte sie dem Angeklagten H* und der Staatsanwaltschaft, nicht aber den Angeklagten * N*, * T* und * S* zu (vgl ON 1.9). Mit Verfügung vom 12. Jänner 2024 wurde die Sache dem Landesgericht Linz überwiesen (ON 1.16).

[7] Das Landesgericht Linz erklärte sich mit Beschluss vom 13. Jänner 2024 (ON 30) zur AZ 33 Hv 2/24a zur Führung des Verfahrens örtlich unzuständig (§ 485 Abs 1 Z 1 StPO). Dazu führte es aus, dass der Jugendliche * H* zu keiner Zeit einen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich gehabt habe, vielmehr habe er sämtliche ihm angelastete Taten im Zuständigkeitsbereich des Landesgerichts für Strafsachen Graz begangen. In der Folge überwies es die Sache dem Landesgericht für Strafsachen Graz (ON 1.23).

[8] Mit Beschluss vom 2. Februar 2024 (ON 44) sprach das Landesgericht für Strafsachen Graz zur AZ 10 Hv 13/24a gemäß § 485 Abs 1 Z 1 StPO seine örtliche Unzuständigkeit aus. Der Jugendliche * H* habe in Österreich, somit auch in Graz, keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet, sodass sich „die Zuständigkeit nach der StPO und nicht nach dem JGG richtet“ und (grundsätzlich) auf den Tatort abzustellen sei. N ach Einbeziehung „aufgrund subjektiver Konnexität in das Verfahren betreffend den früheren Strafantrag ON 3“ sei das Verfahren jedoch vom Landesgericht für Strafsachen Wien zu führen.

[9] Der gegen den letztgenannten Beschluss, der den Verteidigern der vier Angeklagten und der Staatsanwaltschaft zugestellt worden war (ON 44 S 5), erhobenen Beschwerde des * S* gab das Oberlandesgericht Graz mit Beschluss vom 4. März 2024 zur AZ 8 Bs 49/24b keine Folge (ON 58).

[10] Das Landesgericht für Strafsachen Graz legte in der Folge den Akt dem Obersten Gerichtshof gemäß § 38 letzter Satz StPO zur Entscheidung über den negativen Kompetenzkonflikt vor (ON 59).

[11] § 485 Abs 1 Z 1 StPO verweist den mit Strafantrag angerufenen Einzelrichter des Landesgerichts im Fall seiner örtlichen oder sachlichen Unzuständigkeit auf eine beschlussmäßige Erledigung. Nicht anders als bei der Prüfung der Anklage im kollegialgerichtlichen Verfahren nach Maßgabe der von § 212 StPO genannten Kriterien (vgl dazu 13 Ns 1/09i) kommt es gemäß § 485 StPO demnach zu beschlussförmigen Aussprüchen über die Unzuständigkeit, die allen zur Beschwerde Berechtigten zuzustellen (vgl Bauer , WK-StPO § 450 Rz 6) und beim übergeordneten Gericht mit Beschwerde bekämpfbar sind. Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft hat aufschiebende Wirkung (§§ 87 Abs 3, 485 Abs 1a StPO; vgl 13 Ns 44/09p).

[12] Ein – vom gemeinsam übergeordneten Gericht zu entscheidender – Kompetenzkonflikt liegt daher erst vor, wenn sich die in Betracht kommenden Gerichte jeweils mit rechtswirksamem Beschluss für unzuständig erklärt haben (vgl RIS Justiz RS0125311; Oshidari , WK StPO § 38 Rz 2 und 17/1).

[13] Einen solchen Beschluss hat die Einzelrichterin des Landesgerichts für Strafsachen Wien zwar gefasst und ausgefertigt (ON 11), diesen aber lediglich der Staatsanwaltschaft und dem Verteidiger des * H* zugestellt (ON 1.9).

[14] Ein vom Obersten Gerichtshof zu entscheidender negativer Kompetenzkonflikt liegt demgemäß – wie auch die Generalprokuratur zutreffend ausführt – derzeit nicht vor (vgl 12 Ns 36/17s).

Rechtssätze
1
  • RS0125311OGH Rechtssatz

    21. März 2024·3 Entscheidungen

    Im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts kann es im Rahmen der von § 485 StPO angeordneten Prüfung der Zuständigkeit nur mittelbar zu einem Kompetenzkonflikt im Sinn des § 38 StPO kommen. Teilt nämlich das Oberlandesgericht die mit Beschluss des Einzelrichters ausgesprochene Einschätzung örtlicher Unzuständigkeit und hält es ein anderes Landesgericht seines Sprengels für örtlich zuständig, so überweist es die Sache dorthin (vgl auch §§ 215 Abs 4 erster Satz, 470 Z 3, 475 Abs 1 StPO). Hält es hingegen keines der in seinem Sprengel gelegenen Landesgerichte für örtlich zuständig, greift § 485 Abs 2 StPO. Zu einem von § 38 StPO erfassten Kompetenzkonflikt kommt es nachfolgend dann, wenn ein anderes Oberlandesgericht aufgrund einer Beschwerde gegen einen nach § 485 Abs 1 StPO gefassten Beschluss die örtliche Zuständigkeit aller in seinem Sprengel gelegenen Landesgerichte bezweifelt oder der Einzelrichter eines nachfolgend angerufenen, im Sprengel eines anderen Oberlandesgerichts gelegenen Landesgerichts seine örtliche Unzuständigkeit sonst rechtswirksam ausspricht. Nach Anordnung der Hauptverhandlung (§ 485 Abs 1 Z 4 StPO) im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichts kann es zu einem Kompetenzkonflikt im Sinn des § 38 StPO kommen, wenn der Einzelrichter zur Ansicht gelangt, örtlich nicht (mehr) zuständig zu sein (SSt 61/14). In einem solchen Fall hat er nämlich, wie nach der bis 1. Jänner 2008 geltenden Rechtslage, die Hauptverhandlung abzubrechen und die Abtretung der Sache an das seiner Ansicht nach zuständige Landesgericht zu verfügen.