JudikaturJustiz11Os95/05p

11Os95/05p – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Februar 2006

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14. Februar 2006 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Danek, Dr. Schwab und Dr. Lässig als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Gödl als Schriftführerin, im Verfahren zur Unterbringung des Betroffenen Erwin B***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs 1 StGB (§§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB) über die Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes St. Pölten als Schöffengericht vom 20. Juni 2005, GZ 15 Hv 58/05i-50, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde und aus deren Anlass (§ 290 Abs 1 StPO) wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen, nämlich im Ausspruch über die Anlasstaten zu I A und B, unberührt bleibt, im Ausspruch über die Anlasstaten zu I C, D und E sowie in der Anordnung der Anstaltsunterbringung des Erwin B***** gemäß § 21 Abs 1 StGB aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen rechtskräftigen Freispruch (richtig: eine teilweise Abweisung des Antrags gem § 429 Abs 1 StPO) enthält, wurde die Unterbringung des Betroffenen Erwin B***** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB angeordnet, weil der Genannte unter dem Einfluss eines seine Zurechnungsfähigkeit ausschließenden, auf einer seelischen Abartigkeit höheren Grades beruhenden Zustandes (chronisch wahnhafte sowie schizotypische Störung) Personen durch gefährliche Drohung mit dem Tode zu Handlungen und Unterlassungen genötigt hat, und zwar IA) im August 2004 wiederholt Maria H***** und Erich H***** zur Abstandnahme vom Aufladen und Abtransport von Möbelstücken, indem er eine Hacke in der Hand haltend auf sie zuging, diese drohend gegen sie richtete und äußerte, dass er den Kasten samt Maria und Erich H***** erschlagen würde, wenn sie diesen wegbrächten; IB) am 31. August 2004 der Maria H***** gegenüber, als diese Geschirr und Textilien vom Ahrenhof abtransportierten wollte, äußerte, dass sie sich „schleichen" solle, ansonsten würde er sie mit der Hacke erschlagen, und zu ihr weiters, nachdem er eine Tür des Gebäudes mit der Hacke aufgeschlagen hatte, sagte, dass er dadurch in ihre Wohnung kommen und sie vergewaltigen werde;

IC) Ende September 2004 Erich H*****, welcher im Garten des Areals des Ahrenhofes Obst erntete, zur Abstandnahme von der Ernte und zum Verlassen der Liegenschaft, indem er ihm gegenüber äußerte, dass er sich „schleichen" solle, er hätte im Garten nichts mehr zu suchen, hierauf zurück in das Gebäude ging, eine Hacke holte, auf Erich H***** zuging und zu ihm sagte: „Ich hau dir dein Auto zusammen und dich auch, wenn du nicht sofort verschwindest";

ID) am 28. Oktober 2004 Gottfried P***** zum Verlassen des Hofareals des Ahrenhofes, indem er ihn anschrie, er solle verschwinden, er habe hier nichts mehr verloren, sodann mit einer Hacke, die er aus seiner Wohnung geholt hatte, gegen P***** zum Schlag ausholte und mit der Hacke gegen dessen rechten Arm schlug, wodurch P***** eine blutende Verletzung am rechten oberen Unterarm erlitt;

IE) am 1. Dezember 2004 Johann Pa***** zur Abstandnahme von im Bereich des Ahrenhofes begonnenen Asphaltierungsarbeiten, indem er eine Hacke gegen ihn erhob und ihn anschrie, ob er ihnen nicht gestern gesagt hätte, sie sollten die Arbeiten einstellen, sie hätten noch 10 Minuten Zeit, um zu verschwinden;

er sohin jeweils mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Taten begangen hat, die ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, als Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB zuzurechnen gewesen wären.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Betroffenen kommt Berechtigung zu. In Ansehung der ihm unter I C und E des Urteilsspruchs angelasteten qualifizierten Nötigungen macht der Betroffene einen Rechtsfehler mangels Feststellungen (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 605 ff) geltend. Mit diesem Einwand ist er im Recht.

Die im Urteilsspruch unter I C angeführte Äußerung des Beschwerdeführers gegenüber H*****: „Ich hau dir das Auto zusammen und dich auch, wenn du nicht sofort verschwindest" (US 3), findet in den Gründen keine Deckung. Dort ist nämlich nur davon die Rede, dass B*****, nachdem er H***** aufgefordert hatte, er solle sich schleichen, er habe im Garten nichts mehr zu suchen, aus dem Haus eine Hacke holte, was bei H***** die Furcht auslöste, dass der Betroffene dessen Auto zusammenschlagen oder ihn verletzen würde (US 8). Weil aber die Tatbeschreibung im Spruch nur ein Referat der in den Gründen vorzunehmenden Feststellungen ist, diese aber nicht ersetzt, erfolgte die Beurteilung des in den Gründen festgehaltenen Verhaltens mangels Feststellung einer für die Verwirklichung des Tatbildes der Nötigung erforderlichen Übelsandrohung (§ 74 Z 4 StGB) rechtsfehlerhaft.

Gleiches gilt für die unter I E erfasste Tat, welche nach dem Wortlaut des Spruches durch das Erheben einer Hacke und dadurch begangen wurde, dass B***** Johann Pa***** anschrie, ob er ihnen nicht gestern gesagt hätte, sie sollten die Arbeit einstellen, sie hätten noch zehn Minuten Zeit, um zu verschwinden, ohne dass sich in den Gründen dazu korrespondierende Feststellungen finden. Denen zufolge kam B***** mit einer Hacke und forderte von Pa***** die Einstellung der Arbeiten, widrigenfalls „etwas passieren" würde, wobei er zur Bestärkung seiner „Drohung" vor Ort befindliche Baumaschinen und Werkzeuge in Brand setzte, wodurch sich Pa***** extrem gefährdet fühlte und die Asphaltierungsarbeiten nicht plangemäß fortsetzte. Auch hier fehlen die für die Annahme einer qualifizierten Drohung iSd § 106 StGB erforderlichen Feststellungen zum Bedeutungsinhalt der Äußerung, insbesondere, welche Verletzung welchen Rechtsgutes angedroht wurde.

Schließlich überzeugte sich der Oberste Gerichtshof aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde (§ 290 Abs 1 StPO), dass auch hinsichtlich der unter I D des Urteilssatzes angeführten - unbekämpft gebliebenen - Tat keine Feststellungen getroffen wurden, die ihre Beurteilung als geeignete Anlasstat (nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB) zulassen. Diese mangels ausreichender Feststellungen rechtsfehlerhafte Beurteilung der Urteilstaten I C, D und E bewirkt Nichtigkeit des Ausspruchs über die genannten Anlasstaten nach § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO (Ratz in WK2 Vorbem zu §§ 21 - 25 Rz 8).

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen, nämlich im Ausspruch über die Anlasstaten zu I A und B, unberührt bleibt (vgl Ratz, WK-StPO § 289 Rz 8), war daher im Ausspruch über die Anlasstaten zu I C, D und E aufzuheben.

Zudem war der (gesamte) Ausspruch über die Einweisung nach § 21 Abs 1 StGB zu kassieren. Denn wenn ein Teil des Ausspruchs über mehrere einer Einweisung nach § 21 Abs 1 StGB zugrunde liegende Anlasstaten aufgehoben wird, ist der Einweisungsausspruch zwingend zur Gänze aufzuheben (in diesem Sinn bereits 14 Os 78/02; aM noch SSt 60/40). Eines der Beurteilungskriterien für die Prognoseentscheidung nach § 21 Abs 1 StGB ist nämlich die „Art der Tat". Dabei stellt das Gesetz nicht auf eine bestimmte normative Kategorie mit Strafe bedrohter Handlungen, sondern auf das historische Ereignis ab, sodass ungeachtet der tatbildmäßigen Vertypung alle näheren Umstände des Geschehens in die Beurteilung einzubeziehen sind (WK2 Vorbem zu §§ 21 - 25 Rz 25). Grundlage für die Prognoseentscheidung des Erstgerichts ist daher beim Zusammentreffen mehrerer Anlasstaten stets deren historisches Geschehen in seiner Gesamtheit, sodass bei Wegfall eines Teiles dieser Grundlage jedenfalls eine neue - nur den Tatrichtern, nicht aber dem Obersten Gerichtshof im Verfahren über die Nichtigkeitsbeschwerde zukommende - Prognoseentscheidung vorzunehmen ist.

Rechtssätze
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  • RS0090390OGH Rechtssatz

    29. Februar 2024·3 Entscheidungen

    Liegen dem Betroffenen mehrere Taten zur Last, von denen nur eine den Voraussetzungen des § 21 Abs 1 StGB entspricht, während die anderen zufolge der für sie maßgebenden Strafdrohung nicht einweisungsrelevant sein können, so hat das Gericht den Einweisungsantrag, soweit er auch diese Taten betrifft, abzuweisen; stützt es jedoch (rechtsirrig) sein Einweisungserkenntnis spruchgemäß auch auf diese Taten, dann hat es insoweit seine Einweisungsbefugnis überschritten, womit das Erkenntnis in diesem Punkt nichtig im Sinn der Z 11 des § 281 Abs 1 StPO ist, uzw unbeschadet dessen, dass dem Betroffenen daneben auch eine einweisungsrelevante Anlasstat zur Last liegt. Denn der im Urteilstenor dekretierte Tatvorwurf kann von der darauf gestützten Sanktion nicht getrennt werden; diese basiert damit aber auch auf Taten, die die Einweisung nicht zu tragen vermögen, wobei die darin gelegene Urteilsnichtigkeit den Betroffenen beschwert, weil nicht gesagt werden kann, dass die nicht einweisungsrelevanten Taten bloß überflüssigerweise und ohne irgendwelche nachteiligen Wirkungen für ihn in den Urteilsspruch aufgenommen worden seien. Daher kann eine Unanfechtbarkeit des Ausspruchs über die Anstaltseinweisung nicht daraus abgeleitet werden, dass die Einweisung ohnedies bereits durch eine andere, diese recte tragende Tat gedeckt ist (Ablehnung der gegenteiligen Auffassung in 10 Os 162/79 = EvBl 1980/203).