JudikaturJustiz11Os87/22m

11Os87/22m – OGH Entscheidung

Entscheidung
15. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 15. November 2022 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Mag. Marek, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Kornauth als Schriftführer in der Strafsache gegen * C* wegen des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz als Geschworenengericht vom 12. Mai 2022, GZ 18 Hv 28/22p 57, sowie weiters über die Beschwerde des Angeklagten gegen den Beschluss der Vorsitzenden des Schwurgerichtshofs vom 27. Juli 2022, GZ 18 Hv 28/22p 65, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Text

Gründe:

[1] Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde der Angeklagte * C* des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB schuldig erkannt.

[2] Danach hat er am 23. September 2021 in W* * B* auf eine Weise, mit der Lebensgefahr verbunden ist, am Körper verletzt (§ 83 Abs 1 StGB), indem er ihr mit einem Küchenmesser im Bereich unter dem linken Schulterblatt einen Stich in den Rücken versetzte, wobei die Tat eine an sich schwere Körperverletzung in Form eines Pneumothorax links mit Luftansammlung unter den Weichteilen an der linken Brust (Weichteilemphysem) und einer etwa 3,7 cm breiten Luftbrust zur Folge hatte.

[3] Die Geschworenen verneinten die anklagekonform in Richtung des Verbrechens des Mordes nach §§ 15, 75 StGB gestellte Hauptfrage 1./ sowie die in Richtung des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB gestellte Eventualfrage 1./ und bejahten die in Richtung des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB gestellte Eventualfrage 2./, wodurch die Beantwortung der (dem Fragenschema zufolge) in Richtung des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach § 84 Abs 4 StGB sowie in Richtung der Vergehen der (richtig) fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 3 erster Fall, Abs 4 zweiter Fall StGB und nach § 88 Abs 1, Abs 4 erster Fall StGB gestellten Eventualfragen 3./ bis 5./ entfiel.

Rechtliche Beurteilung

[4] Die Staatsanwaltschaft bekämpft das Urteil mit einer auf § 345 Abs 1 Z 6 und 8 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.

[5] D ie Fragenrüge (Z 6) kritisiert die Aufnahme der Eventualfragen in Richtung der Verbrechen der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs 1 StGB (1./) sowie der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB (2./) und nach § 84 Abs 4 StGB (3./) in das Fragenschema.

[6] Eventualfragen sind immer dann zu stellen, wenn sie durch erhebliche (vgl Ratz , WK StPO § 345 Rz 42), in der Hauptverhandlung vorgekommene Beweisergebnisse (§ 258 Abs 1 StPO iVm § 302 Abs 1 StPO) indiziert sind ( Lässig , WK StPO § 314 Rz 2; RIS Justiz RS0100608 [T4 und T10], RS0100677, RS0100888, RS0100991, RS0101087). Der Schluss von einem Verfahrensergebnis auf die Fragestellung muss den Gesetzen logischen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen entsprechen ( Lässig , WK StPO § 314 Rz 3; RIS Justiz RS0100526, RS0100569).

[7] Eine Fragenrüge, welche die vorschriftswidrige Stellung einer Eventualfrage moniert, hat (methodengerecht) darzulegen, dass durch das (gesamte) in der Hauptverhandlung vorgebrachte Tatsachensubstrat der Tatbestand der von der Eventualfrage erfassten strafbaren Handlung nicht verwirklicht wird (RIS Justiz RS0117447 [T9]).

[8] Zwar hatte sich der Angeklagte selbst im Verfahren dahin verantwortet, das Opfer habe sich die Verletzung im Zuge eines Unfallgeschehens selbst zugefügt. Er habe das Messer in der Hand gehalten, jedoch nicht zugestochen und das Opfer auch nicht verletzen wollen (ON 4 S 39 f, ON 18 S 1, ON 56 S 3 f und 8; vgl dazu die Fragestellung in Richtung je eines Fahrlässigkeitsdelikts durch die Eventualfragen 4./ und 5./; RIS Justiz RS0100582 [insb T4 und T6]).

[9] Die Zeugin * B* hingegen sagte im Laufe des Verfahrens (ua) aus, der Angeklagte hätte zunächst angekündigt, er werde sie umbringen, was sie trotz eines auf dem Tisch liegenden Messers nicht ernst genommen habe. Der Angeklagte habe sodann gesagt, er werde sie „eines Tages“ aus Eifersucht umbringen. Der Angeklagte sei hinter ihr gestanden und habe gegessen. Sie habe daraufhin einen (einzigen) Stich im Rücken gespürt, der Angeklagte habe das Messer wieder herausgezogen, sich um sie gekümmert, geweint und ihr gesagt, es sei bloß „Spaß“ gewesen bzw er habe bloß einen „Witz“ gemacht (ON 4 S 75 iVm ON 56 S 24) .

[10] Nach den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen in der Hauptverhandlung erlitt B* eine ca 4 bis 5 Zentimeter tiefe Stichverletzung unter dem linken Schulterblatt zwischen der sechsten und siebenten Rippe, wobei das Messer zwar nicht mit der gesamten Klinge von 10,5 Zentimeter in den Körper , aber immerhin (noch) 2,3 bis 2,7 Zentimeter in die Lunge eintrat, sodass im konkreten Fall Lebensgefahr bestand und eine Notoperation geboten war. Die Expertin ging außerdem von einer massiven Krafteinwirkung bei der Ausführung des S tiches aus, weil das Messer bis in die Brusthöhle (Lunge) vorgedr u ngen war (ON 56 S 19 ff).

[11] In der Hauptverhandlung allgemein zu seinen Vorstellungen von der menschlichen Anatomie und zur Gefährlichkeit von Messerstichen in den Rücken im Bereich des (linken) Schulterblatts befragt, gab der über keine höhere Bildung verfügende (ON 4 S 33 iVm ON 56 S 3 und 24 ) Angeklagte an, er sei über die Lage von Organen (insbesondere der Lunge) in diesem Bereich nicht besonders im Bilde, gestand aber sein Wissen um den Umstand zu, dass ein Messerstich zu einer schweren Verletzung führen kann (ON 56 S 12 f).

[12] Soweit die Staatsanwaltschaft diese Beweisergebnisse vernachlässigt, erweist sich ihre Fragenrüge als nicht prozessordnungskonform ausgeführt.

[13] An sich zutreffend weist die (weitere) Fragenrüge (Z 6) darauf hin, dass bei Tat- und Opferidentität die (selbständige) Qualifikation nach § 84 Abs 4 StGB und die (unselbständige) Qualifikation nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB zueinander in echter Idealkonkurrenz stehen (RIS Justiz RS0132358 [T1]) und für einen solchen Fall eine jeweils gesonderte Fragestellung erforderlich ist (RIS Justiz RS0100788; Lässig , WK-StPO § 314 Rz 1). Somit wäre die Eventualfrage 3./ (Nr 4) – wie von der Staatsanwaltschaft in ihrem Rechtsmittel richtig ausgeführt – nicht bloß für den Fall der Verneinung der Hauptfrage (Nr 1) und der Eventualfragen 1./ und  2./ (Nr 2 und 3), sondern auch für den Fall der Bejahung der Eventualfrage 2./ (Nr 3) zu stellen gewesen (vgl 13 Os 85/18a).

[14] Zur Geltendmachung dieser Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung ist die Staatsanwaltschaft im vorliegenden Fall jedoch nicht befugt (§ 345 Abs 4 zweiter Fall StPO), weil sie in der Hauptverhandlung im Zusammenhang mit ihrem Widerspruch bezüglich der Eventualfragen 2./ und 3./ (zwar mit strittigem Wortlaut, aber jedenfalls erkennbar) bloß allgemein auf das Vorliegen von (echter) Konkurrenz hingewiesen hat (ON 56 S 24). Damit hat sie es aber von vornherein verabsäumt, sich der beabsichtigten Fragestellung prozessordnungskonform zu widersetzen (§ 345 Abs 4 zweiter Satz StPO), weil sie dem Schwurgerichtshof nicht deutlich und bestimmt erklärte, welche (konkrete) Änderung oder Ergänzung der Fragestellung (§ 310 Abs 3 StPO) sie mit diesem Hinweis überhaupt anstrebte (vgl auch Ratz , WK-StPO § 345 Rz 79 iVm § 281 Rz 735, 737; Lässig WK-StPO § 310 Rz 4, 8).

[15] Die „aus denselben Erwägungen“ (zum Konkurrenzverhältnis von §§ 83 Abs 1, 84 Abs 5 Z 1 StGB und von § 84 Abs 4 StGB bei Tat- und Opferidentität) eine unrichtige Rechtsbelehrung bemängelnde Instruktionsrüge (Z 8) vernachlässigt, dass die Eventualfrage 3./ nach dem den Geschworenen vorgelegten Fragenschema nur für den Fall der Verneinung der Hauptfrage, der Eventualfrage 1./ und der Eventualfrage 2./ gestellt wurde. Da (schon) die Eventualfrage 2./ (nach Verneinung der Hauptfrage und der Eventualfrage 1./) bejaht wurde, wurde die Eventualfrage 3./ somit im Ergebnis gar nicht aktuell. In einem solchen Fall einer unbeantwortet gebliebenen (letztlich gar nicht gestellten) Eventualfrage (hier: Eventualfrage 3./) aber ist zur gesetzmäßigen Ausführung einer Instruktionsrüge auch darzulegen, inwiefern sich die behauptete Unrichtigkeit der Rechtsbelehrung auf die Beantwortung der im Rahmen des konkreten Fragenschemas tatsächlich (aktuell) gestellten (hier: Hauptfrage und Eventualfragen 1./ und 2./) ausgewirkt haben sollte, nach Lage des Falles also geeignet gewesen sein soll, die Geschworenen bei der Beantwortung dieser (tatsächlich aktuell gewordenen) Fragen zu beirren (RIS Justiz RS0110682, RS0101091, RS0101021).

[16] Die Nichtigkeitsbeschwerde w a r daher bereits bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d, 344 StPO).

[17] Die in der Beschwerde des Angeklagten (ON 68) gegen den – entsprechend einem Antrag der Staatsanwaltschaft (ON 1 S 31) gefassten – Beschluss auf Protokollberichtigung (ON 65) relevierten Umstände können dahinstehen , weil dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft unabhängig von den strittigen Punkten aus den dargelegten Gründen ein Erfolg zu versagen war. D amit ist auch die erwähnte Beschwerde miterledigt (vgl RIS Justiz RS0126057 [T2, T5]; Danek/Mann , WK-StPO § 271 Rz 48/1, 57).