JudikaturJustiz11Os77/99

11Os77/99 – OGH Entscheidung

Entscheidung
10. August 1999

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 10. August 1999 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Lokay als Schriftführer, in der Strafsache gegen Peter S***** wegen des Verbrechens des schweren sexuellen Mißbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes Ried im Innkreis als Schöffengericht vom 5. Mai 1999, GZ 8 Vr 663/98-23, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter S***** der Verbrechen des schweren sexuellen Mißbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (1), der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (2) und der Vergewaltigung nach § 201 Abs 2 StGB (3) sowie der Vergehen der Blutschande nach § 211 Abs 1 StGB (4) und des Mißbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 StGB (5) schuldig erkannt.

Danach hat er in Eberschwang

1. 1993 und 1994 mit seiner am 29. März 1981 geborenen, sohin unmündigen Tochter Romana S***** in drei Angriffen den Beischlaf unternommen;

2. unmündige Personen auf andere Weise als durch Beischlaf zur Unzucht mißbraucht, und zwar

a) von 1989 bis 1994 seine am 29. März 1981 geborene Tochter Romana S***** in wiederholten Angriffen, indem er ihre äußeren Geschlechtsteile betastete und streichelte, mit dem Finger in die Scheide eindrang, ihre Hände zu seinem erigierten Penis führte und sie aufforderte, ihn zu streicheln,

b) von 1988 bis 20. Mai 1992 seine am 21. Mai 1978 geborene Tochter Manuela S***** in wiederholten Angriffen, indem er ihre äußeren Geschlechtsteile betastete und streichelte, mit dem Finger in ihre Scheide eindrang, ihre Hände zu seinem erigierten Penis führte und sie aufforderte, ihn zu streicheln, seinen Penis zwischen ihre Oberschenkel bis zum Samenerguß rieb und einen Analverkehr an ihr durchführte;

3. von 1989 bis 1994 bei der zu Punkt 1 und 2a beschriebenen Handlungen Romana S***** mit Gewalt, nämlich dadurch, daß er sie wiederholt gegen ihren Willen festhielt und ihr den Mund zuhielt, zur Duldung des Beischlafes sowie dem Beischlaf gleichzusetzenden geschlechtlichen Handlungen, nämlich Eindringen mit dem Finger in ihre Scheide, genötigt;

4. durch die zu 1 beschriebenen Handlungen mit einer Person, die mit ihm in gerader Linie verwandt ist, den Beischlaf vollzogen;

5. durch die zu 1 und 2 beschriebenen Handlungen seine minderjährigen Kinder zur Unzucht mißbraucht.

Gegen dieses Urteil richtet sich eine auf die Z 1a, 2, 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie ist im Recht.

Rechtliche Beurteilung

Das Schöffengericht hat seinen Schuldspruch nur auf die Aussagen der im Vorverfahren kontradiktorisch vernommenen Tatopfer Romana und Manuela S***** gestützt. Die Vernehmung war auf Videoband festgehalten worden. Da sich die Zeuginnen in der Hauptverhandlung berechtigt der Aussage entschlagen haben, wurde das Videoband vorgeführt (S 171 f, 174 f). Auf Grund dieser Beweise wurde die leugnende Verantwortung des Angeklagten als widerlegt erachtet (US 5 bis 10).

In der Hauptverhandlung hatte die Verteidigerin unter anderem die Vernehmung nachstehender Zeugen beantragt:

Inspektor Birgit B***** zum Beweis dafür, "daß bei der ersten Einvernahme der Zeuginnen, wo sich diese entschlagen haben, diese ausführlich von einem Tatzeitraum vom 5. bis 7. Lebensjahr bei Romana bzw 7. bis 10. Lebensjahr bei Manuela gesprochen haben und keine darüber hinausgehenden Vorwürfe erhoben worden sind",

Dr. Karl O***** zum Beweis dafür, "daß im Zuge der Scheidungsverhandlung unmittelbar nach Vorbringen der Vorwürfe mehrere Male das Angebot gemacht wurde, daß dann, wenn der Angeklagte auf eine Ausgleichszahlung verzichtet, und er diesen Vorschlag annimmt, sich die Zeuginnen der Aussage entschlagen könnten,

Dr. Johann K***** zum Beweis dafür, daß im Laufe des Scheidungsverfahrens vorher nie die Rede von Mißbrauchshandlungen der Kinder war,

Hans Peter S***** und Stefan S***** zum Beweis dafür, daß derartige, von den Zeuginnen geschilderte Vorfälle, die sich angeblich im Wohnzimmer zugetragen haben, nicht vorgefallen sind,

Rosa K***** zum Beweis dafür, "daß die Vorfälle nicht stattgefunden haben".

Das Erstgericht hat diese Beweisanträge mit einer - entgegen § 238 Abs 2 StPO - erst im Urteil nachgeholten Begründung als unwesentlich und bedeutungslos (US 10 bis 12) abgelehnt.

Nach Lage des Falles kommt der Verfahrensrüge (Z 4), mit welcher der Beschwerdeführer die Beeinträchtigung seiner Verteidigungsrechte durch Ablehnung seiner in der Hauptverhandlung gestellten Beweisanträge geltend macht, Berechtigung zu.

Angesichts dessen, daß im vorliegenden Verfahren der Angeklagte die Taten bestreitet, die belastenden Aussagen nur durch Vorführung eines darüber aufgenommenen Videobandes in das Beweisverfahren Eingang fanden und keine anderen Verfahrensergebnisse zur Beurteilung der Frage verfügbar sind, welcher Darstellung die höhere Glaubwürdigkeit gebührt, verdienen auch bloß im Vorfeld des Tatgeschehens gelegene Begleitumstände erhöhte Beachtung (vgl Mayerhofer StPO4 § 258 E 94a; 14 Os 59/94). Einem allfälligen Motiv und den näheren Umständen, wie es zu den Belastungen durch die beiden Kinder des Angeklagten kam, sowie zu welchem Zeitpunkt sie erhoben wurden, kann damit eine Relevanz bei Beurteilung der Glaubwürdigkeit der Verantwortung des Beschuldigten auf der einen Seite sowie der Angaben der Zeuginnen Romana und Manuela S***** auf der anderen Seite nicht abgesprochen werden.

Wenn auch die zitierten Beweisanträge von der Verteidigung ungenau und zum Teil nicht tragfähig begründet wurden, ergeben sich die einzelnen Beweisthemen und deren Wesentlichkeit aus dem unmittelbaren Zusammenhang des Protokolls (Aufzeigen von Widersprüchen in den Angaben der Belastungszeuginnen durch die Aussagen der Zeugen Insp. B*****, Hans Peter und Stefan S***** sowie Rosa K*****; Motiv, Zeitpunkt und Umstände der Anschuldigungen durch Dr. O***** und Dr. K*****).

Durch die Abweisung dieser für die Entscheidung wesentlichen Beweisanträge wird Nichtigkeit nach § 281 Abs 1 Z 4 StPO begründet (RZ 1959, 173).

Da sich somit schon aus diesen Gründen eine Neudurchführung des Verfahrens als unumgänglich erweist, war das angefochtene Urteil gemäß § 285e StPO bereits bei einer nichtöffentlichen Sitzung aufzuheben.

Damit erübrigt sich ein Eingehen auf die weiters geltend gemachten Nichtigkeitsgründe. Hiezu sei jedoch angemerkt, daß die Z 1a und 2 des § 281 Abs 1 StPO nicht vorliegen. Hans Peter S***** wurde zwar entgegen § 38 Abs 4 StPO von der Führung von Vorerhebungen gegen ihn nicht verständigt und auch nicht über seine Rechte belehrt, doch ist die Verletzung dieser Bestimmung nicht mit Nichtigkeit bedroht. Zur kontradiktorischen Vernehmung war er geladen und wurde ihm auch das Fragerecht eingeräumt. Daß die Zeuginnen Romana und Manuela S***** bei dieser Vernehmung ausschließlich von der Sachverständigen Dr. Maria R***** befragt wurden, widerspricht zwar § 162 Abs 2 letzter Satz StPO, unterliegt aber ebenfalls keiner Nichtigkeitssanktion.

Im erneuerten Verfahren wird daher das Erstgericht zumindest auch die bei Erledigung der Verfahrensrüge angeführten Zeugen zu vernehmen und dann die erhobenen Beweise in allen wesentlichen Punkten einer Gesamtwürdigung zu unterziehen haben. Bei einer allfälligen Verwertung der Aussagen der Zeuginnen Romana und Manuela S***** bei der kontradiktorischen Vernehmung am 17. Dezember 1998 wird aber zu beachten sein, daß sich aus dem Protokoll ON 9 nicht ergibt, welche Erklärung die Zeuginnen nach ihrer Belehrung über die Bestimmung des § 152 Abs 1 Z 2 StPO abgegeben und ob sie ausdrücklich auf ihr Entschlagungsrecht verzichtet haben. Sollte sich eine derartige Erklärung nicht auf der Videoaufzeichnung finden, wäre zu prüfen, ob die der Belehrung allenfalls spontan folgenden Aussagen einen deutlich erkennbaren Verzicht auf das Entschlagungsrecht darstellen (vgl 14 Os 44, 142/96).

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Rechtssätze
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