JudikaturJustiz11Os49/16i

11Os49/16i – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Mai 2016

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Mai 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner Foregger und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Strafsache gegen S***** Sa***** wegen des Verbrechens der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 230 Hv 10/16s des Landesgerichts für Strafsachen Graz, über die Grundrechtsbeschwerde des S***** Sa***** gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Graz als Beschwerdegericht vom 22. März 2016, AZ 10 Bs 79/16t (ON 60 der Hv Akten), nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

S***** Sa***** wurde im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt.

Die Grundrechtsbeschwerde wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Beschluss gab das Oberlandesgericht Graz der Beschwerde des Angeklagten S***** Sa***** gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 4. März 2016 (ON 55 der Hv Akten) nicht Folge und ordnete die Fortsetzung der vom Landesgericht für Strafsachen Graz am 16. Oktober 2015 verhängten (ON 7), mehrmals von diesem (ON 9, ON 10, ON 16, ON 17, ON 35, ON 41, ON 53) und vom Oberlandesgericht Graz (ON 25) fortgesetzten Untersuchungshaft aus den Haftgründen der Flucht und Tatbegehungsgefahr gemäß § 173 Abs 2 Z 1 und Z 3 lit a, lit b StPO an.

In der Sache erachtete das Oberlandesgericht S***** Sa***** dringend verdächtig, im September 2015 in Wien A***** Sat***** durch gefährliche Drohung mit dessen Tod und dem Tod dessen Mutter, nämlich mit der sinngemäßen Ankündigung deren Tötung im Rahmen einer „Blutrache“ für den Fall der weiteren Zusammenarbeit des Sat***** mit den österreichischen Strafverfolgungsbehörden, zu einer falschen Aussage als Zeuge sowie zur Abstandnahme von weiteren belastenden Zeugenaussagen gegen den wegen des Verdachts der Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB, der terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 Z 1, Z 4 StGB und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB in Betreff der terroristischen Vereinigung „Islamischer Staat“ (IS) verfolgten M***** T***** zu nötigen versucht und diesen solcherart der Verfolgung absichtlich ganz oder zum Teil zu entziehen versucht zu haben (BS 4 ff).

In rechtlicher Hinsicht subsumierte das Oberlandesgericht dieses Verhalten dem Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 StGB sowie den Vergehen der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1 und Abs 4 sowie nach § 288 Abs 1 StGB jeweils iVm §§ 12 zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB sowie der Begünstigung nach §§ 15, 299 Abs 1 StGB.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die Grundrechtsbeschwerde des Angeklagten, die sich gegen die Annahme des dringenden Tatverdachts und der zuvor bezeichneten Haftgründe wendet sowie Unverhältnismäßigkeit der Haft und deren Substituierbarkeit durch Anwendung gelinderer Mittel reklamiert.

Die Begründung des dringenden Tatverdachts kann im Grundrechtsbeschwerdeverfahren in sinngemäßer Anwendung der Z 5 und Z 5a des § 28  Abs 1 StPO angefochten werden (RIS Justiz RS0110146).

Mit eigenständigen beweiswürdigenden Erwägungen nach Art einer Schuldberufung vermag der Beschwerdeführer die logisch und empirisch einwandfrei auf die Angaben des Zeugen A***** Sat***** sowie aufgezeichnete Gesprächsinhalte eines von diesem mit seiner Mutter Ma***** Satu***** am 30. September 2015 geführten Telefonats gestützten Verdachtsannahmen des Beschwerdegerichts (BS 6 iVm der vorangegangenen Beschwerdeentscheidung ON 25 S 9 ff) nicht prozessförmig (Z 5 vierter Fall) in Frage zu stellen.

Soweit der Beschwerdeführer dazu kritisiert, es sei „ein Pauschalverweis [auf die vorangegangene Beschwerdeentscheidung ON 25 S 9 ff] erfolgt“, übersieht er, dass der Verweis auf konkrete Aktenteile in der Begründung von Sachverhaltsannahmen nach Z 5 nicht zu beanstanden ist (vgl RIS Justiz RS0119301 , RS0122395 [T1]).

Dem erstmaligen, in der Haftbeschwerde (ON 54) nicht relevierten Einwand einer Nichterörterung von (vermeintlich) entlastenden weiteren Inhalten eines weiteren Gesprächs der beiden zuvor genannten Personen am 16. November 2015 (Z 5 zweiter Fall) steht das Prozesshindernis der (horizontalen) Nichterschöpfung des Instanzenzugs (vgl RIS Justiz RS0114487 [T11, T20]; Kier in WK 2 GRBG § 1 Rz 41 mwN) entgegen. Es bleibt daher nur der Vollständigkeit halber anzumerken, dass der Beschwerdeführer den relevierten Gesprächsinhalt vom 16. November 2015 seinerseits nur unvollständig wiedergibt, weil die Zeugin Ma***** Satu***** darin die inkriminierte Drohung nach wie vor bekräftigte (vgl ON 26 S 31), und es bei der gebotenen Gesamtsicht der Gesprächsinhalte einer gesonderten Erörterung einzelner, den Beschwerdeführer nur vermeintlich entlastender Aussagedetails nicht bedurfte.

Erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der Annahmen zu entscheidenden Verdachtsmomenten (dSn Z 5a) vermag der Beschwerdeführer mit weitwendigen, nicht an der Gesamtheit der Begründungserwägungen des Beschwerdegerichts (neuerlich BS 6 iVm ON 25 S 9 ff) orientierten eigenständigen Schlussfolgerungen zu seiner Ansicht nach vorhandenen Widersprüchen zwischen den oben angeführten Gesprächen vom 30. September und 16. November 2015 nicht hervorzurufen.

Die Behauptung eines Fehlens von Beweisen für eine „wie immer geartete Betätigung in einer terroristischen Organisation“ vernachlässigt, dass eine Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung (§ 278b Abs 2 StGB) dem Beschwerdeführer vorliegend gar nicht angelastet wird.

Auch mit dem Einwand fehlender Anhaltspunkte für eine malversive Beeinflussung der E***** P***** orientiert sich der Beschwerdeführer nicht an der angefochtenen, in diesem Punkt einen dringenden Tatverdacht nämlich explizit verneinenden Beschwerdeentscheidung (BS 7).

Wie weit „Überwachungsprotokolle der wenigen Haftbesuche durch die Frau des Beschuldigten“ die Annahmen des dringenden Tatverdachts beeinflussen könnte, erklärt der Beschwerdeführer nicht.

Tatbegehungsgefahr (§ 173 Abs 2 Z 3 lit a und lit b [gemeint: lit c] StPO) bei dem einer Anlasstat mit schweren Folgen (§ 106 Abs 1 Z 1 StGB) dringend verdächtigen und mehrfach einschlägig, nämlich wegen Körperverletzung (§ 83 Abs 1 StGB) und wegen des ebenfalls gegen die körperliche Integrität gerichteten und somit auf derselben schädlichen Neigung wie die inkriminierte schwere Nötigung als Gewaltdelikt (vgl RIS Justiz RS0092084) beruhenden Verbrechens des Suchtgifthandels (§ 28a Abs 1 fünfter Fall SMG, RIS Justiz RS0091972 [T6, T7]), vorbestraften Beschwerdeführers wurde aus dessen raschem Rückfall nach Entlassung aus dem Strafvollzug wegen des zuletzt genannten Verbrechens am 12. August 2015 im Zusammenhalt mit der im Hinblick auf die angelastete Begünstigungsdelinquenz substantiierten Annahme dessen ideologischer Ausrichtung mängelfrei erschlossen (BS 8 f).

Ein Eingehen auf die gegen die Annahme von Fluchtgefahr gerichteten Ausführungen erübrigt sich (14 Os 15/13g mwN uva).

Der Beschwerde zuwider liegt eine Unverhältnismäßigkeit der Haft (§ 173 Abs 1 StPO) weder im Hinblick auf die im Fall einer Verurteilung zu erwartende Sanktion innerhalb eines Strafrahmens einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren (§ 106 Abs 1 Z 1 StGB) noch unter dem Gesichtspunkt der Bedeutung der Sache (Verdacht der Todesdrohung gegen einen Belastungszeugen in einem Strafverfahren wegen Terrorismus-Delikten) vor.

Eine Unverhältnismäßigkeit unter dem Aspekt einer Verletzung des Beschleunigungsgebots in Haftsachen (§§ 9 Abs 2, 177 Abs 1 StPO) hat der Beschwerdeführer in der Haftbeschwerde (ON 54) nicht geltend gemacht, sodass diesem Beschwerdeeinwand das Prozesshindernis der (horizontalen) Nichterschöpfung des Instanzenzugs (vgl RIS Justiz RS0114487 [T11]; Kier in WK 2 GRBG § 1 Rz 41 mwN) entgegensteht.

Der Vollständigkeit halber ist dazu anzumerken, dass in Anbetracht der Einbringung eines Strafantrags gegen den Beschwerdeführer am 10. Februar 2016 (ON 49) nach Einlangen des Abschlussberichts der Sicherheitsbehörden am 10. Dezember 2015 (ON 26) und der erforderlichen Erledigung eines Delegierungsantrags (§ 39 StPO) des Beschwerdeführers vom 26. Februar 2016 (ON 52) von einem Verstoß gegen das besondere Beschleunigungsgebot in Haftsachen vorliegend keine Rede sein kann.

Mit dem bloßen Hinweis, die Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel werde aufgrund der unbegründet gebliebenen Annahme einer gesteigerten Gefahr der neuerlichen Tatbegehung verneint, zeigt der Beschwerdeführer nicht auf, worin dem Beschwerdegericht, das die fehlende Substituierbarkeit mängelfrei aus der [durch den raschen Rückfall manifesten] „persönlichkeitsbedingt gesteigerten Gefahr der neuerlichen Tatbegehung“ ableitete (BS 9), ein Beurteilungsfehler unterlaufen wäre (vgl RIS Justiz RS0116422 [T1]), sodass die Beschwerdeausführungen zu gelinderen Mitteln lediglich in Betreff der Fluchtgefahr ins Leere gehen.

Der Beschwerdeführer wurde wie bereits die Generalprokuratur darlegte, jedoch entgegen der zu deren Stellungnahme abgegebenen Äußerung des Verteidigers - durch den angefochtenen Beschluss im Grundrecht auf persönliche Freiheit nicht verletzt, weshalb seine Beschwerde ohne Kostenzuspruch abzuweisen war (§ 8 GRBG).

Rechtssätze
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