JudikaturJustiz11Os29/14w

11Os29/14w – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Juni 2014

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. Juni 2014 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab und Mag. Lendl und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Michel und Mag. Fürnkranz als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pichler als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Matthias M***** wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wider die Versäumung der Frist zur Ausführung der Rechtsmittel sowie über dessen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung gegen das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Schöffengericht vom 17. Dezember 2013, GZ 8 Hv 90/12b 61, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung (wegen des Ausspruchs über die Strafe) werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Matthias M***** der Verbrechen des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 3, 148 zweiter Fall StGB (A./), des betrügerischen Vorenthaltens von Sozialversicherungs-beiträgen (zu ergänzen:) und Zuschlägen nach dem Bauarbeiter Urlaubs und Abfertigungsgesetz nach § 153d Abs 1, 2 und 3 StGB (B./) sowie (richtig:) der betrügerischen Krida nach §§ 15, 156 Abs 1, 161 Abs 1 StGB (C./) schuldig erkannt.

Danach hat er in W***** und andernorts als faktischer Machthaber der M***** KG (im Folgenden ML)

A./ mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz Nachgenannte durch Täuschung über Tatsachen, nämlich durch die Vorgabe ein leistungsfähiger und williger Bauunternehmer zu sein, zu Geldüberweisungen und zur Freigabe von Überweisungsbeträgen durch Banken verleitet, die die Genannten in einem insgesamt 50.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen schädigten, wobei er die schweren Betrügereien in der Absicht beging, sich durch deren wiederkehrende Begehung eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, und zwar

1./ ab 11. Juli 2011 Antje P***** zur Zahlung von 100.000 Euro, wobei er hiefür eine Gegenleistung im Wert von 51.600 Euro erbrachte (Schaden: 48.400 Euro);

2./ ab 8. Mai 2011 Robert L***** zur Zahlung von 195.000 Euro, wobei er dafür eine Gegenleistung von 55.600 Euro erbrachte (Schaden: 139.400 Euro);

3./ ab 28. Juli 2011 (richtig:) Jürgen H***** (US 13) zur Zahlung von gesamt 151.000 Euro, wobei er hiefür eine Gegenleistung im Wert von 40.445 Euro erbrachte (Schaden: 110.555 Euro);

B./ von April 2011 bis Ende September 2011 als leitender Angestellter (§ 74 Abs 3 StGB) die Beiträge der im Urteil genannten Dienstnehmer zur Sozialversicherung dem berechtigten Versicherungsträger, nämlich der B*****, betrügerisch vorenthalten, indem er insgesamt 162.254,16 Euro nicht abführte;

C./ am 12. Oktober 2011 und darauf folgenden Tagen im Zuge des Konkurses über die ML zu AZ 26 S 67/11x des Landesgerichts Eisenstadt einen Vermögensbestandteil dieses Unternehmens, nämlich eine Computer und Telefonanlage in einem nicht mehr feststellbaren, 1.870 Euro jedoch übersteigenden Wert, zu verheimlichen und dadurch die Befriedigung seiner Gläubiger zu schmälern versucht, indem er die genannte Computeranlage nicht in die von ihm erstellte Aufstellung des Anlagevermögens aufnahm und gegenüber dem Masseverwalter behauptete, dass diese im Eigentum seiner Frau stünde.

Am 18. Dezember 2013 meldete der durch einen Verteidiger vertretene Angeklagte fristgerecht Nichtigkeitsbeschwerde, „Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld und über die Strafe“ an (ON 63). Nach dem Zustellnachweis (ON 1 S 30), der nach Auskunft der Bundesrechenzentrum GmbH mit den tatsächlichen Gegebenheiten übereinstimmt (§ 285f StPO), langte die Urteilsabschrift samt den Protokollen über die Hauptverhandlung am 9. Jänner 2014 im elektronischen Empfangsbereich des Verteidigers ein. Dieser Zeitpunkt wurde von Manz mit „2014 01 09 21:16:59“ bestätigt und dem Anwender der 10. Jänner 2014 als gemäß § 89d Abs 2 GOG maßgebliche Zustellzeitpunkt angezeigt.

Am 5. Februar 2014 beantragte der Verteidiger die Frist zur Ausführung der angemeldeten Rechtsmittel zu verlängern (ON 64).

Mit am 10. Februar 2014 dem Verteidiger zugestelltem Beschluss vom 6. Februar 2014 (ON 65) bewilligte das Landesgericht Eisenstadt die Verlängerung der Frist zur Ausführung der Rechtsmittel um 14 Tage, sodass weil gemäß § 285 Abs 3 dritter Satz StPO die Zeit von der Antragstellung bis zur Bekanntmachung des Beschlusses in die Frist nicht einzurechnen ist eine Rechtsmittelfrist bis 27. Februar 2014, 24:00 Uhr zur Verfügung stand.

Am 7. Februar 2014 begehrte der Verteidiger des Angeklagten abermals eine Fristerstreckung (ON 66), wobei der Antrag vom Erstgericht mit der zutreffenden Begründung zurückgewiesen wurde, dass die Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde nur einmal verlängert werden kann (RIS Justiz RS0127793).

Mit am 2. April 2014 elektronisch eingebrachtem Schriftsatz behauptete der Verteidiger in einer Äußerung zur Stellungnahme der Generalprokuratur, dass sich die Rechtzeitigkeit der Rechtsmittelausführung aus dem angeschlossenen „ERV Rückverkehr Protokoll“ ergebe. Als Empfangs und Hinterlegungsdatum sei der 10. Jänner 2014 ausgewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Zum Wiedereinsetzungsantrag:

Mit am 10. April 2014 eingebrachtem Schriftsatz beantragte der Angeklagte unter Anschluss einer Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung wegen des Ausspruchs über die Strafe „vorsichtshalber“ die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung „des Rechtsmittels“ und brachte vor, dass das Urteil dem Verteidiger am 10. Jänner 2014 zugestellt und in den elektronischen Verfügungsbereich zugemittelt worden sei. Sofern aber von einem bereits am 9. Jänner 2014 erfolgten Einlangen und daher von einer Versäumnis der Frist zur Ausführung des Rechtsmittels auszugehen sei, habe der Verteidiger hievon erst durch die ihm am 31. März 2014 zugekommene Stellungnahme der Generalprokuratur erfahren. Da das „ERV Rückverkehr Protokoll“ als Datum des Empfangs und der Hinterlegung unzweifelhaft den 10. Jänner 2014 ausgewiesen habe, sei dem Verteidiger nicht bekannt gewesen, dass die Rechtsmittelfrist bereits am 27. Februar 2014 abgelaufen sei. So gesehen basiere die Versäumung der Frist auf einem unvorhergesehenen und unabwendbaren Ereignis, wobei weder dem Angeklagten noch seinem Verteidiger ein Versehen zur Last gelegt werden könne.

Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Ausführung der Rechtsmittel wird in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Ge neralprokuratur zu Unrecht begehrt.

Soweit der Verteidiger gestützt auf das von ihm vorgelegte „Protokoll über den Rückverkehr“ ein am 10. Jänner 2014 erfolgtes Einlangen in „seinem“ elektronischen Verfügungsbereich behauptet, ist er auf die aus der vorgelegten Urkunde gleich am Beginn ersichtlichen Daten des Rückverkehrs zu verweisen („mid://20140109...“), die das erstmalige Einlangen in seinen elektronischen Empfangsbereich dokumentieren (§ 4 ERV 2006). Das von einer Übermittlung des Urteils in den elektronischen Empfangsbereich sowie von Zustellung, Hinterlegung und Empfang jeweils am 10. Jänner 2014 ausgehende Vorbringen verkennt, dass § 89d Abs 2 GOG zwischen dem Zustellzeitpunkt und dem Zeitpunkt des Einlangens in den elektronischen Verfügungsbereich des Empfängers unterscheidet. Nach einer vom Obersten Gerichtshof im Wege der Generalprokuratur eingeholten Stellungnahme der Bundesrechenzentrum GmbH vom 8. April 2014 wurde das Einlangen der bereits zugestellten Erledigung in den Verfügungsbereich des Empfängers mit 9. Jänner 2014, und ein weiteres Mal, mit „2014 01 10 00:05:52“ bestätigt, als Zustellzeitpunkt der 10. Jänner 2014 angezeigt. Nach § 89d Abs 2 GOG gilt als Zustellzeitpunkt elektronisch übermittelter gerichtlicher Eingaben jeweils der auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich folgende Werktag, wobei Samstage nicht als Werktage gelten. Dabei wird dem Empfänger vom automationsunterstützten System als Zustellzeitpunkt lediglich der gemäß § 89d Abs 2 StPO berechnete Tag, also der auf das Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich folgende Werktag angezeigt, sodass das vom Wiedereinsetzungswerber behauptete Einlangen in den elektronischen Verfügungsbereich am Tag der Zustellung schlicht auszuschließen ist. Der protokollbedingt behauptete Irrtum des Verteidigers stellt deswegen kein Versehen minderen Grades dar, weil von einem gewissenhaften und umsichtigen Rechtsanwalt zu erwarten gewesen wäre, dass er aufgrund des mit 9. Jänner 2014 dokumentierten Rückverkehrs nicht von einem mit § 89d Abs 2 StPO sichtlich in Widerspruch stehenden Zustellzeitpunkt ausgeht, sondern im Fall widersprüchlicher Dokumentation weitere Recherchen, etwa durch Rücksprache mit dem Gericht anstellt.

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Die Ausführung der vom Angeklagten aus Z 4, 5, 5a, 9 lit a und 11 des § 281 Abs 1 StPO ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde langte am 28. Februar 2014, sohin verspätet bei Gericht ein. Da in der Rechtsmittelanmeldung keine Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt bezeichnet wurden und auf die in der verspäteten Ausführung geltend gemachten Gründe nicht Bedacht zu nehmen ist (RIS Justiz RS0100168), war die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten daher ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur gemäß §§ 285a Z 2, 285d Abs 1 Z 1 StPO bereits bei nichtöffentlicher Beratung zurückzuweisen.

Von Amts wegen wahrzunehmende Nichtigkeitsgründe liegen nicht vor.

Zur Entscheidung über die Berufung gegen den Strafausspruch ist somit das Oberlandesgericht Wien zuständig (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.