JudikaturJustiz11Os171/12z

11Os171/12z – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Februar 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Februar 2013 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Zellinger als Schriftführer, in der Strafsache gegen Andreas W***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1, Abs 2 SMG, AZ 12 U 29/08d des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien, über die von der Generalprokuratur gegen den Beschluss dieses Gerichts vom 30. Jänner 2012, GZ 12 U 29/08d-68, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Ulrich, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. Jänner 2012, GZ 12 U 29/08d-68, verletzt den aus dem 16. Hauptstück abzuleitenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen sowie § 270 Abs 3 erster Satz StPO.

Dieser Beschluss wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit Beschluss vom 27. Oktober 2009 stellte der Einzelrichter des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien das zum AZ 12 U 29/08d geführte Verfahren gegen Andreas W***** wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1, Abs 2 SMG mit Einverständnis der Staatsanwaltschaft unter diversen Auflagen und unter Bestimmung einer zweijährigen Probezeit gemäß § 35 Abs 1 SMG iVm § 37 SMG vorläufig ein (ON 53).

Dieser Beschluss wurde dem Angeklagten am 5. November 2009 durch Hinterlegung zugestellt (Rsa Brief bei ON 53).

Nachdem das Schriftstück wie auch zahlreiche andere Schriftstücke davor und danach von Andreas W***** nicht behoben worden war, veranlasste der Einzelrichter am 25. November 2009 Erhebungen zur Ortsanwesenheit des Andreas W*****. Die richterliche Verfügung langte allerdings erst am 1. Juni 2010 (!) in der Geschäftsabteilung ein (ON 1).

Am 14. Juni 2010 wurde der Beschluss dem Angeklagten auf Veranlassung des Gerichts von Polizeibeamten erneut zugestellt (vgl Aktenvermerk vom 7. Juli 2010, ON 1 und RSa Brief bei ON 55).

Anhaltspunkte für eine Abwesenheit von der Abgabestelle im November 2009, wurden von Andreas W***** nicht dargetan (ON 57).

Am 18. Oktober 2011 erklärte die Staatsanwaltschaft Wien nach Beischaffung aktueller Therapiebestätigungen, „keinen Einwand gegen neuerliche beschlussmäßige vorläufige Einstellung des Verfahrens gegen Andreas W***** gemäß § 37 SMG iVm § 35 Abs 6 SMG mit der Auflage des § 11 Abs 2 Z 2 SMG für eine Probezeit von zwei Jahren unter Verzicht auf Pauschalkosten“ zu erheben (ON 1 letztes Blatt; ON 64).

Mit Beschluss vom 12. Jänner 2012 stellte das Bezirksgericht Innere Stadt Wien das Verfahren gegen Andreas W***** wegen § 27 Abs 1 Z 1 und Abs 2 SMG gemäß § 38 Abs 3 SMG nach Ablauf der Probezeit von zwei Jahren endgültig ein (ON 66).

Am 19. Jänner 2012 beantragte die Staatsanwaltschaft Wien nach Zustellung des Einstellungsbeschlusses im Wege der Aktenübermittlung diesbezüglich eine „Korrektur iSd ha. Vfg. Pkt. 2 vom 18. 11. 11 (vorläufige Einstellung)“ (ON 66).

Mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 30. Jänner 2012 (ON 68) „berichtigte“ das Bezirksgericht Innere Stadt Wien den Beschluss vom 12. Jänner 2012 dahingehend, dass das gegen Andreas W***** wegen § 27 Abs 1 und Abs 2 SMG anhängige Verfahren gemäß § 37 SMG vorläufig für eine Probezeit von zwei Jahren eingestellt wird und dem Gericht in halbjährlichen Abständen Therapiebestätigungen zu übermitteln sind. Dies mit der Begründung, dass „aufgrund der irrtümlichen Verwendung eines falschen Formblatts das Verfahren gegen Andreas W***** mit Beschluss vom 12. Jänner 2012 endgültig eingestellt wurde, obwohl das Einstellungsverfahren nunmehr erst eingeleitet wurde“.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde im Ergebnis zutreffend aufzeigt, steht der Beschluss vom 30. Jänner 2012 mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Die unter dem Titel der Berichtigung vorgenommene Abänderung der Sachentscheidung verletzt den aus dem 16. Hauptstück der Strafprozessordnung abzuleitenden Grundsatz der Bindungswirkung gerichtlicher Entscheidungen. Nach Übergabe des Beschlusses an die Gerichtskanzlei zur Ausfertigung ist das Gericht an seine eigene Entscheidung gebunden, eine Korrektur des Ausspruchs ist ihm ohne prozessordnungsgemäße Kassation des Beschlusses verwehrt. Eine Behebung oder Abänderung kann nur noch im Anfechtungsweg erfolgen (RIS-Justiz RS0091907; Lewisch , WK StPO Vor §§ 352-363 Rz 34).

Gemäß § 270 Abs 3 erster Satz StPO sind in Urteilen Schreib- und Rechenfehler, ferner solche Formgebrechen und Auslassungen, die nicht die im § 260 Abs 1 Z 1 bis 3 und Abs 2 StPO erwähnten Punkte betreffen, berichtigungsfähig. Auch die (in analoger Anwendung der Bestimmung grundsätzlich zulässige) Berichtigung eines Beschlusses unterliegt diesen Beschränkungen (RIS-Justiz RS0098933; Fabrizy , StPO 11 § 86 Rz 3, § 270 Rz 12 f, 16; Danek , WK-StPO § 270 Rz 51, 55). Demzufolge widerspricht der sich auf einen nicht berichtigungsfähigen Punkt beziehende Beschluss § 270 Abs 3 erster Satz StPO.

Der Vollständigkeit halber ist im Übrigen festzuhalten, dass nach einer vorläufigen Einstellung eines Strafverfahrens lediglich dessen Fortsetzung (§ 38 Abs 1 SMG) oder eine endgültige Verfahrenseinstellung in Betracht kommt (§ 38 Abs 3 SMG).

Die Generalprokuratur zeigt in Bezug auf den hier nicht gegenständlichen Beschluss vom 12. Jänner 2012 zutreffend auf, dass die Staatsanwaltschaft durch den Antrag auf „Korrektur“ im Sinne einer vorläufigen Einstellung gerade noch hinreichend deutlich ihren Anfechtungswillen zum Ausdruck gebracht hat. Da eine unrichtige Bezeichnung des Rechtsmittels unbeachtlich ist, wäre die angeführte Erklärung der Staatsanwaltschaft nach ihrem Inhalt als eine an das Rechtsmittelgericht vorzulegende Beschwerde iSd § 88 Abs 1 erster Satz StPO zu werten (vgl RIS-Justiz RS0098965). Die Vorlage der - offensichtlich nicht als solche erkannten - Beschwerde an das Rechtsmittelgericht wurde bisher vom Bezirksgericht unterlassen.

Soweit die Generalprokuratur gegen die Richtigkeit des Beschlusses vom 12. Jänner 2012 aber weiters einwendet, dass die Probezeit nicht verkürzbar sei und erst am 14. Juni 2012 abgelaufen sei, kann ihr nicht gefolgt werden. Der Lauf der Frist beginnt mit dem Tag, an dem das Dokument nach erfolglosem Zustellversuch erstmals zur Abholung bereit gehalten wurde, also am 5. November 2009. Hinterlegte Dokumente gelten nur dann nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger (bzw hier nicht von Bedeutung, dessen Vertreter) iSd § 13 Abs 3 Zustellgesetz wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte (§ 17 Abs 3 letzter Satz Zustellgesetz). Eine solche Abwesenheit wurde von Andreas W***** im Zuge der Erhebungen zur Ausschreibung zur Aufenthaltsermittlung nicht behauptet (vgl ON 57 „ständig wohnhaft“), weshalb die Probezeit bereits am 5. November 2011 abgelaufen ist. Ist ein Dokument zugestellt, so löst die neuerliche Zustellung des gleichen Dokuments (hier am 14. Juni 2010 durch einen Polizeibeamten) nach § 6 Zustellgesetz keine Rechtswirkungen mehr aus.

Da sich der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 30. Jänner 2012 (ON 68) zum Nachteil des Angeklagten auswirkt, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, der Feststellung der Gesetzesverletzung konkrete Wirkung zuzuerkennen (§ 292 letzter Satz StPO). Falls das Rechtsmittel von der Staatsanwaltschaft aufrecht erhalten wird, hätte das Bezirksgericht mit der Vorlage der Beschwerde an das Rechtsmittelgericht vorzugehen.