JudikaturJustiz11Os166/78

11Os166/78 – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Januar 1979

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Jänner 1979 unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Borutik, in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Dienst, Dr.Kießwetter, Dr.Schneider und Dr.Walenta als Richter sowie des Richteramtsanwärters Mag.Liebetreu als Schriftführer in der Strafsache gegen Wilhelm A wegen des Verbrechens des Vernachlässigens eines Unmündigen nach dem § 92 Abs 2 und Abs 3 (3. Fall) StGB sowie anderer strafbarer Handlungen über die vom Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 5.September 1978, GZ 5d Vr 3049/78-70, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Votrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr.Kießwetter, der Ausführungen des Verteidigers, Rechtsanwalt Dr.Olischar (Rechtsanwalt Dr.Winterstein) und der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr.Scheibenpflug, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Punkt 1.) des Urteilsspruches (Vernachlässigung der Verpflichtung zur Obhut des minderjährigen Franz A) und demgemäß auch im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen. Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde verworfen. Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 12.Jänner 1954 geborene beschäftigungslose Wilhelm A des Verbrechens des Vernachlässigens eines Unmündigen nach dem § 92 Abs 2 und 3 (3.Fall) StGB, des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach dem § 136 Abs 1

und 2 StGB sowie des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach dem § 269 Abs 1 StGB schuldig erkannt. Gegen die Schuldsprüche wegen des erstgenannten Verbrechens und des zuletzt genannten Vergehens wendet sich der Angeklagte mit einer auf die Nichtigkeitsgründe der Z 5 und 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der teilweise Berechtigung zukommt.

Rechtliche Beurteilung

Mit seiner ausdrücklich den Nichtigkeitsgrund der Z 5 der genannten Gesetzesstelle relevierenden Mängelrüge bekämpft der Angeklagte den Schuldspruch wegen des Vergehens des Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach dem § 269 Abs 1 StGB, der ihm anlastet, am 16.März 1978

in Wien durch das Versetzen eines Fußtrittes in den Unterleib den Polizeibeamten Alois B, der im Begriff war, ihn festzunehmen und zum Wachzimmer zu eskortieren, mit Gewalt an einer Amtshandlung gehindert zu haben.

Das Beschwerdevorbringen erschöpft sich hiebei in der Behauptung, das Erstgericht sei auf die Verantwortung des Angeklagten, welcher das vorsätzliche Versetzen eines Fußtrittes bestritt, nicht eingegangen und habe nicht begründet, warum es diesem Vorbringen keinen Glauben geschenkt habe; der gute persönliche Eindruck des Zeugen B auf das Gericht schließe einen Irrtum in seiner Aussage nicht aus und könne 'kein Ersatz für die Begründungspflicht des Gerichtes sein'.

Dem genügt es zu erwidern, daß das Erstgericht seine Feststellungen nicht nur auf die Aussage des Zeugen B, sondern primär auf die eigene Verantwortung des Angeklagten gründete, der in der Hauptverhandlung seine Angaben im Vorverfahren bestätigte, wonach er dem Polizeibeamten einen Fußtritt versetzt habe, und überdies die Richtigkeit seiner ihm vorgehaltenen polizeilichen Angaben (S 345) bekräftigte (S 433), in denen er sogar ausdrücklich zugegeben hatte, den amtshandelnden Sicherheitswachebeamten mit dem rechten Fuß in den Unterleib getreten zu haben, weil er sich 'unbedingt der drohenden Festnahme widersetzen wollte'. Wenn das Erstgericht aber ungeachtet dessen, daß der Angeklagte in der Hauptverhandlung abschwächende Angaben - im Sinne einer mangelhaften Erinnerung an den Vorgang - machte, an der Richtigkeit der ursprünglichen Angaben des Angeklagten nicht zweifelte und auch dem Zeugen B - der den inkriminierten Sachverhalt in der Hauptverhandlung vollinhaltlich bestätigte - auf Grund des von diesem gewonnenen persönlichen Eindruckes Glauben schenkte (S 445), dann setzte es damit einen Akt freier Beweiswürdigung (§ 258 Abs 2 StPO). Es kam aber auch seiner Begründungspflicht dadurch, daß es auf eben diesen Eindruck verwies - dessen Wirkung auf das Gericht als komplexer innerer Vorgang einer genauen Analyse weder fähig ist noch bedarf - und zur Verantwortung des Angeklagten in Beziehung setzte, in vollständiger Weise nach. Der behauptete Begründungsmangel liegt daher nicht vor, weswegen der Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Punkt der Anfechtung kein Erfolg beschieden sein konnte.

Dagegen erweist sich die Nichtigkeitsbeschwerde insoweit als berechtigt, als der Beschwerdeführer im Zuge seiner Ausführungen zum geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nach der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO einen Begründungsmangel in bezug auf die zur inneren Tatseite des Verbrechens nach dem § 92 Abs 2 und 3 StGB getroffenen Feststellungen releviert.

Der Tatbestand des § 92 Abs 2 StGB verlangt den (zumindest bedingten) Vorsatz des Täters in Ansehung der Pflichtvernachlässigung, wobei diese Schuldform auch alle jene Modalitäten der Tat umfassen muß, die diese Pflichtverletzung als gröblich erscheinen lassen. Gröblichkeit in diesem Sinn liegt aber dann vor, wenn der Täter durch seine Tat zu erkennen gibt, daß es ihm an der Bereitschaft, seinen Pflichten nachzukommen, erheblich mangelt, also sein pflichtwidriges Verhalten in einem auffallenden Mißverhältnis zu jenem Maß an Fürsorge oder Obhut steht, dessen Aufwendung unter den konkreten Tatumständen allgemein erwartet wird. Wenngleich - insbesondere im Falle der Herbeiführung einer Entwicklungsschädigung - in der Regel nur sich über einen längeren Zeitraum erstreckende (wiederkehrende) Vernachlässigungen der Fürsorge- oder Obhutspflicht dem Erfordernis der Gröblichkeit genügen werden, schließt eine einmalige, auch relativ kurzfristige Pflichtverletzung dieser Art ihre Beurteilung als gröblich - speziell in Richtung einer Schädigung der Gesundheit - wegen ihrer besonderen Schwere und Bedeutung im Einzelfall nicht aus. Das Erstgericht hat wohl ausdrücklich festgestellt, daß es der Angeklagte ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, durch sein Verhalten seine Verpflichtung zur Obhut seines Neffen gröblich zu vernachlässigen (S 442). Dieser Feststellung fehlt es aber nur dann nicht an einem - insbesondere das normative Tatbestandsmerkmal der Gröblichkeit wertausfüllenden - Tatsachensubstrat, wenn man die weitere Urteilsannahme, der Angeklagte habe gewußt, daß sein Neffe unbeaufsichtigt neben dem eingeschalteten Strahler schlief (S 442), hiezu in Beziehung setzt und dahin versteht, der Angeklagte sei sich der sich daraus ergebenden besonderen Gefahrensituation für die Gesundheit des Kindes bewußt gewesen.

Jedoch diese Tatsachenfeststellung findet, worauf der Beschwerdeführer mit Recht verweist, in der vom Erstgericht als alleinige Feststellungsgrundlage herangezogenen (S 443) Verantwortung des Angeklagten keine Deckung. Denn dieser ist vielmehr zu entnehmen, daß der Angeklagte gerade deshalb, um seiner Obhutspflicht zu entsprechen, den vorübergehend ausgeschalteten Heizstrahler wieder in Betrieb setzte, wobei er beim Verlassen der Wohnung darauf vergaß, das Gerät auszuschalten (S 97 f), sich also der konkreten Gefahrensituation gar nicht bewußt wurde (S 432). Der Inhalt der vom Erstgericht als Geständnis bezeichneten Verantwortung des Angeklagten, die fraglos für die rechtliche Annahme fahrlässigen Verhaltens ausreicht, bietet daher keine Grundlage für die oben erwähnten, als bedingt vorsätzliches Handeln gewerteten Urteilsfeststellungen.

Dieser Begründungsmangel bewirkt die Urteilsnichtigkeit nach der Z 5 des § 281 Abs 1 StPO Somit war der Nichtigkeitsbeschwerde in diesem Belang Folge zu geben und gemäß dem § 288 Abs 2 Z 1 StPO wie im Spruche zu erkennen.

Im erneuerten Verfahren wird das Erstgericht, sollte es sich außerstande sehen, mit zureichender Begründung Feststellungen zu treffen, die - insbesondere in subjektiver Hinsicht - eine Subsumtion des Täterverhaltens unter den Tatbestand des § 92 Abs 2 (und 3) StGB zu rechtfertigen vermögen, auch näher zu untersuchen haben, mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit nach der Art der Aufstellung des Heizgerätes der Eintritt des Schadens zu erwarten war und ob vom Angeklagten die dadurch allenfalls qualitativ verschärfte Gefahrenlage (§ 81 Z 1 StGB - vgl ÖJZ-LSK 1977/175) erkannt werden konnte.

Mit seiner durch die Aufhebung des Urteiles im Strafausspruch gegenstandslos gewordenen Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.