JudikaturJustiz11Os162/11z

11Os162/11z – OGH Entscheidung

Entscheidung
16. Februar 2012

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 16. Februar 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters MMag. Krasa als Schriftführer, in der Strafsache gegen Said-Ahmed D***** wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 23. Mai 2011, GZ 217 U 1/11a-52, und den gleichzeitig mit dieser Entscheidung ergangenen Beschluss auf Widerruf einer bedingten Strafnachsicht sowie den Beschluss dieses Gerichts vom 31. August 2011, GZ 217 U 1/11a-60, auf Abschöpfung der Bereicherung erhobenen Nichtigkeitsbeschwerden zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Fürnkranz, zu Recht erkannt:

Spruch

Im Verfahren AZ 217 U 1/11a des Bezirksgerichts Graz-Ost verletzen das Gesetz

(I) der Beschluss vom 23. Mai 2011 (ON 52) auf Widerruf der zum AZ 8 Hv 59/10f des Landesgerichts für Strafsachen Graz gewährten bedingten Strafnachsicht in § 495 Abs 2 StPO und

(II) der Beschluss vom 31. August 2011 (ON 60) auf Abschöpfung der Bereicherung gemäß § 20 Abs 1 StGB idF BGBl I 2002/134 in § 443 Abs 1 und 2 letzter Halbsatz StPO idF BGBl I 2007/93.

Der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 23. Mai 2011, GZ 217 U 1/11a-52, wird aufgehoben und dem Landesgericht für Strafsachen Graz aufgetragen, über den Widerruf bedingter Strafnachsicht im Verfahren AZ 8 Hv 59/10f zu entscheiden.

Der Beschluss des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 31. August 2011, GZ 217 U 1/11a-60, wird ersatzlos aufgehoben.

Die gegen das Urteil des Bezirksgerichts Graz Ost vom 23. Mai 2011, GZ 217 U 1/11a-52, gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Mit in Rechtskraft erwachsenem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 13. Oktober 2010, GZ 8 Hv 59/10f-30, wurde Said-Ahmet D***** der Vergehen des Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs 1 erster Fall StGB, der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs 1, 84 „Abs 1 und“ Abs 2 Z 4 StGB sowie des Diebstahls nach §§ 15, 127 StGB schuldig erkannt und zu einer für eine Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Gemäß § 50 Abs 1 StGB wurde für die Dauer der Probezeit Bewährungshilfe angeordnet.

Nachdem die Probezeit aus Anlass einer neuerlichen Verurteilung durch das Landesgericht für Strafsachen Graz am 2. Mai 2011, AZ 12 Hv 28/11b, beschlussmäßig auf fünf Jahre verlängert worden war (ON 50 in den Akten des Bezirksgerichts Graz-Ost, AZ 217 U 1/11a), wurde Said-Ahmet D***** mit rechtskräftigem und gekürzt ausgefertigtem Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 23. Mai 2011, GZ 217 U 1/11a-52, wegen jeweils am 3. Juni 2009 begangener Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und der Sachbeschädigung nach § 125 StGB (1a und b) sowie des von 23. Mai 2009 bis 1. März 2010 verübten Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG (2) schuldig erkannt und unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 13. Oktober 2010, GZ 8 Hv 59/10f-30, gemäß §§ 31, 40 StGB von der Verhängung einer Zusatzstrafe abgesehen.

Der Schuldspruch nach dem Suchtmittelgesetz erfolgte, weil Said-Ahmet D***** im genannten Tatzeitraum in Graz „den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgift, nämlich eine unbekannte Menge Cannabiskraut und 0,4 Gramm Heroin erworben, besessen und das Cannabiskraut konsumiert“ hat. Als erschwerend wertete das Gericht das Zusammentreffen von drei Vergehen.

Mit unter einem verkündeten Beschluss widerrief das Bezirksgericht ohne den Bewährungshelfer gehört und Einsicht in die Akten über die frühere Verurteilung oder in eine Abschrift des früheren Urteils genommen zu haben (vgl § 494a Abs 3 erster und letzter Satz StPO) die mit dem eingangs genannten Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz gewährte bedingte Strafnachsicht.

Die Staatsanwaltschaft Graz hatte Erhebungen zum Vorliegen der in Abs 3 bis 7 des § 35 SMG iVm § 37 SMG genannten Voraussetzungen durchgeführt, jedoch nach Einlangen der Mitteilung durch das Gesundheitsamt Graz, dass Said-Ahmed D***** den beiden eigenhändig zugestellten Ladungen (RSa) zur ärztlichen Begutachtung (§ 35 Abs 5 SMG) keine Folge geleistet habe (ON 6 in ON 42), die Anklage eingebracht.

Mit weiterem Beschluss vom 31. August 2011 (ON 60, im vorgelegten Kopienakt disloziert angeheftet an der ON 3 in ON 42) ordnete die Bezirksrichterin an, dass „der im Zuge der Personenuntersuchung am 17. 8. 2009 konfiszierte Bargeldbetrag in Höhe von € 20,-- (1 Stk. 20,-- € Banknote) gerichtlich abgeschöpft“ wird.

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur gemäß § 23 Abs 2 StPO zutreffend ausführt, stehen der zugleich mit dem Urteil des Bezirksgerichts Graz-Ost vom 23. Mai 2011 gefasste Widerrufsbeschluss sowie der Beschluss dieses Gerichts vom 31. August 2011 auf Abschöpfung der Bereicherung mit dem Gesetz nicht im Einklang.

1. Nach § 55 Abs 1 StGB ist die bedingte Nachsicht einer Strafe zu widerrufen, wenn eine nachträgliche Verurteilung gemäß § 31 StGB erfolgt und eine bedingte Nachsicht bei gemeinsamer Aburteilung nicht gewährt worden wäre. Nach (mittlerweile langjähriger) ständiger Rechtsprechung richtet sich die Zuständigkeit zur Entscheidung über den Widerruf bei nachträglicher Verurteilung (§ 55 StGB) nach § 495 Abs 2 StPO und nicht nach § 494a Abs 1 StPO (RIS-Justiz  RS0111521; Jerabek in WK 2 § 55 Rz 5). Sie kam somit nicht dem Bezirksgericht Graz-Ost, sondern dem Landesgericht für Strafsachen Graz im Verfahren AZ 8 Hv 59/10f zu (§ 495 Abs 2 zweiter Satzteil StPO).

2. Über die vom Bezirksgericht Graz-Ost in richtiger Anwendung der §§ 1, 61 StGB (dazu RIS-Justiz RS0119545 [insb T4]) angeordnete Abschöpfung der Bereicherung nach § 20 Abs 1 StGB (idF BGBl I 2002/134) ist gemäß der durch das strafrechtliche Kompetenzpaket BGBl I 2010/108 insoweit unverändert gebliebenen Bestimmung des § 443 Abs 1 StPO grundsätzlich im Strafurteil zu entscheiden. Nur wenn die Ergebnisse weder an sich noch nach Durchführung von Beweisaufnahmen ausreichen, um über die im Abs 1 des § 443 StPO angeführten vermögensrechtlichen Maßnahmen verlässlich urteilen zu können, kann gemäß Abs 2 leg cit ihr Ausspruch durch Beschluss einer gesonderten Entscheidung (§§ 445, 445a StPO) vorbehalten werden, außer welchem Fall eine solche Anordnung nicht mehr zulässig ist.

Die im gegebenen Fall ohne Urteilsvorbehalt (was von der Staatsanwaltschaft unangefochten blieb) und nachträglich mit gesondertem Beschluss vom 31. August 2011 (ON 60) erfolgte Abschöpfung eines Bargeldbetrags widerspricht daher § 443 Abs 1 und 2 StPO.

Da die aufgezeigten Gesetzesverletzungen geeignet sind, zum Nachteil des Verurteilten zu wirken, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, deren Feststellung mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Somit wird das Landesgericht für Strafsachen Graz zu AZ 8 Hv 59/10f über den Widerruf der in diesem Verfahren gewährten bedingten Strafnachsicht zu beschließen haben.

Die Generalprokuratur erblickt darüber hinaus in dem im Urteil vom 23. Mai 2011 (ON 52) ergangenen Schuldspruch (2) wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 erster und zweiter Fall SMG durch die Unterlassung von das Vorliegen diversioneller Voraussetzungen und der Tatprivilegierung nach § 27 Abs 2 SMG ausschließenden Feststellungen in der gekürzten Urteilsausfertigung eine Verletzung des § 270 Abs 4 Z 2 iVm § 447 StPO.

Der Oberste Gerichtshof hat hiezu erwogen:

Im Fall einer Verurteilung hat die gekürzte Urteilsausfertigung neben den wesentlichen Bestandteilen des Urteils (§ 270 Abs 2 StPO) auch die vom Gericht als erwiesen angenommenen Tatsachen in gedrängter Darstellung zu enthalten (§ 270 Abs 4 Z 2 StPO), sodass insgesamt die rechtliche Beurteilung des Sachverhalts nachvollziehbar und überprüfbar ist (RIS-Justiz RS0125764). In der gekürzten Urteilsausfertigung müssen daher die einen bestimmten Strafsatz bedingenden und gegebenenfalls auch die eine gesetzlich mögliche Privilegierung ausschließenden Tatumstände ausdrücklich hervorgehoben werden (RIS-Justiz RS0101786; zum Bezugspunkt der Anfechtung vgl Ratz , WK StPO § 292 Rz 6). Die Pflicht, zu einem Ausnahmesatz in tatsächlicher Hinsicht Stellung zu beziehen, besteht allerdings nur dann, wenn dieser durch ein in der Hauptverhandlung vorgekommenes (vgl § 258 Abs 1 StPO) Sachverhaltssubstrat indiziert ist (RIS-Justiz RS0122332 [T4]).

Vorliegend hat das Bezirksgericht den Erwerb und Besitz (§ 27 Abs 1 erster und zweiter Fall SMG) von Heroin und Cannabiskraut konstatiert und dem Angeklagten insoweit wie die Strafzumessungserwägungen (ON 52 S 3) ersichtlich machen lediglich ein Vergehen zur Last gelegt. Der Verweis auf den Eigenkonsum des Cannabiskrauts im Ausspruch nach § 260 Abs 1 Z 1 StPO bringt ferner hinreichend deutlich zum Ausdruck, dass der Angeklagte nur dieses Suchtgift zum persönlichen Gebrauch erworben und besessen hatte. Demgegenüber traf das Gericht eine derartige Aussage zum Heroinerwerb und -besitz des Angeklagten gerade nicht, womit der angefochtenen Entscheidung keine einen Rechtsfehler durch Nichtannahme der Privilegierungsbestimmung des § 27 Abs 2 SMG bewirkende Konstatierung zu entnehmen ist, dass der Angeklagte die abgeurteilte Straftat nach § 27 Abs 1 SMG ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begangen hat. Ob im Hinblick auf in der Hauptverhandlung vorgekommene (indizierende) Verfahrensergebnisse Feststellungen in Betreff des genannten Ausnahmesatzes zu treffen gewesen wären, kann angesichts des nach § 271 Abs 1a StPO abgefassten, demgemäß die Bezeichnung der verlesenen und vorgetragenen Schriftstücke nicht enthaltenden Protokollvermerks nicht beurteilt werden, sodass eine Gesetzesverletzung nicht auszumachen ist. Gleiches gilt für die Frage, ob das Bezirksgericht aufgrund von in der Hauptverhandlung allenfalls vorgekommenen (den aktenkundigen Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens aber entgegen stehenden) Umständen verpflichtet gewesen wäre, Konstatierungen zum Nichtvorliegen der Diversionsvoraussetzungen nach § 35 Abs 1 iVm § 37 SMG zu treffen.

Insoweit war daher die Nichtigkeitsbeschwerde zu verwerfen.

Rechtssätze
3