JudikaturJustiz11Os132/01

11Os132/01 – OGH Entscheidung

Entscheidung
02. Oktober 2001

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 2. Oktober 2001 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kuch als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Ebner, Dr. Habl, Dr. Zehetner und Dr. Danek als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Albel als Schriftführerin, in der Strafsache gegen El Sayed Galal S***** wegen des Vergehens der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen, AZ 3 d E Vr 6045/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes wider den Vorgang, dass der Einzelrichter die Akten der Ratskammer zur Entscheidung über die Anordnung einer Rufdatenrückerfassung vorlegt und die Ratskammer hierüber entschieden hat, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Kirchbacher, des Verurteilten und seines Verteidigers Dr. Kral, zu Recht erkannt:

Spruch

In der Strafsache gegen El Sayed Galal S***** wegen § 105 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 3 d E Vr 6045/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien, wurde das Gesetz durch die vom Einzelrichter verfügte Aktenvorlage an die Ratskammer zur Entscheidung über die Anordnung einer Rufdatenrückerfassung und durch die Beschlüsse der Ratskammer dieses Gerichtes vom 30. August 2000 und vom 27. September 2000, GZ 3 d E Vr 6045/00-15 und 3 d E Vr 6045/00-17, in den Bestimmungen der §§ 149b Abs 1, 254 Abs 2 und 488 Z 4 verletzt.

Text

Gründe:

Im Einzelrichterverfahren 3 d E Vr 6045/00 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wurde gegen El Sayed Galal S***** der Anklagevorwurf erhoben, am 28. Juni 2000 in Wien Andrea B*****, seine frühere Lebensgefährtin, im Straßenverkehr zu Notbremsungen genötigt sowie mit zumindest einer Verletzung am Körper gefährlich bedroht und hiedurch die Vergehen der Nötigung nach § 105 Abs 1 StGB und der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB begangen habe (ON 3). In der Hauptverhandlung vom 8. August 2000 leugnete der Beschuldigte die ihm vorgeworfenen Taten und behauptete, er sei am 28. Juni 2000 von Andrea B***** angerufen und mit dem Umbringen bedroht worden (S 79). Ein Zeuge gab zum inkriminierten Nötigungsgeschehen an, dass von seinem Mobiltelefon aus die Polizei verständigt worden sei (S 83). Der Einzelrichter hielt daraufhin eine Rufdatenrückerfassung für angebracht. Er vertagte die Hauptverhandlung unter anderem zur Durchführung dieser Maßnahme (S 87) und legte den Akt der Ratskammer mit einer Äußerung über Umfang, Grund und Zielrichtung des Erhebungschrittes zur Entscheidung vor (ON 13).

Mit Beschluss vom 30. August 2000 ordnete die Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien die Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch Rufdatenrückerfassung hinsichtlich der vom Einzelrichter genannten Telefonanschlüsse für den Zeitraum 28. Juni 2000, 13.00 bis 15.30 Uhr, an (ON 15). Mit Beschluss der Ratskammer vom 27. September 2000 wurde die Anordnung wegen eines Schreibfehlers hinsichtlich einer Telefonnummer berichtigt und auf Grund eines Antrags des Beschuldigten (ON 11) auf zwei weitere Telefonanschlüsse ausgedehnt (ON 17).

Nach Durchführung der Rufdatenrückerfassung wurde El Sayed Galal S***** am 23. November 2000 in der gemäß § 276a StPO neu durchgeführten Hauptverhandlung unter anderem der eingangs genannten strafbaren Handlungen schuldig erkannt und zu einer zum Teil bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt (ON 27 und 28). Seiner dagegen erhobenen Berufung gab das Oberlandesgericht Wien mit Urteil vom 15. März 2001 (ON 39) nicht Folge. Der Vollzug des unbedingten Teils der Freiheitsstrafe wurde bis zum Ablauf des 14. November 2001 aufgeschoben (ON 46).

Rechtliche Beurteilung

Die vom Einzelrichter verfügte Aktenvorlage an die Ratskammer zur Entscheidung über die Anordnung einer Rufdatenrückerfassung und die Beschlüsse der Ratskammer des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 30. August 2000 und vom 27. September 2000, GZ 3 d E Vr 6045/00-15 und 3 d E Vr 6045/00-17, stehen, wie der Generalprokurator mit seiner deshalb gemäß § 33 Abs 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zutreffend aufzeigt, mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Nach § 149b Abs 1 StPO kommt die Anordnung der Überwachung des Fernmeldeverkehrs (zur hier aktuellen Form der Datenerfassung siehe EvBl 2001/115) - abgesehen von der "Eilkompetenz" des Untersuchungsrichters bei Gefahr in Verzug - der Ratskammer zu. Diese im Rahmen der Regelung des Vorverfahrens stehende Bestimmung und die übrigen Vorschriften der §§ 149a bis 149c StPO, die weitere Aufgaben betreffend die Überwachung des Fernmeldeverkehrs dem Untersuchungsrichter zuweisen, sind hinsichtlich der Anwendungskompetenz in der Hauptverhandlung im Sinne des Grundsatzes der amtswegigen Wahrheitsforschung (§ 3 StPO) modifiziert, gemäß dem es in diesem Verfahrensabschnitt nicht dem Untersuchungsrichter oder der Ratskammer, sondern allein dem erkennenden Gericht zukommt, die Wahrheit zu erforschen und alle zur Belastung und zur Verteidigung des Beschuldigten dienenden Umstände mit gleicher Sorgfalt zu berücksichtigen (§§ 254, 276 und 488 Z 2 und 4 StPO). Im Stadium der Hauptverhandlung ist das erkennende Gericht befugt, zur Überprüfung der vom Ankläger erhobenen Anschuldigung von sich aus Beweismittel herbeizuschaffen und Beweise zu erheben ("diskretionäre Gewalt"). Es ist bei der Sammlung des für die Urteilsfindung als entscheidend angesehenen Prozessstoffs, wie die zitierten Bestimmungen verdeutlichen, nicht von einer Beschlussfassung durch die Ratskammer abhängig. Das erkennende Gericht hat vielmehr selbst über die Aufnahme von Beweisen zu entscheiden und die entsprechenden Maßnahmen anzuordnen (vgl §§ 276, 488 Z 2 StPO). Die im vorliegenden Verfahren zu Unrecht angenommene Möglichkeit einer Beschränkung der Beweisaufnahme durch die Ratskammer ließe sich mit der zentralen Aufgabe der Urteilsfindung durch das erkennende Gericht nicht vereinbaren.

Weil die aufgezeigte Gesetzesverletzung ohne Nachteil für den Beschuldigten war, hat es mit ihrer Feststellung sein Bewenden.