JudikaturJustiz11Os130/93

11Os130/93 – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. Oktober 1993

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 12. Oktober 1993 durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Hager als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schindler, Dr. Mayrhofer, Dr. Ebner und Dr. Rouschal als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Wimmer als Schriftführer, in der Strafsache gegen Otto Sch* wegen des Verbrechens nach dem § 3 g VerbotsG und anderer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Klagenfurt vom 3. Juni 1993, GZ 15 Vr 2001/91 71, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Fabrizy, des Angeklagten und des Verteidigers Dr. Kapsch, zu Recht erkannt:

Spruch

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird Folge gegeben, der dem Schuldspruch zugrundeliegende Teil des Wahrspruchs und das darauf beruhende Urteil in seinem schuldigsprechenden Teil sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Geschwornengericht beim Landesgericht Klagenfurt zurückverwiesen.

Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Otto Sch* des Verbrechens nach dem § 3 g VerbotsG (I), des Vergehens des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs 1, erster Fall, StGB (II/1.) und des Vergehens der schweren Körperverletzung nach den §§ 83 Abs 1, 84 Abs 2 Z 4 StGB (II/2.) schuldig erkannt.

Demnach hat er

I. in F* sich auf andere als die in den §§ 3 a bis 3 f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinn betätigt, indem er

1. im Juni oder Juli 1991 erklärte, Hitler sei nicht so schlecht gewesen; vor allem habe er Arbeit für viele geschaffen;

2. während des Schuljahres 1990/1991 mehrfach Hitler als positiv bewertete;

II. am 5. Oktober 1991 in G*

1. Beamte der Bundespolizeidirektion Graz mit Gewalt an Amtshandlungen, nämlich an Tätigkeiten im Zusammenhang mit der Auflösung einer behördlich untersagten Versammlung und an seiner Festnahme, dadurch zu hindern versucht, daß er RevInsp. L* einen Fußtritt sowie mehrere gezielte Faustschläge gegen den Kopf versetzte und auf dem Boden liegend sodann wild um sich schlug und um sich trat;

2. anläßlich der zu II/1 beschriebenen Tat den Beamten der Bundespolizeidirektion Graz RevInsp. L* während und wegen der Vollziehung seiner Aufgaben vorsätzlich am Körper verletzt.

Von weiteren Anklagevorwürfen wegen des Verbrechens nach dem § 3 g VerbotsG wurde Otto Sch*rechtskräftig freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den Schuldspruch richtet sich die auf die Nichtigkeitsgründe der Z 6, 8 und 11 lit. a (Punkt I) bzw. Z 8 und 10 a (Punkt II) des § 345 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Zu Punkt I. des Schuldspruches:

Mit seiner Rechtsrüge (Z 11 lit a) behauptet der Beschwerdeführer, die im Wahrspruch der Geschwornen festgestellte Tat begründe keine zur Zuständigkeit der Gerichte gehörige strafbare Handlung.

Nach § 3 g VerbotsG wird mit Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren, bei besonderer Gefährlichkeit des Täters oder der Betätigung bis zu 20 Jahren bestraft, wer sich auf eine andere als die in den §§ 3 a bis 3 f VerbotsG bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinne betätigt. Diese Bestimmung umfaßt - nach Art einer Generalklausel - jede nicht unter die §§ 3 a bis 3 f dieses Gesetzes fallende Art nationalsozialistischer Betätigung. Ihr Tatbild besitzt eine große Reichweite und kann durch Handlungen verschiedenster Art verwirklicht werden (SSt 57/40). Darunter fällt insbesondere auch die Verherrlichung oder Anpreisung von Zielen, Einrichtungen oder Maßnahmen der NSDAP, mag dies auch nicht zum Zweck der Aufforderung zu von § 1 oder § 3 VerbotsG sonst verbotenen Handlungen geschehen. Eine solche Verherrlichung kann auch in einer unverkennbaren Glorifizierung der Person Adolf Hitlers und dem erkennbaren Gutheißen seiner Lebensaufgabe liegen (JBl. 1990, 382; EvBl 1969/230). Überhaupt stellt jede völlig einseitige, propagandistisch vorteilhafte Darstellung nationalsozialistischer Maßnahmen und Ziele eine Wiederbetätigung nach dem Verbotsgesetz dar (VfGH SlgNr. 258; SSt 57/40; EvBl. 1993/8, 1980/149 ua). Zur Deliktsverwirklichung bedarf es allerdings keines die Ideologie des Nationalsozialismus in ihrer Gesamtheit bejahenden Täterverhaltens. Neben Einzelhandlungen, die schon für sich als typische Betätigung im Sinne des Nationalsozialismus zu erkennen sind, können auch Handlungskomplexe den Tatbestand verwirklichen, wenn die einzelnen Teilakte des betreffenden Gesamtverhaltens - isoliert betrachtet - noch nicht als typisch nationalsozialistisch zu beurteilen sind (siehe neuerlich EvBl. 1993/8).

Dem Angeklagten war Betätigung im nationalsozialistischen Sinn durch eine Vielzahl mündlicher Erklärungen gegenüber seinen Schülern vorgeworfen worden, die in ihrer Gesamtheit, zum Teil aber auch als Einzeläußerungen, als Mittel nationalsozialistischer Wiederbetätigung in Frage gekommen wären. Einzelne der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Äußerungen stellen sich als Leugnung der Existenz von Gaskammern und Vernichtungslagern, als Leugnung, Verharmlosung oder Gutheißung der Ermordung von Juden oder als Verherrlichung der Person Hitlers (durch die Bezeichnung "Supermensch") dar. Die Geschwornen haben jedoch mit ihrem Wahrspruch - hinsichtlich der meisten Anklagepunkte sogar stimmeneinhellig - verneint, daß sich der Angeklagte durch den Großteil der ihm angelasteten Erklärungen, insbesondere der erwähnten massiven Einzeläußerungen, im nationalsozialistischen Sinne betätigt hätte. Bejaht haben sie eine solche Wiederbetätigung bloß hinsichtlich der Äußerung "Hitler sei nicht so schlecht gewesen; vor allem habe er Arbeit für viele geschaffen" (Hauptfrage 1.,4./) und der mehrfachen positiven Bewertung Hitlers (Hauptfrage 1., 7./).

Die von der Hauptfrage 1.4. umfaßte Äußerung vermag jedoch - für sich allein betrachtet - das Tatbild des § 3 g VerbotsG noch nicht zu erfüllen, weil in ihr eine Verherrlichung oder Glorifizierung der Person Adolf Hitlers nicht erblickt werden kann. Die Bemerkung kann auch nicht als völlig einseitige, propagandistisch vorteilhafte Darstellung nationalsozialistischer Maßnahmen und Ziele beurteilt werden. Die von den Geschwornen in ihrem Wahrspruch festgestellte Äußerung des Beschwerdeführers könnte lediglich als Teilakt eines Gesamtverhaltens nationalsozialistischer Wiederbetätigung angesehen werden. Ob die Äußerung des Angeklagten einen solchen Teilakt eines als Betätigung im nationalsozialistischen Sinn zu qualifizierenden Gesamtverhaltens darstellt, hängt sohin davon ab, ob er auch noch andere Handlungen gesetzt hat, die im Zusammenhalt mit der festgestellten Äußerung eine nationalsozialistische Wiederbetätigung ergeben.

Die abschließende rechtliche Beurteilung der von der Hauptfrage 1., 4./ umfaßten Äußerung des Beschwerdeführers ist daher von der Beurteilung des von der Hauptfrage 1., 7./ umfaßten Verhaltens des Angeklagten abhängig. Letztgenannte Frage war jedoch schon von der Fragestellung her verfehlt - auch wenn sie wörtlich dem Anklagesatz entsprach (vgl. Mayerhofer Rieder StPO 3 , § 312 ENr 8) -, weil es ihr an der nötigen Spezialisierung mangelte. Da der Tatbestand des § 3 VerbotsG - nach Art einer Generalklausel - jede nicht unter die §§ 3 a bis 3 f des Gesetzes fallende Art nationalsozialistischer Betätigung umfaßt, erfordert eine nach diesem Tatbestand gestellte Hauptfrage an die Geschwornen die Anführung der konkreten Tatumstände, die eine Handlung als Betätigung im nationalsozialistischen Sinne erscheinen lassen. Andernfalls ist eine rechtliche Überprüfung des Wahrspruchs der Geschwornen durch den Schwurgerichtshof gleich wie im Rechtsmittelverfahren durch den Obersten Gerichtshof nicht möglich (vgl. Mayerhofer Rieder StPO 3 E 26, 26a und 26b zu § 312). Die Hauptfrage 1., 7./ war bloß auf die mehrmalige Abgabe eines (positiven) Werturteils über Adolf Hitler gerichtet, ohne daß solche tatsächlichen Umstände angeführt waren, die eine Beurteilung der Äußerung dieses Werturteiles als verbrecherische Wiederbetätigung zugelassen hätten. Da dieser Mangel die rechtliche Überprüfung des Wahrspruchs nicht zuläßt, ist das Urteil hinsichtlich des Schuldspruchs wegen des Verbrechens nach § 3 g VerbotsG mit dem materiell rechtlichen Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 11 lit a StPO behaftet (siehe abermals Mayerhofer Rieder , StPO 3 , E 7 zu § 345 Z 11 lit a). Ein Eingehen auf die zu diesem Schuldspruchsfaktum weiters geltend gemachten Nichtigkeitsgründe erübrigt sich daher.

Zu Punkt II. des Schuldspruches:

Mit seiner Instruktionsrüge (Z 8) macht der Beschwerdeführer zu Recht die Erteilung einer unrichtigen Rechtsbelehrung an die Geschwornen hinsichtlich des Verhältnisses der beiden zur zweiten und dritten Hauptfrage (das Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt und das Vergehen der schweren Körperverletzung betreffenden Hauptfrage) gestellten Zusatzfragen geltend. Die Fragen, welche auf die sich aus § 269 Abs 4 StGB ergebende Problematik ersichtlich nicht abgestellt sind, lauten:

Erste Zusatzfrage zur zweiten und dritten Hauptfrage:

(Bei Bejahung der zweiten und dritten Hauptfrage oder Bejahung einer dieser beiden Fragen):

"Hat Otto Sch* anläßlich der zur zweiten und dritten Hauptfrage beschriebenen Tat nicht rechtswidrig gehandelt, indem er sich nur der Verteidigung bediente, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit oder körperliche Unversehrtheit von einem anderen, nämlich von einer Person, die er für seinen Sohn hielt, abzuwenden?".

Zweite Zusatzfrage zur zweiten und dritten Hauptfrage:

(Bei Bejahung der zweiten und/oder dritten Hauptfrage und Bejahung der ersten Zusatzfrage):

"Ist Otto Sch* schuldig, das gerechtfertigte Maß der Verteidigung anläßlich der zur zweiten und dritten Hauptfrage beschriebenen Tat aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken überschritten zu haben, wobei die Überschreitung auf Fahrlässigkeit beruht und die fahrlässige Handlung (Körperverletzung zum Nachteil des RevInsp. L*) mit Strafe bedroht ist?".

Zur ersten Zusatzfrage führte der Vorsitzende in der den Geschwornen erteilten Rechtsbelehrung unter anderem aus: "Die erste Zusatzfrage ist darauf gerichtet, ob der Angeklagte in Notwehr gemäß dem § 3 Abs 1 StGB gehandelt hat." Zum Verhältnis der zweiten Zusatzfrage zur ersten erteilte er folgende Rechtsbelehrung: "Diese Frage ist nur bei Bejahung der zweiten und dritten Hauptfrage oder einer der beiden Hauptfragen und bei Bejahung der ersten Zusatzfrage zu beantworten."

Die Formulierung der zweiten Zusatzfrage widersprach den Vorschriften der §§ 313, 314 StPO, weil sie Elemente sowohl einer Zusatzfrage als auch einer Eventualfrage enthielt. Dieser Mangel wurde allerdings nicht gerügt.

Die Geschwornen bejahten einhellig die zweite und die dritte Hauptfrage und verneinten gleichfalls einhellig die erste Zusatzfrage und ließen folglich - nach der ihnen erteilten Belehrung über deren Aktualität - die zweite Zusatzfrage unbeantwortet. Mit Recht rügt daher der Beschwerdeführer, daß durch die beschriebene Fragenverknüpfung den Laien die Möglichkeit vorenthalten wurde, zu entscheiden, ob er nicht allenfalls aus den in der zweiten Zusatzfrage bezeichneten asthenischen Affekten das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten hat. Die erste Zusatzfrage ist nämlich darauf gerichtet, ob sich der Angeklagte lediglich der notwendigen Verteidigung bediente (siehe auch die Rechtsbelehrung zu dieser Frage). Die Beantwortung der Frage, ob er das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten hat, setzt daher logisch die Verneinung (und nicht - wie die Rechtsbelehrung meint - die Bejahung) des Einsatzes notwendiger Verteidigung voraus. Wären die Geschwornen jedoch im Falle der Bejahung der ersten Zusatzfrage zur Beantwortung der zweiten Zusatzfrage geschritten und hätten sie diese bejaht, so hätte dies zu einem in sich widersprechenden Ergebnis (§ 345 Abs 1 Z 9 StPO) geführt. Die Annahme, ein Täter habe sich lediglich der notwendigen Verteidigung bedient, ist nämlich mit dem Ausspruch, er habe - wenn auch aus asthenischem Affekt - das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschritten, logisch unvereinbar.

Eine unrichtige Rechtsbelehrung über das Zusammenwirken der Fragen, die eine die Entscheidungsmöglichkeit der Geschwornen beeinträchtigende Verkürzung des Fragenschemas nach sich zieht, begründet aber unabhängig davon, ob die Geschwornen hiedurch tatsächlich beirrt wurden oder nicht, jedenfalls Urteilsnichtigkeit. Es bedurfte daher auch zu diesem Schuldspruchsfaktum keines Eingehens auf das übrige Beschwerdevorbringen.

Auf Grund der dargelegten Erwägungen war wie aus dem Spruch ersichtlich zu erkennen.

Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die kassatorische Entscheidung zu verweisen.

Rechtssätze
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