JudikaturJustiz11Os125/90

11Os125/90 – OGH Entscheidung

Entscheidung
14. Dezember 1990

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.Dezember 1990 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Walenta, Dr. Reisenleitner, Dr. Felzmann und Dr. Rzeszut als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Pokorny als Schriftführerin in der Strafsache gegen Brigitte H*** wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten und die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht Salzburg vom 5. September 1990, GZ 34 Vr 1201/90-30, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, des Generalanwaltes Dr. Raunig, der Angeklagten und des Verteidigers Dr. Pallauf zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die über die Angeklagte verhängte Freiheitsstrafe auf 6 (sechs) Jahre herabgesetzt wird.

Die Staatsanwaltschaft wird mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung verwiesen.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 23.November 1967 geborene Brigitte H*** des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB schuldig erkannt, weil sie am 31.Mai 1990 in Glasenbach ihre Tochter Nayantara H*** durch Erdrosseln mit einem Seidentuch vorsätzlich tötete.

Die Geschwornen hatten die diesem Schuldspruch zugrundeliegende, anklagekonforme Hauptfrage nach Mord einstimmig bejaht, die Zusatzfrage nach Zurechnungsunfähigkeit im Sinn des § 11 StGB hingegen ebenso einstimmig verneint.

Dieses Urteil wird von der Angeklagten mit einer auf die Z 5, 6 und 8 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde bekämpft.

Einen Verfahrensmangel (Z 5) erblickt Brigitte H*** in der Abweisung ihres - wie sie ersichtlich vermeint: auch ein Begehren auf neuerliche psychiatrische Untersuchung

implizierenden - Beweisantrages auf "ergänzende Gutachtenerstattung über die Zurechnungsfähigkeit im Hinblick auf die Aussage des Harald P***" (AS 309). Damit sollte der Sache nach dargetan werden, daß sie auf Grund ihres psychischen Zustandes zur Tatzeit nicht schuldfähig (§ 11 StGB) gewesen sei. Die Geltendmachung einer Nichtigkeit nach der Z 5 des § 345 Abs. 1 StPO (und ebenso nach der Z 4 des § 281 Abs. 1 StPO) setzt jedoch voraus, daß über einen in der Hauptverhandlung gestellten Beweisantrag, der unter anderem auch die begehrten Beweismittel erschöpfend angeben muß, nicht oder nicht im Sinn des Antragstellers entschieden wurde. Nach dem vollen Beweis machenden Hauptverhandlungsprotokoll wies der Beweisantrag aber bloß den vorzitierten Inhalt auf; als angestrebtes Beweismittel wird darin nur eine - in der vorausgehenden Befundung von fallbezogenen, fachspezifischen Erwägungen abhängige und daher nicht schon zwangsläufig eine neuerliche Exploration mitumfassende - ergänzende Begutachtung der Angeklagten unter Berücksichtigung der vom Zeugen Harald P*** (dem Lebensgefährten der Angeklagten) in der Hauptverhandlung vom 5.September 1990 abgelegten Zeugenaussage schlechthin, nicht aber auch eine abermalige Untersuchung (der Angeklagten) genannt. Da den Angaben des Zeugen vom Sachverständigen durch entsprechende Ergänzung des Gutachtens ohnedies (schon vorweg) Rechnung getragen worden war (siehe insbesondere AS 302 und 303), hat das Erstgericht den in Rede stehenden Beweisantrag zu Recht abgewiesen (AS 310): Mit ihrem nunmehrigen Vorbringen geht die Angeklagte (abgesehen davon, daß sie auch die klarstellenden Ausführungen des psychiatrischen Sachverständigen unbeachtet läßt, wonach ihrer neuerlichen Untersuchung kein Einfluß auf das Ergebnis der ergänzenden Begutachtung zukommen könnte - siehe AS 307) über ihren seinerzeitigen Beweisantrag hinaus; sie bringt damit ihre Verfahrensrüge insoweit nicht zur gesetzmäßigen Darstellung. Eine Verletzung der Vorschriften über die Fragestellung (Z 6) erblickt die Angeklagte im Unterbleiben einer Eventualfrage in Richtung des Verbrechens des Totschlags nach dem § 76 StGB. Ihrem Beschwerdevorbringen kommt jedoch auch in dieser Hinsicht keine Berechtigung zu:

Rechtliche Beurteilung

Das bloße Vorliegen einer sogenannten Verzweiflungs- oder Konfliktstat, als welche die vorsätzliche Tötung Nayantara H*** durch die zur Tatzeit in einem Zustand subjektiver Ausweglosigkeit befindliche Angeklagte allenfalls beurteilt werden könnte, rechtfertigt für sich allein nicht auch schon die Unterstellung einer solchen Tat unter den Tatbestand des Totschlags nach dem § 76 StGB. Totschlag verlangt vielmehr die Spontaneität des Tötungsvorsatzes; vorausgesetzt wird nämlich, daß sich der Täter in einer allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung zur Tötung eines Menschen hinreißen ließ, sohin in einem tiefgreifenden, für seinen spontanen Tötungswillen kausalen und zur Tatzeit noch nicht abgeklungenen Affekt handelt (vgl. ua EvBl. 1982/167 und 11 Os 140/89 = NRsp 1990/103). Andernfalls ist auch eine Verzweiflungs- oder Konfliktstat als Mord nach dem § 75 StGB zu beurteilen (siehe dazu insbesondere Moos, WK, § 76 StGB, Rz 24 sowie Kienapfel, BT I2, § 76 StGB, RN 24).

Entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung fehlt es vorliegend jedoch an einem im Beweisverfahren hervorgekommenen sachlichen Substrat für die konkrete Möglichkeit der Annahme eines Handelns der Angeklagten in einer solchen allgemein begreiflichen, heftigen Gemütsbewegung. Zum einen befand sich die Angeklagte nämlich nach der ihrer Schilderung des Tatgeschehens und der Vorgeschichte folgenden psychiatrischen Expertise zur Tatzeit - ungeachtet ihrer Verzweiflung - in keinem massiv affektiven Zustand; vielmehr war sie damals ruhig und gefaßt (AS 304, 305 und 308). Zum anderen hat die Gemütslage der Angeklagten bei Verübung der Tat, welche der Aktenlage zufolge in einem (durch eine schwere Fehlentwicklung der Persönlichkeit im Sinn einer Neurose lebensgeschichtlich bedingten und situativ durch das unmittelbar vorangegangene Verhalten des Lebensgefährten ausgelösten) Zustand subjektiver Ausweglosigkeit begangen wurde (insbesondere AS 135, 147, 299, 301, 302, 303 und 306), abnorme psychische Eigenschaften und demnach nicht lediglich äußere Umstände zur Ursache. Da in einem solchen Fall aber - wie das Erstgericht zwar ohne nähere Begründung, aber im Ergebnis zutreffend ausführte (AS 311) - die Einstufung der Gemütslage als allgemein begreiflich schon von vornherein ausgeschlossen ist (ÖJZ-LSK 1978/199; Mayerhofer-Rieder, StGB3, § 76, ENr. 10 a; Foregger-Serini, StGB4, § 76, Erl. I; Kienapfel, BT I2, § 76, RN 30; in bezug auf psychische Abnormitäten teilweise anderer Meinung Moos, WK, § 76 StGB, Rz 38 - vgl. jedoch die dort angeführten Hinweise auf die vorherrschende Literatur und Judikatur), war die von der Angeklagten vermißte Eventualfrage auch insoweit nicht indiziert. Schließlich versagt auch die Instruktionsrüge (Z 8) der Angeklagten:

Eine diesbezügliche Nichtigkeit ist nämlich nur dann gegeben, wenn der Vorsitzende den Geschwornen eine unrichtige Rechtsbelehrung erteilt und dabei gegen die Bestimmungen der §§ 321, 323 oder 327 StPO verstößt. Auf die Norm des § 328 StPO, welche den Geschwornen im Stadium der Beratung das Recht einräumt, den Wunsch nach einer Ergänzung des Beweisverfahrens zur Aufklärung erheblicher Tatsachen oder nach einer Änderung oder Ergänzung der an sie gerichteten Fragen zu äußern, wird dagegen weder im § 345 Abs. 1 Z 8 StPO selbst noch in den vorangeführten §§ 321, 323 und 327 StPO verwiesen. Ein unter Nichtigkeitssanktion stehendes Gebot, die Geschwornen über ihre Rechte im Sinn der Bestimmung des § 328 StPO zu belehren, welche auch nicht zu jenen Vorschriften gehört, die nach dem § 325 Abs. 2 StPO im Beratungszimmer der Geschwornen angeschlagen sein sollen, existiert entgegen der Meinung der Angeklagten nicht. Davon abgesehen wäre hier eine Ergänzung der an die Geschwornen gerichteten Fragen durch Aufnahme einer Eventualfrage wegen § 76 StGB, welchen Tatbestand die Angeklagte ersichtlich auch im gegenständlichen Zusammenhang im Auge hat, im Weg des § 328 StPO nicht möglich gewesen, weil eine derartige Fragestellung nach dem bereits Gesagten nicht indiziert war, sodaß ein allfälliger in diese Richtung gehender Wunsch der Geschwornen vom Schwurgerichtshof gemäß dem § 310 Abs. 3 StPO abzulehnen gewesen wäre (vgl. dazu Foregger-Serini, StPO4, § 328, Erl. II). Die zur Gänze unbegründete Nichtigkeitsbeschwerde der Angeklagten war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verhängte über Brigitte H*** nach dem § 75 StGB unter Anwendung des § 41 Abs. 1 Z 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Jahren.

Bei der Strafbemessung wertete es keinen Umstand als erschwerend, während es die bisherige Unbescholtenheit sowie das reumütige und umfassende Geständnis, ferner die hochgradige Einengung der Dispositionsfähigkeit der Angeklagten sowie ihre Selbststellung als mildernd berücksichtigte.

Brigitte H*** strebt mit ihrer Berufung eine Herabsetzung, die Staatsanwaltschaft eine Erhöhung der Freiheitsstrafe an. Nur die Berufung der Angeklagten ist im Recht.

Das Geschwornengericht stellte die Strafzumessungsgründe im wesentlichen richtig fest und ging zutreffend davon aus, daß nach Lage des Falles keine entscheidend ins Gewicht fallenden Erschwerungsumstände gegeben sind. Den mildernden Umständen, vor allem der durch komplizierte interpsychische Konfliktspannungen außerordentlich stark behinderten Konfliktbewältigungsmöglichkeit der Angeklagten wurde jedoch im Sinn der zutreffenden Ausführungen in der Berufung zu wenig Bedeutung zuerkannt. Dem Obersten Gerichtshof erschien daher in Anbetracht der besonderen Täterpersönlichkeit eine weitergehende außerordentliche Milderung der Strafe auf das schuldangemessene und präventiv ausreichende Ausmaß von sechs Jahren geboten.

Die Staatsanwaltschaft war mit ihrer Berufung auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Rechtssätze
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