JudikaturJustiz10ObS92/11v

10ObS92/11v – OGH Entscheidung

Entscheidung
08. November 2011

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Peter Zeitler und KR Mag. Paul Kunsky (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei M***** A*****, vertreten durch Dr. Wolfgang Zatlasch, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, wegen Versehrtenrente, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. Juni 2011, GZ 9 Rs 58/11g 24, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Der Kläger hat am 4. 6. 2009 im Rahmen seiner (seit fünf Monaten ausgeübten) Tätigkeit als selbständiger Trafikant einen Arbeitsunfall erlitten.

Mit dem bekämpften Bescheid wurde ihm eine Gesamtvergütung zuerkannt; die Bemessungsgrundlage wurde mit 17.148,45 EUR festgestellt. Die dagegen erhobene Klage ist (unter anderem) auf Gewährung einer Versehrtenrente auf Basis einer höheren Bemessungsgrundlage (78.000 EUR) gerichtet.

Das Erstgericht erachtete ebenfalls die im Bescheid angeführte Bemessungsgrundlage (gemäß § 182 iVm § 181 Abs 1 Satz 2 ASVG) in der Höhe von 17.148,45 EUR für das Jahr 2009 (§ 1 Z 4 BGBl II 2009/7) für maßgebend. In rechtlicher Hinsicht verblieb im Rechtsmittelverfahren die Höhe der Bemessungsgrundlage strittig.

Die Berufung des Klägers machte zum einen geltend, das Erstgericht wäre zu Unrecht von den (nur geringen) Einkünften aus seiner unselbständigen Tätigkeit, die in das Jahr 2008 zurückreiche, ausgegangen, obwohl er im gesamten Jahr 2009 bereits selbständig erwerbstätig gewesen sei; zum anderen widerspreche die Festsetzung der Bemessungsgrundlage mit „15.198,91“ EUR (Anm: dieser Basiswert [§ 181 Abs 1 Satz 1 ASVG] wurde der Bemessung aber weder von der Beklagten noch vom Erstgericht zugrunde gelegt) dem § 182 ASVG.

Das Berufungsgericht hielt dem - zutreffend - entgegen, dass das Erstgericht gar nicht das Einkommen des Klägers aus seiner unselbständigen Erwerbstätigkeit bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage herangezogen habe. Wie vom Kläger gewünscht, sei die Festsetzung vielmehr nach billigem Ermessen gemäß § 182 ASVG erfolgt, wobei das Erstgericht (wie bereits die Beklagte) ohnehin von den Einkommensverhältnissen des Klägers im Rahmen der selbständigen Tätigkeit als Trafikant ausgegangen sei. Dazu werde auf die in der Entscheidung 10 ObS 170/02a (die einen im Wesentlichen gleichgelagerten Fall betreffe) dargestellten Grundsätze verwiesen, welche das Erstgericht bereits (auf Seite 5 bis 7 des Ersturteils) wiedergegeben habe. Maßgebend für den selbständig erwerbstätigen, in der Unfallversicherung pflichtversicherten (§ 8 Abs 1 Z 3 lit a ASVG) Kläger sei demnach die feste Bemessungsgrundlage des § 181 Abs 1 ASVG (17.148 EUR für das Jahr 2009), wobei Anhaltspunkte dafür, dass gemäß § 182 ASVG die Heranziehung dieser Bemessungsgrundlage zu unbilligen Ergebnissen führen würde, nicht vorlägen und vom Kläger auch nicht vorgebracht worden seien.

Auch in der Zulassungsbeschwerde wendet sich der Kläger nur gegen die nach billigem Ermessen des § 182 ASVG vorgenommene Festsetzung Bemessungsgrundlage. Die Vorinstanzen hätten dabei übersehen, dass diese Bestimmung dann zur Anwendung komme, wenn die Bemessungsgrundlage nach den §§ 179 bis 181 ASVG nicht errechnet werden könne, oder ihre Errechnung zu unbilligen Ergebnissen führe. Entgegen diesem Gesetzeswortlaut würden die Richtsätze für selbständig Erwerbstätige iSd § 181 ASVG herangezogen. Es stelle sich die „grundsätzliche“ Frage des materiellen Rechts, ob bei Anwendung des § 182 ASVG die Festsetzung nach den §§ 179 bis 181 ASVG „ausgeschlossen“ und bei Ermittlung der Bemessungsgrundlage auf die „tatsächlich ausgeübte Tätigkeit“ des Klägers abzustellen sei. In den zitierten Entscheidungen werde diese Frage nicht beantwortet.

Rechtliche Beurteilung

Dem ist zu erwidern:

Die Bemessungsgrundlage ist nicht nur dann gemäß § 182 ASVG nach billigem Ermessen festzustellen, wenn sie nach den §§ 179 bis 181b ASVG nicht errechnet werden kann (§ 182 Satz 1 Halbsatz 1 ASVG), sondern auch dann, wenn ihre Errechnung nach diesen Bestimmungen eine Unbilligkeit bedeuten würde (§ 182 Satz 1 Halbsatz 2 ASVG; RIS-Justiz RS0084405).

Der erkennende Senat hat bereits festgehalten, dass die Frage, wann die Errechnung der Höhe der Bemessungsgrundlage nach den §§ 179 bis 181b ASVG eine Unbilligkeit bedeuten würde, nur nach den Besonderheiten des Einzelfalls entschieden werden kann (RIS-Justiz RS0110094 [T4]).

Im Hinblick darauf, dass nach § 181 ASVG für selbständig Erwerbstätige die Bemessungsgrundlage in der Unfallversicherung nach festen Beträgen festgestellt wird, hat es der Oberste Gerichtshof aber auch schon als mit dem Gesetz durchaus im Einklang stehend beurteilt, von dieser festen Bemessungsgrundlage auch dann auszugehen , wenn die Bemessungsgrundlage zB für einen nichtversicherten selbständig Erwerbstätigen (für einen freiberuflich tätigen, in der Unfallversicherung nicht versicherten Rechtsanwalt) nach billigem Ermessen gemäß § 182 ASVG festzustellen ist (RIS Justiz RS0116805).

Die Fallgestaltung, die der Senat mit dem im letztgenannten Rechtssatz verwerteten Urteil, 10 ObS 170/02a (SSV-NF 16/72 [Bemessungsgrundlage für als Plasmaspender an Hepatitis C erkrankten Rechtsanwalt]), entschieden hat, ist dem hier vorliegenden Sachverhalt durchaus vergleichbar; gehörte doch auch der Kläger zum Unfallszeitpunkt der Personengruppe der selbständig Erwerbstätigen an, für die der Gesetzgeber aus den in der eben zitierten Entscheidung ausführlich dargelegten Gründen in der Unfallversicherung eine feste Bemessungsgrundlage gemäß § 181 ASVG geschaffen hat; wobei sich diese Gruppe wesentlich von jener der unselbständig Versicherten unterscheidet, für die eine aus dem Entgelt errechnete variable Bemessungsgrundlage (§ 179 ASVG) festgelegt ist:

Da die Pflichtversicherung der Selbständigen in der Unfallversicherung anders als jene der unselbständig Versicherten nicht einkommensproportional ausgestaltet ist, ist für sie eine besondere Bemessungsgrundlage erforderlich. Der Gesetzgeber hat dafür im § 181 ASVG feste Pauschalbeträge als Bemessungsgrundlagen vorgesehen, denen auch ein fixer Beitrag gegenübersteht. Entgegen dem Standpunkt der außerordentlichen Revision wird damit bei den selbständig Erwerbstätigen auch vom Prinzip abgegangen , dass die Bemessungsgrundlage ein Spiegel der wirtschaftlichen Verhältnisse des Versicherten sein soll (10 ObS 170/02a, SSV-NF 16/72).

Es liegt daher im Rahmen der Grundsätze dieser Rechtsprechung, wenn das Berufungsgericht im Fall des Klägers nach billigem Ermessen (§ 182 ASVG) nicht die variable (geringere) allgemeine Bemessungsgrundlage für unselbständig Versicherte (Summe der allgemeinen Beitragsgrundlagen im letzten Kalenderjahr vor dem Eintritt des Versicherungsfalls [§ 179 Abs 1 ASVG]) herangezogen hat, sondern mangels jeglicher Anhaltspunkte für eine daraus abzuleitende Unbilligkeit von der für seine selbständige Tätigkeit als Trafikant maßgebenden festen Bemessungsgrundlage gemäß § 181 Abs 1 ASVG ausgegangen ist.

Mangels erheblicher, für die Entscheidung des Verfahrens relevanter Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision zurückzuweisen.