JudikaturJustiz10ObS87/03x

10ObS87/03x – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. März 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Albert Ullmer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Kasim M*****, Bosnien und Herzegowina, vertreten durch Dr. Rainer Beck, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich Hillegeist Straße 1, 1021 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Graz als Rekursgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 28. November 2002, GZ 7 Rs 275/02v 31, womit infolge Rekurses der klagenden Partei der Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Arbeits und Sozialgericht vom 14. Februar 2002, GZ 37 Cgs 188/00y 25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird mit der Maßgabe bestätigt, dass er zu lauten hat:

"Die mit 27. 2. 2000 datierte und am 6. 3. 2000 bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eingelangte Klage wird zurückgewiesen."

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

Eingangs ist festzuhalten, dass die Bezeichnung der beklagten Partei von Amts wegen von "Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter" auf "Pensionsversicherungsanstalt" zu berichtigen war, weil mit 1. 1. 2003 alle Rechte und Verbindlichkeiten der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter auf die neu errichtete Pensionsversicherungsanstalt als Gesamtrechtsnachfolger übergingen (§ 538a ASVG idF 59. ASVG Nov BGBl I 2002/1).

Der am 5. 2. 1939 geborene und in Bosnien und Herzegowina wohnhafte Kläger war von 1971 bis 1986 (mit Unterbrechungen) in Österreich als Hilfsarbeiter berufstätig. Seit 4. 1. 1990 bezieht er eine Invaliditätspension von der Pensions- und Invaliditätsversicherung Slowenien.

Der Kläger hatte am 16. 2. 1989 beim slowenischen Versicherungsträger einen Antrag auf Invaliditätspension gestellt. Für den österreichischen Rechtsbereich hat die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter diesen Antrag mit Bescheid vom 28. 7. 1992 mangels Vorliegens von Invalidität abgelehnt. Die beklagte Partei sandte diesen Bescheid an die vom Kläger im Pensionsantrag angegebene Adresse in B***** in Bosnien. Es kann nicht festgestellt werden, dass dieser Bescheid dem Kläger zugekommen ist.

Am 23. 11. 1995 langte bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter ein vom Kläger unterfertigter Antrag auf Zuerkennung einer Invaliditätspension bzw vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit ein. Der Bruder des Klägers überreichte am 18. 12. 1995 bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eine Vollmacht, wonach er berechtigt sei, alle Pensionsrückstände für den Kläger abzuheben. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 18. 6. 1996 wurde der Antrag mangels Vorliegens von Invalidität abgelehnt. Die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter übermittelte den Bescheid wieder an die Adresse des Klägers in B***** in Bosnien. Ob dem Kläger dieser Bescheid zugekommen ist kann nicht festgestellt werden.

Rechtsanwalt Dr. Ramo A***** aus Bihac in Bosnien und Herzegowina, übermittelte der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter ein mit 30. 9. 1999 datiertes Telefax in deutscher Sprache mit folgendem Inhalt:

"Die Invaliditätskommission der Anstalt für die Pensions- und Invalidenversicherung in Ljubljana .... hat am 04. 01. 1990 Herrn M***** Kasim untersucht und festgestellt, dass er wegen Erkrankung invalide und erwerbsunfähig seit 04. 01. 1990 ist. Wie ich erfahren habe, der slowen. Versicherungsträger hat Ihnen die Begutachtung mit ärztl. Unterlagen und Pensionsantrag am 14. 05. 1991 zugestellt. Heute war in meinem Büro Herr M***** und hat mir eine Vollmacht für seine Vertretung erteilt. Daher bitte ich Sie um Beantwortung:

1. Ob Sie über den Pensionsantrag meines Mandanten vom 16. 02. 1989 entschieden haben? Wenn ja, bitte ich um die Zusendung einer Kopie von Pensionsbescheid.

2. Da Herr M***** bisher keinen Bescheid erhalten hat, an wenn erfolgte die Zustellung und wann?"

Diesem Schreiben war eine vom Kläger unterfertigte zweisprachige (bosnisch/deutsch) Vollmacht vom 30. 9. 1999 beigelegt, wonach der Kläger Herrn Prof. Dr. Ramo A***** für die Vertretung vor der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeit wegen Regulierung der Invaliditätspension in allen Sachen bezüglich der Pension bevollmächtigt. Dr. A***** ist Rechtsanwalt in Bihac und ständiger Gerichtsdolmetscher für die deutsche und slowenische Sprache.

Daraufhin übermittelte die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter Herrn Dr. A***** mit Schreiben vom 15. 10. 1989 zwei Bescheidkopien zur Kenntnisnahme. Dieses Schreiben wurde Dr. A***** am 18. 11. 1999 zugestellt.

Die als "Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. 7. 1992" bezeichnete Eingabe des Rechtsanwalts Dr. Ramo A***** vom 27. 2. 2000, bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter am 6. 3. 2000 eingelangt, wurde von dieser als Klage gegen den Bescheid vom 28. 7. 1992 gewertet.

Das Erstgericht wies die Klage "als verspätet" zurück. Die Bescheide vom 28. 7. 1992 und vom 13. 6. 1996 seien an den bevollmächtigten Vertreter des Klägers, Dr. A*****, am 18. 11. 1999 zugestellt worden. Die mit 27. 2. 2000 datierte und bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter am 6. 3. 2000 eingelangte Klage liege damit außerhalb der unerstreckbaren dreimonatigen Frist des § 67 Abs 2 ASGG und sei somit verspätet.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Klägers nicht Folge und führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass das Zustellgesetz auch für Zustellungen der Sozialversicherungsträger gelte. Im Fall des Klägers lasse sich nicht klären, wann und auf welchem Weg die Zustellung der Bescheide vom 28. 7. 1992 und 13. 6. 1996 an den Kläger tatsächlich erfolgt sein soll. Nicht zu übersehen sei aber, dass der Kläger seinem Rechtsanwalt Dr. A***** am 30. 9. 1999 eine allgemeine Vertretungsvollmacht eingeräumt habe, die nach § 10 AVG wirksam sei. Nach dem Wortlaut der Erklärung des Klägers als Vollmachtgebers seien Inhalt und Umfang der Vertretungsbefugnis unbeschränkt. Er müsse daher die erteilte Vollmacht (im Umfang der Erklärung) gegen sich gelten lassen. Dr. A***** sei somit nicht nur als Zustellungsbevollmächtigter iSd § 8a ZustG anzusehen. Vielmehr schließe eine allgemeine Vertretungsvollmacht im Allgemeinen die Zustellungsbevollmächtigung ein. Unabhängig von dem (im Hinblick auf die erteilte Vertretungsvollmacht nicht mehr maßgeblichen) Umstand, dass der Bevollmächtigte keinen Hauptwohnsitz in Österreich gehabt habe, habe die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter wirksam nur mehr an den Vertreter, nicht mehr aber an die Partei selbst zustellen können. Durch die Zustellung beider ablehnenden Bescheide am 18. 11. 1999 an Dr. A***** sei nicht nur eine Heilung allfälliger Zustellmängel eingetreten, sondern auch das fristenauslösende Ereignis gesetzt worden. Die Ausfolgung der Bescheide an den Kläger selbst sei unerheblich. Das Erstgericht sei daher zu Recht von einer verspäteten Klagsführung ausgegangen.

Auch im Kostenpunkt müsse der Rekurs erfolglos bleiben, da rechtliche und tatsächliche Schwierigkeiten, die einen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen würden, für das Rekursgericht nicht erkennbar seien.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Klägers mit dem Antrag auf ersatzlose Aufhebung der Beschlüsse der Vorinstanzen.

Rechtliche Beurteilung

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

In seinem Revisionsrekurs verweist der Kläger in erster Linie darauf, dass gemäß § 8a ZustG an eine natürliche Person ohne Hauptwohnsitz im Inland nicht wirksam eine Zustellvollmacht erteilt werden könne. Weiters wird ausgeführt, dass es einem bosnischen Rechtsanwalt nicht möglich sei, sich auf die erteilte Bevollmächtigung zu berufen. Es sei auch nicht geprüft worden, ob die im Ausland erteilte schriftliche Vollmacht die notwendigen Formerfordernisse aufweise, um in Österreich Geltung zu erlangen. Letztlich sei Dr. A***** wie in inländischer Anwalt behandelt worden, obwohl er in Österreich gar nicht über eine Berufsbefugnis verfüge. Da Dr. A***** nicht rechtswirksam Zustellbevollmächtigter der beklagten Partei gegenüber der österreichischen Behörde gewesen sei, komme es auf den Zeitpunkt an, in dem der Kläger vom Inhalt der Bescheide tatsächlich Kenntnis erlangt habe. Da dies im Dezember 1999 geschehen sei, sei die Klage als rechtzeitig anzusehen.

Nach § 357 Abs 1 ASVG gelten für das Verfahren vor den Versicherungsträgern in Leistungssachen unter anderem die §§ 21 und 22 AVG über Zustellungen. Gemäß § 21 AVG sind Zustellungen nach dem Zustellgesetz vorzunehmen.

§ 8a Abs 1 ZustG sieht vor, dass die Parteien und Beteiligten grundsätzlich natürliche oder juristische Personen, Personengesellschaften des Handelsrechts und eingetragene Erwerbsgesellschaften gegenüber der Behörde zur Entgegennahme von Schriftstücken bevollmächtigen können (Zustellungsvollmacht). Einer natürlichen Person, die keinen Hauptwohnsitz im Inland hat, kann eine Zustellungsvollmacht nicht wirksam erteilt werden (§ 8a Abs 2 ZustG).

Im vorliegenden Fall hat Dr. Ramo A***** seinem mit 30. 9. 1999 datierten Telefax an die Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter eine vom Kläger unterfertigte Vollmacht vom 30. 9. 1999 beigelegt, wonach der Kläger Herrn Prof. Dr. Ramo A***** für die Vertretung vor der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter wegen Regulierung der Invaliditätspension in allen Sachen bezüglich der Pension bevollmächtigt. Von einer Berufung auf eine Bevollmächtigung kann keine Rede sein.

Eine solche allgemeine Bevollmächtigung zur Vertretung beinhaltet nach den österreichischen Verfahrensgesetzen auch eine Ermächtigung zur Empfangnahme von Schriftstücken in der in der Vollmacht bezeichneten Angelegenheit (VwGH 18. 6. 1990, 90/10/0035, VwSlg 13.221 A; Stohanzl , JN und ZPO15, § 8a ZustG E 1). Eine Befugnis, in Österreich als Rechtsanwalt auftreten zu können, ist für die Wirksamkeit der Bevollmächtigung nicht notwendig (§ 10 AVG iVm § 357 Abs 1 ASVG). Offenkundig handelt es sich bei Dr. A***** um eine eigenberechtigte natürliche Person. Dass dieser seinen Wohnsitz im Ausland hat, schadet nicht, da es der Behörde unbenommen bleibt, ungeachtet des der Verwaltungsökonomie dienenden § 8a ZustG eine Zustellung an einen im Ausland wohnhaften Zustellungsbevollmächtigten vorzunehmen; von den gemäß § 357 Abs 1 ASVG anwendbaren §§ 10 bis 12 AVG wird dies nicht ausgeschlossen (VwGH 12. 12. 1980, 2786/78, VwSlg 10.325 A; VwGH 28. 9. 1992, 92/10/0128). Damit ist eine Zustellung an Dr. A***** als seinem Bevollmächtigten dem Kläger zuzurechnen.

An sich ist es essentielle Voraussetzung für eine wirksame Zustellung, dass die an einen bestimmten Empfänger gerichtete Sendung (die an ihn adressierte Bescheidausfertigung) diesem in einer Originalausfertigung zukommt (VfGH vom 4. 10. 1995, B 437/95 = ARD 4790/18/96). Allerdings ist im Verfahren vor dem Versicherungsträger § 18 Abs 4 AVG mit der Maßgabe anzuwenden, dass Ausfertigungen, die mittels elektronischer Datenverarbeitungsanlagen hergestellt werden, weder einer Unterschrift noch einer Beglaubigung bedürfen (§ 357 Abs 2 ASVG). Im Sinne dieser Regelung kann auch der Umstand nicht schaden, dass dem Zustellungsbevollmächtigten des Klägers Bescheidkopien übersandt wurden.

Insgesamt ist daher von einer wirksamen Zustellung des angefochtenen Bescheids am 18. 11. 1999 auszugehen, sodass die mit 27. 2. 2000 datierte (und bei der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter am 6. 3. 2000 eingelangte) Klage erst nach Ablauf der dreimonatigen Klagefrist des § 67 Abs 2 ASGG erhoben wurde. Dass sie ungeachtet der Datierung bereits vor dem 27. 2. 2000 zur Post gegeben worden wäre wird auch vom Kläger nicht behauptet.

Eine nach Fristablauf erhobene Klage ist gemäß § 73 ASGG wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs und nicht "als verspätet" zurückzuweisen (RIS Justiz RS0085778). Die angefochtene Entscheidung ist daher mit der entsprechenden Maßgabe zu bestätigen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein Kostenersatzanspruch aus Billigkeit besteht, sind neben den Einkommens- und Vermögensverhältnissen auch die tatsächlichen und rechtlichen Schwierigkeiten des Falles zu beachten. Tatsächliche Schwierigkeiten scheiden im Revisionsrekursverfahren schon deshalb aus, weil der Tatsachenbereich in diesem Verfahrensstadium nicht überprüft werden kann. Besondere rechtliche Schwierigkeiten liegen im Hinblick auf die zitierte Gesetzeslage und Rechtsprechung nicht vor (SSV NF 13/61). Ein Kostenersatz aus Billigkeit hat daher nicht stattzufinden.