JudikaturJustiz10ObS84/03f

10ObS84/03f – OGH Entscheidung

Entscheidung
17. Juni 2003

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Neumayr sowie die fachkundigen Laienrichter Komm. Rat Mag. Paul Kunsky und Dr. Carl Hennrich (beide aus dem Kreis der Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Hubert T*****, vertreten durch Dr. Wilfried Plattner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Wiedner Hauptstraße 84-86, 1051 Wien, vertreten durch Dr. Paul Bachmann und andere, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung der Erwerbsunfähigkeit, infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 20. November 2002, GZ 11 Rs 228/02g-59, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgericht vom 21. März 2002, GZ 16 Cgs 80/99d-53, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Der am 16. 7. 1944 geborene Kläger hat nach 8 Jahren Volksschule ein Jahr lang eine Schlosserlehre absolviert und in der Folge die Ausbildung abgebrochen. 1973 machte er sich als Tankstellenpächter selbständig und betrieb zunächst eine BP-Tankstelle. Von April 1974 bis Mai 1997 war der Kläger Pächter einer AGIP-Tankstelle, die nach der Errichtung einer Umfahrungsstraße und dem daraus resultierenden starken Geschäftsrückgang sowie der bestehenden Veralterung geschlossen wurde. Der Tankstelle war ein Espresso angeschlossen. Weiters hat der Kläger im Mai 1997 einen Getränkemarkt eingerichtet. Seit Mai 1997 betreibt der Kläger nur noch die Espresso-Bar sowie den Getränkemarkt für Kleinabnehmer. Das Gewerbe Tankstelle und Servicestation wurde ab 1. 1. 1998 ruhend gemeldet.

Der Kläger besitzt folgende Gewerbescheine:

Gewerbeschein vom 1. 3. 1974, der zum Verkauf von Betriebsstoffen an Kraftfahrer im Rahmen einer Tankstelle berechtigt; Gewerbeschein vom 5. 8. 1975 für das Handelsgewerbe, beschränkt auf den Kleinhandel; Gewerbeschein vom 21. 10. 1997, der zum Betrieb eines Espressos berechtigt und zur Verabreichung von Speisen jeder Art und zum Verkauf von warmen und angerichteten kalten Speisen, zum Ausschank von alkoholischen Getränken und zum Verkauf dieser Getränke in unverschlossenen Gefäßen sowie zum Ausschank von nicht alkoholischen Getränken und Verkauf dieser Getränke in unverschlossenen Gefäßen. Bei der Tankstelle handelte es sich bis Anfang der Neunzigerjahre um eine Bedienungstankstelle und nachfolgend um eine Selbstbedienungstankstelle, die aus sechs Zapfsäulen und einer Servicehalle bestand. Der Kläger hat Tankkunden bedient, fallweise Ölwechsel, Reifenwechsel und kleine Servicearbeiten an PKWs durchgeführt. Er hat teilweise das Büffet betreut und kaufmännische und organisatorische Arbeiten erledigt. Die Tankstelle war täglich - ohne Ruhetag - von 7.00 bis 21.00 Uhr und zeitweise bis 24.00 Uhr geöffnet. Im Tankstellenbetrieb arbeitete auch die Ehefrau des Klägers mit. Der wöchentliche Arbeitseinsatz des Klägers betrug 70 bis 80 Stunden. Bis etwa 1994 betrug der jährliche Umsatz der Tankstelle ca 20 Mio S.

Die Espresso-Bar (Imbissstube) mit 30 Sitzplätzen erbrachte einen Umsatz von ca 1 - 1,5 Mio S. Seit Schließung der Tankstelle ist die Kundenfrequenz entsprechend zurückgegangen; der mit der Espresso-Bar erzielte Umsatz ist auf etwa die Hälfte gesunken.

Der Getränkemarkt für Kleinabnehmer bringt einen Umsatz von ca 1 - 1,2 Mio S. Dafür ist ein Lager- und Verkaufsraum von ca 40 m2 vorhanden.

Für den Betrieb der Espresso-Bar und des Getränkemarkts beschäftigte der Kläger bis Oktober 2001 einen Arbeitnehmer. Die Öffnungszeiten sind von ca 7.00 Uhr bis jedenfalls 18.00 Uhr, fallweise auch bis 22.00 Uhr. Kunden des Getränkemarkts erhalten bei Bedarf ihre Waren auch außerhalb der Öffnungszeiten.

Aufgrund seiner körperlichen Beschwerden ist der Kläger nur noch in der Lage, leichte und fallweise mittelschwere Arbeiten im Sitzen, Gehen und Stehen zu verrichten. Haltungskonstanz im Stehen von über einer Stunde ist zu vermeiden bzw soll danach ein Wechsel in Sitzen oder Gehen für 10 bis 15 Minuten möglich sein.

Bei Arbeiten im Freien sollte der Exposition von Zugluft, Kälte und Nässe durch das Tragen einer entsprechenden Kleidung vorgebeugt werden können. Bei Arbeiten in einer Waschanlage im Winter soll die Möglichkeit des Aufenthalts in einem warmen Raum für 10 - 15 Minuten pro Stunde möglich sein.

Das Heben und Tragen von Lasten ist mit dem linken Arm bis zu einem Gewicht von 10 kg, mit dem rechten Arm bis zu einem Gewicht von 5 kg zumutbar. Häufige Bückbelastungen sollen ebenso vermieden werden wie Arbeiten in Haltungskonstanz in Vor- und Rückbeugung, zum Beispiel an Maschinen und Fließbändern. Überkopfarbeiten mit der rechten Hand sind nur gelegentlich möglich. Arbeiten, die das Einnehmen der Hockestellung erfordern, und Arbeiten, die im Knien ausgeführt werden müssen, sind ausgeschlossen. Auch Arbeiten auf Leitern und Gerüsten sind zu vermeiden.

Der Kläger ist nicht mehr in der Lage, Arbeiten mit starker Stimmbelastung zu verrichten.

Ein Acht-Stunden-Arbeitstag ist möglich; Pausen, die über das physiologische Ausmaß hinausgehen, sind nicht erforderlich. Beschränkungen des Anmarschweges zur Arbeitsstätte bestehen nicht; öffentliche Verkehrsmittel können benützt werden. Zur Erhaltung und Stabilisierung dieses Leistungskalküls ist eine heilgymnastische bzw medikamentöse und physiotherapeutische Behandlung zweckmäßig. Mit Krankenständen, die das übliche Ausmaß erheblich überschreiten, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht zu rechnen.

Die Einschränkung bezüglich des rechten Armes besteht seit April 1999; im Übrigen besteht das beschriebene Leistungskalkül seit Antragstellung (5. 12. 1996).

Mit diesem Leistungskalkül ist der Kläger nach wie vor in der Lage, eine Selbstbedienungstankstelle zu betrieben. Bei einem Umsatz zwischen 1,5 und 2 Mio Liter Treibstoff ist eine solche Tankstelle existenzsichernd. Die Tätigkeit bei einer solchen Selbstbedienungstankstelle besteht darin, im Innenraum zu kassieren; alles andere läuft vollautomatisch ab. An eine Selbstbedienungstankstelle kann auch noch ein Shop für Waren kleinerer Art (zB Schokolade, Zeitungen und Souvenirs) angeschlossen sein. Bei der Anlieferung von Zeitungen besteht die Möglichkeit, die Zeitungspakete derart aufzuteilen, dass die zumutbare Hebe- und Tragebelastung nicht überschritten wird. Weiters kann einer Selbstbedienungstankstelle eine vollautomatische Waschanlage angeschlossen sein. Bei einer solchen Waschanlage hat der Tankstellenbetreiber keine Tätigkeit zu verrichten. Der PKW-Besitzer nimmt selbst aktiv die Autowäsche vor bzw bedient selbständig die automatische Anlage. Für den Tankstellenbetreiber ist es lediglich erforderlich, dass Reinigungsmittel in Behälter der Anlage eingefüllt werden, was auch durch eine angestellte Kraft erfolgen kann. Die Hebe- und Tragebelastung, die mit dem Betrieb eines Getränkemarkts verbunden ist, ist mit dem Leistungskalkül des Klägers nicht vereinbar. Es kommt dabei zu Hebe- und Tragebelastungen von mehr als 10 kg (bzw 5 kg, den rechten Arm betreffend), dies während der gesamten Öffnungszeiten und damit auch zu Zeiten, in denen kein angestellter Mitarbeiter im Betrieb ist.

Beim Betrieb einer Espresso-Bar können die üblicherweise anfallenden Hebe- und Trageleistungen (Getränkekisten etc) von einem angestellten Mitarbeiter während der normalen Arbeitszeit verrichtet werden. Es kommt jedoch auch vor, dass ein außergewöhnlicher Bedarf besteht, so etwa wenn unvorhergesehen die Getränke ausgehen. Es kann dann zu das Leistungskalkül des Klägers überschreitenden Hebe- und Tragebelastungen kommen, die außerhalb der normalen Arbeitszeiten anfallen. Der Betrieb einer Espresso-Bar ist mit Arbeiten mit erheblicher Stimmbelastung verbunden.

Die beklagte Partei hat die "Anfrage wegen vorzeitiger Alterspension wegen Erwerbsunfähigkeit" des Klägers als Antrag auf Feststellung der Erwerbsunfähigkeit iSd § 133a GSVG gewertet. Mit Bescheid vom 16. 5. 1997 hat die beklagte Partei festgestellt, dass Erwerbsunfähigkeit gemäß § 133 GSVG nicht vorliege. Der Kläger sei weder nach § 133 Abs 1 GSVG noch nach § 133 Abs 2 GSVG erwerbsunfähig, weil seine Erwerbsfähigkeit nicht so gemindert sei, dass er nicht mehr imstande wäre, weiterhin einer selbständigen Erwerbstätigkeit im Sinne dieser Gesetzesstellen nachzugehen.

Das Erstgericht stellte fest, dass der Kläger seit 1. 5. 1997 erwerbsunfähig sei; das Begehren auf Feststellung der Erwerbsunfähigkeit für den Zeitraum vom 5. 12. 1996 bis 30. 4. 1997 wurde abgewiesen. Betreffend § 133 Abs 2 GSVG sei der maßgebliche Prüfungszeitpunkt für die Erwerbsunfähigkeit des Klägers - ausgehend von einem Prüfungszeitraum von 60 Kalendermonaten vor Schluss der Verhandlung - der 1. 4. 1997. Als relevante Tätigkeit sei der Betrieb der Espresso-Bar anzusehen, bis Mai 1997 zusätzlich der Betrieb der Tankstelle. Der Getränkemarkt könne außer Betracht bleiben, weil dieser erst seit Mai 1997 geführt werde. Im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation und die Umsatzzahlen sei die persönliche Arbeitsleistung des Klägers zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig gewesen.

Der Kläger sei nach seinem Leistungskalkül noch in der Lage, eine Selbstbedienungstankstelle, allenfalls mit angeschlossener vollautomatischer Wachanlage oder einem Souvenir-Shop zu betreiben, sodass bis 1. 5. 1997 eine Verweisungstätigkeit vorhanden gewesen sei. Da der Kläger aber aufgrund der anfallenden Hebe- und Tragebelastungen und der starken Stimmbelastungen nicht mehr in der Lage sei, die Espresso-Bar zu betreiben, sei für den Zeitraum ab 1. 5. 1997 die Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 2 GSVG festzustellen. Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge, hob das Ersturteil auf und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Es sah die Tatsachenrüge (beider Parteien) nicht als berechtigt an und führte in rechtlicher Hinsicht zusammengefasst Folgendes aus: Im Falle eines Feststellungsbegehrens nach § 133a GSVG sei zu beurteilen, ob zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt (Schluss der Verhandlung erster Instanz, hier 21. 3. 2002) Erwerbsunfähigkeit vorliege. Durch einen Antrag nach § 133a GSVG werde kein Stichtag ausgelöst. Mangels eines vor dem 1. 7. 2000 liegenden Stichtages (§ 284 Abs 3 GSVG) sei auch der zum Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz nicht mehr in Geltung stehende § 131c GSVG auf den Kläger nicht mehr anzuwenden. Da der Kläger zu diesem Zeitpunkt das 57. Lebensjahr bereits vollendet gehabt habe, sei (auch) § 133 Abs 3 GSVG auf ihn anwendbar. Diese Bestimmung normiere einen Tätigkeitsschutz. Abzustellen sei bei der Prüfung der Erwerbsunfähigkeit auf den konkreten Gewerbebetrieb, den der Versicherte im Beobachtungszeitraum - in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens durch 120 Kalendermonate - tatsächlich geführt habe. Dabei sei nicht entscheidend, ob der Versicherte in der Lage sei, seine Tätigkeit in der früher tatsächlich ausgeübten Form weiterhin zu verrichten, sondern ob er unter Berücksichtigung der Einschränkungen seines Leistungskalküls in der Lage sei, seine selbständige Erwerbstätigkeit weiter auszuüben, wobei auch eine mögliche Umorganisation des Betriebes in Betracht zu ziehen sei. Damit werde der Besonderheit Rechnung getragen, dass selbständig Erwerbstätige durch die ihnen zur Verfügung stehende Möglichkeit, ihr persönliches Arbeitsgebiet durch Umorganisation weitgehend selbst zu bestimmen, Arbeiten an Mitarbeiter übertragen könnten, wenn sie diese Arbeiten nicht mehr selbst zu leisten imstande seien. Eine derartige Umstrukturierung des Betriebes dürfe aber nicht zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Grundlage des Betriebes führen. So wie aber der Gesetzgeber einem Unselbständigen unter Umständen ein Herabsinken seines Einkommens bis zur „Lohnhälfte" zumute, müsse auch von einem selbständig Erwerbstätigen jedenfalls eine gewisse Verschmälerung seiner Einkommenssituation vor Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen zur Erwerbsunfähigkeitspension billigerweise in Kauf genommen werden. Die für die Prüfung der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 3 GSVG maßgebende Tätigkeit des Klägers sei die des Betriebes einer Tankstelle mit einer angeschlossenen Espresso-Bar. Der Kläger sei jedenfalls nach dem festgestellten Sachverhalt noch in der Lage, eine Selbstbedienungstankstelle zu betreiben; er könnte dabei auch noch einen Shop für Waren kleinerer Art führen. Als zumutbare Umorganisation seines Betriebes käme jedenfalls der gänzliche Entfall des Buffetbetriebes in Betracht, zumal der Kläger ohnehin den weitaus überwiegenden Umsatz seines Betriebes mit der Tankstelle und nicht mit der Espresso-Bar gemacht habe.

Selbst wenn der Kläger daher nicht als erwerbsunfähig iSd § 133 Abs 3 GSVG anzusehen sei, müsse die Erwerbsunfähigkeit auch nach § 133 Abs 2 GSVG geprüft werden. In diesem Rahmen genieße der Kläger keinen Tätigkeitsschutz, sondern einen Berufsschutz. § 133 Abs 2 GSVG stelle bei der Verweisung nicht auf die konkret im Beobachtungszeitraum ausgeübte Tätigkeit oder die bisherige Betriebsstruktur ab, sondern nur auf die Kenntnisse und Fähigkeiten, die für die durch 60 Monate ausgeübte selbständige Erwerbstätigkeit erforderlich gewesen seien. Dem Versicherten solle bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen des § 133 Abs 2 GSVG nicht zugemutet werden, völlig neue Kenntnisse zu erwerben oder nur mehr einer unselbständigen Tätigkeit nachzugehen. Eine Verweisungstätigkeit müsse keineswegs der bisher ausgeübten Tätigkeit in allen Punkten entsprechen und es sei - wie im Fall des § 255 Abs 1 ASVG - auch die Verweisung auf eine selbständige Erwerbstätigkeit zulässig, die nur Teilbereiche der bisher ausgeübten umfasse, wenn nur für diesen Teilbereich die Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich gewesen seien, die der Versicherte bisher benötigt habe.

Bei der Beurteilung, ob Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 2 GSVG vorliege, sei aber zunächst zu prüfen, ob die persönliche Arbeitsleistung des Klägers zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig gewesen sei. Darunter sei die ausführende Mitarbeit zu verstehen, die notwendig sein müsse, um wirtschaftlich gesehen den vom Versicherten zuletzt geführten Betrieb rentabel aufrecht zu erhalten. Dabei müsse rückschauend geprüft werden, ob die persönliche Arbeitsleistung objektiv im Hinblick auf den betreffenden Betrieb auch erforderlich gewesen sei. Insoweit komme es auf den konkreten Betrieb des Klägers und nicht auf die Verhältnisse in einem „durchschnittlichen" Betrieb an. Die Notwendigkeit und Möglichkeit einer Umstrukturierung des Betriebes sowie die Rentabilität und Zumutbarkeit der Weiterführung bei einer solchen Umorganisation sei - wie im Fall des § 133 Abs 3 GSVG - auch hier zu prüfen, etwa auch im Sinne einer Delegierung einzelner Arbeitsgänge an Mitarbeiter, einer Aufnahme von Hilfs- und Ersatzkräften etc, um festzustellen, ob trotz des eingeschränkten medizinischen Leistungskalküls bei solchen Maßnahmen noch eine wirtschaftlich vertretbare Betriebsführung möglich sei. Auch ein selbständig Erwerbstätiger müsse dabei jedenfalls eine gewisse Schmälerung seiner Einkommenssituation vor Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen zur Erwerbsunfähigkeitspension billigerweise in Kauf nehmen.

Wie erwähnt komme es bei der Prüfung der Verweisungsmöglichkeit nach § 133 Abs 2 GSVG auf die Tätigkeit an, die zuletzt (durch mindestens 60 Kalendermonate) ausgeübt worden sei. Eine Tätigkeit, die nicht zuletzt ausgeübt worden sei, sei außer Betracht zu lassen, wenn eine andere bis zu einem späteren Zeitpunkt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt worden sei. Da der Kläger zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung seinen Getränkemarkt noch nicht 60 Kalendermonate ausgeübt habe (nur von 5/97 bis 3/02), sei die gemäß § 133 Abs 2 GSVG als Vergleichsmaßstab dienende Erwerbstätigkeit jene der Espresso-Bar.

Die Rechtsfrage, ob die persönliche Arbeitsleistung des Klägers zur Aufrechterhaltung dieses Betriebes notwendig gewesen sei oder ob die Möglichkeit bestanden habe, durch organisatorische Maßnahmen den Betrieb so zu gestalten, dass der Kläger von der persönlichen Mitarbeit in dem kalkülsüberschreitenden Bereich befreit werden könne, könne aufgrund der vom Erstgericht getroffenen Feststellungen noch nicht abschließend beurteilt werden. Der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts, die persönliche Arbeitsleistung des Klägers sei im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation und die Umsatzzahlen zur Aufrechterhaltung des Betriebes notwendig gewesen, liege keinerlei Tatsachensubstrat zugrunde. Dazu habe das Erstgericht nämlich lediglich festgestellt, dass die Espresso-Bar (Imbissstube) mit 30 Sitzplätzen einen Umsatz von ca 1,000.000 bis 1,500.000 S erbracht habe. Seit Schließung der Tankstelle sei die Kundenfrequenz entsprechend zurückgegangen und der Umsatz, der mit der Espresso-Bar zu erzielen sei, sei auf etwa die Hälfte gesunken.

Auch wenn es im Betrieb des Klägers unvorhergesehen der Fall sein könne, dass das Heben und Tragen von Gegenständen in einem Ausmaß notwendig sei, das das medizinische Leistungskalkül des Klägers überschreite, so bleibe zu prüfen, ob der Betrieb des Klägers nicht so umorganisiert werden könnte, dass es zu diesem "außergewöhnlichen Bedarf" (so das Erstgericht) nicht komme.

Auch die Feststellung, dass der Betrieb einer Espresso-Bar mit Arbeiten mit erheblicher Stimmbelastung verbunden sei, reiche für die rechtliche Beurteilung nicht aus. Es müsse festgestellt werden, welche konkreten Arbeiten der Kläger deshalb nicht verrichten könne und ob und gegebenenfalls in welchem Aufgabenbereich und in welchem zeitlichen Ausmaß daher der Einsatz einer Ersatzarbeitskraft notwendig sei. Sei die Beschäftigung eines (weiteren) Mitarbeiters unumgänglich, sei die Frage der Zumutbarkeit einer Umorganisation des Betriebes anhand eines Vergleiches zwischen dem Betriebserfolg bei der bisherigen Mitarbeit des Klägers und dem Betriebserfolg bei Anstellung eines solchen weiteren Mitarbeiters unter Berücksichtigung dessen Kosten zu beurteilen Auch in diesem Punkt erweise sich das Verfahren daher als ergänzungsbedürftig.

Sei die Notwendigkeit der persönlichen Mitarbeit des Klägers zur Aufrechterhaltung seines konkreten Betriebes auch im Rahmen einer wirtschaftlich vertretbaren Betriebsführung zu bejahen, stelle sich die weitere Frage, ob der Kläger außer Stande sei, einer selbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, die eine ähnliche Ausbildung sowie gleichwertige Kenntnisse und Fähigkeiten wie die Erwerbstätigkeit erfordere, die er zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt habe. Bei der Beurteilung dieser Frage komme es nicht nur auf die Möglichkeit einer Umorganisation des konkreten Betriebes an, sondern auf den durchschnittlichen Betrieb eines solchen Unternehmens. Da das Gesetz bezüglich der Prüfung der Möglichkeit der Weiterführung einer selbständigen Tätigkeit eben nicht auf die bisherige Betriebsstruktur abstelle, gehe es daher vorerst vielmehr um die Situation in solchen Betrieben schlechthin. Mangels jeglicher Feststellungen könne aber auch diese Rechtsfrage nicht abschließend beurteilt werden. Da nicht fest stehe, welche konkreten Tätigkeiten der Kläger aufgrund seiner Stimmbelastung nicht verrichten könne, und daher - im Gegensatz zu den Entscheidungen 10 ObS 423/01f und 10 ObS 42/01a - nicht beurteilt werden könne, ob der Kläger nach dem festgestellten medizinischen Leistungskalkül von Tätigkeiten in der Kleingastronomie gänzlich ausgeschlossen sei, könne der Kläger, selbst wenn man die Notwendigkeit seiner persönlichen Arbeitsleistung zur Aufrechterhaltung seines konkreten Betriebes im Rahmen einer wirtschaftlich vertretbaren Betriebsführung zugrunde lege, nicht ohne weiteres auf einen Kleingastronomiebetrieb mit ein oder zwei hauptberuflich angestellten Mitarbeitern verwiesen werden.

Zur Beseitigung der Feststellungsmängel bedürfe es einer Verhandlung in erster Instanz. Die Zulässigkeit des Rekurses gründe sich darauf, dass insbesondere der beklagten Partei die Möglichkeit gegeben werden solle, die Rechtsansicht des Berufungsgerichtes an den OGH heranzutragen, die Erwerbsunfähigkeit eines Versicherten, der das 57. Lebensjahr vollendet habe, sei nicht ausschließlich nach § 133 Abs 3 GSVG zu prüfen, sondern gegebenenfalls auch nach § 133 Abs 2 GSVG. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der beklagten Partei aus den Rekursgründen der unrichtigen rechtlichen Beurteilung und der Mangelhaftigkeit des Verfahrens mit dem Antrag, den Beschluss des Berufungsgerichts aufzuheben und in der Sache selbst im klagsabweisenden Sinn zu entscheiden, in eventu an die Stelle der Rechtsansicht des Berufungsgerichts im Sinne der Rekursausführungen der beklagten Partei die eigene Rechtsansicht zu setzen und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Unterinstanzen zurückzuverweisen.

Die klagende Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs infolge Unzulässigkeit zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

In ihrem Rekurs gesteht die beklagte Partei vorerst als richtig zu, dass die Erwerbsunfähigkeit im Fall des Klägers sowohl nach § 133 Abs 3 GSVG als auch nach § 133 Abs 2 GSVG zu prüfen sei. Allerdings sei nicht nur die Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 3 GSVG, sondern auch nach § 133 Abs 2 GSVG ausgeschlossen, weil der Kläger weiterhin das Espresso führen könne. Die Probleme mit der Stimme bestünden schon seit Jahrzehnten und seien in den Beruf „eingebracht" worden. Bei einem derart langen Bestehen der Probleme mit der Stimme sei davon auszugehen, dass der Kläger dieses Leiden beherrsche, noch dazu, weil mit einfachen Mitteln wie Inhalationen, einer Kur bzw eventuell einer kleineren zumutbaren Operation die Probleme (die den Kläger tatsächlich nicht an der Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit gehindert hätten) zu bessern, wenn nicht sogar gänzlich zu beseitigen wären. Auch das Auftreten von Hebe- und Tragebelastungen könnte so organisiert werden, dass keine kalkülsüberschreitenden Belastungen auftreten. Dass sich das Berufungsgericht nicht mit den entsprechenden Argumenten der beklagten Partei auseinandergesetzt habe begründe im Übrigen eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens

Zutreffend hat bereits das Berufungsgericht dargestellt, dass im Falle eines Feststellungsbegehrens nach § 133a GSVG zu beurteilen ist, ob zu dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt (Schluss der Verhandlung erster Instanz) Erwerbsunfähigkeit vorliegt. Durch den Antrag gemäß § 133a GSVG wird kein Stichtag ausgelöst; die Bestimmung des § 113 Abs 2 GSVG bezieht sich nur auf Leistungsanträge (SSV-NF 11/143, 11/145 mwN; 10 ObS 184/01h; RIS-Justiz RS0109045). Da die Verhandlung vor dem Erstgericht am 21. 3. 2002 geschlossen wurde, wäre an sich die Prüfung des Vorliegens von Erwerbsunfähigkeit auf diesen Zeitpunkt zu beziehen gewesen; im Hinblick auf die Aufhebung des Ersturteils verschiebt sich der maßgebende Zeitpunkt allerdings noch weiter in die Zukunft.

Da § 131c GSVG gemäß § 284 Abs 2 GSVG mit Ablauf des 30. 6. 2000 außer Kraft getreten ist und dem Kläger die Bestimmung des § 284 Abs 3 GSVG mangels eines Stichtags vor dem 1. 7. 2000 nicht zugute kommt (10 ObS 184/01h = ARD 5345/31/2002), hat die Prüfung der Erwerbsunfähigkeit des Klägers nach den §§ 132 ff GSVG (in der zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung erster Instanz geltenden Fassung) zu erfolgen. In Betracht kommen nach der derzeitigen Gesetzeslage vor allem § 133 Abs 2 GSVG, aber - da der Kläger bereits das 57. Lebensjahr vollendet hat - auch § 133 Abs 3 GSVG. Wie vom Obersten Gerichtshof bereits zu der durchaus vergleichbaren Konstellation des Verhältnisses von § 255 Abs 1 ASVG zu § 255 Abs 4 ASVG idF des SVÄG 2000, BGBl I 2000/43, zum Ausdruck gebracht wurde (10 ObS 56/03p), kommt die Anwendung des § 133 Abs 3 GSVG auch dann in Betracht, wenn dem Versicherten (auch) die Vorschrift des § 133 Abs 2 GSVG zugute kommen kann. Nach dieser Bestimmung gilt auch ein Versicherter als erwerbsunfähig, wenn er das 57. Lebensjahr vollendet hat und infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte außer Stande ist, einer selbständigen Erwerbstätigkeit, die er in den letzten 180 Kalendermonaten vor dem Stichtag mindestens 120 Kalendermonate hindurch ausgeübt hat, nachzugehen. Dabei ist die Möglichkeit einer zumutbaren Änderung der sachlichen und personellen Ausstattung seines Betriebes zu berücksichtigen.

In den Gesetzesmaterialien (AB 187 BlgNR 21. GP 3 f) werden die parallelen Neuregelungen des § 255 Abs 4 ASVG, § 133 Abs 3 GSVG und § 124 Abs 2 BSVG gemeinsam auszugsweise folgendermaßen begründet:

"Entsprechend den im Entwurf eines SRÄG 2000 vorgesehenen Maßnahmen soll die vorzeitige Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) aufgehoben werden, und zwar bereits mit Wirksamkeit vom 1. Juli 2000. ....

Als flankierende Maßnahme zur Abfederung von Härten infolge der Aufhebung der vorzeitigen Alterspension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit (wegen Erwerbsunfähigkeit) soll unter einem der Berufsschutz für Personen, die das 57. Lebensjahr bereits vollendet und durch zehn Jahre während der letzten 15 Jahre vor dem Pensionsstichtag eine bestimmte Tätigkeit ausgeübt haben, verbessert werden. Können diese Personen auf Grund einer Krankheit (eines sonstigen Gebrechens) die besagte Tätigkeit nicht mehr ausüben, so gelten sie unter den erwähnten Voraussetzungen als invalid (berufs- bzw. erwerbsunfähig), es sei denn, dass ihnen im konkreten Fall noch eine Änderung dieser Tätigkeit bzw. eine Umorganisation des Betriebes in sachlicher wie personeller Hinsicht zugemutet werden kann."

Da der Kläger die Tankstelle im Mai 1997 aufgegeben hat, kann die Tätigkeit eines Tankstellenbetreibers - betrachtet vom (künftigen) Zeitpunkt des Schlusses der Verhandlung erster Instanz zurück - keinesfalls durch mindestens 120 Kalendermonate in den letzten 180 Kalendermonaten ausgeübt worden sein. Nach derzeitigem Stand liegt daher "eine selbständige Erwerbstätigkeit iSd § 133 Abs 3 Satz 1 GSVG nicht vor, weil der Kläger damit zu keiner einheitlich zu betrachtenden Tätigkeit auf eine Dauer von zumindest 120 Kalendermonate kommt.

Die vom Berufungsgericht geäußerte Rechtsansicht zu den Voraussetzungen der Erwerbsunfähigkeit nach § 133 Abs 2 GSVG ist im Sinne der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zutreffend, sodass der Oberste Gerichtshof, der nicht Tatsacheninstanz ist, der vom Berufungsgericht angeordneten Verfahrensergänzung nicht entgegen treten (Kodek in Rechberger, ZPO2 § 519 Rz 5 mwN; RIS-Justiz RS0042179).

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass § 133 Abs 2 GSVG auf einen Vergleich mit derjenigen Erwerbstätigkeit abstellt, die der Versicherte zuletzt durch mindestens 60 Kalendermonate ausgeübt hat. Nach den Feststellungen besteht das Leistungskalkül - mit Ausnahme der Einschränkung bezüglich des rechten Armes - seit Dezember 1996, darunter auch eine Einschränkung der Belastbarkeit der Stimme ("Der Kläger ist nicht mehr in der Lage, Arbeiten mit starker Stimmbelastung zu verrichten".). Ausgehend vom derzeitigen Stand hat der Kläger im Beobachtungszeitraum von 60 Kalendermonaten die Espresso-Bar und einen Getränkemarkt für Kleinabnehmer betrieben. Abgesehen davon, dass nicht klar ist, in welchem Verhältnis die "erhebliche Stimmbelastung", die mit dem Betrieb einer Espresso-Bar verbunden sind, zur Unmöglichkeit der Verrichtung von Arbeiten mit "starker Stimmbelastung" steht, ist davon auszugehen, dass dieses Leiden für die Frage der weiteren Ausübung der selbständigen Tätigkeit nicht zu berücksichtigen ist, wenn es während des Beobachtungszeitraums von 60 Monaten unverändert bestanden hat. In diesem Sinn hat der Oberste Gerichtshof bereits zu SSV-NF 6/73 den Berufsschutz eines Versicherten verneint, der den an einen Maurer am allgemeinen Arbeitsmarkt gestellten Anforderungen nicht entsprechen konnte, sondern nur denjenigen an seinem konkreten Arbeitsplatz. Auch bezüglich der Behinderung beim Sprechen ist daher eine nähere Abklärung erforderlich.

Damit erweist sich der Aufhebungs- und Zurückverweisungsbeschluss des Berufungsgerichts als zutreffend.

Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.