JudikaturJustiz10ObS157/07x

10ObS157/07x – OGH Entscheidung

Entscheidung
18. Dezember 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Univ.-Prof. DI Hans Lechner (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Peter Schönhofer (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz B*****, vertreten durch Dr. Charlotte Lindenberger, Rechtsanwältin in Steyr, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Vera Kremslehner und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Oktober 2007, GZ 11 Rs 111/07h-18, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht hat das auf Zuspruch der Invaliditätspension ab 1. 2. 2006 gerichtete Klagebegehren abgewiesen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass dem Kläger die Invaliditätspension ab 1. 2. 2006 dem Grunde nach zustehe und trug der beklagten Partei bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von EUR 250 monatlich auf.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision der beklagten Partei ist nicht zulässig.

Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes hat der Versicherungsträger aufgrund eines Antrages auf Invaliditätspension, der gleichzeitig als Antrag auf Rehabilitation zu werten ist, sowohl die Invalidität zum Stichtag als auch die Sinnhaftigkeit der Rehabilitation zu prüfen. Dabei hat er unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges der Ausbildung des Versicherten sowie der von ihm bisher ausgeübten Tätigkeit, aber auch seines Alters zu beurteilen, ob das Rehabilitationsziel überhaupt erreichbar ist. Kommt der Versicherungsträger zu dem Ergebnis, dass er Rehabilitationsmaßnahmen gewährt, hat er bei Vorliegen der Invalidität den Anspruch auf Pension jedenfalls nur für 24 Monate anzuerkennen, gleichzeitig aber auch auszusprechen, dass die Invaliditätspension wegen Gewährung von Maßnahmen der Rehabilitation vorläufig nicht anfällt (SSV-NF 14/44; 10 ObS 203/01b mwN; RIS-Justiz RS0113670).

Der Grundsatz „Rehabilitation vor Pension" gilt auch für Versicherte, denen - wie dem Kläger - Berufsschutz zukommt. Den gesetzlichen Bestimmungen ist eine Einschränkung dahingehend, dass dem Versicherten im Rahmen der beruflichen Rehabilitation nur eine Berufsausübung im Rahmen des (bisherigen) Verweisungsfeldes ermöglicht werden soll, nicht zu entnehmen (SSV-NF 14/44 ua). Nach der auch im Bereich der Pensionsversicherung anzuwendenden Bestimmung des § 198 Abs 1 ASVG soll der Versicherte durch die beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation in die Lage versetzt werden, seinen früheren oder, wenn dies nicht möglich ist, einen neuen Beruf auszuüben.

Die Rehabilitation knüpft somit nicht notwendigerweise am bisherigen Beruf an. Die beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation ermöglichen dem Versicherten vielmehr auch die Ausbildung für eine neue berufliche Tätigkeit. Macht ein Versicherter von dieser Möglichkeit erfolgreich Gebrauch, ist der Berufsschutz nicht mehr nur auf seine ursprüngliche Tätigkeit, zu deren Ausübung er nach wie vor nicht in der Lage ist, abgestellt. Der Gesetzgeber hat die Verweisbarkeit ausgedehnt. Der Versicherte ist bei Prüfung der Voraussetzungen für die Invalidität jedenfalls auf Tätigkeiten verweisbar, für die er unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie der von ihm bisher ausgeübten Tätigkeit durch Leistungen der beruflichen Rehabilitation mit Erfolg ausgebildet oder umgeschult worden ist (§ 255 Abs 5 ASVG; zu allem: 10 ObS 26/03a = SSV-NF 18/30).

Eine derartige berufliche Rehabilitation des Klägers ist jedoch nicht erfolgt:

Der Kläger kann aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen weder die Tätigkeit eines Kraftfahrers im Gütertransport, noch jene als Auslieferer oder als Zusteller ausüben und ist auch als Fuhrparkleiter oder Disponent nicht mehr arbeitsfähig. Eine externe Ausbildung samt danach abzulegender Prüfung für die dem Kläger (auch unter Berücksichtigung seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit) noch zumutbare Tätigkeit eines Kraftfahrers „im Begleitschutz von Gefahrenguttransporten", wird üblicherweise von Fahrschulen angeboten und ist hinsichtlich des Lernstoffumfanges einer Führerscheinprüfung gleichzusetzen. Sie würde den Kläger EUR

1.500 bis EUR 2.000 kosten und einen Kursbesuch von ein bis zwei Wochen erfordern.

Darauf, dass der Kläger an der Durchführung einer solchen, vom Pensionsversicherungssträger angebotenen Maßnahme der beruflichen Rehabilitation nicht entsprechend mitgewirkt habe (§ 305 2. Satz ASVG), hat sich die beklagte Partei nicht berufen, obwohl sie diesbezüglich die Behauptungs- und Beweislast trifft (10 ObS 26/03a; 10 ObS 203/01b). Gewährte Rehabilitationsmaßnahmen, die eine Wiedereingliederung des Klägers in das Berufsleben bewirkt und einen Anfall der Pension verhindert hätten, liegen somit nicht vor. Der Kläger erfüllt vielmehr zum 1. 2. 2006 die Voraussetzungen für die Gewährung der Invaliditätspension nach § 255 Abs 2 ASVG, weil er nach den Feststellungen in den letzten 15 Jahren vor dem Stichtag überwiegend in seinem angelernten Beruf als Kraftfahrer beschäftigt war und aufgrund seines medizinischen Leistungskalküls nicht mehr in der Lage ist, diese Tätigkeit oder andere noch in Betracht kommende Verweisungstätigkeiten zu verrichten. Er hat also grundsätzlich Anspruch auf Gewährung der Invaliditätspension ab dem 1. 2. 2006. Die beklagte Partei hatte aufgrund des Pensionsantrags (auch) die Sinnhaftigkeit der Rehabilitation zu prüfen. Sie hat aber, ausgehend von ihrem auch in der außerordentlichen Revision aufrecht erhaltenen Standpunkt, dass beim Kläger - angesichts der kurzen Dauer der erforderlichen Schulung - Invalidität nicht vorliege, im Anstaltsverfahren offensichtlich keine Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation in die Wege geleitet und den Kläger auch nicht im Sinne des § 305 ASVG informiert und beraten. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in der Entscheidung 10 ObS 53/02w (SSV-NF 16/24) unter Berufung auf den Zweck der §§ 300 ff ASVG dargelegt hat, kann der Pensionsversicherungsträger, der im Anstaltsverfahren dem Versicherten eine Maßnahme der Rehabilitation nicht angeboten hat, im Gerichtsverfahren den Einwand, der Versicherte wäre rehabilitierbar, nicht mehr erheben; im Gerichtsverfahren ist nur noch die Frage des Vorliegens des Versicherungsfalls der geminderten Arbeitsfähigkeit zu prüfen.

Die Revisionsausführungen geben keinen Anlass, von dieser in vielen weiteren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (10 ObS 189/03x; 10 ObS 26/03a uva; zuletzt: 10 ObS 88/07z [betreffend die Aufforderung zur Mitwirkung an einer Heilbehandlung]) bestätigten Rechtsprechung abzugehen. Ein Wertungswiderspruch beim Erwerb von Zusatzkenntnissen, weil externe Seminare - auch wenn sie nur wenige Tage dauerten - bereits der beruflichen Rehabilitation zugehörten, während bei innerbetrieblichen Schulungen eine Ausbildungszeit von bis zu 6 Monaten zulässig sei, ist nicht zu erblicken. Nach ständiger Rechtsprechung würde vielmehr ein erst im sozialgerichtlichen Verfahren erstattetes Anbot der Pensionsversicherungsanstalt, dem Kläger die erforderliche - wenn auch nur kurze, aber mit nicht unbedeutenden Kosten verbundene - extern durchzuführende Schulungsmaßnahme zum Erwerb von Spezialkenntnissen zu ermöglichen (wie die Revision selbst erkennt [Seite 5 unten]), „als verspätete Rehabilitationsmaßnahme ins Leere gehen":

Was den Besuch von externen Kursen im Rahmen der beruflichen Rehabilitation betrifft, hat der Oberste Gerichtshof nämlich ebenfalls schon in der Entscheidung 10 ObS 53/02w (SSV-NF 16/24 = RIS-Justiz RS0084541 [T28]) klargestellt (und in vielen weiteren Entscheidungen bekräftigt), dass nicht der Versicherte für solche Ausbildungsmaßnahmen, die (wie sich hier schon aufgrund des Erfordernisses der Ablegung einer [Fahrschul-]Prüfung eindeutig ergibt) über eine innerbetriebliche Einweisung hinausgehen, zum Zweck der Aufrechterhaltung oder Verbesserung seiner Verweisbarkeit aufzukommen hat. Vielmehr sind sie nach § 303 iVm § 198 ASVG vom Pensionsversicherungsträger im Rahmen der beruflichen Rehabilitation zur Verfügung zu stellen (10 ObS 72/04t; 10 ObS 167/04p; 10 ObS 65/05i).

Die Beurteilung, dass die beklagte Partei im vorliegenden Gerichtsverfahren nicht mehr den Einwand erheben kann, der Versicherte wäre rehabilitierbar, weshalb dem Kläger die Pension ab dem Stichtag gebührt, steht somit in Einklang mit der aktuellen höchstgerichtlichen Judikatur (insb 10 ObS 167/04p, wo die wiedergegebenen Grundsätze ausführlich dargelegt werden), der das Berufungsgericht gefolgt ist. Mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 ZPO ist ihre außerordentliche Revision daher zurückzuweisen.

Rechtssätze
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