JudikaturJustiz10ObS137/07f

10ObS137/07f – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. November 2007

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Wolfgang Höfle (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und AR Angelika Neuhauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr. Dipl. Ing. Uwe L*****, Pensionist, ***** vertreten durch Mag. Dr. Johannes Winkler, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich Hillegeist Straße 1, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Pflegegeld, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht in Arbeits und Sozialrechtssachen vom 17. Juli 2007, GZ 11 Rs 57/07t 37, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Wels als Arbeits und Sozialgericht vom 5. März 2007, GZ 16 Cgs 78/06a 32, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Urteil des Berufungsgerichtes, das im klagsstattgebenden Teil sowie in seiner Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens unberührt bleibt, wird im abweisenden Teil, also hinsichtlich des Begehrens eines Pflegegeldes in Höhe der Differenz zwischen der Stufe 5 und 6, aufgehoben. In diesem Umfang wird auch das Ersturteil aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sozialrechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 6. 3. 2006 erhöhte die beklagte Pensionsversicherungsanstalt das Pflegegeld des Klägers auf Stufe 5 ab 1. 1. 2006.

Der Kläger begehrt mit seiner Klage die Erhöhung des Pflegegeldes auf Stufe 6 ab 1. 1. 2006. Er begründete sein Begehren, soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, im Wesentlichen damit, dass bei ihm zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen erforderlich seien, welche bei Bedarf unverzüglich erbracht werden müssten. So trete bei ihm infolge Pankreasfibrose zeitweise ein extremer Durchfall auf, weshalb mehrmals ein Windelwechsel sowohl in der Nacht als auch am Tag unverzüglich notwendig sei. Weiters leide er unter einer starken Verschleimung der Bronchien und bekomme regelmäßig Hustenanfälle. Da er bei diesen Hustenanfällen kaum Luft bekomme, sei es notwendig, ihn in einem solchen Fall etwas hochzuheben und mit dem Kopf nach vorne zu beugen, damit er sich des Schleimes entledigen könne.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, da die Voraussetzungen für die Gewährung eines Pflegegeldes der Stufe 6 nicht vorlägen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Bescheidwiederholung ab. Nach seinen Feststellungen bewohnt der am 15. 4. 1938 geborene Kläger ein Einfamilienhaus im Familienverband mit seiner Ehegattin und seinem Sohn. Er leidet an einer Halbseitenlähmung rechts nach mehreren Schlaganfällen und einer intercerebralen Blutung im Oktober 2000, einer obstruktiven Bronchitis mit Hustenattacken, einer Pankreasfibrose mit einer Durchfallsneigung und einer Harn und Stuhlinkontinenz.

Seit Dezember 2005 ist er komplett bettlägrig. Seine rechte Seite ist unbeweglich und versteift, mit der linken Hand kann er noch zielgerichtete Bewegungen durchführen. Ebenfalls seit Dezember 2005 ist die dauernde Bereitschaft einer Pflegeperson erforderlich, da er bei Hustenattacken aufgerichtet werden muss. Ein im Vorhinein festgelegter Pflegeplan kann allerdings eingehalten werden, wobei pro Nacht dreimaliges Umlagern bzw Windelwechseln erforderlich ist. Diese Tätigkeiten können regelmäßig durchgeführt werden. Die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson im unmittelbaren Wohnbereich ist nicht erforderlich. Es besteht weder eine Eigen noch eine Fremdgefährdung. Lediglich dann, wenn Hustenattacken nicht gleich durch eine Umlagerung behandelt werden können, können diese eine Eigengefährdung im Sinne von Aspirationszuständen nach sich ziehen.

Ab September 2006 wurde der Kläger psychomotorisch unruhiger. Ein bei seinem Bett angebrachtes Steckgitter wurde auf seinen Wunsch hin entfernt, sodass er nach robbenden Bewegungen aus dem Bett herausgerutscht ist. Ab diesem Zeitpunkt steigerte sich auch seine Stuhlinkontinenz. Der Kläger gibt seit diesem Zeitpunkt etwa drei bis viermal in der Woche so große Mengen an Stuhl ab, dass ein zeitlicher Aufwand von etwa einer Stunde erforderlich ist, um ihn wieder ausreichend zu reinigen. Seit diesem Zeitpunkt ist die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erforderlich, um ein Herausfallen des Klägers aus dem Bett zu verhindern. Dieses Herausfallen ist mit einer Eigengefährdung verbunden. Das Herausfallen aus dem Bett kann aber auch mit Hilfe eines Steckgitters verhindert werden. Wenn bei seinem Bett ein Steckgitter angebracht wird, ist die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson nicht erforderlich.

In seiner rechtlichen Beurteilung verneinte das Erstgericht das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 6. Die beim Kläger seit September 2006 gesteigerte Stuhlinkontinenz führe zwar dazu, dass ein höherer zeitlicher Aufwand für die Reinigung erforderlich sei, es könne aber dennoch ein im Vorhinein festgelegter Pflegeplan eingehalten werden. Das pro Nacht dreimal notwendige Umlagern bzw Windelwechseln könne regelmäßig durchgeführt werden. Außerdem lägen unkoordinierbare Pflegemaßnahmen nur dann vor, wenn ein im Vorhinein festgelegter Pflegeplan nicht eingehalten werden könne und auch regelmäßig während der Nachtstunden, das hieße nahezu jeder Nacht, tatsächlich unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen erbracht werden müssten. Da diese Hustenattacken des Klägers nicht mit einer derartigen Häufigkeit aufträten, rechtfertigten diese noch nicht die Zuerkennung von Pflegegeld der Stufe 6. Die Annahme des Erfordernisses zeitlich unkoordinierbarer Betreuungsmaßnahmen und damit der Notwendigkeit der dauernden Anwesenheit einer Pflegeperson sei nämlich nicht gerechtfertigt, wenn die pflegebedürftige Person in der Lage sei, bei Bedarf mit Hilfe einer Rufvorrichtung eine Betreuungsperson herbeizurufen. Das Erfordernis der ständigen Beaufsichtigung könne nicht darauf aufgebaut werden, dass nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne, dass etwas passiere. Eine allfällige Eigengefährdung des Klägers durch Herausstürzen aus dem Bett könne durch Anbringen eines Steckgitters verhindert werden. Diese zulässige Maßnahme mache das Erfordernis der dauernden Beaufsichtigung durch eine Betreuungsperson entbehrlich.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und erkannte die beklagte Partei in Wiederholung des durch die Klage außer Kraft getretenen Bescheides schuldig, dem Kläger ab 1. 1. 2006 Pflegegeld der Stufe 5 in Höhe von monatlich EUR 859,30 zu zahlen. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren wies es ab. Es verneinte das Vorliegen der vom Kläger geltend gemachten Verfahrensmängel erster Instanz und vertrat in rechtlicher Beurteilung des festgestellten Sachverhaltes die Auffassung, es reiche hinsichtlich der vom Kläger ins Treffen geführten Hustenanfälle die ständige Bereitschaft einer mit einem sogenannten „Babyphon" ausgestatteten Pflegeperson aus. Einer ständigen Anwesenheit einer Pflegeperson, wie vom Kläger zur Vermeidung einer Selbstgefährdung behauptet werde, bedürfe es daher nicht. Es könne somit dahingestellt bleiben, ob der Kläger, wie vom Erstgericht angenommen, geistig und körperlich in der Lage sei, eine Rufvorrichtung (Alarmglocke) zu bedienen. Auch die festgestellte Häufigkeit der schweren Durchfälle des Klägers (drei bis viermal pro Woche) begründe keinen die Gewährung der Stufe 6 rechtfertigenden Pflegebedarf, da dafür die Erbringung zeitlich unkoordinierbarer Betreuungsmaßnahmen regelmäßig während des Tages und der Nacht notwendig wäre.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision gegen seine Entscheidung zulässig sei, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu der Frage vorliege, ob hinsichtlich des Erfordernisses der ständigen Anwesenheit einer Pflegeperson die mögliche Verwendung eines „Babyphons" mit dem Einsatz einer Alarmglocke gleichzusetzen sei.

Gegen den abweisenden Teil dieser Entscheidung richtet sich die Revision des Klägers wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens, Aktenwidrigkeit und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinne des hilfsweise gestellten Aufhebungsantrages auch berechtigt.

Eine Aktenwidrigkeit des Berufungsurteiles erblickt der Kläger in den Ausführungen des Berufungsgerichtes, wonach der aus dem Gebiet der Allgemeinmedizin bestellte Sachverständige die Notwendigkeit der Einholung weiterer (Fach )Gutachten verneint habe. Dies sei zwar insofern richtig, als der medizinische Sachverständige in seinem Erstgutachten eine diesbezügliche Aussage getätigt habe. Der Sachverständige habe jedoch in den nach der Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Klägers erstatteten Ergänzungsgutachten zu dieser Frage nicht mehr ausdrücklich Stellung genommen.

Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nach § 503 Z 3 ZPO liegt nur vor, wenn ein Widerspruch zwischen aktenkundigen wesentlichen Tatsachen und deren Wiedergabe im Berufungsurteil besteht. Werden hingegen an bestimmte, in den Prozessakten enthaltene Tatsachen Schlussfolgerungen angeknüpft und daher in Wahrheit Beweisergebnisse gewertet, so liegt keine Aktenwidrigkeit, sondern ein nicht revisibler Akt der Beweiswürdigung vor ( Zechner in Fasching/Konecny ² VI/1 § 503 Rz 159 und 172 mwN). Im vorliegenden Fall liegt den in Rede stehenden Ausführungen des Berufungsgerichtes eine entsprechende Aussage des medizinischen Sachverständigen zugrunde. Die Frage, ob im Hinblick auf die im Gesundheitszustand des Klägers während des Verfahrens eingetretene Verschlechterung entgegen der vom medizinischen Sachverständigen in seinem Erstgutachten vertretenen Ansicht die Einholung weiterer (Fach )Gutachten erforderlich gewesen wäre, betrifft die im Revisionsverfahren nicht mehr bekämpfbare Beweiswürdigung der Tatsacheninstanzen. Die geltend gemachte Aktenwidrigkeit liegt daher nicht vor.

In seinen weiteren Revisionsausführungen macht der Kläger inhaltlich vor allem das Vorliegen sekundärer Feststellungsmängel geltend. So hätten die Vorinstanzen nicht deutlich genug festgestellt, dass bereits das Auftreten der schweren Hustenattacken für den Kläger wegen der damit verbundenen Erstickungsgefahr einen akuten, selbstgefährdenden Zustand darstelle, welcher die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson erfordere. Er bedürfe in einem solchen Fall sofortiger und unmittelbarer Hilfe, welche jedoch nur gewährleistet sei, wenn sich die Betreuungsperson im Wohnbereich bzw in unmittelbarer Nähe des Klägers aufhalte. Der Kläger sei auch nicht in der Lage, einen drohenden Hustenanfall rechtzeitig zu erkennen und eine Betreuungsperson mit Hilfe einer Alarmglocke zur Hilfe zu rufen. Weiters liege beim Kläger eine Selbstgefährdung auch durch die Auswirkungen der Pankreasfibrose vor, welche ebenfalls ein unverzügliches Einschreiten einer Betreuungsperson erforderlich machten. Es liege bei ihm keine normale Stuhl und Harninkontinenz vor, welche mit dem Tragen normaler Windeln zu bewältigen wäre. Bei ihm sei vielmehr nach den ca drei- bis viermal pro Woche auftretenden schweren Durchfällen eine sofortige Reinigung notwendig, um eine Zersetzung der Haut, in die sodann Fäkalbakterien eindringen könnten, zu verhindern. Soweit sich das Berufungsgericht mit dem entsprechenden Vorbringen des Klägers in seiner Berufung nicht ausreichend auseinandergesetzt habe, liege auch eine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens vor.

Diesen Ausführungen kommt im Sinne der beschlossenen Aufhebung Berechtigung zu.

Nach § 4 Abs 2 BPGG besteht Anspruch auf Pflegegeld der Stufe 6 für Personen, deren Pflegebedarf nach § 4 Abs 1 BPGG durchschnittlich mehr als 180 Stunden monatlich beträgt, wenn

1. zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaß- nahmen erforderlich sind und diese regelmäßig während des Tages und der Nacht zu erbringen sind oder

2. die dauernde Anwesenheit einer Person während des Tages und der Nacht erforderlich ist, weil die Wahrscheinlichkeit einer Eigen oder Fremdgefährdung gegeben ist.

„Zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaß- nahmen" im Sinne des § 4 Abs 2 Stufe 6 Z 1 BPGG liegen nach der Begriffsdefinition des § 7 EinstV dann vor, wenn ein Pflegeplan wegen einer körperlichen, geistigen oder psychischen Behinderung oder einer Sinnesbehinderung des pflegebedürftigen Menschen nicht eingehalten werden kann und die Betreuungsmaßnahme unverzüglich erbracht werden muss. Im Gegensatz zu den Kriterien für ein Pflegegeld der Stufe 5 wird daher für die Stufe 6 verlangt, dass die jeweilige Betreuungsmaßnahme unverzüglich, das heißt ohne unnötigen Aufschub, erbracht werden muss. Diese zeitlich unkoordinierbaren Betreuungsmaßnahmen müssen zudem regelmäßig bei Tag und bei Nacht erforderlich sein. Die Voraussetzung von unkoordinierbaren Pflegemaßnahmen auch „bei Nacht" bedeutet, dass ein solcher Bedarf nahezu jede Nacht erforderlich sein muss. Auch regelmäßige planbare, aber aufgrund der Intensität der Pflege in sehr kurzen Zeitabständen notwendige Pflegeleistungen können dazu führen, dass die Betreuungsmaßnahmen nicht mehr als zeitlich im Voraus koordinierbar anzusehen sind und eine Pflegeperson daher praktisch permanent im Wohnbereich anwesend sein muss. Den Intentionen der Stufe 6 folgend gebührt daher auch in diesem Fall Pflegegeld der Stufe 6. Nach der Rechtsprechung sind die Betreuungsmaßnahmen beispielsweise dann, wenn der Betroffene ca eine Stunde alleine gelassen werden kann, noch als zeitlich im Voraus koordinierbar anzusehen, sodass in diesem Fall Rufbereitschaft einer Pflegeperson (Stufe 5) ausreicht ( Greifeneder/Liebhart , Handbuch Pflegegeld Rz 343 ff mit Nachweisen aus der Rechtsprechung). Das Erfordernis der „Regelmäßigkeit" in Z 1 bringt ebenso wie das Kriterium der „dauernden Anwesenheit" in Z 2 eine besondere Häufigkeit des (dringenden) Tätigwerdens als Anspruchsvoraussetzung zum Ausdruck, die durch ein unkoordinierbares, unmittelbar notwendiges Tätigwerden in bestimmten Einzelsituationen, welche im Durchschnitt nur alle zwei oder drei Tage auftreten, nicht erreicht wird (10 ObS 42/06h).

Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, ist keine vom medizinischen Sachverständigen zu klärende Tatfrage, sondern eine Rechtsfrage, die ausgehend von den Feststellungen über die Bedürfnisse des Betroffenen im konkreten Fall zu beurteilen ist (SSV NF 14/64 mwN). Es bedarf daher immer konkreter Feststellungen, ob Umstände vorliegen, die es erforderlich machen, dass unverzüglich, das heißt ohne unnötigen Aufschub, durch eine Pflegeperson tatsächlich Pflegeleistungen erbracht werden müssen, wie häufig derartige Umstände auftreten und ob diese sowohl bei Tag als auch während der Nacht nahezu täglich auftreten ( Greifeneder/Liebhart aaO Rz 346).

Nach § 4 Abs 2 Stufe 6 Z 2 BPGG liegt weiters ein qualifizierter Pflegebedarf vor, wenn die dauernde Anwesenheit einer Pflegeperson während des Tages und bei Nacht wegen der Wahrscheinlichkeit von Eigen oder Fremdgefährdung erforderlich ist. Unter dauernder Anwesenheit ist die weitgehend permanente Anwesenheit einer Pflegeperson im Wohnbereich bzw in unmittelbarer Nähe des Pflegebedürftigen zu verstehen. Diese wird vor allem dann erforderlich sein, wenn im Einzelfall besonders häufig und/oder besonders dringend ein Bedarf nach fremder Unterstützung auftritt. Diese Notwendigkeit nach einem unverzüglichen Eingreifen einer Pflegeperson stellt, wie bereits erwähnt, einen wesentlichen Unterschied zu den Anspruchsvoraussetzungen für die Stufe 5 dar. Die Notwendigkeit einer Sitzwache neben dem Bett des Pflegebedürftigen ist aber nicht Anspruchsvoraussetzung ( Greifeneder/Liebhart aaO Rz 347 mwN). Der Begriff der „Eigengefährdung" umfasst sowohl die Gefahr selbstgefährdender, gegen sich selbst gerichteter „Handlungen" als auch jeden sonstigen die Gesundheit ernstlich gefährdenden Zustand des Pflegebedürftigen, der ein unverzügliches Eingreifen durch eine Pflegeperson erforderlich macht. Eine Einschränkung des Begriffes „Eigengefährdung" auf „gegen sich selbst gerichtete Handlungen" ist dem Gesetzestext nicht zu entnehmen. Auch nach den Materialien zur BPGG Novelle 1998 (RV 1186 BlgNR XX. GP 11) kann die „dauernde Anwesenheit" einer Pflegeperson im unmittelbaren Wohnbereich ganz allgemein dann notwendig sein, „wenn die Gesundheit des Pflegebedürftigen selbst oder einer anderen Person gefährdet ist". Eine dauernde Anwesenheit ist nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut aber nur dann notwendig, wenn eine solche Gefahr wahrscheinlich ist (vgl SSV NF 14/42 ua). Die bloße Möglichkeit des Auftretens einer solchen Gefahr reicht daher nicht aus. Eine konkrete Mindesthäufigkeit der die dauernde Anwesenheit erfordernden Ereignisse lässt sich ebensowenig ziffernmäßig bestimmen, wie sich ein Mindestmaß der damit für den Pflegebedürftigen oder einen Dritten verbundenen Gesundheitsgefährdung konkret definieren lässt. Diese Rechtsfrage kann immer nur anhand der konkreten Umstände im Einzelfall beurteilt werden. So wie die zeitlich unkoordinierbaren Betreuungsmaßnahmen (Z 1) muss auch die dauernde Anwesenheit wegen der Wahrscheinlichkeit der Eigen oder Fremdgefährdung (Z 2) während des Tages und der Nacht, also nahezu jeden Tag und jede Nacht, erforderlich sein. Dass nur bei Nacht ständig jemand im Haus rufbereit sein muss, während es tagsüber reicht, stündlich nachzusehen, erfüllt daher ebensowenig die Voraussetzungen für die Stufe 6, wie das bloße Erfordernis der dauernden Anwesenheit im Wohnbereich während des Tages ( Greifeneder/Liebhart aaO Rz 350 mwN). Die Notwendigkeit der dauernden Anwesenheit einer Pflegeperson wegen Eigen oder Fremdgefährdung ist schließlich stets unter Bedachtnahme auf die mögliche und zumutbare Nutzung gelinderer Mittel (zB zulässige freiheitsbeschränkende Maßnahmen, Verwendung von Hilfsmitteln im Sinn des § 3 EinstV) zu prüfen.

Ausgehend von diesen dargelegten Erwägungen bieten die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen noch keine ausreichende Grundlage für die Beurteilung der Frage, ob beim Kläger das Erfordernis zeitlich unkoordinierbarer Betreuungsmaßnahmen, die regelmäßig bei Tag und bei Nacht erforderlich sind (Z 1) oder der dauernden Anwesenheit einer Pflegeperson während des Tages und der Nacht wegen Eigen oder Fremdgefährdung (Z 2) besteht. So fehlen für die Beurteilung der Frage, ob es sich bei den Betreuungsverrichtungen im Zusammenhang mit den beim Kläger als Folge einer obstruktiven Bronchitis auftretenden schweren Hustenattacken und den als Folge einer Pankreasfibrose auftretenden schweren Durchfällen um zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen im Sinn des § 4 Abs 2 Stufe 6 Z 1 BPGG handelt, insbesondere nähere Feststellungen darüber, ob diese Betreuungsmaßnahmen von der Betreuungsperson unverzüglich erbracht werden müssen oder ob die ständige Rufbereitschaft einer Pflegeperson außerhalb des Wohnbereiches ausreichend ist, ob bzw wie der Kläger zu der Pflegeperson Kontakt aufnehmen kann, wie häufig die Hustenattacken beim Kläger wahrscheinlich auftreten und ob zeitlich unkoordinierbare Betreuungsmaßnahmen beim Kläger regelmäßig während des Tages und der Nacht zu erbringen sind. Unter Berücksichtigung dieser ergänzend zu treffenden Feststellungen wird schließlich gegebenenfalls auch die weitere Frage, ob beim Kläger die Notwendigkeit einer weitgehend permanenten Anwesenheit einer Pflegeperson im Wohnbereich während des Tages und der Nacht wegen der Wahrscheinlichkeit einer Eigengefährdung besteht (§ 4 Abs 2 Stufe 6 Z 2 BPGG), im Sinne der oben dargelegten Ausführungen zu beurteilen sein. Zur Abklärung der aufgezeigten Feststellungsmängel bedarf es einer Verhandlung erster Instanz. Die Urteile der Vorinstanzen waren daher im noch strittigen Umfang (Differenz der Stufen 5 und 6) aufzuheben und die Sache an das Erstgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Vorbehalt hinsichtlich der Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO. Da der vom Berufungsgericht aufgrund der Bestimmung des § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG vorgenommene Zuspruch der Kosten des Berufungsverfahrens an den Kläger vom weiteren Verfahrensausgang unabhängig ist, war auszusprechen, dass diese Kostenentscheidung des Berufungsgerichtes von der Aufhebung des Berufungsurteiles nicht umfasst wird.

Rechtssätze
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