JudikaturJustiz10ObS111/22d

10ObS111/22d – OGH Entscheidung

Entscheidung
22. November 2022

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Univ. Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Mag. Schober sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Deimbacher (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Robert Hauser (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei S*, vertreten durch die Puttinger Vogl Rechtsanwälte OG in Ried im Innkreis, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Kinderzuschuss, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Juni 2022, GZ 12 Rs 47/22a 13, mit dem das Urteil des Landesgerichts Ried im Innkreis als Arbeits- und Sozialgericht vom 9. März 2022, GZ 3 Cgs 8/22p 8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat ihre Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.

Text

Begründung:

[1] Die Klägerin bezieht seit 1. Jänner 2015 von der beklagten Pensionsversicherungsanstalt eine Alterspension. Sie ist die Urgroßmutter der * 2004 geborenen Z*.

[2] Nach dem Tod des Vaters von Z* im Mai 2020 wurde der Klägerin im Juni 2020 die Obsorge für ihre Urenkelin übertragen. Z* lebt seither bei der Klägerin (in Österreich) in ständiger Hausgemeinschaft. Der Unterhalt von Z* wird von der Klägerin gedeckt; Z* Mutter hat bislang keine Unterhaltsbeiträge geleistet.

[3] Mit Bescheid vom 13. Oktober 2021 wies die Beklagte den Antrag der Klägerin, ihr einen Kinderzuschuss zu gewähren, mit der Begründung ab, dass Urenkel keine Kinder iSd § 252 (iVm § 262 Abs 1) ASVG seien.

[4] Mit ihrer dagegen gerichteten Klage begehrt die Klägerin, ihr einen Kinderzuschuss in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

[5] Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ab. Aus der historischen Entwicklung des § 252 Abs 1 ASVG und dessen Verweis auf § 232 ABGB ergebe sich eindeutig, dass der Gesetzgeber nur jene Nachfahren als Kinder ansehen wollte, für die eine Unterhaltspflicht des Versicherten besteht. Im Unterschied zu Enkeln sei das bei Urgroßenkeln nicht der Fall, sodass sie in § 252 Abs 1 ASVG bewusst nicht erwähnt würden. Eine durch Analogie zu schließende Gesetzeslücke liege angesichts des klaren Gesetzeswortlauts und des erkennbaren Regelungsplans nicht vor.

[6] Das Berufungsgericht ließ die Revision zu, weil zur Frage, ob auch Urenkel als Kinder iSd § 252 Abs 1 ASVG anzusehen seien, noch keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs vorliege.

Rechtliche Beurteilung

[7] Die von der Beklagten beantwortete Revision der Klägerin ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden – Ausspruch des Berufungsgerichts mangels einer darin aufgezeigten Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung nicht zulässig.

[8] 1. Nach § 262 Abs 1 ASVG gebührt unter anderem zu einer Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters für jedes Kind (§ 252) ein Kinderzuschuss. Als Kinder iSd § 252 Abs 1 Satz 1 ASVG gelten die Kinder und die Wahlkinder der versicherten Person (Z 1), die Stiefkinder (Z 4) und die Enkel (Z 5). Enkel gelten nach § 252 Abs 1 zweiter Satz ASVG zudem nur dann als Kinder, wenn sie mit dem Versicherten ständig in Hausgemeinschaft leben, sie gegenüber dem Versicherten iSd § 232 ABGB unterhaltsberechtigt sind und sie und der Versicherte ihren Wohnsitz im Inland haben.

[9] 2. Trotz Fehlens einer ausdrücklichen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einer konkreten Fallgestaltung liegt keine erhebliche Rechtsfrage vor, wenn das Gesetz selbst eine klare, das heißt eindeutige Regelung trifft (RIS Justiz RS0042656). Entgegen der Ansicht der Klägerin ist das bei § 252 Abs 1 ASVG der Fall.

[10] 3. Der Wortlaut des § 252 Abs 1 ASVG erfasst Urenkel nicht. Die Klägerin beruft sich (im Ergebnis) auf eine Gesetzeslücke und meint, aus Zweck und Natur des Kinderzuschusses als Unterstützungsleistung für denjenigen, der tatsächlich Unterhalt leiste, ergebe sich, dass der Begriff des „Enkels“ nach § 252 Abs 1 Z 5 ASVG weit auszulegen sei und es nicht darauf ankommen könne, ob eine Unterhaltspflicht iSd § 232 ABGB bestehe.

[11] 4. Damit vermag sie nicht zu überzeugen.

[12] 4 .1. Eine planwidrige Gesetzeslücke ist (nur) dort anzunehmen, wo das Gesetz gemessen an seiner eigenen Absicht und immanenten Teleologie unvollständig und ergänzungsbedürftig ist, ohne dass eine Ergänzung einer vom Gesetz gewollten Beschränkung widerspricht (RIS Justiz RS0008866; RS0098756 [T14]). Wertungen und Zweck der gesetzlichen Regelung müssen die Annahme rechtfertigen, der Gesetzgeber habe einen nach denselben Maßstäben regelungsbedürftigen Sachverhalt übersehen (RS0008866 [T10, T27]). Hat er hingegen für einen Sachverhalt eine bestimmte Rechtsfolge bewusst nicht angeordnet, fehlt es an einer Gesetzeslücke und daher auch an der Möglichkeit ergänzender Rechtsfindung (RS0008757 [T1]; RS0008866 [T8]).

[13] 4 .2. Wie schon das Berufungsgericht ausführlich dargelegt hat, stützt die Entstehungsgeschichte des § 252 Abs 1 ASVG die Annahme der Klägerin, die Beschränkung auf Nachfahren der zweiten Generation sei vom Gesetzgeber nicht gewollt und das Gesetz (deshalb) ergänzungsbedürftig, nicht:

[14] Die in der Regierungsvorlage zur 32. Novelle zum ASVG vorgesehene – letztlich aber (noch) nicht umgesetzte – Erweiterung des Kindesbegriffs des § 252 ASVG auf Enkel sah vor, dass diese nur dann als Kinder gelten sollten, wenn sie „vom Versicherten überwiegend erhalten werden“ (ErläutRV 181 BlgNR 14. GP 21 und 78). Auch der Entwurf zur folgenden 33. ASVG Novelle, deren erklärtes Ziel es war, einen „Kinderzuschuss auch für Enkelkinder“ einzuführen, stellte zunächst auf die überwiegende (tatsächliche) Unterhaltsleistung als Anspruchsvoraussetzung ab (ErläutRV 1084 BlgNR 14. GP 27 und 45). Dies stieß auf Vorbehalte im Begutachtungsverfahren, weil einerseits eine „unerwünschte Ausdehnung des anspruchsberechtigten Personenkreises“ befürchtet wurde und der Kinderzuschuss andererseits nicht zustehen sollte, wenn die Großeltern nur freiwillig Unterhalt leisten, obwohl die Eltern dazu imstande wären (ErläutRV 1084 BlgNR 14. GP 45). Diesen Bedenken trug der Gesetzgeber mit der seither unverändert in Kraft stehenden Regelung Rechnung, dass Enkel nur dann als Kinder gelten, wenn sie gegenüber dem Versicherten iSd (nach BGBl I 2013/86 nunmehr) § 232 ABGB unterhaltsberechtigt sind (BGBl 1978/684).

[15] 4.3. Entgegen der Ansicht der Klägerin zielt der Kinderzuschuss somit gerade nicht auf alle Personen ab, die „bloß“ tatsächlich Unterhalt leisten. Seine Zweckbestimmung liegt vielmehr in einer finanziellen Hilfe zur Erfüllung von Unterhalts pflichten (RS0111442). Wenn die Klägerin in der Revision daher selbst davon ausgeht, dass die in § 232 ABGB nicht genannten Urgroßeltern – anders als Großeltern – keine Unterhaltspflicht treffen kann, fehlt es schon an der notwendigen Übereinstimmung der maßgeblichen Merkmale des ungeregelten und des geregelten Falls, um die für Enkel angeordnete Rechtsfolge auf Urenkel zu erstrecken.

[16] 4.4. Zudem liegen keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme vor, Urenkel seien in § 252 Abs 1 ASVG bloß versehentlich nicht erwähnt worden. Im Gegenteil ist der Normenhistorie zu entnehmen, dass der Gesetzgeber den Kreis der nach § 262 Abs 1 ASVG Anspruchsberechtigten nur punktuell um einen Kinderzuschuss (ausschließlich) für Enkel erweitern wollte. Wenn er selbst diesen Anspruch (unter anderem) noch an eine bestehende Unterhaltspflicht (iSd § 232 ABGB) knüpft, deutet nichts darauf hin, dass § 252 Abs 1 ASVG irrtümlich zu eng gefasst worden wäre. Die Ansicht der Klägerin, es sei nicht sachgerecht, ihr den Kinderzuschuss zu verweigern, rechtfertigt die Annahme einer Gesetzeslücke für sich alleine nicht (RS0098756 [T3, T10]).

[17] 5. Vor dem Hintergrund der eindeutigen Gesetzeslage zeigt die außerordentliche Revision somit keine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO auf. Sie ist daher zurückzuweisen.

[18] Gründe für einen Kostenzuspruch nach Billigkeit wurden nicht geltend gemacht und ergeben sich auch nicht aus der Aktenlage.