JudikaturJustiz10ObS1/95

10ObS1/95 – OGH Entscheidung

Entscheidung
31. Januar 1995

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr.Dietmar Strimitzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Gerhard Gotschy (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Eleonore P*****, Verkäuferin,***** vertreten durch Dr.Bernhard Hainz, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter, 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr.Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Witwenpension infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 18.Mai 1994, GZ 31 Rs 30/94-7, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 9.September 1993, GZ 9 Cgs 83/93y-4, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte hat der Klägerin binnen vierzehn Tagen die einschließlich 676,48 S Umsatzsteuer mit 4.058,88 S bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 17.8.1953 geborene Klägerin bezog nach ihrem bei der Beklagten versichert gewesenen, am 28.12.1980 verstorbenen Ehegatten Ernst B***** von der Beklagten eine Witwenpension. Am 11.6.1988 heiratete die Klägerin Josef P*****. Dadurch erlosch ihr Anspruch auf die Witwenpension. Diese Ehe wurde mit seit 25.6.1991 rechtskräftigem Urteil des Amtsgerichtes Altötting vom 7.5.1991 durch Scheidung wegen Alleinverschuldens des Ehemannes aufgelöst. Mit Bescheid vom 24.4.1992 stellte die Beklagte auf Antrag der Klägerin vom 13.1.1992 fest, daß deren Anspruch auf Witwenpension mit dem 1.2.1992 im monatlichen Ausmaß von 3.487,40 S wieder auflebte. Auf die wiederaufgelebte Witwenpension wurden jedoch laufende Unterhaltsleistungen von monatlich 4.811,10 S angerechnet, die der Klägerin von ihrem geschiedenen Ehegatten gebührten. Dieser hatte sich nämlich in einem vor dem Amtsgericht Altötting am 7.5.1991 protokollierten Vergleich verpflichtet, der Klägerin einen monatlichen nachehelichen Ehegattenunterhalt von 700 DM zu zahlen. Die geschiedenen Ehegatten sind österreichische Staatsbürger mit Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland. Am 12.10.1992 brachte der geschiedene Ehemann gegen seine geschiedene Frau beim Amtsgericht Altötting eine Klage auf Abänderung des Unterhaltsvergleiches dahin ein, daß er ab Rechtshängigkeit dieser Klage keinen monatlichen nachehelichen Ehegattenunterhalt zu zahlen habe. Seine frühere Ehegattin habe nämlich eine nichteheliche Lebensgemeinschaft mit Günther S aufgenommen. Tatsächlich lebt sie zumindest seit dem 12.11.1992 in einer Lebensgemeinschaft. An diesem Tag schloß sie mit ihrem geschiedenen Ehemann einen Vergleich, in dem eine Abfindung des nachehelichen Ehegattenunterhaltes von 7.000 DM und ein wechselseitiger Verzicht auf nachehelichen Ehegattenunterhalt vereinbart wurden.

Mit Bescheid vom 19.3.1993 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin vom 10.12.1992 auf "Gewährung" der wiederaufgelebten Witwenpension mit der Begründung ab, daß der Unterhaltsverzicht vom 12.11.1992 zu Lasten der Beklagten ginge und deshalb ihr gegenüber unwirksam sei.

Das Begehren der rechtzeitigen Klage richtet sich auf die Witwenpension im gesetzlichen Ausmaß ab Antragstag. Die Klägerin ist der Ansicht, daß ihr außer der Unterhaltsabfindung von 7.000 DM infolge ihres Unterhaltsverzichtes aufgrund der geschiedenen Ehe nichts mehr gebühre oder zufließe.

Die Beklagte beantragte die Abweisung dieses Begehrens. Nach ihrer Meinung ist der Unterhaltsverzicht ihr gegenüber unwirksam.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagte, der Klägerin ab 1.1.1993 die Witwenpension nach dem Versicherten Ernst B***** im gesetzlichen Ausmaß unter Abzug des 23,30 DM monatlich entsprechenden Gegenwertes binnen vier Wochen zu gewähren.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes bewirke die Lebensgemeinschaft das Ruhen des ursprünglich verglichenen Unterhaltsanspruchs der Klägerin gegen ihren geschiedenen Mann. Deshalb entspreche der im Vergleich vom 12.11.1992 erklärte Unterhaltsverzicht der Klägerin der (österreichischen) Rechtslage. Auf die wiederaufgelebte Witwenpension seien daher nach § 265 Abs 4 ASVG seit diesem Verzicht keine (laufenden) Unterhaltsleistungen mehr anzurechnen, sondern nach dem 3. Satz dieser Gesetzesstelle nur mehr ein Bruchteil des Abfindungsbetrages im monatlichen (Schilling)Gegenwert von 23,30 DM.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge.

Es teilte die Rechtsansicht des Erstgerichtes. Da die Klägerin nur auf einen Unterhalt verzichtet habe, der während ihrer Lebensgemeinschaft ruhe und daher nicht durchsetzbar sei, gebührten ihr aus der geschiedenen Ehe keine laufenden Unterhaltsleistungen mehr. Daher sei auf die wiederaufgelebte Witwenpension nur mehr die vom Erstgericht ohnehin berücksichtigte Kapitalabfindung anzurechnen.

In der Revision macht die Beklagte unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache geltend; sie beantragt, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinn abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach § 46 Abs 3 ASGG zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

Die Frage, ob und in welcher Höhe laufende Unterhaltsleistungen und die im § 2 Einkommensteuergesetz 1988 angeführten Einkünfte, die der Witwe aufgrund aufgelöster ..., vor dem Wiederaufleben der Witwenpension geschlossener Ehen gebühren oder darüber hinaus zufließen, nach § 265 Abs 4 ASVG auf die wiederaufgelebte Witwenpension anzurechnen sind, betrifft die Feststellung des Umfanges eines Anspruches auf eine Versicherungsleistung. Es handelt sich daher um eine Leistungssache iS des § 354 Z 1 ASVG. Über den Antrag auf eine wiederaufgelebte Witwenpension hat daher der Versicherungsträger nach § 367 Abs 1 leg cit einen Bescheid zu erlassen. Eine diesbezügliche Rechtsstreitigkeit hat den Umfang eines Anspruchs auf eine Versicherungsleistung und nicht bloß die Auszahlung einer solchen zum Gegenstand; deshalb ist sie eine Sozialrechtssache iS des § 65 Abs 1 Z 1 ASGG.

Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 265 Abs 4 Satz 1 ASVG sind auf die wiederaufgelebte Witwenpension laufende Unterhaltsleistungen und die im § 2 Einkommensteuergesetz 1988 angeführten Einkünfte anzurechnen, die der Witwe aufgrund aufgelöster ..., vor dem Wiederaufleben der Witwenpension geschlossener Ehen gebühren oder darüber hinaus zufließen.

Daß dadurch, daß die Klägerin nach der Ehescheidung eine Lebensgemeinschaft einging, für deren Dauer Ruhen ihres Unterhaltsanspruches gegen den geschiedenen Ehegatten eintrat (zB SSV-NF 4/28 mit Hinweisen auf die hL und Rsp) wird in diesem Verfahren nicht bestritten. Die Klägerin verzichtete daher im Vergleich vom 12.11.1992 für die Dauer ihrer Lebensgemeinschaft nur auf Unterhaltsleistungen, auf die sie wegen der dargestellten Rechtslage ohnehin keinen Rechtsanspruch mehr hatte, so daß sie auch ohne den im Zuge des Abänderungsprozesses erklärten Verzicht nicht durchzusetzen gewesen wären. Die seinerzeit vereinbarten Unterhaltsleistungen dürfen daher jedenfalls für die Dauer der Lebensgemeinschaft nicht mehr auf die wiederaufgelebte Witwenpension angerechnet werden.

§ 265 ASVG regelt sowohl die Abfertigung (Abs 1) als auch das Wiederaufleben (Abs 2 ff) der Witwen(Witwer)pension. Beide Einrichtungen sollen Beziehern solcher Hinterbliebenenpensionen den Entschluß zu einer neuen Ehe erleichtern (Brackmann, Handbuch der SV IV 69. Nachtrag 720d und 721 zur [früheren] dt Rechtslage). Das Wiederaufleben dieser Pensionen gewährleistet der Witwe (dem Witwer), deren (dessen) neue Ehe nicht aus ihrem alleinigen oder überwiegenden Verschulden aufgelöst worden ist, eine Mindestversorgung im Ausmaß der seinerzeitigen Hinterbliebenenpension, wenn diese nicht durch laufende Unterhaltsleistungen oder die im § 2 Einkommensteuergesetz 1988 angeführten Einkünfte, die aufgrund der aufgelösten Ehe gebühren oder darüber hinaus zufließen, sichergestellt ist. Erst wenn die Versorgung aus diesen (primären) Quellen hinter dem Pensionsanspruch aus der früheren Ehe zurückbleibt, soll diese Versorgungslücke durch die wiederaufgelebte Pension geschlossen werden. Die Anrechnungsvorschrift des § 265 Abs 4 ASVG soll eine doppelte Sicherstellung des Berechtigten vermeiden. Die wiederaufgelebte Witwen(Witwer)pension wird nur soweit gewährt, wie der Anspruch aus der früheren Ehe die anzurechnenden Ansprüche aus der späteren Ehe übersteigt (ähnlich Brackmann, Handbuch aaO 721, 721a, 722a zur vergleichbaren dt Rechtslage).

Wenn der Witwe aufgrund der aufgelösten späteren Ehe keine laufenden Unterhaltsleistungen gebühren, zB weil ihre Einkünfte aus Vermögen und die Erträgnisse einer von ihr nach den Umständen zu erwartenden Erwerbstätigkeit zur Deckung des angemessenen Unterhaltes ausreichen (§ 66 EheG), weil ihr kein Unterhaltsbeitrag zugebilligt wurde (§ 68 und § 69 Abs 3 leg cit), weil kein Unterhaltsbeitrag vereinbart wurde (§ 55a Abs 2 und § 69a leg cit), weil sie den Unterhaltsanspruch nach § 74 leg cit verwirkt hat oder weil ihr Unterhaltsanspruch - wie im vorliegenden Fall - wegen einer Lebensgemeinschaft während deren Dauer ruht, können solche auch nicht nach § 265 Abs 4 ASVG auf die wiederaufgelebte Pension angerechnet werden. In diesen Fällen kommt es mangels eines primären Versorgungsanspruches aufgrund der späteren Ehe nicht zu der durch die zit Anrechnungsbestimmung ausgeschlossenen doppelten Absicherung der Witwe. Vielmehr ist die durch das Fehlen eines primären Versorungsanspruches entstandene Versorgungslücke durch das Wiederaufleben des Anspruches auf Witwenpension in der sich aus § 265 Abs 3 ASVG ergebenden Höhe zu schließen.

Daß die Klägerin von der Beklagten die wiederaufgelebte Witwenpension ohne Anrechnung der bisherigen laufenden Unterhaltsleistungen ihres geschiedenen Ehegatten begehrt, obwohl sie das Ruhen ihres Unterhaltsanspruches durch Eingehen einer Lebensgemeinschaft selbst bewirkt hat, verstößt entgegen der Meinung der Revisionswerberin nicht gegen die guten Sitten, sondern ist durch § 265 Abs 4 ASVG gedeckt. Hingegen widerspricht es nach hL und stRsp idR den guten Sitten, wenn ein geschiedener Ehegatte vom anderen Unterhalt bezieht, obwohl er selbst eine Lebensgemeinschaft, also eine Wohn-, Wirtschafts- und Geschlechtsgemeinschaft, eingegangen ist (zB Pichler in Rummel, ABGB2 II § 75 Rz 2 mwN).

Auf die Frage, unter welchen Umständen der Verzicht eines geschiedenen Ehegatten auf ihm gegen den anderen gebührende und realisierbare Unterhaltsansprüche in bezug auf § 265 Abs 4 ASVG gegenüber dem Träger der Pensionsversicherung unbeachtlich ist, ist hier nicht weiter einzugehen, weil die Klägerin jedenfalls für die Dauer der Lebensgemeinschaft auf keine gebührenden und realisierbaren Unterhaltsleistungen verzichtet hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a und Abs 2 ASGG.