JudikaturJustiz10Ob41/13x

10Ob41/13x – OGH Entscheidung

Entscheidung
12. September 2013

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Dr. Schramm und durch die Hofrätin Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der D*****, geboren am 31. August 1994, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz als Rekursgericht vom 15. Februar 2013, GZ 1 R 29/13m 165, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Stainz vom 9. November 2012, GZ 1 Pu 40/09k 152, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts in Ansehung der Verpflichtung der Mutter R***** zur ungeteilten Hand mit dem Land Steiermark zum Ersatz der für die Monate Oktober 2011 bis Februar 2012 zu Unrecht gezahlten Unterhaltsvorschüsse von insgesamt 925 EUR wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Das Erstgericht setzte mit Beschluss vom 19. 2. 2009 die Unterhaltsverpflichtung des Vaters für die Zeit ab 1. 3. 2008 mit monatlich 185 EUR fest.

Mit Beschluss vom 11. 2. 2010 bewilligte das Erstgericht dem Kind für die Zeit vom 1. 1. 2010 bis 31. 8. 2012 gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG Titelvorschüsse von 185 EUR monatlich.

Das Kind wohnt seit 5. 9. 2011 nicht mehr bei der Mutter (und Zahlungsempfängerin), sondern im Haushalt der Lebensgefährtin des Vaters. Dieser teilte dem Obsorgerichter des Erstgerichts am 24. 8. 2011 mit, dass er nach wie vor bereit sei, die Obsorge für seine Tochter zu übernehmen und einem Wohnsitzwechsel derart zuzustimmen, dass sie in Hinkunft bei ihm bzw seiner Lebensgefährtin wohnhaft sei. In der Äußerung vom 6. 10. 2011 teilte er mit, dass „seitdem die Minderjährige nicht mehr bei der Kindesmutter lebe, sich deren Verhalten gebessert hat und sie bessere schulische Leistungen erbringt“.

Am 8. 9. 2011 beantragte die Mutter beim Erstgericht, die Obsorge für ihre Tochter dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen, weil sich das Kind nach ihrer Kenntnis nun in der Betreuung des Vaters bzw dessen Lebensgefährtin bzw der Großmutter befinde.

Der Vater hielt sich im Großen und Ganzen während der Woche hauptsächlich an seinem Wohnsitz in G***** und an den Wochenenden bei seiner Lebensgefährtin auf.

Aufgrund einer Mitteilung des Jugendwohlfahrtsträgers vom 9. 2. 2012, wonach sich das Kind laut Mitteilung der Mutter seit 27. 1. 2012 beim Vater aufhalte, stellte das Erstgericht die Vorschüsse mit Beschluss vom 9. 2. 2012 mit Ablauf des Monats Jänner 2012 ein. Mit einem später zurückgezogenen Rekurs gegen diese Entscheidung teilte der Vater dem Erstgericht mit, dass seine Tochter bereits seit 5. 9. 2011 bei ihm lebe und dies auch dem Jugendwohlfahrtsträger bekannt sei. Dieser bestätigte das Vorbringen des Vaters, stimmte einer rückwirkenden Einstellung der Vorschüsse mit Ende September 2011 zu, führte jedoch aus, dass der Unterhaltsabteilung des Jugendamts der Wohnortwechsel des Kindes erst seit 8. 2. 2012 bekannt sei. Mit Beschluss vom 13. 4. 2012 stellte das Erstgericht die Vorschüsse bereits mit Ablauf des Monats September 2011 rückwirkend ein. Dieser Beschluss ist in Rechtskraft erwachsen.

Mit Eingaben vom 16. 2. 2012 und vom 2. 5. 2012 beantragte der Präsident des Oberlandesgerichts Graz, die in § 22 UVG genannten Personen zum Ersatz der von Oktober 2011 bis Februar 2012 zu Unrecht gezahlten Vorschussbeträge von insgesamt 925 EUR zu verpflichten. Eine grob fahrlässige Verletzung der Mitteilungspflicht der Mutter gegenüber dem Pflegschaftsgericht stehe fest. Auch der Vater habe lediglich unbelegt angegeben, die Bezirkshauptmannschaft Deutschlandsberg von der Übersiedlung des Kindes verständigt zu haben. Ausgehend von seinem Vorbringen sei wiederum von Verletzungen der Mitteilungspflicht durch die Mutter und des Jugendwohlfahrtsträgers auszugehen. Was die Mutter anlange, könne nicht ausgeschlossen werden, dass sie die Übergenüsse trotz Kenntnis vom Einstellungsgrund einem vorsätzlichen, zumindest aber grob fahrlässigen Verbrauch zugeführt habe.

Die Mutter äußerte sich nicht zum Ersatzantrag.

Das Erstgericht verpflichtete die Mutter und das Land Steiermark zum Ersatz der zu Unrecht gezahlten Vorschüsse im Gesamtbetrag von 925 EUR. In Ansehung des Unterhaltsschuldners und des Kindes wies es den Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz ab. Beide Elternteile und auch das Jugendamt hätten die Meldepflicht nach § 21 UVG verletzt. Da die Eltern das Gericht zwar nicht zum Unterhaltsakt, jedoch zum Obsorgeakt zeitgerecht vom Wohnsitzwechsel des Kindes verständigt hätten, könne hier nur leichte Fahrlässigkeit angenommen werden, was eine Haftung zunächst ausschließe. Anders sei die Rolle des Jugendwohlfahrtsträgers zu beurteilen. Die Mutter habe aber trotz Kenntnis der Wohnsitzsituation die Vorschüsse weiterhin beansprucht und bezogen, ohne dem Kind irgendwelche Unterhaltsunterstützungen zukommen zu lassen. Sie habe erst am 8. 2. 2012 der Bezirkshauptmannschaft den Wohnsitzwechsel des Kindes bekannt gegeben. Es sei daher jedenfalls davon auszugehen, dass die Mutter die bezogenen Unterhaltsvorschüsse zwar nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig für den Unterhalt des Kindes, sondern im Gegenteil für ihren eigenen Bedarf oder sonstiges verbraucht habe. Sie habe sich zum Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichts trotz Aufforderung unter Hinweis auf die Bestimmungen des § 17 AußStrG auch nicht geäußert. Der Umstand des Verbrauchs der Vorschüsse für die eigenen Bedürfnisse oder eine sonstige unzweckmäßige Verwendung rechtfertige jedenfalls eine Rückersatzverpflichtung.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Mutter Folge und änderte den angefochtenen Beschluss dahin ab, dass es den Ersatzantrag in Ansehung der Mutter abwies. Die Mutter habe die vereinnahmten Vorschüsse ab Oktober 2011 nicht für die Minderjährige, sondern von vornherein zweckwidrig (und zwar nach dem Rekursvorbringen zur Verrechnung mit eigenen Ansprüchen gegen den Vater) verwendet. § 22 Abs 1 letzter Satz dritte Alternative UVG ziele auf jene Fälle ab, in denen die Haftung des Kindes deshalb zu verneinen sei, weil die Vorschüsse für seine Unterhaltsbedürfnisse verbraucht worden seien, obwohl Kenntnis vom Einstellungs bzw Herabsetzungsgrund bestanden habe. Vom Normtext offenbar nicht erfasst sei dagegen der Fall, dass die Vorschüsse dem Kind von vornherein nicht zugekommen seien und seine Haftung aus diesem Grund auszuschließen sei, zumal es sich um einen Bereicherungsanspruch handle. Der vom Erstgericht für die Mutter angenommene Haftungstatbestand sei daher nicht erfüllt.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage des Anwendungsbereichs der durch das FamRÄG 2009 eingeführten Haftungsgrundlage des § 22 Abs 1 letzte Alternative UVG fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der von der Mutter beantwortete Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

Der Revisionsrekurswerber macht im Wesentlichen geltend, die Rechtsauffassung des Rekursgerichts widerspreche dem Sinn und Zweck des dritten Haftungstatbestands des § 22 Abs 1 UVG. Der trotz Kenntnis des Einstellungsgrundes widmungswidrige Verbrauch der Vorschüsse durch die das Kind nicht mehr betreuende Mutter für ihren eigenen Bedarf stelle einen wesentlich stärkeren Haftungstatbestand dar, als dies bei einem Verbrauch für den Unterhalt des Kindes der Fall sei.

Hiezu wurde erwogen:

Unter anderem für Vorschüsse, die entgegen einer Einstellung der Vorschüsse zu Unrecht gezahlt und nicht nach § 19 Abs 1 letzter Halbsatz UVG einbehalten worden sind, haften der gesetzliche Vertreter des Kindes und diejenige Person, in deren Pflege und Erziehung sich das Kind befindet, der Zahlungsempfänger sowie der Unterhaltsschuldner zur ungeteilten Hand, jedoch nur derjenige, der die Gewährung der Vorschüsse durch unrichtige Angaben in der Erklärung (§ 11 Abs 2 UVG) oder durch Verletzung der Mitteilungspflicht (§ 21 UVG) vorsätzlich oder grob fahrlässig veranlasst oder die Vorschüsse vorsätzlich oder grob fahrlässig für den Unterhalt des Kindes verbraucht hat (§ 22 Abs 1 UVG idF FamRÄG 2009).

Es ist unstrittig, dass die entgegen der Einstellung für die Monate Oktober 2011 bis Februar 2012 gezahlten Vorschüsse zur Unrecht gezahlt wurden (vgl 10 Ob 61/08f).

Die Ersatzpflicht wegen Verbrauchs der zu Unrecht gezahlten Vorschüsse für den Unterhalt des Kindes wurde mit dem FamRÄG 2009 eingefügt. Mit dieser Ergänzung der Haftungstatbestände soll eine Haftungsgrundlage auch für jene Fälle geschaffen werden, in denen nach ordnungsgemäßer Erfüllung der Mitteilungspflicht in Kenntnis eines Einstellungsgrundes weiterhin ausbezahlte Vorschüsse nicht aufbewahrt, sondern für den Unterhalt des Kindes verwendet werden (IA/673/A 24. GP 45). Die ständige Rechtsprechung zu § 21 Abs 1 UVG idF vor dieser Novellierung lehnte nämlich eine Ersatzpflicht für diesen Fall ab, weil das Gesetz die beiden allein in Betracht kommenden Haftungsfälle (unrichtige Angaben in der Erklärung nach § 11 Abs 2 UVG oder eine Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 21 UVG) in einer Weise anführe, dass eine ausdehnende Interpretation nicht möglich sei (RIS Justiz RS0008899).

Der neu eingefügte Tatbestand eines Ersatzes zu Unrecht gewährter Vorschüsse legt aber den Größenschluss nahe, dass ein Verbrauch der zu Unrecht gezahlten Vorschüsse für andere Zwecke als für den Unterhalt des Kindes erst recht eine Haftung begründet ( Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 I § 22 UVG Rz 8). Die Auffassung des Rekursgerichts, es sei ein Umkehrschluss zu ziehen, teilt der Oberste Gerichtshof nicht. Den Gesetzesmaterialien ist nicht zu entnehmen, dass der Gesetzgeber bewusst die Ersatzpflicht auf den Fall des Verbrauchs der Vorschüsse für den Unterhalt des Kindes beschränken wollte. Der Zweck der Norm, den Verbrauch der Vorschüsse in Kenntnis oder grob fahrlässiger Unkenntnis eines Einstellungsgrundes zu sanktionieren, trifft auch nicht nur auf den ausdrücklich geregelten Tatbestandsbereich zu, sondern auch auf den gewichtigeren Sachverhalt des zweckwidrigen Verbrauchs der Vorschüsse. Ist aber kein Grund für eine verschiedene Behandlung erfindlich, so ist von einer planwidrigen Unvollständigkeit des § 22 Abs 1 UVG auszugehen und Analogie und nicht Umkehrschluss geboten (vgl F. Bydlinski in Rummel , ABGB³ § 7 Rz 3 und 6 mwN; 10 ObS 81/88, SZ 61/104; P. Bydlinski in Koziol/Bydlinski/Bollenberger , ABGB³ § 7 Rz 2 mwN).

Dass die Mutter in Kenntnis des Einstellungsgrundes die zu Unrecht gezahlten Vorschüsse nicht für den Unterhalt des Kindes, sondern für andere Zwecke verbrauchte, steht fest. Grobe Fahrlässigkeit liegt nach ständiger Rechtsprechung dann vor, wenn der Schaden als wahrscheinlich vorhersehbar war, wenn das Versehen mit Rücksicht auf seine Schwere oder Häufigkeit nur bei besonderer Nachlässigkeit und nur bei besonders nachlässigen oder leichtsinnigen Menschen vorkommt sowie nach den Umständen die Vermutung des bösen Vorsatzes nahe liegt. Bei der Beurteilung des Vorliegens grober Fahrlässigkeit sind die Umstände des Einzelfalls heranzuziehen; dabei ist auch das Element der schweren subjektiven Vorwerfbarkeit einzubeziehen (10 Ob 61/08f; Neumayr in Schwimann/Kodek , ABGB 4 I § 22 UVG Rz 19).

Im vorliegenden Fall steht fest, dass die obsorgeberechtigte Mutter ihre Tochter „hinausgeschmissen hat“ und schon drei Tage später beim Pflegschaftsgericht beantragte, die Obsorge dem Jugendwohlfahrtsträger zu übertragen, weil sich das Kind nun in der Betreuung des Vaters bzw dessen Lebensgefährtin bzw der Großmutter befinde. Ihr war offenbar bewusst, dass der Wechsel des Aufenthalts zum Vater die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse zur Folge haben würde. Dass sie in dieser Situation die Vorschüsse nicht aufbewahrte, sondern für eigene Zwecke verbrauchte, ist ihr als grobe Fahrlässigkeit vorwerfbar, würde sich doch ein ordentlicher Mensch regelmäßig nicht so verhalten.

Die Mutter hat sich zum Rückersatzantrag des Präsidenten des Oberlandesgerichts auch gar nicht geäußert, obwohl sie gemäß § 17 AußStrG unter Fristsetzung und unter Hinweis auf die Säumnisfolge zur Äußerung aufgefordert worden war. Nach ständiger Rechtsprechung kann die versäumte Äußerung selbst bei behaupteter „entschuldbarer Fehlleistung“ nicht als zulässige Neuerung im Rekurs nachgeholt werden (RIS Justiz RS0120657). Das Vorbringen im Rekurs der Mutter, sie habe die Vorschüsse im Vertrauen auf Informationen einer Mitarbeiterin des Jugendamts bezogen, zumal sie davon ausgegangen sei, dass damit Unterhaltsrückstände ausgeglichen würden, die „ihrerseits vorgestreckt“ worden seien, ist daher unbeachtlich.

Da die Mutter für den Ersatz der ihr zu Unrecht gezahlten Vorschüsse nach § 22 Abs 1 UVG haftet, war in Stattgebung des Revisionsrekurses der Beschluss des Erstgerichts, soweit er noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist, wiederherzustellen.

Rechtssätze
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