JudikaturJustiz10Ob4/04t

10Ob4/04t – OGH Entscheidung

Entscheidung
27. April 2004

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Bauer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon. Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Jennifer P*****, geboren am 25. Oktober 1993, und Barbara P*****, geboren am 26. Februar 1995, beide in Obsorge der Mutter Claudia P*****, über den Revisionsrekurs des Vaters Richard P*****, vertreten durch Dr. Helmut Krenn, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 21. Oktober 2003, GZ 44 R 712/03m-124, womit über den Rekurs des Vaters der Beschluss des Bezirksgerichtes Favoriten vom 28. August 2003, GZ 14 P 193/99m-120, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben. Dem Rekursgericht wird die neuerliche Entscheidung über den Rekurs aufgetragen.

Text

Begründung:

Die Mutter der beiden Kinder als deren gesetzliche Vertreterin beantragte mit Eingabe vom 18. 3. 2002 (ON 63) die Erhöhung der Geldunterhaltspflichten des Vaters von bisher S 4.000,-- (= EUR 290,69) für mj Jennifer und S 3.500,-- (= EUR 254,35) für mj Barbara rückwirkend ab 1. 1. 2000.

Der Vater sprach sich in seiner Äußerung vom 7. 5. 2002 (ON 65) gegen jede Unterhaltserhöhung aus und wendete insbesondere Kreditrückzahlungen als Abzugsposten ein.

Mit Beschluss vom 25. 11. 2002 (ON 94) erhöhte das Erstgericht den vom Vater zu leistenden Unterhalt für den Zeitraum vom 1. 1. 2001 bis 31. 12. 2001 auf jeweils monatlich S 4.332,55 (= EUR 314,86) für die beiden Minderjährigen. Die Entscheidung über den Antrag der Mutter, den Vater auch ab 1. 1. 2002 zur Leistung eines monatlichen Unterhaltes von jeweils EUR 314,86 für die beiden Minderjährigen zu verpflichten, wurde vorbehalten. Das Mehrbegehren der Minderjährigen für den Zeitraum 1. 1. 2000 bis 28. 2. 2001 wies das Erstgericht ab. Dem dagegen vom Vater erhobenen Rekurs gab das Rekursgericht mit Beschluss vom 11. 2. 2003 (ON 111) keine Folge.

Mittlerweile hatte der Vater mit Schriftsatz vom 10. 12. 2002 (ON 99) die Herabsetzung des monatlichen Unterhaltes ab 1. 1. 2002 auf EUR 258,-- je Kind beantragt, weil sich sein Einkommen unter Berücksichtigung der Sonderzahlungen im Jahr 2002 auf insgesamt EUR 20.433,-- reduziert habe. Weiters berief sich der Vater wiederum auf Kreditraten als Abzugsposten von der Unterhaltsbemessungsgrundlage. Der Vater legte dazu Gehaltsbestätigungen für das Jahr 2002 sowie eine Kreditvereinbarung von 14. 10. 1999 vor.

Die Mutter trat dem Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters entgegen und hielt ihren Erhöhungsantrag für den hier noch strittigen Zeitraum ab 1. 1. 2002 vollinhaltlich aufrecht (ON 114).

Das Erstgericht bestimmte die vom Vater zu erbringende Unterhaltsleistung für die beiden Minderjährigen für den Zeitraum vom 1. 1. 2002 bis 31. 12. 2002 mit jeweils EUR 300,-- monatlich und ab dem 1. 1. 2003 mit jeweils EUR 305,83 monatlich. Das darüber hinausgehende Erhöhungsbegehren der Mutter wurde ebenso wie der Unterhaltsherabsetzungsantrag des Vaters abgewiesen. Es begründete seine Entscheidung damit, dass der Vater jeweils inklusive anteiliger Sonderzahlungen im Jahr 2002 ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von EUR 1.766,29 erzielt habe und sein durchschnittliches Nettoeinkommen seit 1. 1. 2003 EUR 1.799,27 monatlich betrage. Mit weiteren Sorgepflichten sei der Vater nicht belastet. Nach der Prozentkomponente von je 17 % (altersbedingt je 18 % abzüglich 1 % für das jeweils andere Kind) seien die erhöhten Unterhaltsbeträge angemessen. Die geltend gemachten Kreditrückzahlungsraten seien bei der Unterhaltsbemessung nicht zu berücksichtigen.

Dagegen erhob der Vater insoweit Rekurs, als ein Unterhalt von mehr als EUR 258,-- monatlich je Kind festgesetzt wurde. Der Vater machte in seinen Rekursausführungen allein geltend, das Erstgericht hätte als Folge der beiden Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes vom 27. 6. 2001, B 1285/00 und vom 19. 6. 2002, G 7/02, und der folgenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bei der Unterhaltsbemessung seine steuerliche Entlastung vorzunehmen gehabt und wäre dabei zum Schluss gekommen, dass ein monatlicher Unterhaltsbetrag von jeweils EUR 258,-- je Kind der Leistungsfähigkeit des Rekurswerbers angemessen sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Es beurteilte diesen erstmals im Rekurs erhobenen Einwand, dass bei der Unterhaltsbemessung die von der Mutter bezogene Familienbeihilfe anzurechnen sei, als unzulässige Neuerung. Der Unterhaltsschuldner hätte schon im Verfahren erster Instanz die Berücksichtigung der Familienbeihilfe verlangen müssen. Überdies dürfte eine Anrechnung der Familienbeihilfe - wenn überhaupt - im Hinblick auf die am 13. 9. 2002 erfolgte Kundmachung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 19. 6. 2002 frühestens ab dem 1. 10. 2002 erfolgen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil keine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zu den hier maßgebenden Fragen, ob ein Begehren auf Anrechnung der Familienbeihilfe noch im Rekurs nachgeholt werden könne und eine solche Anrechnung auch rückwirkend möglich sei, vorliege.

Mit seinem ordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Vater die Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahin, dass der Unterhaltserhöhungsantrag abgewiesen und der Unterhalt auf monatlich EUR 218,50 (gemeint wohl: EUR 258,--) je Kind herabgesetzt werde, hilfsweise die Aufhebung zur Verfahrensergänzung.

Die Mutter hat von der ihr eingeräumten Möglichkeit, zum Rechtsmittel des Vaters namens der Minderjährigen Stellung zu nehmen, Gebrauch gemacht und beantragt sinngemäß die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung.

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht angeführten Grund zulässig und im Sinne seines Aufhebungsantrages auch berechtigt. Der Rechtsmittelwerber vertritt die Auffassung, das Pflegschaftsgericht habe im Verfahren zur Bemessung des gesetzlichen Unterhaltes alle für die Entscheidung wesentlichen Umstände von Amts wegen zu prüfen und zu erheben. Eines besonderen Vorbringens oder Antrages, bei der Berechnung des Kindesunterhaltes dem Gesetz und der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes gemäß vorzugehen und insbesondere den Bezug von Transferleistungen durch die Mutter zu berücksichtigen, habe es nicht bedurft.

Rechtliche Beurteilung

Der erkennende Senat hat dazu folgendes erwogen:

Mit der Frage, ob im Unterhaltsverfahren die steuerliche Entlastung im Sinne einer Anrechnung von dem Obsorgeberechtigten zufließenden Transferleistungen auf die Unterhaltsleistung entsprechend der neuen Rechtslage nach Aufhebung der Wortfolge "und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch" im § 12a FLAG durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 19. 6. 2002, G 7/02, von Amts wegen oder nur auf Antrag des Unterhaltsschuldners vorzunehmen ist, haben sich in jüngster Zeit schon mehrere Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes (7 Ob 92/03k, 7 Ob 132/03t, 4 Ob 134/03i, 4 Ob 185/03i, 6 Ob 91/03f, 2 Ob 77/03t ua) befasst und kamen zum Ergebnis, dass das Gesetz nicht zwingend eine steuerliche Entlastung gebiete. Die Entlastung hänge von der Disposition des Unterhaltsschuldners ab. Der Untersuchungsgrundsatz im außerstreitigen Verfahren gehe nicht so weit, dass von Amts wegen eine vom Unterhaltsschuldner gar nicht relevierte Steuerentlastung vorgenommen werden müsse, ihm also ein verzichtbarer Rechtsanspruch (Rechtsgrund) geradezu aufgedrängt werde. Dem Unterhaltsverpflichteten obliege daher zu diesem Thema die Behauptungs- und Beweislast, weil der Untersuchungsgrundsatz nicht so weit gehe, die Parteien von einem möglichen und zumutbaren Vorbringen über Sachverhalt zu entbinden, über die nur sie Kenntnis haben können. Das Gericht sei nicht verpflichtet, alle nur denkmöglichen Sachverhaltsvarianten von Amts wegen in Erwägung zu ziehen. Es sei Sache des Unterhaltsschuldners, zu beurteilen, ob er einen unterhaltsmindernden Sachverhalt ins Treffen führen könne und auch wolle. Anderes gelte dann, wenn dem Unterhaltspflichtigen ein Vorbringen in diese Richtung in erster Instanz mangels Zumutbarkeit der Kenntnis der Änderung der Rechtslage infolge der Aufhebung eines Gesetzes durch den Verfassungsgerichtshof nicht möglich gewesen sei (6 Ob 91/03f, 4 Ob 185/03i ua).

Der erste Senat hat sich in seiner Entscheidung 1 Ob 208/03z eingehend mit dieser Rechtsprechung auseinandergesetzt und hat für den konkret zu beurteilenden Fall insbesondere darauf hingewiesen, dass der geldunterhaltspflichtige Vater dem Erhöhungsantrag der Kinder bereits im Verfahren erster Instanz entgegengetreten sei und sich gegen jede Erhöhung der bisher geleisteten Unterhaltsbeträge ausgesprochen habe. Da allein dieser - auf Abweisung des Erhöhungsbegehrens gerichtete - Gegenantrag den Sachantrag des Vaters in diesem Verfahren darstelle, könne - entgegen der zu 6 Ob 91/03f vertretenen Auffassung - eine amtswegige Berücksichtigung bestimmter für die Unterhaltshöhe maßgeblicher Umstände nicht als Verletzung des "Antragsprinzipes" angesehen werden. Unter diesen Umständen bestehe auch kein Grund zur Annahme, der Vater habe gerade auf die - nach der nunmehr ständigen Judikatur unmittelbar aus dem Gesetz ableitbare - Anrechnung von Teilen der dem anderen Elternteil zukommenden Transferleistungen auf seine Geldunterhaltspflicht verzichten wollen. Dass die Mutter derartige Transferleistungen beziehe - was ohnehin den (somit grundsätzlich zu unterstellenden) Regelfall darstelle -, sei auch schon im Verfahren erster Instanz nicht strittig gewesen; die Mutter habe im Erhöhungsantrag ausdrücklich darauf hingewiesen, sie beziehe für den Sohn sogar die doppelte Familienbeihilfe. Die (unstrittige) Tatsache des Bezuges der Familienbeihilfe durch die Mutter hätten die Vorinstanzen - in Wahrnehmung des Grundsatzes der Amtswegigkeit - daher auch ohne ausdrücklichen "Antrag" des Vaters ebenso berücksichtigen müssen wie den Kinderabsetzbetrag, der nach eindeutiger Gesetzeslage (§ 33 Abs 4 lit c EStG) gemeinsam mit der Familienbeihilfe ausgezahlt werde. Insoweit könne weder von einer unzulässigen Neuerung noch von einem Behauptungs- oder Beweislastproblem gesprochen werden. Für die Ermittlung der Unterhaltshöhe maßgebliche Umstände, die unstrittig seien, oder sich im Verfahren eindeutig ergeben hätten - was etwa auch für die Tatsache eines bestimmten Eigeneinkommens des Kindes gelten würde -, seien im Rahmen der rechtlichen Beurteilung innerhalb des durch die Sachanträge der Beteiligten abgesteckten Entscheidungsspielraumes des Gerichtes ohne weiteres zu verwerten. Dies gelte für alle Fälle, in denen das Einkommen des Unterhaltspflichtigen erhoben worden sei, es sei denn, es bestehe ausnahmsweise keine Einkommensteuerpflicht im Inland.

Der 4. Senat ist in seiner erst jüngst ergangenen Entscheidung 4 Ob 254/03m diesen - zwischen einem antragstellenden Geldunterhaltspflichtigen und einem dem Erhöhungsantrag entgegentretenden Geldunterhaltspflichtigen - differenzierenden Erwägungen für den Fall beigetreten, dass der geldunterhaltspflichtige Elternteil einem Erhöhungsantrag des Unterhaltsberechtigten mit dem Gegenantrag, das Erhöhungsbegehren abzuweisen, entgegentrete und die für eine Anrechnung maßgeblichen Umstände (Bezug der Familienbeihilfe durch den anderen Elternteil; Bruttoeinkommen) unstrittig oder aktenkundig seien. In diesem Fall bedürfe die Berücksichtigung von Transferleistungen bei der Unterhaltsbemessung keines gesonderten Vorbringens des Geldunterhaltspflichtigen.

Auch der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Diese Grundsätze haben nach Ansicht des erkennenden Senates auch auf den vorliegenden Fall Anwendung zu finden, in welchem in der bekämpften Entscheidung nach einem einheitlichen Verfahren sowohl über einen Erhöhungsantrag der Kinder als auch über ein Herabsetzungsbegehren des Vaters entschieden wurde. Die Höhe des Bruttoeinkommens des Vaters, die Höhe der für die Ermittlung der Steuersätze maßgebenden Steuerbemessungsgrundlage sowie der Umstand, dass die Familienbeihilfe für die beiden Minderjährigen nicht vom Vater, sondern von der obsorgeberechtigten Mutter bezogen wird, waren schon im Verfahren erster Instanz aktenkundig. Die (unstrittige) Tatsache des Bezuges der Familienbeihilfe durch die Mutter hätten die Vorinstanzen - in Wahrnehmung des Grundsatzes der Amtswegigkeit - daher auch ohne ausdrücklichen "Antrag" des Vaters ebenso berücksichtigen müssen wie den Kinderabsetzbetrag, der nach eindeutiger Gesetzeslage (§ 33 Abs 4 Z 3 lit a EStG) gemeinsam mit der Familienbeihilfe ausgezahlt wird. Insoweit kann daher entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes nicht von einer unzulässigen Neuerung ausgegangen werden.

Auf die geänderte Rechtslage ist vom Gericht in jeder Lage des Verfahrens Bedacht zu nehmen, soferne die neuen Bestimmungen nach ihrem Inhalt auf das in Streit stehende Rechtsverhältnis anzuwenden sind. Zur Frage der Rückwirkung des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes vom 19. 6. 2002 hat der Oberste Gerichtshof in nunmehr gefestigter Rechtsprechung für Unterhaltsverfahren, die - wie hier - zeitlich vor der Kundmachung des erwähnten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes schon anhängig waren, eine rückwirkende Anwendung der neuen Rechtslage zu § 12a FLAG auch auf vor der Gesetzesaufhebung liegende Unterhaltsperioden bejaht (4 Ob 12/03y, 1 Ob 82/03w, 6 Ob 91/03f, 6 Ob 94/03x, 3 Ob 56/03m ua). Auch der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Das Rekursgericht wird daher bei seiner neuerlichen Entscheidung dem berechtigten Einwand des Vaters, das Erstgericht habe die ihm gebührende steuerliche Entlastung durch entsprechende Verminderung seiner - nach den bisherigen Prozentsätzen rechnerisch ermittelten - Unterhaltspflicht für den gesamten noch strittigen Zeitraum ab 1. 1. 2002 zu Unrecht nicht berücksichtigt, Rechnung zu tragen haben. Die konkrete Berechnung ist vom Obersten Gerichtshof nicht selbst durchzuführen (§ 16 Abs 4 AußStrG iVm § 510 Abs 1 letzter Satz ZPO - vgl 6 Ob 91/03f, 1 Ob 208/03z ua).