JudikaturHandelsgericht Wien

50R13/25f – Handelsgericht Wien Entscheidung

Entscheidung
Zivilrecht
10. Februar 2025

Kopf

Das Handelsgericht Wien hat als Berufungsgericht durch die Richter Mag. a Hofer-Kutzelnigg M.E.S (Vorsitzende), Mag. a Michlmayr und KR Dipl-HTL-Ing. Mag. (FH) Mag. Dr. Sittler in der Rechtssache der klagenden Partei, A* GmbH , **, Deutschland, **, ** Platz B*-**, vertreten durch Stanonik Rechtsanwälte in 1090 Wien, wider die beklagte Partei C* GmbH , FN **, **, **straße **/B*, vertreten durch CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, wegen EUR 1.250,- samt Nebengebühren über die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom 09.11.2024, 16 C 176/24k-16 in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit € 314,92 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Die Revision ist jedenfalls unzulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

D* E* F* G* H*, I* E* F* G* J*, K* J* L*, M* E* F* G* J* und N* E* F* G*

J* buchten unter der Buchungsnummer K568QM1 bei der Beklagten als ausführendem Luftfahrtunternehmen den Flug ** von O* (EuroAirport Swiss) nach ** F* ** (**), geplante Flugdaten: 11.7.2023, 18h45 Uhr Abflugszeit, 20h35 Uhr Ankunftszeit. Der Flug wurde annulliert. Die oben genannten Passagiere entschieden sich nach Übermittlung der Annullierungsentscheidung für die Verbindung des Ersatzfluges ** am 13.7.2023. Die gebuchte Flugstrecke beträgt aufgrund der Großkreisberechnung weniger als 1500 km.

Die Klägerin begehrt für die Fluggäste den Klagsbetrag als Entschädigung nach der EU-FluggastVO. Sie bestritt insbesondere das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände und dass die Beklagte alle zumutbaren Maßnahmen im Sinne der EU-FluggastVO ergriffen habe.

Die Beklagte bestritt die Aktivlegitimation und trug vor, dass eine Verkettung außergewöhnlicher Umstände vorgelegen habe und sie alle zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung des streitgegenständlichen Fluges ergriffen habe.

Mit dem angefochtenen Urteil gab das Erstgericht dem Klagebegehren statt und verpflichtete die Beklagte zum Prozesskostenersatz. Die auf den Seiten 5-6 getroffenen Feststellungen beurteilte das Erstgericht rechtlich, dass auf Grund einer Zession die Aktivlegitimation vorliege. Der festgestellte Vogelschlag der für den Flug ursprünglich vorgesehenen Maschine stelle jedenfalls einen außergewöhnlichen Umstand iSd EU-FluggastVO dar. Zudem stelle nach herrschender Rechtsprechung des Berufungsgerichts auch eine durch Vogelschlag verursachte außerplanmäßige Inspektion einen außergewöhnlichen Umstand dar, wenn das Flugunternehmen alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe, eine Verspätung hintanzuhalten. Widrige Wetterbedingungen, die einen außergewöhnlichen Umstand darstellen, würden erst dann vorliegen, wenn diese geeignet gewesen seien, die im Luftverkehr oder die Betriebstätigkeit eines oder mehrerer Luftverkehrsunternehmen ganz oder teilweise zum Erliegen zu bringen. Dies zu beweisen sei der Beklagten hier gelungen, da festgestellt worden sei, dass bloß vereinzelte Starts und Landungen am Flughafen O* im Zeitraum zwischen 16h35 Uhr und 20h45 Uhr möglich gewesen seien, sohin der Luftverkehr teilweise zum Erliegen gekommen sei.

Das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände entlaste per se das Luftfahrtunternehmen noch nicht, sondern treffe dieses die Beweislast dafür, dass sich die Annullierung auch nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Vom Luftfahrtunternehmen sei also nicht bloß zu behaupten sondern auch zu beweisen, dass die Annullierung sich jedenfalls nicht durch an die Situation angepasste Maßnahmen hätte vermeiden lassen. Es müsse darlegen, welche anderen personellen, materiellen und finanziellen Mittel ihm zur Verfügung gestanden seien, um den Flug doch durchzuführen bzw. aus welchen Gründen ihm dies nicht zumutbar gewesen sei. Zwar seien Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet, an jedem Flughafen, den sie anfliegen, eine Ersatzmaschine und Ersatzpersonal bereitzuhalten, weshalb das diesbezügliche Klagevorbringen ins Leere gehe, die Beklagte habe aber nicht nachgewiesen, dass andere Möglichkeiten einer Vermeidung der Streichung – etwa durch Anfliegen eines Ersatzflughafens samt Transfer dorthin – überhaupt erwogen worden sei. Zudem bestehe der Ersatzanspruch auch bereits wegen der nicht zureichenden Ersatzbeförderung. Zwar gehe auch hier das Klagevorbringen der möglichen Ersatzbeförderung zu den festgestellten Zeiten deshalb ins Leere, weil diese ebenfalls eine Verbindung erst am Folgetag darstellen. Wenn nämlich die Ersatzbeförderung wesentlich später als drei Stunden nach der geplanten Ankunftszeit des annullierten Fluges erfolgt wäre, liege gar keine taugliche Maßnahme vor, eine die Ausgleichsleistung auslösende Verspätung abzuwenden. Die Beklagte habe jedoch gar nicht vorgebracht, sich um eine geeignete Ersatzbeförderung gekümmert zu haben, sondern bloß den Hinweis an die Passagiere, dass diese – und dies auch bloß auf der website der Beklagten – selbst eine Ersatzverbindung organisieren können.

Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten aus dem Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung einschließlich sekundärer Feststellungsmängel mit dem Antrag auf Abänderung der Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Klageabweisung; Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragte, der Berufung nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Berufung ist nicht berechtigt.

1. Die Berufungswerberin bestreitet nicht das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, sondern wendet sich gegen die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach die Beklagte nicht alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen habe.

Soweit die Klägerin in ihrer Berufungsbeantwortung noch das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände bestreitet, reicht es, sie auf die zutreffenden Rechtsausführungen des Erstgerichts zu verweisen (§ 500a ZPO).

2. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss das Luftfahrtunternehmen alles ihm Mögliche und Zumutbare tun, um zu vermeiden, dass es durch außergewöhnliche Umstände genötigt ist, einen Flug zu annullieren, oder, dass der Flug nur mit einer großen Verspätung durchgeführt werden kann, deren Folgen für den Fluggast einer Annullierung gleichkommen (EuGH 22.12.2008 C-549/07 Wallentin – Hermann/Al Italia; EuGH 4.5.2017 C-315/15, Pesková/Travel Service). Die angemessenen Maßnahmen, die einem Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, sind im Einzelfall zu beurteilen. Dabei geht der EuGH von „einem flexiblen und vom Einzelfall abhängigen Begriff der zumutbaren Maßnahme“ aus, und weist dabei darauf hin, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob im zu beurteilenden Fall angenommen werden kann, dass das Luftfahrtunternehmen die der Situation angemessenen Maßnahmen getroffen hat. Im Rahmen der Einzelfallprüfung muss der Tatrichter des nationalen Gerichts also situationsbedingt beurteilen, ob das betroffene Luftfahrtunternehmen auf technischer und administrativer Ebene in der Lage war, direkt oder indirekt Vorkehrungen zu treffen, die geeignet waren, die Folgen der Annullierung oder großen Verspätung zu verringern oder zu vermeiden (EuGH 4.5.2017 C-315/15, Schmid aaO Rz 255b mwN).

Die von Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO geforderten Maßnahmen sind auf drei Ebenen zu prüfen:

[1] Maßnahmen zur Vermeidung der außergewöhnlichen Umstände selbst;

[2] Maßnahmen zur Vermeidung einer daraus resultierenden Annullierung (bzw. einer großen Verspätung); und

[3] Maßnahmen zur Vermeidung der unerwünschten Folgen der Annullierung (bzw. einer großen Verspätung) für den einzelnen Fluggast(RKO0000014).

3. Zunächst begehrt die Berufungswerberin die Feststellung, dass der Einsatz weiterer Ersatzmaschinen aufgrund der Witterungsverhälntisse nicht möglich war. Daraus hätte sich ergeben, dass der weitere Einsatz von Ersatzmaschine bzw. Ersatzcrew keine zumutbare Maßnahme zur Verhinderung der Annullierung darstelle.

Dieser sekundäre Feststellungsmangel liegt nicht vor, zumal das Erstgericht ohnedies davon ausging, dass Luftfahrtunternehmen nicht verpflichtet sind, an jedem

Flughafen, den sie anfliegen, eine Ersatzmaschine und Ersatzpersonal bereitzuhalten (RWH0000087).

4. Im nächsten Berufungspunkt bekämpft die Berufungswerberin einerseits eine Negativfeststellung und macht einen Verfahrensmangel geltend in Bezug auf die unterlassene Einvernahme einer Zeugin. Das Urteil kann aber gemäß § 501 Abs 1 ZPO nur wegen Nichtigkeit und wegen einer ihm zugrunde liegenden unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache angefochten werden, weil das Erstgericht über einen Streitgegenstand entschieden hat, der EUR 2.700,-- nicht übersteigt. Somit ist die Bekämpfung der Tatsachenfeststellungen, also die Geltendmachung von unrichtigen Tatsachenfeststellungen, unrichtiger Beweiswürdigung, Aktenwidrigkeit und Mangelhaftigkeit grundsätzlich ausgeschlossen ( Klauser/Kodek , ZPO 18 § 501 ZPO E8).

5. Zudem moniert die Berufungswerberin das Fehlen von Feststellungen dazu, dass eine Landung auf Ausweichflughäfen aufgrund der Wetterbedingungen nicht möglich gewesen wäre. Zum Beweis dazu verweist sie auf die Aussage einer Zeugin. Aus den von ihr zitierten Aussageteilen ist jedoch nichts darüber zu gewinnen, wie die Wetterbedingungen an Ausweichflughäfen waren. Letztlich muss aber auf die weiteren Argumente in diesem Berufungspunkt nicht weiter eingegangen werden, da die Beklagte sich jedenfalls nicht um eine geeignete Ersatzbeförderung bemühte, wie noch auszuführen ist.

6. Die Berufungswerberin wendet sich zuletzt gegen die Rechtsansicht des Erstgerichts, dass die Beklagte nicht vorgebracht habe, dass sie sich um eine geeignete Ersatzbeförderung gekümmert habe, sondern bloß den Hinweis an die Passagiere, dass diese – und dies auch bloß auf der Website der Beklagten – selbst eine Ersatzverbindung organisieren können und damit eine unzureichende Ersatzbeförderung vorliege.

Entgegen den Berufungsausführungen ergibt sich daraus, dass die Zedenten einen anderen Flug buchten, nicht, dass die Beklagte ihrer Pflicht, den Fluggästen konkrete Ersatzverbindungen anzubieten, nachgekommen ist. Nach herrschender deutschsprachiger Judikatur ist das eigene Bemühen des Fluggastes nicht dem Flugunternehmen entlastend zurechnen (vgl dazu Schmid in BeckOK Fluggastrechte-Verordnung 25 (Stand: 13.01.2023), Rz 43b). Die Beklagte hat im erstinstanzlichen Verfahren nicht einmal vorgetragen, dass sie für die Zedenten konkrete Ersatzbeförderungen gesucht und/oder angeboten hat. Aus den Feststellungen des Erstgerichts ergibt sich vielmehr, dass den Fluggästen ein konkreter Ersatzflug nicht angeboten wurde.

Der Oberste Gerichtshof hat – wenn auch zu Art 8 Abs 1 lit b EU-FluggastVO – bereits ausdrücklich ausgesprochen, dass der Normzweck der Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus für Fluggäste und Stärkung der Fluggastrechte für das Erfordernis des Vorschlags einer konkreten Ersatzbeförderung durch das ausführende Luftfahrtunternehmen spricht (vgl 1 Ob 133/18t). Nichts anderes kann für die nach Art 5 Abs 3 EU-FluggastVO geforderten zumutbaren Maßnahmen gelten. Das Angebot einer Ersatzbeförderung muss konkret sein (vgl. dazu auch Schmid in BeckOK Fluggastrechte-Verordnung 25 (Stand: 13.01.2023), Rz 43b mwN).

Um diesem Erfordernis zu entsprechen, reicht es nicht aus, die Passagiere auf ein Kundenportal zu verweisen und ihnen mitzuteilen, dass sie auf der Webseite der Beklagten kostenlos einen anderen Flug buchen können. Dies stellt kein konkretes Angebot einer Ersatzbeförderung dar. Aus den Feststellungen und dem Beklagtenvorbringen ergibt sich vielmehr ganz klar, dass die Beklagte nicht einmal versucht hat, eine geeignete Ersatzbeförderung zu finden.

Soweit die Berufungswerberin auf die Rechtsprechung des Berufungsgerichtes verweist, wonach bei gewissen anderen möglichen Flügen die Zedenten mit einer Verspätung von mehr als drei Stunden an das Ziel gebracht worden wären, ist darauf zu verweisen, dass das Berufungsgericht nunmehr von dieser Rechtsprechung abgegangen ist. Alle zumutbaren Maßnahmen müssen ergriffen werden, auch, wenn dadurch die Drei-Stunden-Grenze nicht unterschritten wird. Zweck der Maßnahme ist es nach der Verordnung nämlich nicht, die Annullierung oder Verspätung zu vermeiden, sondern deren Folgen (RWH0000090).

Die Beklagte hat daher nicht alle zumutbaren Maßnahmen vorgenommen, da sie den Zedenten keine konkreten Ersatzbeförderungen angeboten hat. Der Berufung war daher insgesamt ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig.