Spruch
I413 2315015-1/16E
schriftliche ausfertigung des am 12.09.2025 mündlich verkündeten Erkenntnisses
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Martin ATTLMAYR, LL.M. über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. TÜRKEI, vertreten durch RAe Mag. Knirsch, Mag. Braun, Mag. Fellner, gegen den Bescheid des BFA Regionaldirektion Wien (BFA-W) vom 02.06.2025, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.09.2025 zu Recht:
A)
Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs 5 VwGVG behoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Mit Schreiben vom 15.02.2024 verständigte die belangte Behörde den Beschwerdeführer vom Ergebnis einer Beweisaufnahme betreffend die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme.
Hierzu erstattete der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer eine Stellungnahme am 11.03.2024.
Am 15.05.2024 wurde der Beschwerdeführer durch die belangte Behörde einvernommen.
Am 05.03.2025 verständigte die belangte Behörde den Beschwerdeführer vom Ergebnis einer Beweisaufnahme betreffend die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme – Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG.
Hierzu erstattete der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer eine Stellungnahme am 18.03.2025.
Mit angefochtenem Bescheid erließ die belangte Behörde gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG gegen den Beschwerdeführer ein für die Dauer von 5 Jahren befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), erteilte gemäß § 70 Abs 3 FPG dem Beschwerdeführer keinen Durchsetzungsaufschub (Spruchpunkt II.) und erkannte einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab.
Gegen diesen dem Beschwerdeführer im Wege seiner Rechtsanwälte am 05.06.2025 zugestellten Bescheid richtet sich die am 23.06.2025 per E-Mail abgesendete Beschwerde. Zusammengefasst wird der belangten Behörde Aktenwidrigkeit, Verletzung des Parteiengehörs und Mangelhaftigkeit des Verfahrens vorgeworfen und vorgebracht, es bestünden keine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufgrund des persönlichen Verhaltens des Beschwerdeführers.
Am 27.06.2025 (eingelangt in der Außenstelle Innsbruck am 30.06.2025) legte die belangte Behörde den Verwaltungsakt und die Beschwerde dem Bundesverwaltungsgericht vor.
Mit Teilerkenntnis vom 30.06.2025 (OZ 3Z) hob das Bundesverwaltungsgericht Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides ersatzlos auf und erkannte der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu.
Am 12.09.2025 führte das Bundesverwaltungsgericht die mündliche Verhandlung durch. Der Beschwerdeführer wurde durch seinen Rechtsvertreter vertreten. Die belangte Behörde nahm an der Verhandlung nicht teil. Nach Schluss der mündlichen Verhandlung verkündete das Bundesverwaltungsgericht das Erkenntnis sofort mündlich.
Mit Fax vom 15.09.2025 beantragte die in der mündlichen Verhandlung abwesende belangte Behörde die schriftliche Ausfertigung des mündlich verkündeten Erkenntnisses.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Türkei. Seine Identität steht fest. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer reiste in den Schengenraum aufgrund eines C-Visums über Ungarn ein und hält sich seit 03.01.2023 durchgehend im Bundesgebiet auf. Der Beschwerdeführer reiste aufgrund des angefochtenen Bescheides aus dem Bundesgebiet aus. Eine Wiedereinreise in das Bundesgebiet wurde ihm verweigert, weshalb er aktuell bei seiner Familie in der Türkei lebt.
Der Beschwerdeführer ehelichte am 25.02.2023 in XXXX die bulgarische Staatsangehörige XXXX , geb XXXX .
Im Zuge der Beantragung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts am 09.03.2023 durch den Beschwerdeführer regte die Aufenthaltsbehörde eine Überprüfung dieser Ehe in Bezug auf den Verdacht des Vorliegens einer Aufenthaltsehe an.
Gegen beide Eheleute wurde von der Staatsanwaltschaft XXXX am 01.06.2023 Anklage gemäß § 117 FPG erhoben. Mit Urteil vom 07.12.2023, XXXX , wurden beide von der Anklage wegen des Vergehens des Eingehens einer Aufenthaltsehe nach §§ 117 Abs 2, 117 Abs 2 FPG freigesprochen. Das Urteil ist seit dem 12.12.2023 rechtskräftig.
Die Aufenthaltsbehörde wies den Antrag des Beschwerdeführers auf unionsrechtlichen Aufenthaltsrecht mit Bescheid vom 06.09.2023 zurück. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wies das Verwaltungsgericht XXXX mit Erkenntnis vom 16.11.2023 als verspätet zurück.
Am 11.12.2023 brachte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts unter Berufung auf die geschlossene Ehe mit der bulgarischen Staatsbürgerin XXXX ein, welcher mit Bescheid vom 26.03.2024 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen worden ist. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer ein Rechtsmittel. Mit Erkenntnis vom 04.10.2024 bestätigte das Verwaltungsgericht XXXX den angefochtenen Bescheid und wies die Beschwerde als unbegründet ab.
Am 28.10.2024 brachte der Beschwerdeführer einen Antrag auf Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts (Aufenthaltskarte) ein, den die Aufenthaltsbehörde mit Bescheid vom 05.03.2025 wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hatte. Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde hob das Verwaltungsgericht XXXX diesen Bescheid mit Erkenntnis vom 08.05.2025, XXXX , auf.
Der Beschwerdeführer brachte am 18.03.2025 vor, dass er mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Ehe- und Familienleben führe und sich zwischenzeitig gegenüber dem Vorbescheid der Aufenthaltsbehörde der maßgebliche Sachverhalt geändert habe und bot hierzu auch Zeugen an. Die belangte Behörde hat weder den Beschwerdeführer ergänzend einvernommen, noch die angebotenen Zeugen befragt.
Aufgrund und in Befolgung des angefochtenen Bescheides reiste der Beschwerdeführer aus dem Bundesgebiet aus. Vor seiner Ausreise lebte er mit seiner Ehefrau seit 27.02.2023 in einem gemeinsamen Haushalt und führte zumindest seit diesem Zeitpunkt ein Eheleben, führte mit dieser eine eheliche und wirtschaftliche Lebensgemeinschaft und möchte diese auch weiterhin führen. Die Eheleute verbrachten bis zur Ausreise des Beschwerdeführers aufgrund des angefochtenen Bescheides die gesamte Freizeit miteinander, verbrachten private und gesellschaftliche Aktivitäten gemeinsam und mit Freunden, waren dich verbunden, treu und respektvoll gegenüber, hatten ein gutes gemeinsames Sexualleben und hatten beide den Wunsch nach einem oder auch zwei gemeinsamen Kindern.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Staatbürgerschaft und Identität des Beschwerdeführers ergeben sich zweifelsfrei aus dem vorgelegten Reisepass (AS 209). Dass der Beschwerdeführer in Österreich unbescholten ist, ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.
Aus dem vorgelegten Reisepass ist das von Ungarn ausgestellte Schengenvisum der Kategorie C ersichtlich (AS 211) sowie die entsprechenden Einreisestempel, sodass an der legalen Einreise keine Zweifel bestehen. Aus den weiteren Einreisestempel des Passes (AS 213 ff) sowie dem ZMR-Auszug ist ersichtlich, dass der Beschwerdeführer sich ohne Unterbrechung im Bundesgebiet aufhielt. Glaubhaft ist auch, dass der Beschwerdeführer nach Erhalt des angefochtenen Bescheides auf Rat seines Rechtsanwaltes ausgereist ist und ihm die Wiedereinreise nach Österreich verweigert worden ist und er deshalb in der Türkei bei seiner Familie lebt (Niederschrift vom 12.09.2025, S 3).
Die Feststellungen zur Eheschließung mit einer bulgarischen Staatsangehörigen am 25.02.2023 steht aufgrund des Verwaltungsakts fest und ist unstrittig.
Dass die Aufenthaltsbehörde im Zuge der Beantragung des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts am 09.03.2023 eine Überprüfung dieser Ehe in Bezug auf den Verdacht des Vorliegens einer Aufenthaltsehe anregte, ergibt sich aus dem von der belangten Behörde von der Akteneinsicht ausgenommenen Abschluss-Bericht der Landespolizeidirektion XXXX Vom 10.05.2023 (AS 19 f).
Dass gegen beide Eheleute von der Staatsanwaltschaft XXXX am 01.06.2023 Anklage gemäß § 117 FPG erhoben wurde, ist der Verständigung des Bezirksgerichts XXXX vom 08.09.2023 zu entnehmen. Dem Verwaltungsakt liegt ferner ein – von der belangten Behörde von der Akteneinsicht ausgeschlossener – Abschluss-Bericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 10.05.2023 ein (AS 19 ff), der unter Darlegung von verschiedensten Widersprüchen zum Ergebnis kommt, dass die "Ehe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht aus Liebe und tiefer Verbundenheit zueinander, sondern vielmehr rein zur Erlangung eines legitimierten Bleiberechts sowie Zugang zum Arbeits- und Sozialsystem für den XXXX eingegangen [worden sei]. Ein tatsächlich geführtes Eheleben im Sinne des Art VIII EMRK kann aufgrund der angeführten Beweismittel faktisch nicht bestanden haben." Diesen, der Anklage offensichtlich unterliegende Sachverhalt im Abschlussbericht wurde vom Bezirksgericht XXXX jedoch nicht in diesem Sinne beurteilt, endete doch das Verfahren mit Urteil vom 07.12.2023, XXXX , mit einem Freispruch von der Anklage wegen des Vergehens des Eingehens einer Aufenthaltsehe nach §§ 117 Abs 2, 117 Abs 2 FPG, was gemäß der Benachrichtigung der belangten Behörde vom 14.12.2023 (AS 83 f) auch zweifelsfrei feststeht. Dass dieses Urteil seit dem 12.12.2023 rechtskräftig ist, ergibt sich ebenfalls zweifelsfrei aus dieser Mitteilung (AS 85).
Die Feststellung zur Zurückweisung des Antrages auf unionsrechtlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers ergibt sich aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Bescheid des Landeshauptmanns von XXXX vom 06.09.2023 (AS 59 ff). Dass die dagegen eingebrachte Beschwerde als verspätet zurückgewiesen wurde, ergibt sich zweifelsfrei aus dem im Verwaltungsakt einliegenden Beschluss des Verwaltungsgerichts XXXX vom 16.11.2022 (AS 49 ff).
Aufgrund des Bescheides des Landeshauptmanns von XXXX vom 26.03.2024 (AS 243 ff) steht fest, dass der weitere, unter ausdrücklicher Berufung auf die geschlossene Ehe mit einer bulgarischen Staatsbürgerin vom Beschwerdefrüher gestellte Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte wegen entschiedener Sache zurückgewiesen wurde. Weiters liegt dem Verwaltungsakt eine Kopie des Erkenntnisses des Verwaltungsgerichts XXXX vom 04.10.2024 vor, mit dem die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt wurde, sodass auch die diesbezügliche Feststellung zweifelsfrei zu treffen war.
In der mündlichen Verhandlung legte der Rechtsanwalt des Beschwerdeführer das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts XXXX vom 08.05.2025 (Beilage ./A zum Protokoll vom 12.09.2025) vor, aus dem zweifelsfrei hervorgeht, dass der Beschwerdeführer am 28.10.2024 einen Antrag auf Ausstellung einer Aufenthaltskarte gestellt hatte, den die Aufenthaltsbehörde wegen entschiedener Sache zurückgewiesen hatte. Mit dem vorgelegten Erkenntnis behob das Verwaltungsgericht XXXX diesen Bescheid (Beilage ./A).
Aus der Stellungnahme vom 18.03.2025, die der Beschwerdeführer im Rahmen des Parteiengehörs erstattete, brachte dieser vor, dass er mit seiner Ehefrau ein gemeinsames Ehe- und Familienleben führe und sich zwischenzeitig gegenüber dem Vorbescheid der Aufenthaltsbehörde der maßgebliche Sachverhalt geändert habe. Zugleich bot er Zeugen zum Nachweis eines gemeinsamen Ehe- und Familienlebens an. Aufgrund des Umstandes, dass die belangte Behörde keine weiteren Beweise mehr aufgenommen, sondern den angefochtenen Bescheid erlassen hatte, steht zweifelsfrei fest, dass die belangte Behörde nicht weitere Befragungen des Beschwerdeführers und der angebotenen Zeugen durchgeführt hat.
In der mündlichen Verhandlung teilte der Rechtsanwalt des Beschwerdeführers mit, dass dieser aufgrund und in Befolgung des angefochtenen Bescheides aus dem Bundesgebiet ausgereist und ihm eine Wiedereinreise nicht mehr gestattet worden sei (Niederschrift vom 12.09.2025, S 3). Mangels gegenteiliger Hinweise hat das Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel an der Richtigkeit dieses Vorbringens. Dass der Beschwerdeführer vor seiner Ausreise mit seiner Ehefrau seit 27.02.2023 in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat, ergibt sich aus den ZMR-Auszügen betreffend die Wohnsitze der beiden Eheleute. Aus den Feststellungen im Erkenntnis des Verwaltungsgericht XXXX vom 08.05.2025 ergibt sich zweifelsfrei, dass zwischenzeitig der Beschwerdeführer ein Eheleben mit seiner Ehefrau in Form einer ehelichen und wirtschaftlichen Lebensgemeinschaft nach eigenen Angaben führte, was das Verwaltungsgericht als derart wahrscheinlich hielt, dass es den in seinem Verfahren angefochtenen Bescheid, in der die Aufenthaltsbehörde vom Gegenteil, von einer Aufenthaltsehe ausging, ersatzlos behob. Das Bundesverwaltungsgericht ist im Lichte dieser Entscheidung und im Lichte des Vorbringens des Beschwerdeführers vom 19.03.2025, welches die belangte Behörde schlichtweg ignorierte, der Überzeugung, dass der Beschwerdeführer mit seiner Ehefrau ein eheliches Leben führte und immer noch führen würde, ließen ihn die österreichischen Behörden wieder einreisen. Daher besteht für das Bundesverwaltungsgericht kein Zweifel, dass die Eheleute bis zur Ausreise des Beschwerdeführers aufgrund des angefochtenen Bescheides die gesamte Freizeit miteinander verbrachten, private und gesellschaftliche Aktivitäten gemeinsam und mit Freunden verbrachten, sich treu und respektvoll verbunden waren und auch ein gutes gemeinsames Sexualleben hatten sowie den Wunsch nach einem oder auch zwei gemeinsamen Kindern hatten.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgabe der Beschwerde
Der mit "Aufenthaltsverbot" übertitelte § 67 des Fremdenpolizeigesetzes, BGBl I Nr 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 145/2017, lautet auszugsweise:
"§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.
(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.
[…]"
Der mit "Ausreiseverpflichtung und Durchsetzungsaufschub" übertitelte § 70 FPG, BGBl I Nr 100/2005, zuletzt geändert durch BGBl I Nr 87/2012, lautet auszugsweise:
" § 70. (1) Die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot werden spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.
(2) (aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)
(3) EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.
[…]"
Die belangte Behörde stützt ihre Entscheidung betreffend die Erlassung des Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG darauf, dass das persönliche Verhalten des Beschwerdeführers die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährde, weil er durch das Eingehen einer Aufenthaltsehe sich dauerhaft im Bundesgebiet niederzulassen versucht habe.
Die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gemäß § 67 FPG lagen entgegen der Auffassung der belangten Behörde nicht vor. Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegen die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes (unter anderem) vor, wenn der Fremde - im Sinn des Tatbestands des § 53 Abs 2 Z 8 FPG - eine Aufenthaltsehe geschlossen, also mit dem Ehegatten ein gemeinsames Familienleben iSd Art 8 EMRK nicht geführt und sich trotzdem (unter anderem) für den Erwerb eines unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts auf diese Ehe berufen hat (vgl VwGH 23.03.2017, Ra 2016/21/0349, Rn 10, mwN; vgl auch VwGH 30.04.2020, Ra 2020/21/0106). Damit im Zusammenhang steht die insoweit mit "Aufenthaltsehe" überschriebene Regelung des § 30 Abs 1 NAG, die normiert, dass sich Ehegatten, die ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK nicht führen, für die Erteilung und Beibehaltung von Aufenthaltstiteln nicht auf die Ehe berufen dürfen (VwGH 30.04.2020, Ra 2020/21/0106).
Eine solche "Aufenthaltsehe" liegt im vorliegenden Fall aber nicht vor. Die Ehe des Beschwerdeführers und seiner Frau wurde im Zuge des strafrechtlichen Vorwurfs des Eingehens eines solchen Aufenthaltsehe nach § 117 Abs 1 und 2 FPG geprüft und führte zu einem rechtskräftigen Freispruch. Damit kann nicht davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer eine Ehe eingegangen ist, ohne ein gemeinsames Familienleben im Sinne des Art 8 EMRK führen zu wollen und sich für den Erwerb eines Aufenthaltstitels auf diese Ehe zu berufen. Anderenfalls hätte das Strafgericht die Eheleute verurteilen müssen. Dennoch stützt sich die belangte Behörde auf den – von ihr von der Akteneinsicht ausgeschlossenen – Abschlussbericht der Landespolizeidirektion XXXX , der gerade die Vorwürfe, die zur Anklageerhebung und in weiterer Folge zum Strafverfahren wegen des Vorwurfs des Eingehens einer Aufenthaltsehe geführt hat, ohne freilich zu bedenken, dass sich diese Vorwürfe aufgrund des Freispruchs vom Vorwurf des Eingehens einer Aufenthaltsehe für haltlos erwiesen haben.
Soweit die belangte Behörde auf Ermittlungsverfahren der Aufenthaltsbehörde (Landeshauptmann von XXXX ) Bezug nimmt, ist zu entgegnen, dass sich dieses Ermittlungsverfahren als derart mangelhaft herausgestellt hat, dass das Verwaltungsgericht XXXX den zuletzt gefällten, auf der Prämisse des Vorliegens einer Aufenthaltsehe gestützten Bescheid des Landeshauptmanns von XXXX behoben hat. Vielmehr ergibt sich aus dem dortigen Verfahren, dass ein Eheleben im Sinne des Art 8 EMRK besteht.
Da der Vorwurf des Eingehens einer Aufenthaltsehe zum Erwerb eines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet sich vor diesem Hintergrund als haltlos erweist, kann von einer tatsächlichen, gegenwärtigen und erheblichen Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit keine Rede sein. Der Beschwerdeführer ist im Bundesgebiet unbescholten und ging – vor seiner Ausreise, mit der er der angefochtenen Entscheidung entsprach, was auf seine Rechtstreue hinweist – nach. Damit fehlen alle Ansätze für die Annahme einer solchen Gefährdung und für die von der belangten Behörde angenommene negative Zukunftsprognose, weshalb der Tatbestand des § 67 Abs 1 FPG nicht erfüllt ist.
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher hinsichtlich Spruchpunkt I. als rechtswidrig und war gemäß § 28 Abs 5 VwGVG aus dem Rechtsbestand zu entfernen.
Aufgrund der Behebung des Spruchpunkt I. ergibt sich für die Entscheidung über den Durchsetzungsaufschub keine Grundlage, weshalb war Spruchpunkt II. ebenfalls zu beseitigen war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Rechtsfragen im Zusammenhang mit dem Einzelfall sind in aller Regel nicht reversibel.