JudikaturBVwG

W175 2300661-2 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
08. August 2025

Spruch

W175 2300661-2/13E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht beschließt durch die Richterin Mag. Neumann über den Antrag von XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, gesetzlich vertreten durch den Zypriotischen Wohlfahrtsdienst, dieser vertreten durch XXXX , Rechtsanwalt, auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht:

A)

Dem Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz in Form einer einstweiligen Anordnung wird nicht stattgegeben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 9 B-VG iVm Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Am 13.02.2024 richtete die zypriotische Dublin-Abteilung ein Aufnahmeersuchen betreffend den Antragsteller gemäß Art. 8 der VO (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) an Österreich.

2. Am 29.04.2024 lehnte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) das Aufnahmegesuch der zypriotischen Dublin-Behörde gemäß Dublin III-VO mangels Zuständigkeit ab. Begründend führte das BFA in seiner Ablehnung vom 29.04.2024, Zahl: 1385334404-240260721, aus, dass in Bezug auf den Antrag auf neuerliche Prüfung vom 16.04.2024 darauf verwiesen werde, dass die behauptete enge Verwandtschaft zwischen dem zu dieser Zeit minderjährigen Antragsteller und dem in Österreich lebenden Onkel nicht nachvollziehbar sei. Der Antragsteller sei erst vier Jahre alt gewesen, als sein Onkel Syrien verlassen habe und in den Libanon gereist sei. Der Onkel habe nie mit dem Minderjährigen in einer familiären Verbindung gelebt. Die angegebene familiäre Beziehung könne somit nicht festgestellt werden und würde das BFA somit seine Position beibehalten. Die Republik Österreich sehe sich daher nicht für die Aufnahme der genannten Person gemäß Art. 8 Dublin III-VO verantwortlich.

3. Mit Schriftsatz vom 11.07.2024, eingelangt am 15.07.2024, stellte der Antragsteller einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, mit der Begründung, dass die Frist zur Bekämpfung der Ablehnung des Aufnahmegesuchs seitens des Antragstellers unverschuldet versäumt worden sei. Dazu führte der Antragsteller aus, dass das Versäumen der Rechtsmittelfrist mit einem Rechtsnachteil für diesen verbunden sei, zumal dieser in seinem Recht auf Familienzusammenführung nach der Dublin III-VO im Lichte der einschlägigen grund- sowie unionsrechtlichen Bestimmungen verletzt worden sei und nicht mit seinem in Österreich lebenden Onkel leben könne, was aber im Interesse des Kindeswohles geboten sei und damit in seinem (Rechts-) Interesse liege. Gleichzeitig erhob der Antragsteller Beschwerde gegen die Ablehnung des Aufnahmegesuchs des BFA vom 29.04.2024.

4. Mit Bescheid des BFA vom 05.12.2024, IFA-Zahl/Verfahrenszahl: 13853374404/240260721, GZ: 2024-0.841.019, wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 33 Abs. 1 VwGVG (Spruchpunkt I.) und der Antrag auf Übermittlung aller den Antragsteller betreffenden Aktenbestandteile, ausgenommen jene, die mit der gegenständlichen Beschwerde übermittelt werden würden, gemäß § 17 Abs. 1 AVG zurückgewiesen (Spruchpunkt II.).

5. Mit Schriftsatz vom 07.01.2025 erhob der Antragsteller Beschwerde gegen Spruchpunkt I des Bescheides des BFA vom 05.12.2024.

6. Mit Schreiben des BFA vom 21.02.2025, eingelangt beim BVwG am 25.02.2025, wurde der Verwaltungsakt mitsamt der Beschwerde gegen den Bescheid des BFA vom 05.12.2024 vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde beantragt.

7. Mit Schriftsatz vom 25.03.2025, eingelangt am 25.03.2025, beantragte der Antragsteller, gesetzlich vertreten durch den Zypriotischen Wohlfahrtsdienst, dieser im Wege seiner rechtlichen Vertretung, die Erlassung eines vorläufigen Rechtsschutzes in Form einer einstweiligen Anordnung auf Grundlage des Unionsrechtes. Als bekämpfte Bescheide führte der Antragsteller den Bescheid des BFA vom 29.04.2024, Zl. 1385334404-240260721 und den Bescheid des BFA vom 05.12.2024, Zl. 2024-0.841.019, IFA/VZ: 1385334404/240260721, an.

Zusammengefasst gab der Antragsteller an, dass er sich derzeit als unbegleiteter Minderjähriger in Zypern aufhalte, wo er einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt habe, über den bis dato nicht entschieden worden sei. Die zypriotische Asylbehörde sei im Zuge der Prüfung des vom Antragsteller gestellten Antrags auf internationalen Schutz mittels Aufnahmegesuch nach Art. 8 Abs. 2 iVm Art 21 Dublin III-VO an die belangte Behörde herangetreten und habe auf den Umstand Bezug genommen, dass sich in Österreich der Onkel des Antragstellers als Schutzberechtigter aufhalte und den Wunsch des Antragstellers dargetan, mit seinem Onkel zusammengeführt zu werden und sich während der Prüfung seines Antrags bei ihm aufhalten zu können. Dieser Wunsch decke sich auch mit den Vorstellungen der Mutter des Antragstellers, welche weiterhin in Syrien lebe. Zudem sei der Onkel bereit, den Antragsteller bei sich aufzunehmen.

Die gegenständliche Fallkonstellation sei damit in den wesentlichen Punkten ident mit jener, die dem Urteil des EuGH vom 01.08.2022, C-19/21, zugrunde gelegen sei. In diesem Urteil sei ausgeführt worden, dass die Vorschrift des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO das „etwaige Interesse eines unbegleiteten minderjährigen Antragstellers an einer Zusammenführung mit dem erweiterten Kreis seiner Familienangehörigen“ schütze. Dabei habe der EuGH weiters betont, dass „die Möglichkeit eines unbegleiteten Minderjährigen, mit einem Verwandten zusammengeführt zu werden, der während der Bearbeitung seines Antrags für ihn sorgen kann […] grundsätzlich dem Wohl des Kindes dien[e]“. Dies ergebe sich nicht nur aus Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO, sondern auch aus Art. 6 Abs. 3 Buchstabe a und Abs. 4 Dublin III-VO sowie aus den 14. und 16. Erwägungsgründen dieser Verordnung.

Umgelegte auf das gegenständliche Verfahren könne es insofern nicht zweifelhaft sein, dass die Stattgabe des Aufnahmegesuchs im Kindeswohl des minderjährigen Antragstellers gelegen sei. Der Gerichtshof habe im angeführten Urteil zu C-19/21 unter Hinweis auf seine insofern ständige Rechtsprechung betont, dass es bei unbegleiteten Minderjährigen zu keinen unnötigen Verzögerungen des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaates kommen dürfe. Eine unnötige Verzögerung sei im vorliegenden Fall aber klar zu konstatieren. Das Aufnahmegesuch sei mit behördlicher Erledigung vom 29.04.2024 abgelehnt worden. Seither seien knapp 11 Monate vergangen, in denen es noch zu keiner gerichtlichen Überprüfung dieser Entscheidung gekommen sei.

In rechtlicher Hinsicht ergebe sich die Notwendigkeit der Erlassung einer einstweiligen Anordnung im vorliegenden Fall des Antragstellers aus der klaren Wertung des Unionsgesetzgebers, wonach die sich aus der hier anzuwendenden Bestimmung des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO ergebende Möglichkeit eines unbegleiteten Minderjährigen, mit einem Verwandten zusammengeführt zu werden, der während der Bearbeitung seines Antrags für ihn sorgen könne, grundsätzlich dem Wohl des Kindes diene. Zudem ergebe sich diese Notwendigkeit aus dem Postulat der Rechtsprechung des EuGH, wonach unnötige Verzögerungen im Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines von einem unbegleiteten Minderjährigen eingebrachten Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats hintanzuhalten seien.

Diesbezüglich werde ausgeführt, dass das Kindeswohl des mj. Antragstellers derzeit in gravierender Weise gefährdet sei. Der Antragsteller halte sich seit ca. 16 Monaten in Zypern auf und warte seither auf die Bestimmung des für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats. Der Antragsteller habe während dieses Zeitraumes niemals die Schule besuchen können. Er sei mehrmals von einer Betreuungseinrichtung in die andere verlegt worden und verfüge über keine verlässlichen Kontakte zu Bezugspersonen und über keine sicheren Bindungen in Zypern. Zudem seien die hygienischen und sozialen Verhältnisse in den Betreuungseinrichtungen ausgesprochen schlecht. Der Antragsteller habe sich im vergangenen Sommer in einer der Einrichtungen mit der Hautkrankheit Scabies (Krätze) infiziert, an der er mangels adäquater medizinischer Behandlung nach wie vor leide. Zuletzt habe der Antragsteller eine Einrichtung wechseln müssen, zumal in der früheren Einrichtung ein Brand ausgebrochen sei. Der Antragsteller sei durch den Brandgeruch aufgewacht, sodass schlimme Verletzungen oder gar das Eintreten von Todesgefahr verhindert habe werden können. Insofern sei auch die Dringlichkeit der begehrten Einräumung einer Maßnahme einstweiligen Rechtsschutzes gegeben. In der vorliegenden Konstellation gehe es auch um die Abwägung zwischen den privaten Interessen des Antragstellers auf Gewährung der Zusammenführung mit einem Verwandten und dem öffentlichen Interesse.

Beantragt werde, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung eine einstweilige Anordnung zu erlassen und der behördlichen Erledigung vom 29.04.2024 ihre Vollzugstauglichkeit und ihre Rechtswirkungen bis zur Erledigung der beiden verfahrensgegenständlichen Beschwerden nehmen und die belangte Behörde anzuweisen, die Einreise des mj. Antragstellers nach den Bestimmungen und Umständen der Dublin III-VO gestützt auf die vorläufige Annahme des Bestehens einer Zuständigkeit Österreichs nach Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO vorläufig zu gestatten und ihm in Österreich angekommen dann die Rechtsposition als Asylwerber einzuräumen.

8. Mit Eingabe vom 15.05.2025 ersuchte der Antragsteller im Wege seiner rechtlichen Vertretung um Entscheidung über den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz.

9. Der Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf Wiedereinsetzung mit Bescheid des BFA vom 05.12.2024 sowie der Beschwerde gegen das Schreiben des BFA vom 29.04.2024 an die zypriotische Dublin-Abteilung wird mangels Vorliegen eines Bescheides zeitgleich mit gesondertem Beschluss des BVwG nicht stattgegeben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A) Antrag auf Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz in Form einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht:

Die Erlassung einer einstweiligen Anordnung nach dem Unionsrecht kann mangels einer innerstaatlichen Vorschrift nur in unmittelbarer Anwendung von Unionsrecht erfolgen. So hat der Verwaltungsgerichtshof – der Rechtsprechung des EuGH folgend – bereits mehrmals ausgesprochen, es sei nicht ausgeschlossen, auf Grundlage der unmittelbaren Anwendung von Unionsrecht – über die im kassatorischen System der österreichischen Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgegebene Möglichkeit, der gegen einen Bescheid erhobenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und den angefochtenen Bescheid im Falle seiner Rechtswidrigkeit aufzuheben, hinaus – einstweilige Anordnungen mit der Wirkung zu treffen, dem Antragsteller eine Rechtsposition vorläufig einzuräumen, deren Einräumung mit dem angefochtenen Bescheid auf der Grundlage einer (möglicherweise dem Unionsrecht widersprechenden) nationalen Rechtsvorschrift verweigert wurde (VwGH 29.10.2014, Ro 2014/04/0069; 13.10.2010, 2010/12/0169).

Nach der Rechtsprechung des EuGH können die nationalen Gerichte einstweilige Anordnungen nur unter den Voraussetzungen treffen, die für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch den Gerichtshof gelten. Zu diesen Voraussetzungen gehören die Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der Erlassung der einstweiligen Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (fumus boni iuris), das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens beim Antragsteller und gegebenenfalls die Abwägung aller bestehenden Interessen. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, sodass der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen ist, wenn eine von ihnen fehlt (VwGH 13.10.2010, 2010/12/0169).

Auch nationale Gerichte sind für den Erlass einstweiliger Anordnungen zuständig. Sie können vorläufig die Vollziehung eines nationalen Verwaltungsaktes aussetzen, der Unionsrecht vollzieht. Da dadurch gleichzeitig indirekt auch das zugrundeliegende Unionsrecht ausgesetzt wird, ist der Erlass einer einstweiligen Maßnahme nur dann zulässig, wenn das nationale Gericht erhebliche Zweifel an der Gültigkeit des Unionsrechtsaktes hat und ein Vorabentscheidungsverfahren gemäß Art. 267 AEUV einleitet. Weiters muss die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes dringlich sein und dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden drohen. Schließlich müssen das Interesse der Union am Vollzug des Unionsrechts und die Rechtsprechung des EuGH angemessen berücksichtigt werden. Die Kriterien stimmen weitgehend mit den Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes durch den EuGH überein und sollen eine einheitliche Anwendung des Unionsrechts sichern (Lengauer/Richter in: Mayer/Stöger, EUV/AEUV, Art. 279 AEUV Rz 11 mN aus der Rsp des EuGH).

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung im gegenständlichen Fall jedoch unzulässig.

Wesentliche Voraussetzung ist u.a. das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wieder gutzumachenden Schadens beim Antragsteller. Eine solche Dringlichkeit legt der gegenständliche Antrag jedoch nicht ausreichend dar.

In diesem Zusammenhang führte der mj. Antragsteller in seinem Antrag aus, dass sich die Notwendigkeit der Erlassung einer einstweiligen Anordnung insofern ergebe, als sich dies in rechtlicher Hinsicht der klaren Wertung des Unionsgesetzgebers im Hinblick auf Art. 8 Abs. 2 der Dublin III-VO und weiters aus der Rechtsprechung des EuGH ergebenden Postulats ableiten lasse. Demnach sei es notwendig, unnötige Verzögerungen im Verfahren zur Bestimmung des für die Prüfung eines von einem unbegleiteten Minderjährigen eingebrachten Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaates hintanzuhalten. Auch liege eine Notwendigkeit zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes in tatsächlicher Hinsicht vor. Der mj. Antragsteller verfüge mit seinem Onkel über einen Angehörigen, der in Österreich als Asylberechtigter für ihn sorgen könne und dies auch möchte. Es entspreche auch dem Wunsch des Antragstellers, in die Obhut seines Onkels zu gelangen. Zudem sei das Kindeswohl des Antragstellers derzeit in Zypern in gravierender Weise gefährdet.

Der Antragsteller sei seit ca. 16 Monaten in Zypern und warte seither auf die Bestimmung des für die Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaat. In dieser Zeit habe er nicht in die Schule gehen können, verbringe einen Großteil seiner Zeit ohne Beschäftigung und Betreuung und habe deshalb mittlerweile Depressionen entwickelt. Der Antragsteller sei mehrfach von einer Betreuungseinrichtung in die andere verlegt worden und hätten auch die Personen, die seine gesetzliche Vertretung innegehabt hätten, mehrfach gewechselt. Auch die hygienischen und sozialen Verhältnisse in den Betreuungseinrichtungen seien ausgesprochen schlecht, wobei sich der Antragsteller auch mit der Hautkrankheit Scabies (Krätze) infiziert hätte und in einer früheren Einrichtung ein Feuer ausgebrochen sei, in der Folge der Antragsteller erneut seine Betreuungseinrichtung wechseln habe müssen. Die dargstellten Umstände würden eine gravierende Kindeswohlgefährdung aufzeigen. Der Kindeswohlbegriff werde in der Dublin III-VO nicht spezifisch definiert. Im nationalen österreichischen Recht biete § 138 ABGB jedoch eine zu beachtende Orientierung, um diesen Rechtsbegriff näher zu umschreiben. Es seien mehrere dort angeführte Aspekte betreffend den Antragsteller betroffen, u.a. das Fehlen einer angemessenen Versorgung mit medizinischer und sanitärer Betreuung und Wohnraum, das nicht Vorhandensein einer Erziehung und Geborgenheit sowie Bildung. Das Fehlen einer Förderung der Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten des Antragstellers sowie das Fehlen von Bezugspersonen und einer sicheren Bindung in Zypern würden ebenso zu einer Kindeswohlgefährdung beitragen.

Sofern der Antragsteller im Hinblick auf die obigen Ausführungen zudem auf das Urteil des EuGH vom 01.08.2022, C-19/21, verweist, wonach Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO das „etwaige Interesse eines unbegleiteten minderjährigen Antragstellers an einer Zusammenführung mit dem erweiterten Kreis seiner Familienangehörigen“ schütze, ist zunächst folgendes auszuführen:

Das erkennende Gericht verkennt nicht, dass der EuGH im oben ausgeführten Vorabentscheidungsverfahren darauf Bedacht nimmt, dass die Möglichkeit eines unbegleiteten Minderjährigen, mit einem Verwandten zusammengeführt zu werden, der während der Bearbeitung seines Antrags für ihn sorgen kann, grundsätzlich dem Wohl des Kindes dient. Doch zielen die Vorlagefragen im zitierten Vorabentscheidungsverfahren grundsätzlich darauf ab, ob in Verbindung mit Art. 47 der Charta Art. 27 Abs. 1 der Dublin III-VO dahin auszulegen sei, dass der Mitgliedstaat, an den ein auf Art. 8 Abs. 2 dieser Verordnung gestütztes Aufnahmegesuch gerichtet worden sei, nach dieser Vorschrift dem internationalen Schutz begehrenden unbegleiteten Minderjährigen im Sinne von Art. 2 Buchst. j dieser Verordnung oder seinem Verwandten im Sinne von Art. 2 Buchst. h der Verordnung ein Recht auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen die das Aufnahmegesuch ablehnende Entscheidung einräumen müsse oder ob, wenn dies nicht der Fall sei, ein solches Recht auf einen Rechtsbehelf unmittelbar durch Art. 47 der Charta in Verbindung mit deren Art. 7 und Art. 24 Abs. 2 verliehen werde (vgl. Rz 30).

In Beantwortung der gestellten Vorlagefragen führte der EuGH in seinem Urteil aus, dass auf die Fragen 1 und 2 dahingehend zu antworten sei, dass Art. 27 Abs. 1 der Dublin III-VO in Verbindung mit den Art. 7, 24 und 47 der Charta insofern auszulegen sei, als der Mitgliedstaat, an den ein auf Art. 8 Abs. 2 der Dublin III-VO gestütztes Aufnahmegesuch gerichtet worden sei, nach dieser Vorschrift dem internationalen Schutz begehrenden unbegleiteten Minderjährigen im Sinne von Art. 2 Buchst. j der Dublin III-VO ein Recht auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen seine ablehnende Entscheidung einzuräumen habe, nicht aber dem Verwandten dieses Minderjährigen im Sinne von Art. 2 Buchst. h der Dublin III-VO. Insofern klärt das Vorabentscheidungsersuchen lediglich die Frage, ob bzw. welchem Rechtssubjekt ein Recht auf einen gerichtlichen Rechtsbehelf einzuräumen ist (vgl. Rz 55).

Weiters determiniert der EuGH in seinem Urteil, dass gemäß Art. 8 Abs. 2 der Dublin III-VO der Mitgliedstaat, in dem sich der Verwandte des unbegleiteten minderjährigen Antragstellers aufhalte, nur unter der Voraussetzung als zuständiger Mitgliedstaat zu bestimmen sei, sofern dies „dem Wohl des Minderjährigen diene“ und ergänzt, dass sich dies aus der Vorschrift des Art. 8 Abs. 2, den Erwägungsgründen 14 und 16 sowie aus Art. 6 Abs. 3 Buchst. a und Abs. 4 der Dublin III-VO ergebe. Demnach diene die Achtung des Familienlebens und insbesondere die Möglichkeit eines unbegleiteten Minderjährigen, mit einem Verwandten zusammengeführt zu werden, der während der Bearbeitung seines Antrags für ihn sorgen könne, grundsätzlich dem Wohl des Kindes (vgl. Rz 47).

Im gegenständlichen Fall bedeutet dies:

Art. 8 Dublin III-VO normiert für Minderjährige spezifische Kriterien für die Bestimmung des für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständigen Mitgliedstaats. Ist der Antragsteller ein unbegleiteter Minderjähriger, der einen Verwandten hat, der sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält und für den Antragsteller sorgen kann, so hat dieser Mitgliedstaat den Minderjährigen und seine Verwandten zusammenzuführen und gilt als zuständiger Mitgliedstaat, „sofern es dem Wohl des Minderjährigen dient“ (Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO).

Der EuGH stellte dazu fest, dass „nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Vorschriften des abgeleiteten Unionsrechts unter Beachtung der Grundrechte auszulegen und anzuwenden sind“. Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO soll die uneingeschränkte Einhaltung der in Art. 7 und Art. 24 GRC verankerten Grundrechte unbegleiteter Minderjähriger gewährleisten. Art. 7 GRC, der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens garantiert, gewährt zwar kein allgemeines Recht darauf, dass der erweiterte Familienkreis eine Einheit bildet, doch ist diese Bestimmung „im Zusammenhang mit der Verpflichtung zu lesen, bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen das Kindeswohl als vorrangige Erwägung zu berücksichtigen“, die in Art. 24 Abs 2 GRC zum Ausdruck kommt. Daher muss davon ausgegangen werden, dass durch diese Vorschriften der Dublin III-VO „bei der Prüfung seines Antrags auf internationalen Schutz das Interesse eines unbegleiteten minderjährigen Antragstellers an einer Zusammenführung mit dem erweiterten Kreis seiner Familienangehörigen (...) geschützt wird.“ Unbegleitete Minderjährige bedürfen aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit nämlich besonderer Verfahrensgarantien. Die Möglichkeit eines unbegleiteten Minderjährigen, mit einem Verwandten zusammengeführt zu werden, der während der Bearbeitung seines Antrags für ihn sorgen kann, dient grundsätzlich dem Wohl des Kindes. Im Übrigen stellt Art. 24 Abs. 1 GRC, wonach Kinder Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge haben, die für ihr Wohlergehen notwendig sind, klar, dass deren Meinung in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt wird. Dem folgend muss ein unbegleiteter Minderjähriger, der internationalen Schutz beantragt, sich vor Gericht auf die Rechte berufen können, die ihm Art. 7 und Art. 24 Abs. 2 GRC sowie Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO verleihen, damit er die Ablehnung eines Aufnahmegesuchs in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht anfechten kann. Dem Verwandten des Minderjährigen steht dieses Recht hingegen nicht zu.

Ferner resultiert aus der Rechtsprechung des EuGH, dass es bei unbegleiteten Minderjährigen „zu keinen unnötigen Verzögerungen des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats kommen darf“; demnach sind diese grundsätzlich nicht in einen anderen Mitgliedstaat zu überstellen. Gleichwohl sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, für die Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Bearbeitung des von Minderjährigen gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist, die spezifischen Kriterien der Dublin III-VO einzuhalten, die zum Wohl des Kindes angewandt werden müssen und durch die gerade sichergestellt werden soll, dass im Rahmen dieses Verfahrens das Kindeswohl gewahrt wird (vgl. Obwexer, Das Kindeswohl im Völker- und Unionsrecht, ZVG 2024, 170 [Stand 05.06.2025, https://360.lexisnexis.at/]).

Zusammengefasst ist es für die Anwendbarkeit der Bestimmung des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO somit notwendig, dass es sich bei der antragstellenden Person um einen unbegleiteten Minderjährigen handelt, der Verwandte sich rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat aufhält, die Zusammenführung dem Kindeswohl entspricht und der Verwandte fähig ist, für die minderjährige Person Sorge zu tragen.

Die antragstellende Person ist gemäß Art. 2 Buchst. i Dublin III-VO ein Minderjähriger, zumal der am XXXX geborene Antragsteller das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Er war zum maßgeblichen Zeitpunkt der Antragstellung minderjährig und ist auch zum Zeitpunkt der Entscheidung noch minderjährig. Der Antragsteller ist gemäß Art. 2 Buchst. j Dublin III-VO auch unbegleitet, da er ohne Begleitung eines für ihn nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaates verantwortlichen Erwachsenen nach Zypern eingereist ist und sich derzeit auch nicht in Obhut eines solchen Erwachsenen befindet und im Aufnahmeersuchen der zypriotischen Behörden vom 13.02.2024 als unbegleiteter Minderjähriger angeführt wurde. Darüber hinaus wurde auch im Bescheid des BFA vom 05.12.2024 festgestellt, dass der Antragsteller ein unbegleiteter Minderjähriger ist und sich seit spätestens 15.11.2023 in Zypern aufhalte.

Das Verwandtschaftsverhältnis zwischen dem Antragsteller (Neffe) und dem behaupteten Onkel steht für das erkennende Gericht fest. Im Akt liegt eine Zustimmungserklärung des Onkels und der Mutter des Antragstellers ein, wonach der Onkel sich bereit erkläre, den Antragsteller an seinem Wohnort aufzunehmen. Die Mutter des Antragstellers gab an, dass ihr Bruder in der Lage sei, für den Antragsteller zu sorgen. Sie sei einverstanden damit, dass der Antragsteller von seinem Onkel aufgenommen werde, damit er sich um ihn kümmern könne und der Antragsteller die Möglichkeit bekomme, sein Studium abzuschließen. Weiters liegen im Akt Fotos in Form eines Screenshots ein, welche den Antragsteller und die Mutter des Antragstellers während einer Videokonferenz mit dem Onkel bzw. Bruder darstellen sollen. Auch liegen im Akt Kopien des Konventionsreisepasses und der Aufenthaltskarte des Onkels ein. Das Verwandtschaftsverhältnis lässt sich jedoch durch das im Akt einliegende Familienbuch ableiten, wonach die Mutter des Antragstellers die älteste Schwester des im Bundesgebiet asylberechtigten XXXX ist. Auch verfügt der Onkel des Antragstellers, welchem der Asylstatus mit Bescheid des BFA vom XXXX , zuerkannt wurde, über einen rechtmäßigen Aufenthaltsstatus in Österreich.

Insgesamt ist somit festzuhalten, dass es sich bei XXXX , gemäß Art. 2 Buchst. h Dublin III-VO um den volljährigen Onkel des Antragstellers handelt, welcher im Mitgliedstaat Österreich aufhältig und aufenthaltsberechtigt ist. Das Kriterium des rechtmäßigen Aufenthalts nach Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO ist somit erfüllt. Die Anforderung eines rechtmäßigen Aufenthalts des Verwandten soll dem Kindeswohl dienen, damit sichergestellt werden kann, dass der Aufenthalt des Familienangehörigen, zu dem zugezogen werden soll, jedenfalls von einiger Dauer gesichert ist. Ausgehend davon vermittelt der Asylstatus jedenfalls einen rechtmäßigen Aufenthalt.

Der Onkel des Antragstellers ist laut einer aktuellen Meldeabfrage in XXXX behördlich gemeldet. Laut der im Akt einliegenden Lohn/Gehaltsabrechnung vom 14.11.2023 bringt der Onkel des Antragstellers monatlich netto € 1.328,51 ins Verdienen. Zur Frage, ob es dem Onkel des Antragstellers möglich ist, auch für den Antragsteller zu sorgen, ist eine Einzelfallbeurteilung durchzuführen. Ob die Zusammenführung dem Kindeswohl dient und ob dieser Umstand nachzuweisen ist oder im Regelfall vermutet werden kann, kann offenbleiben, zumal die weitere Tatbestandsvoraussetzung des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO, dass der Verwandte für den Antragsteller sorgen könne, nicht glaubhaft gemacht wurde.

Die Fähigkeit zur Sorge muss positiv bejaht werden (vgl. OVG Bremen, B.v. 7.10.2019 - 1 LA 213/19 - juris Rn. 15; Vogt/Méndez de Vigo, JAmt 2019, 122, 125: keine Regelvermutung). Der Begriff des „Sorgens“ gemäß Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO ist in der Verordnung nicht näher definiert, jedenfalls ist davon die Personensorge umfasst, also die Pflicht (und das Recht), das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen (vgl. Thomann in Decker/Bader/Kothe, BeckOK Migrations- und Integrationsrecht, 13. Ed. 5.10.2022, Art. 8 Dublin III-VO Rn. 17). Mit „Pflege“ sind auch die Unterbringung, die Verpflegung, Bekleidung und die Gesundheitssorge gemeint (vgl. Veit in Hau/Poseck, BeckOK BGB, 63. Ed. 1.5.2022, § 1631 Rn. 3). Neben einer Verantwortungsbereitschaft und -fähigkeit auf Seiten des Verwandten werden daher auch entsprechende materielle und finanzielle Mittel des Verwandten vorausgesetzt (vgl. OVG Bremen, B.v. 7.10.2019 - 1 LA 213/19 - juris Rn. 15).

Hinsichtlich des Aspektes der Unterbringung ist das Vorhandensein von Wohnraum glaubhaft zu machen, der wenigstens bestimmten Mindestanforderungen unter dem Aspekt des Kindeswohls genügen muss; es darf insbesondere nicht zu einer sozial unverträglichen Überbelegung von Wohnraum kommen (vgl. VG Freiburg, B.v. 5.2.2020 - A 13 K 4642/19 - juris Rn. 29).

Zwar dient die Vorschrift des Art. 8 Dublin III-VO dem Kindeswohl, jedoch wird sehr wohl differenziert, ob eine Zusammenführung zu Familienangehörigen oder Geschwistern des unbegleitet Minderjährigen erfolgt, Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO, oder ob es sich „nur“ um Verwandte handelt, Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO. Während bei ersteren die Tatbestandsvoraussetzung des „Sorgenkönnens“ nicht existiert, verlangt Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO bei Verwandten ausdrücklich ein im Einzelfall festzustellendes Sorgenkönnen. Diesbezüglich ist auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des aufnehmenden Verwandten einerseits zu verweisen und andererseits ausreichend Wohnraum zu fordern, den dann der Verwandte aber nachweisen soll (vgl. VG Freiburg, B.v. 5.2.2020 - A 13 K 4642/19 - juris Rn. 29, 36).

Für eine teleologische Reduktion der Vorschrift besteht kein Raum, denn der Verordnungsgeber hat trotz seines erklärten Ziels, die subjektiven Rechte der Asylsuchenden und in diesem Zusammenhang insbesondere auch die Rechte von Familien und unbegleiteten Minderjähriger mit der Dublin III-VO stärker zu schützen, dennoch die Tatbestandsvoraussetzung des Sorgenkönnens in Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO aufgenommen. Er hat damit klar zum Ausdruck gebracht, dass eine Familienzusammenführung zu Verwandten, Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO, von weiteren Tatbestandsvoraussetzungen abhängt. Der bloße Hinweis auf den humanitären Gedanken des Art. 8 Dublin III-VO wird dem Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO nicht gerecht, denn folgt man dieser Ansicht, hätte es der Aufnahme des Tatbestandsmerkmals des „Sorgenkönnen“ gar nicht bedurft. Auch der Umstand, dass sowohl Art. 8 Abs. 1 Dublin III-VO als auch Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO auf den rechtmäßigen Aufenthalt des Familienangehörigen/Verwandten abstellen, stützt die hier vertretene Meinung, dass der Aspekt Kindeswohl/Familienzusammenführung allein zur Bejahung des Art. 8 Dublin III-VO nicht ausreicht, sondern durchaus noch weitere Voraussetzungen vorliegen müssen, an denen die Familienzusammenführung auch scheitern kann.

Zwar sind die Aspekte Kindeswohl, Achtung des Familienlebens und Familieneinheit vorrangige Erwägungen der Dublin III-VO, wie sich aus den Erwägungsgründen 13 bis 17 entnehmen lässt. Dies bedeutet aber nicht, dass diesen Erwägungen im Konfliktfall stets über den Wortlaut der Verordnung hinaus der Vorrang einzuräumen wäre, zumal der Verordnungsgeber für solche Konfliktfälle gerade die Regelung des Art. 17 Abs. 2 Dublin-III-VO vorgesehen hat, so dass auch kein Bedürfnis für eine solche eingeschränkte Anwendung des Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO besteht. Durch die humanitäre Klausel des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO, der letztlich die Umsetzung des Erwägungsgrundes 17 der Dublin III-VO ist, wird sichergestellt, dass atypischen Fällen und insbesondere den Kindeswohlbelangen sowie dem Aspekt Familienzusammenführung hinreichend Rechnung getragen wird. Das dem ersuchten Mitgliedstaat im Rahmen des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO zustehende Ermessen kann sich im Einzelfall derart zu einem Anspruch des Einzelnen verdichten, dass Österreich verpflichtet ist, sich für die Bearbeitung der Asylanträge der Antragsteller für zuständig zu erklären (vgl. VG Ansbach, Beschluss v. 03.01.2023 – AN 17 E 22.50448, mwN).

Insgesamt wurde jedoch im gegenständlichen Fall das Sorgenkönnen nicht glaubhaft gemacht. Es obliegt dem Antragsteller die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit seines Onkels glaubhaft zu machen. Diesbezüglich wurde lediglich eine Lohn-/Gehaltsabrechnung vorgelegt, wonach der Onkel des Antragstellers monatlich netto € 1.328,51 verdiene. Dass der Onkel den Antragsteller in der Vergangenheit bereits finanziell unterstützt habe, erschöpft sich ebenso nur in einer bloßen Behauptung. Auch machte der Antragsteller keine Angaben darüber, ob sein Onkel über Ersparnisse oder sonstiges Vermögen verfügt bzw. wie hoch die Lebenserhaltungskosten des Onkels sind, welche von seinem Gehalt noch abzuziehen wären. Aus diesen Gründen erscheint die Erklärung des Onkels des Antragstellers, für den Antragsteller sorgen zu können, nicht tragfähig. Der Antragsteller hat in keinster Weise glaubhaft dargelegt, dass sein Onkel über die nötigen finanziellen Mittel verfügt, um für ihn zu sorgen. Auch hat der Antragsteller nicht dargelegt, ob die Wohnung seines Onkels, in welcher er wohnen würde, für die Unterkunftnahme durch einen 17-Jährigen geeignet wäre.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass der mittlerweile 17 Jahre und fünf Monate alte Antragsteller seine Flucht nach Zypern ohne Begleitung durch Familienangehörige gemeistert hat. Unter Heranziehung des Alters des Beschwerdeführers ist auszuführen, dass er nicht mehr in besonderem Maße schutzbedürftig ist. Zu bedenken ist, dass hier die Zusammenführung zu seinem Onkel mütterlicherseits begehrt wird, also nicht zu einem Familienangehörigen im engeren Sinne, wo eine enge Verbundenheit eher anzunehmen ist. Zudem lebte der Onkel des Antragstellers während seines Aufenthalts in Syrien zu keinem Zeitpunkt im gemeinsamen Haushalt mit dem Antragsteller. Sofern der Antragsteller behauptet, dass ein Kontakt mit seinem Onkel mittels Telekommunikationsmittel besteht und dieser bereit sei, ihn zu unterstützen, ist darauf hinzuweisen, dass es zwar sein mag, dass ein gutes Verhältnis des Antragstellers mit seinem Onkel besteht, doch bestand und besteht dennoch seit mehreren Jahren nur ein Kontakt auf räumlicher Distanz.

Auch die Behauptung des Antragstellers, wonach in Zypern eine gravierende Kindeswohlgefährdung bestehe und der Antragsteller aufgrund der Umstände an Depressionen erkrankt sei, geht ins Leere.

Wie bereits ausgeführt, gehört zu den Voraussetzungen der Erlassung einer einstweiligen Anordnung die Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der Erlassung der einstweiligen Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht (fumus boni iuris), das Feststehen der Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens beim Antragsteller und gegebenenfalls die Abwägung aller bestehenden Interessen. Diese Voraussetzungen müssen kumulativ vorliegen, sodass der Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen ist, wenn eine von ihnen fehlt (vgl. VwGH 13.10.2010, 2010/12/0169).

Betreffend die Erkrankung an einer Depression gab der Antragsteller weder an, dass er aktuell in Zypern eine psychotherapeutische Betreuung in Anspruch nehme, noch legte er entsprechende Befunde bzw. medizinische Unterlagen vor, die eine derartige Diagnose konstatieren oder auf andere schwerwiegende gesundheitliche Probleme deuten würden. Inwiefern der Antragsteller an einer Depression leidet, welche zudem auch noch einen nicht wiedergutzumachenden (gesundheitlichen) Schaden beim Antragsteller herrufen könnte, wurde in keinerlei Hinsicht glaubhaft dargelegt, zumal dieser Umstand im Übrigen auch nur in einem Nebensatz vorgebracht wurde.

Im Hinblick auf die vorgebrachten mangelhaften Zustände in Zypern für Asylsuchende, das ebenfalls nur behauptet wurde, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO nicht zuletzt dazu dient, in einem Mitgliedstaat etwaig bestehende Mängel auszugleichen. Der humanitären Klausel des Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO kommt, nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers, wie es sich auch aus dem 17. Erwägungsgrund ergibt, die Aufgabe zu, Familienangehörige zusammenzuführen, obwohl sie bei strenger Anwendung der Kriterien getrennt würden (so ausdrücklich Bericht der Kommission zur Bewertung des Dublin-Systems vom 06.06.2007, KOM/2007/0299 endg. 2.3.1 – juris). Art. 17 Abs. 2 Dublin III-VO hat also eine andere Zielrichtung. Dem Antragsteller kann die Trennung von seinem im Bundesgebiet lebenden Onkel, zu welchem keinerlei wechselseitige Abhängigkeiten bestehen, somit weiterhin zugemutet werden.

Vor diesem Hintergrund ist die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz für den Antragsteller zur Sicherstellung der Wirksamkeit des Unionsrechts nicht geboten. Er hat die Notwendigkeit der Erlassung der beantragten einstweiligen Anordnung nicht glaubhaft gemacht und insbesondere nicht dargelegt, dass sein Onkel gemäß Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO für ihn sorgen kann. Zusammengefasst ist vom Antragsteller auch keine Dringlichkeit im Sinne der Verhinderung des Eintritts eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens glaubhaft gemacht worden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG, der nach Art. 133 Abs. 9 B-VG sinngemäß auf Beschlüsse anwendbar ist, zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis beziehungsweise der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da – soweit überblickbar – keine Rechtsprechung des VwGH zur Zulässigkeit von einstweiligen Anordnungen nach dem Unionsrecht im Zusammenhang mit Art. 8 Abs. 2 Dublin III-VO vorliegt, war die Revision zuzulassen.