JudikaturBVwG

W274 2293703-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
04. August 2025

Spruch

W274 2293703-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch Mag. Lughofer als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , syrischer Staatsangehöriger, XXXX , vertreten durch BBU GmbH, Leopold-Moses-Gasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich, vom 25.03.2024, Zl. 1328299103/223186467, wegen § 3 AsylG, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht:

Der allein gegen Spruchpunkt I. des oben genannten Bescheides gerichteten Beschwerde wird Folge gegeben und XXXX gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, XXXX damit kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführer, BF) reiste ohne gültige Einreisepapiere ins Bundesgebiet, stellte am 11.10.2022 einen Antrag auf internationalen Schutz und gab bei seiner Erstbefragung vor der PI Wels Fremdenpolizei am folgenden Tag an, er habe Syrien aufgrund des Heranrückens der freien Armee in seine Heimatregion verlassen. Er befürchte, in Syrien zum Wehrdienst eingezogen zu werden.

Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: belangte Behörde) gab der BF am 22.01.2024 zusammengefasst an, er sei Kurde und stamme aus Manbij , wo er bis zu seiner Ausreise 2014 gelebt habe. Er habe dort fünf Jahre lang die Grundschule absolviert. Er sei ledig und kinderlos, seine Familie lebe in Manbij . Im Jahr 2014 habe ihn sein Vater, weil es in seinem Gebiet keine Sicherheit gegeben habe, in die Türkei gebracht. Dort habe er bis 2022 gelebt und als Schneider gearbeitet. Aus Angst vor einer Abschiebung nach Syrien habe er damals die Türkei Richtung Europa verlassen. Er wolle weder für die syrische Armee noch für die Kurden Militärdienst leisten.

Mit dem bekämpften Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ab (Spruchpunkt I.), erkannte dem BF den Status eines subsidiär Schutzberechtigten zu (Spruchpunkt II.) und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr (Spruchpunkt III.).

Die belangte Behörde ging davon aus, dass die Identität des BF nicht feststehe. Er sei syrischer Staatsangehöriger, Kurde und Sunnit sowie ledig und kinderlos. Seine Heimatregion sei Manbij Stadt in der Provinz Aleppo und stehe unter kurdischer Kontrolle. Es bestehe dort keine maßgebliche Gefahr, durch die syrische Regierung oder die Kurden zwangsrekrutiert zu werden.

Beweiswürdigend führte die belangte Behörde aus, dass die syrische Armee in kurdisch kontrollierten Gebieten keine Zwangsrekrutierungen vornehmen könne. Er sei nie von den Kurden zu rekrutieren versucht worden, außerdem erreiche er bald die Altersgrenze für die Selbstverteidigungspflicht. Eine Verweigerung werde seitens der Kurden auch nicht als oppositionell gesehen und nicht unverhältnismäßig bestraft.

Rechtlich führte die belangte Behörde aus, dem BF drohe keine Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe.

Allein gegen Spruchpunkt I. wendet sich die Beschwerde wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften, mangelhafter Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, dem BF nach mündlicher Verhandlung den Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Der BF brachte darin zusammengefasst vor, bei Rückkehr befürchte er, zur syrischen Armee eingezogen zu werden und sich an völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen beteiligen zu müssen, oder wegen seiner Wehrdienstverweigerung bestraft zu werden. Eine feindliche Gesinnung würde ihm von der syrischen Regierung auch wegen der Asylantragstellung im europäischen Ausland unterstellt werden. Auch den Selbstverteidigungsdienst für die Kurden lehne er ab.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, dem Bundesverwaltungsgericht vor, wo sie am 14.06.2024 einlangte.

Mit Schreiben vom 30.12.2024 gewährte das Verwaltungsgericht dem BF ein individuelles Parteiengehör, in dem auf die geänderte Lage in Syrien aufgrund des Sturzes von Baschar al-Assad von Dezember 2024 verwiesen und ihm die Gelegenheit gegeben wurde, zu den geänderten Verhältnissen Stellung zu nehmen und darzulegen, ob noch eine gegründete Furcht vor Verfolgung aus einem Konventionsgrund bestehe bzw. ob eine weitere mündliche Verhandlung für notwendig erachtet werde.

Mit Stellungnahme vom 20.01.2025 äußerte der BF zusammengefasst, die Heimatstadt des BF, Manbij , stehe derzeit unter der Kontrolle türkischer Streitkräfte bzw. der Türkei-nahen Miliz SNA. Diese sei für systematische Menschenrechtsverletzungen gegen Kurden verantwortlich. Außerdem sei zu befürchten, dass der BF gegen seinen Willen im Rahmen der kurdischen Selbstverteidigungspflicht eingezogen werde. Zudem sei noch nicht absehbar, ob es unter der neuen syrischen Regierung eine Wehrpflicht geben werde. Der BF halte alle in seiner Beschwerde gestellten Anträge aufrecht.

Nach Erscheinen des LIB Version 12 Stand Mai 2025 wurde dem BF auch Gelegenheit gegeben, hiezu Stellung zu nehmen.

In der Stellungnahme vom 21.05.2025 führte er zusammengefasst aus, die Herkunftsregion befinde sich unter Kontrolle der türkischen Kräfte sowie von der Türkei gestützten Syrian National Army (SNA). Zwischen dem Übergangspräsidenten Al-Scharaa sowie dem Anführer der SNA herrsche kein gutes Verhältnis, sodass weiterhin von Spannungen in der Region auszugehen sei. Nordsyrien sei eine der unruhigsten und komplexesten Regionen des Landes. Es komme nach wie vor zu Entführungen, Attentaten und bewaffneten Auseinandersetzungen. Die humanitäre Situation habe sich weiter verschärft. Die Ausführungen zu Verfolgung, Vertreibung, Plünderung und somit asylrelevanter Verfolgung des BF aufgrund Volksgruppenzugehörigkeit der Kurd:innen sei weiterhin unverändert. Dem BF sei alleine aufgrund der Zugehörigkeit zu der Volksgruppe der Kurden der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Diesbezüglich sei auch auf rezente Entscheidungen des BVwG zu verweisen, nämlich W114 2305108 vom 28.03.2025, W211 2292999 vom 26.03.2025 und W213 2278823 vom 15.03.2025.

Am 26.06.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in der der BF als Partei vernommen wurde. Dabei gab er zusammengefasst an, dass seine Familie nach wie vor in Manbij lebe, wo die Türken und die freie Armee herrschten. Die „Araber“ hätten die Wohnung seines Onkels und seines Vaters „weggenommen“, also geplündert und besetzt. Die Araber hätten generell die Wohnungen und Häuser der Kurden besetzt. Sie würden von der türkischen Armee unterstützt. Als Kurde habe er dort überhaupt keine Rechte. Er habe Angst, umgebracht zu werden, weil er Kurde sei.

Die Beschwerde ist berechtigt:

Aufgrund des Akteninhaltes und der Ergebnisse der mündlichen Verhandlung steht folgender Sachverhalt fest:

Der BF wurde am XXXX in der Stadt Manbij im Gouvernement Aleppo geboren, ist syrischer Staatsangehöriger, Kurde und Sunnit. Er ist ledig und hat keine Kinder.

In Manbij besuchte der BF fünf Jahre lang die Grundschule und lebte dort bis zum Februar 2014, als er mithilfe seines Vaters in die Türkei ausreiste. Dort arbeitete er als Schneider. Im Oktober 2022 reiste der BF weiter nach Österreich.

Die Eltern und ein Bruder des BF leben in einer Eigentumswohnung in Manbij . Eine Schwester des BF ist verheiratet und lebt in der Türkei.

Manbij steht aktuell (seit dem Sturz des Assad-Regimes im Dezember 2024) unter der Kontrolle der Türkei-nahen SNA. Zuvor stand Manbij unter der Kontrolle kurdischer Milizen.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF Gefahr liefe, in Manbij (samt näherer Umgebung) durch das (nicht mehr existierende) syrische Regime zum Militärdienst rekrutiert bzw. wegen dessen Verweigerung oder aus sonstigen Gründen bestraft zu werden.

Es kann auch nicht festgestellt werden, dass dem BF in Manbij eine zwangsweise Rekrutierung seitens kurdischer Milizen droht.

Die in Manbij verbliebenen Familienangehörigen des BF wurden wegen ihrer Zugehörigkeit zur kurdischen Volksgruppe Opfer ethnisch motivierter Gewalt seitens der die Region kontrollierenden SNA bzw. mit ihr verbundener Milizen: Konkret plünderten und besetzten SNA-nahe Milizen im Gefolge der Machtübernahme von Manbij nach dem Sturz des Assad-Regimes die – wenn auch damals unbewohnte - Wohnung des Vaters und die Wohnung eines Onkels des BF.

Der BF ist gesund und in Österreich unbescholten.

Zur relevanten Situation in Syrien:

Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 8. Mai 2025, im Folgenden „LIB“:

Politische Lage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)

Am 8.12.2024 erklärten die Oppositionskräfte in Syrien die 24-jährige Herrschaft von Präsident Bashar al-Assad für beendet. Zuvor waren Kämpfer in die Hauptstadt eingedrungen, nachdem Oppositionsgruppierungen am 27.11.2024 eine Offensive gegen das Regime gestartet und innerhalb weniger Tage die Städte Aleppo, Hama und große Teile des Südens eingenommen hatten. Al-Assad war aus Damaskus geflohen. Ihm und seiner Familie wurde Asyl in Russland gewährt. Er hatte das Land seit 2000 regiert, nachdem er die Macht von seinem Vater Hafez al-Assad übernommen hatte, der zuvor 29 Jahre regiert hatte. Er kam mit der Baath-Partei an die Macht, die in Syrien seit den 1960er-Jahren Regierungspartei war. Bashar al-Assad hatte friedliche Proteste gegen sein Regime im Jahr 2011 gewaltsam unterdrückt, was zu einem Bürgerkrieg führte. Mehr als eine halbe Million Menschen wurden getötet, sechs Millionen weitere wurden zu Flüchtlingen. Die Offensive gegen al-Assad wurde von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) angeführt. Die HTS wurde ursprünglich 2012 unter dem Namen Jabhat an-Nusra (an-Nusra Front) gegründet, änderte ihren Namen aber 2016 nach dem Abbruch der Verbindungen zur al-Qaida in Hay'at Tahrir ash-Sham. Sie festigte ihre Macht in den Provinzen Idlib und Aleppo, wo sie ihre Rivalen, darunter Zellen von al-Qaida und des Islamischen Staates (IS), zerschlug. Sie setzte die sogenannte Syrische Heilsregierung (Syrian Salvation Government - SSG) ein, um das Gebiet nach islamischem Recht zu verwalten. Die HTS wurde durch die von der Türkei unterstützte Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA), lokale Kämpfer im Süden und andere Gruppierungen unterstützt. Auch andere Rebellengruppierungen erhoben sich, etwa solche im Norden, Kurdenmilizen im Nordosten, sowie Zellen der Terrormiliz IS. Im Süden trugen verschiedene bewaffnete Gruppierungen dazu bei, die Regierungstruppen aus dem Gebiet zu vertreiben. Lokale Milizen nahmen den größten Teil der Provinz Dara'a sowie die überwiegend drusische Provinz Suweida ein. Die Abteilung für Militärische Operationen (Department for Military Operations - DMO) dem auch die HTS angehört, kontrollierte mit Stand 11.12.2024 70 % des syrischen Territoriums.

Allgemeine Menschenrechtslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad Regimes (seit 8.12.2024)

Human Rights Watch konstatiert, dass nicht-staatliche bewaffnete Gruppierungen in Syrien, darunter Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) und Gruppierungen der Syrischen Nationalarmee (Syrian National Army - SNA), die am 27.11.2024 die Offensive starteten, die nach zwölf Tagen die syrische Regierung stürzte, im Jahr 2024 für Menschenrechtsverletzungen und Kriegsverbrechen verantwortlich waren (HRW 16.1.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) befürchtet eine Rückkehr zu einer "dunklen Ära", weil die Verhaftungen und Hinrichtungen angesichts der sich verschlechternden Sicherheitslage zunehmen (SOHR 2.2.2025). Das Syrian Network for Human Rights (SNHR) dokumentierte im Jänner 2025 129 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch die Übergangsregierung (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 21 Fälle (SNHR 3.3.2025).

Der Übergang von dem Regime unter Bashar al-Assad zur Interimsregierung unter der Führung der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) soll relativ reibungslos verlaufen sein. Berichte über Vergeltungsmaßnahmen, Rachemorde und religiös motivierte Gewalttaten waren minimal. Plünderungen und Zerstörungen konnten schnell unter Kontrolle gebracht werden, die aufständischen Kämpfer wurden diszipliniert (AP 15.12.2024b). Es gab keine größeren Massaker oder Rachekampagnen (DW 12.12.2024).

Seit die Rebellengruppierungen am 5.12.2024 die Kontrolle über das Gouvernement Hama übernommen haben, hat das Syrian Network for Human Rights (SNHR) eine Reihe von Verstößen dokumentiert, darunter außergerichtliche Tötungen, Zerstörung von Häusern und Angriffe auf öffentliches und privates Eigentum (SNHR 19.12.2024). Mitte Jänner 2025 nahm die Welle von Selbstjustiz-Angriffen auf ehemalige Mitarbeiter des Regimes zu. Menschen wurden zu Opfern von Attentaten und Ausschreitungen des Mobs. Während einige der Betroffenen Personen sind, deren Beteiligung an den Misshandlungen der Zivilbevölkerung durch das Regime nach 2011 gut dokumentiert ist, waren an anderen Vorfällen kürzlich versöhnte ehemalige Mitglieder des Regimes, Wehrpflichtige mit niedrigem Rang und scheinbar zufällig ausgewählte junge Männer aus der Gemeinschaft der Alawiten betroffen (Etana 17.1.2025). Es werden Rachemorde durch bewaffnete Gruppierungen durchgeführt, von denen einige behaupten, dass diese mit der Abteilung für militärische Operationen verbunden wären [Informationen zur militärischen Operationsabteilung finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)]. Sie zielen aus politischen bzw. konfessionellen Motiven auf Zivilisten ab (SOHR 26.1.2025). Die Provinzen Hama und Homs waren von diesen Entwicklungen am stärksten betroffen, da sie zum Schauplatz häufiger Konfrontationen wurden. In den Küstengebieten wie Latakia und Tartus kam es zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage und zu einer Zunahme an Morden und Hinrichtungen [Diese Provinzen stellten das Kernland des Assad-Regimes dar und wurden in den Bürgerkriegsjahren weitgehend von Kampfhandlungen verschont. Anm.]. Am 11.1.2025 zählte die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) seit 8.12.2024 80 Fälle von Tötungen, darunter Hinrichtungen vor Ort, bei denen 157 Menschen getötet wurden, unter den Getöteten waren Frauen und Kinder (SOHR 11.1.2025). Insbesondere in den Regionen Hama und Homs, sowie in den Küstengebieten Latakia und Tartus kam es zu willkürlichen Tötungen und Hinrichtungen vor Ort (SOHR 3.1.2025). Nach Berichten von lokalen Aktivisten und Augenzeugen war die Gruppierung Ansar at-Tawhid [Informationen zu dieser Gruppierung sind dem Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen. Anm.] an einem großen Teil dieser Verstöße beteiligt, zusätzlich zu anderen Gruppierungen, die nicht genau identifiziert werden konnten (SNHR 19.12.2024). Mindestens 124 Menschen wurden bei einer Reihe von gewalttätigen Zwischenfällen zwischen 8.12.2024 und 8.1.2025 getötet, darunter bei Racheakten, Vandalismus, Morden und Hinrichtungen in den Provinzen Homs und Hama sowie in den syrischen Küstenstädten. Berichten zufolge wurde ein erheblicher Teil der Gewalt durch die Verbreitung von Videos mit Falschmeldungen in den sozialen Medien ausgelöst, deren Ziel es war, die sektiererischen Spannungen zu verschärfen (MAITIC 9.1.2025). Wegen eines unbestätigten Angriffs auf einen alawitischen Schrein wurde im Dezember 2024 eine Welle von Protesten unter der alawitischen Gemeinschaft in Homs, Latakia, Tartus und Teilen von Damaskus ausgelöst. Die Proteste führten zu Militäroperationen des neuen syrischen Sicherheitsapparats, um ehemalige Kämpfer des Regimes zu vertreiben (AlMon 11.1.2025). Dem Middle East Institute zufolge ist eines der dringendsten Probleme nicht sektiererisch motivierte Angriffe [Informationen zu Übergriffen auf Minderheiten finden sich im Kapitel Ethnische und religiöse Minderheiten - Entwicklungen seit dem Sturz des al-Assad-Regimes (seit 8.12.2024).], sondern vielmehr der undurchsichtige Prozess der gezielten Verfolgung von Männern, die in den Streitkräften des Regimes gedient haben. Im Allgemeinen richten sich die Übergriffe der Sicherheitskräfte gegen Männer, von denen angenommen wird, dass sie Verbrechen begangen haben (unabhängig davon, ob dies bewiesen ist oder nicht), und nicht gegen irgendwelche Alawiten, denen die Soldaten zufällig begegnen. Die Fälle, die die größte Angst geschürt haben, sind die Entführungen und Hinrichtungen von ehemaligen Mitgliedern des Regimes (MEI 21.1.2025). France 24 zufolge zeigen Berichte und Videos in den sozialen Medien in Syrien, dass Vergeltungsmorde begonnen haben (FR24 13.12.2024). Es kursierten Bilder von Regierungsbeamten des ehemaligen Regimes, die unter Gewaltanwendung durch die Straßen geschleift wurden (PBS 16.12.2024). Seit der Machtübernahme durch die neue Regierung haben die Sicherheitsbehörden eine Reihe von Sicherheitskampagnen durchgeführt, die darauf abzielen, die „Überbleibsel des früheren Regimes“ zu verfolgen. Hunderte von Menschen, die ihren Status bei den neuen Behörden nicht geregelt haben, wurden verhaftet. Anwohner und Organisationen haben von Misshandlungen berichtet, darunter die Beschlagnahmung von Häusern und Hinrichtungen vor Ort (AAA 2.2.2025). Bei einer Sicherheitskampagne in Homs gegen Regimeunterstützer im Jänner 2025 kam es zur Festnahme einer Reihe von Männern, darunter auch Zivilisten, denen Verstöße im Zusammenhang mit der inoffiziellen Beschlagnahme von Fahrzeugen nachgewiesen wurden. Die meisten Elemente der Abteilung für Militärische Operationen waren diszipliniert, mit Ausnahme einiger von offizieller Seite als Einzelfälle bezeichneten Vorfällen, wie das Zerbrechen von Musikinstrumenten und Wasserpfeifen sowie von Flaschen mit alkoholischen Getränken und die Beschädigung des Inhalts einiger Häuser. Einige Häftlinge wurden zu erniedrigenden Handlungen gezwungen, wie dem Imitieren von Tiergeräuschen, und sie wurden beleidigt und mit sektiererischen Phrasen beschimpft (Enab 6.1.2025). Auch in Damaskus kam es am 8.1.2025 zu Razzien durch die neuen Sicherheitsbehörden. Sie folgten auf eine dreiwöchige Kampagne im alawitischen Kernland an der Küste (National 8.1.2025). Die Civil Peace Group, eine zivilgesellschaftliche Gruppe, stellte den Tod von zehn Personen, die bei Sicherheitskampagnen und Razzien festgenommen worden waren, in den Gefängnissen der Abteilung für Militärische Operationen im Zeitraum vom 28.1 bis 1.2.2025 in verschiedenen Teilen von Homs fest (AAA 2.2.2025). Lokale bewaffnete Gruppen, die unter dem Kommando der Abteilung für Militärische Operationen operieren, führten Racheaktionen, schwere Übergriffe und willkürliche Verhaftungen durch, wobei sie Dutzende von Menschen ins Visier nahmen, sie demütigten und erniedrigten sowie religiöse Symbole angriffen (SOHR 28.1.2025). Die neue Regierung reagierte auf die Vorwürfe von Menschenrechtsaktivisten mit Festnahmen von Dutzenden Mitgliedern örtlicher bewaffneter Gruppen, die unter der Kontrolle der neuen Machthaber stünden, wegen ihrer Beteiligung an den "Sicherheitseinsätzen" in der Region Homs (Spiegel 27.1.2025). Zuvor hatten die neuen Machthaber Mitglieder einer "kriminellen Gruppe" beschuldigt, sich während eines Sicherheitseinsatzes als "Angehörige der Sicherheitsdienste" ausgegeben zu haben (Zeit Online 27.1.2025). Ein Überfall auf eine syrische Sicherheitspatrouille durch militante Anhänger des gestürzten Staatschefs Bashar al-Assad eskalierte am 6.3.2025 zu Zusammenstößen, bei denen innerhalb von vier Tagen mehr als 1.000 Menschen getötet wurden (SOHR 10.3.2025a). Bewaffnete Männer, die der syrischen Regierung treu ergeben sind, führten Hinrichtungen vor Ort durch und sprachen von einer Säuberung des Landes, wie Augenzeugen und Videos belegen. Sie lieferten ein grausames Bild eines harten Vorgehens gegen die Überreste des ehemaligen Assad-Regimes, das in gemeinschaftliche Morde ausartete (CNN 9.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren von der Türkei unterstützte Gruppierungen an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Baniyas, Tartus und Latakia beteiligt, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025). Mitglieder des Verteidigungsministeriums und die sie unterstützenden Kräfte haben Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen begangen, ohne dass sie rechtliche Konsequenzen fürchten müssen. Insgesamt wurden 1.093 Todesopfer verzeichnet (SOHR 11.3.2025). Dem Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte zufolge wurden 745 alawitische Zivilisten aus konfessionellen Gründen getötet, wobei er betonte, dass sie nicht an den Kämpfen beteiligt waren oder mit dem Regime in Verbindung standen (Sky News 9.3.2025a). Des Weiteren gibt er an, dass in einigen Gebieten Zivilisten abgeschlachtet wurden, während andere durch Erschießungskommandos hingerichtet wurden (AlHurra 9.3.2025), wie in den Stadtvierteln Baniyas und al-Qusour im Gouvernement Tartus, wo 92 Bürger durch ein Erschießungskommando des Ministeriums für Verteidigung und innere Sicherheit hingerichtet wurden (SOHR 10.3.2025e). Die meisten der von Regierungstruppen getöteten Zivilisten waren Alawiten, aber auch einige Christen wurden als tot bestätigt. Unter den getöteten Aufständischen des ehemaligen Regimes befanden sich Sunniten, Alawiten und Christen (TWI 10.3.2025). In den Städten im Gebiet zwischen Baniyas und Qadmous kam es zu Massentötungen, darunter auch von Kindern und älteren Menschen (AlHurra 9.3.2025). Zehntausende Häuser wurden laut Aussage des Leiters der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) geplündert und niedergebrannt (Sky News 9.3.2025a). [Derails zu den Vorfällen finden sich im Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024). Hintergrundinformationen zu den Tätergruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)] Der UN-Sondergesandte Geir Pedersen sprach über Berichte von Menschen, die im Kreuzfeuer getötet wurden, und schwere Misshandlungen in der Haft. Pedersen prangerte Entführungen, Plünderungen, Beschlagnahmungen von Eigentum und Zwangsräumungen von Familien aus staatlichen Wohnungen an. Er forderte alle bewaffneten Akteure dazu auf, diese Art von Aktionen zu stoppen, ihre Zusicherungen mit konkreten Maßnahmen zu untermauern, und an einem umfassenden Rahmen für eine Übergangsjustiz zu arbeiten (AJ 13.2.2025b).

Der Exekutivdirektor der Organisation Christians for Democracy, stimmt der Rechtfertigung der neuen syrischen Regierung zu, dass das, was geschieht, nicht die Politik der Übergangsregierung widerspiegelt. Er hat die Verstöße in zwei Kategorien eingeteilt: Verbrechen und Übergriffe, die von Einzelpersonen mit der Absicht begangen werden, sich an bestimmten Personen oder an denen, die mit dem früheren Regime kollaboriert haben, zu rächen, und Übergriffe, die von einigen extremistischen Gruppierungen begangen werden, die mit der von der neuen Regierung in Damaskus beschlossenen Politik nicht einverstanden sind. Die Übergangsregierung zieht diejenigen zur Rechenschaft, die nachweislich an Übergriffen gegen Zivilisten beteiligt waren (SOHR 2.2.2025).

Die syrische Übergangsregierung unter ash-Shara' hat zugesagt, dass die Verantwortlichen für Gewalttaten gegen Syrer durch das gestürzte Assad-Regime zur Rechenschaft gezogen werden. Der Weg dorthin ist jedoch schwierig, da die Zahl der Opfer nicht genau bekannt ist und die Täter noch nicht identifiziert werden konnten (BBC 13.12.2024). Die HTS möchte die an staatlicher Folter beteiligten Ex-Offiziere auflisten und sie als Kriegsverbrecher zur Rechenschaft ziehen. Dafür setzte sie sogar eine Belohnung aus, für Informationen über ranghohe Offiziere von Armee und Sicherheitsbehörden, die an Kriegsverbrechen beteiligt waren (FAZ 10.12.2024). [Details zur Aufarbeitung von Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen etc. unter dem Assad-Regime finden sich im Kapitel Rechtsschutz / Justizwesen - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024).]

Die von der Türkei unterstützten Gruppierungen plünderten nach der Eroberung von Manbij das Eigentum von kurdischen Bürgern und führten identitätsbezogene Tötungen durch. Sie führten Racheaktionen durch, brannten Häuser nieder und demütigten Kurden (SOHR 9.12.2024; vgl. ISW 16.12.2024). Eine Mitarbeiterin von Human Rights Watch erklärte, dass die Syrische Nationale Armee (Syrian National Army - SNA) und die türkischen Streitkräfte ein klares und beunruhigendes Muster rechtswidriger Angriffe auf Zivilisten und zivile Objekte gezeigt haben und diese sogar zu feiern scheinen. Die türkischen Streitkräfte und die SNA haben eine schlechte Menschenrechtsbilanz in den von der Türkei besetzten Gebieten Nordsyriens. Human Rights Watch hat festgestellt, dass SNA-Gruppierungen und andere Gruppierungen, darunter Mitglieder der türkischen Streitkräfte und Geheimdienste, Menschen, darunter auch Kinder, entführt, rechtswidrig festgenommen und inhaftiert haben, sexuelle Gewalt und Folter mit geringer Rechenschaftspflicht begangen haben und sich an Plünderungen, Diebstahl von Land und Wohnraum sowie Erpressung beteiligt haben (HRW 30.1.2025). In den letzten Jahren sollen SNA-Kämpfer schwere Menschenrechtsverletzungen gegen kurdische Gemeinden in 'Afrin und im Umland von Aleppo begangen haben. Sie wurden beschuldigt, willkürliche Verhaftungen, Inhaftierungen ohne Kontakt zur Außenwelt, Entführungen und Folter begangen zu haben. Während der Offensive "Abschreckung der Aggression" hat HTS mehrere Kämpfer von SNA-Gruppen nördlich von Aleppo im Stadtviertel Sheikh Maqsoud festgenommen und sie beschuldigt, kurdische Zivilisten ausgeraubt und verletzt zu haben, so ein Experte (MEE 7.12.2024). Die United Nations Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic berichtete weiterhin von Verhaftungen, Gewalt und finanzieller Erpressung durch die Militärpolizei der Syrischen Nationalarmee (SNA) und bestimmter Gruppierungen, insbesondere der Sultan-Suleiman-Shah Division und der Sultan-Murad-Division (UNHRC 12.8.2024) [Weitere Informationen zu den Gruppierungen finden sich im Kapitel Sicherheitsbehörden - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024)]. SNHR dokumentierte im Jänner 2025 41 Fälle von willkürlichen Verhaftungen durch Gruppierungen der SNA (SNHR 4.2.2025b) und im Februar 2025 34 Fälle, darunter eine Frau (SNHR 3.3.2025). Menschenrechtsberichten zufolge waren es auch zwei von der Türkei unterstütze Gruppierungen, die Anfang März 2025 an „systematischen ethnischen Säuberungsaktionen“ und groß angelegten „Massakern“ gegen Zivilisten in Banyas, Tartus und Latakia beteiligt waren, bei denen Hunderte von Menschen, darunter auch Frauen und Kinder, getötet wurden (LebDeb 10.3.2025). [Details zu diesen Vorfällen sind dem Kapitel Sicherheitslage - Entwicklungen seit dem Sturz des Assad-Regimes (seit 8.12.2024) zu entnehmen.]

Nach al-Assads Sturz am 8.12.2024 sind einem französisch-syrischen Schriftsteller sowie syrischen Künstlern zufolge neue Formen der Zensur entstanden. Die Äußerung von nicht-islamischen Überzeugungen ist in Syrien zu einer ernsthaften Herausforderung geworden. Die syrischen Behörden haben ein neues Gesetz erlassen, das eine einjährige Gefängnisstrafe für jeden vorsieht, der das „Verbrechen der Gotteslästerung“ begeht. Die Angst vor Meinungsäußerung ist im öffentlichen Raum immer noch spürbar. Wenn Themen wie romantische Beziehungen, Säkularismus, Meinungsfreiheit und vor allem Religion diskutiert werden, vergewissern sich die Sprecher, ob kein HTS-Mitglied in der Nähe ist (MC Dawliya 29.1.2025). Am 26.12.2024 erließ das Informationsministerium ein Verbot der Veröffentlichung oder Verbreitung „jeglicher Inhalte oder Informationen mit sektiererischem Charakter, die darauf abzielen, Spaltung und Diskriminierung zu fördern“ (FR24 26.12.2024b).

Allgemeine Menschenrechtslage (Stand August 2024)

Neben der Gefährdung durch militärische Entwicklungen, Landminen und explosive Munitionsreste, welche immer wieder zivile Opfer forderten, blieb auch die allgemeine Menschenrechtslage in Syrien äußerst besorgniserregend. Für alle Regionen Syriens galt dabei, dass eine pauschale ebenso wie eine abschließende Lagebeurteilung nicht möglich war. Auch innerhalb der verschiedenen Einflussgebiete unterschied sich die Lage teilweise von Region zu Region und von Ort zu Ort (AA 2.2.2024). Sowohl in den Regierungsgebieten als auch den Gebieten der Opposition wurden 2023 Menschenrechtsverletzungen, wie Tötungen, willkürlicher Freiheitsberaubung, Misshandlung und Folter in Haft, Tod in Gefangenschaft sowie Verschwinden lassen und Entführungen sowie willkürliche Verhaftungen ohne Angabe von Gründen bzw. ohne Informationen über Aufenthaltsorte an die Angehörigen der Betroffenen bezeugt (UNOCHA 3.3.2024). Die Konfliktparteien waren in unterschiedlichem Maße direkt an kriminellen Aktivitäten wie Menschenhandel, Korruption und Erpressung beteiligt, die durch Gewalt unterstützt wurden, oder duldeten diese oder waren nicht in der Lage, sie zu verhindern (UNGA 9.2.2024). Alle Konfliktparteien begingen Handlungen, die Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen könnten (GCR2P 1.9.2023). Dazu gehörte die Verwendung von Massenvernichtungswaffen, wie chemischen Waffen, die von der Syrischen Regierung und dem Islamischen Staat (IS) verwendet wurden (SNHR 15.3.2024).

Sicherheitskräfte wurden der Beteiligung an außergerichtlichen Tötungen beschuldigt. Es gab große Bedenken, dass die Attentate und Entführungen einen zunehmend sektiererischen Charakter annehmen oder dass die Ziele einfach auf alle Personen ausgeweitet würden, die in irgendeiner Weise mit dem Regime in Verbindung stehen. Zu den ermordeten Personen gehörten Drogendealer, mutmaßliche Hizbollah-Kollaborateure, ehemalige Soldaten der unteren Ränge und scheinbar zufällige Zivilisten (Etana 3.2.2025). Die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte (SOHR) dokumentierte 2024 gewaltsame/willkürliche Verhaftungen von 3.121 Personen, darunter 56 Frauen und 26 Kinder, sowie die Entführung von 442 Personen, darunter 14 Frauen und 27 Kinder. Im von der Hay'at Tahrir ash-Sham (HTS) kontrollierten Gebiet wurden 131 Personen willkürlich verhaftet und drei Personen gekidnappt. In den von der Türkei unterstützten Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA) kontrollierten Gebieten wurden 863 Menschen, darunter 39 Frauen und 19 Kinder verhaftet. Der am häufigsten genannte Grund für diese Verhaftungen war die "Kommunikation mit den Kurdischen Kräften, Syrischen Demokratischen Kräften (Syrian Democratic Forces - SDF), der Autonomen Administration oder IS-Zellen". 88 Personen wurden gekidnappt, davon sieben Frauen und sechs Kinder. In der Demokratische Autonomen Region Nord- und Ostsyrien (DAANES) wurden 705 Personen, darunter ein Kind und vier Frauen verhaftet und 34 Menschen gekidnappt, darunter eine Frau und elf Kinder (SOHR 7.1.2025). Amnesty International dokumentierte ebenfalls die Verweigerung von humanitärer Hilfe sowohl durch die syrische Regierung als auch die SNA im Gouvernement Aleppo nach der Erdbebenkatastrophe 2023 (AI 24.4.2024).

Nichtregierungsorganisationen zufolge unternahmen die syrische Regierung und ihre Verbündeten sowie bewaffnete Oppositionsgruppierungen zahlreiche Angriffe auf Zivilisten und die zivile Infrastruktur und verstießen dabei unverhohlen gegen internationale Rechte (GCR2P 1.9.2023; vgl. AI 24.4.2024). Angriffe auf und die Zerstörung von Schulen, Krankenhäusern, Gotteshäusern, Wasser- und Elektrizitätswerken, Bäckereien, Märkten, Zivilschutzzentren, dicht besiedelten Wohngebieten und Häusern waren im ganzen Land an der Tagesordnung (USDOS 22.4.2024). Luftangriffe auf Zivilisten und zivile Infrastruktur wurden von den Streitkräften der syrischen Regierung mit russischer Unterstützung (AI 24.4.2024) sowie auch von türkischen Streitkräften verübt (NH 21.2.2024). Angriffe auf die zivile Infrastruktur trafen auch die medizinischen Einrichtungen. Die NGO Physicians for Human Rights dokumentierte seit März 2011 bis Februar 2024 604 Angriffe aller Akteure in Syrien auf Gesundheitseinrichtungen (PHR 2.5.2024). Das Syria Network for Human Rights (SNHR) dokumentierte von März 2011 bis März 2024 897 Angriffe auf medizinische Einrichtungen, 1.543 Angriffe auf Kultstätten und 1.657 Angriffe auf Schulen. 86 % dieser Angriffe gehen laut SNHR auf die Kräfte der Syrischen Regierung, russische Streitkräfte oder iranische Milizen zurück (SNHR 15.3.2024).

(…)

Gebiete unter der Kontrolle der Syrian National Army (SNA)

Berichten von Human Rights Watch zufolge wurden in Nordsyrien von den von der Türkei unterstützten Gruppierungen, der Syrischen Nationalen Armee (Syrian National Army - SNA), zahlreiche Menschenrechtsverletzungen begangen, darunter Entführungen, willkürliche Verhaftungen, unrechtmäßige Inhaftierungen, sexuelle Gewalt und Folter. Betroffen waren auch Kinder (HRW 29.2.2024). Amnesty International berichtete außerdem von Schüssen auf Zivilisten, die das kurdische Neujahr Newroz gefeiert hatten durch Angehörige der SNA (AI 24.4.2024). Berichten zufolge konzentrierten sich die Übergriffe bewaffneter syrischer Oppositionsgruppen, die von der Türkei in der nördlichen Region des Landes unterstützt wurden, auf kurdische und jesidische Einwohner und andere Zivilisten und umfassten: Tötungen; Entführungen und Verschwinden von Zivilisten; körperliche Misshandlung, einschließlich sexueller Gewalt; Zwangsvertreibung aus Häusern; Plünderungen und Beschlagnahme von Privateigentum; Überführung inhaftierter Zivilisten über die Grenze in die Türkei; Rekrutierung oder Einsatz von Kindersoldaten; Plünderungen und Schändung religiöser Stätten (USDOS 22.4.2024).

Die Independent International Commission of Inquiry on the Syrian Arab Republic (COI) berichtete, dass Gruppierungen der SNA routinemäßig einen Teil der Olivenernte der Bauern beschlagnahmten und sie damit ihrer Haupteinnahmequelle beraubten (UNGA 9.2.2024). Nach der Machtübernahme in Manbij sollen die von der Türkei unterstützten SNA privates Eigentum, wie Fahrzeuge und Gebäude beschlagnahmt haben, sowie öffentliche Infrastruktur, wie Teile des Stromnetzes (ISW 16.12.2024).

Laut Amnesty International verhinderten die SNA, dass Hilfslieferungen Personen, im Gouvernement Aleppo, die vom Erdbeben 2023 betroffen waren, erreichen konnten, indem sie beispielsweise in die Luft schossen, um die Menschenmenge vor den Lieferwagen mit Hilfspaketen zu zerstreuen, und leiteten die Hilfslieferungen an Angehörige der bewaffneten Gruppierungen um (AI 24.4.2024).

Nichtregierungsorganisationen berichten von Menschenrechtsverletzungen in der Provinz 'Afrin, darunter fortgesetzte Verletzungen des Rechts auf körperliche Unversehrtheit von Zivilisten in der Region durch willkürliche Inhaftierung und Folter, Entführungen zur Erpressung von Lösegeld, Zwangsheirat und geschlechtsspezifische Gewalt sowie die Rekrutierung von Kindern durch die bewaffneten Gruppierungen, Diskriminierung bei der Verteilung von Hilfsgütern, die Islamisierung und Turkisierung von 'Afrin und die wiederholten Angriffe auf kulturelle Feste wie Newroz. Darüber hinaus zeigten sie demografische Verschiebungen durch Zwangsmigration, die Zerstörung von Gräbern und historischen Stätten, illegale archäologische Ausgrabungen, die absichtliche Zerstörung von Olivenbäumen, das Abbrennen von Feldern und Verstöße gegen die Wohn-, Land- und Eigentumsrechte in der Region auf (CCR/YASA 5.2024).

Oppositionelle Regierungsstellen, darunter das "Verteidigungsministerium" und die Militärjustizabteilung der Syrischen Übergangsregierung (Syrian Interim Government - SIG) gingen einigen Vorwürfen über Misshandlungen durch die von der Türkei unterstützten bewaffneten syrischen Oppositionsgruppen nach, aus denen die SNA bestand, und führten einige Gerichtsverfahren durch, aber im Laufe des Jahres lagen keine Informationen über ihre Schlussfolgerungen vor (USDOS 22.4.2024). Die SNA informierte die COI, mutmaßliche Verstöße und Missbräuche zu untersuchen und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, sowie gegen SNA-Mitglieder wegen sexueller Gewalt zu ermitteln, dennoch dokumentierte die COI mehrere Fälle von Inhaftierungen durch die Militärpolizei und bewaffnete Gruppierungen der SNA und vereinzelte Fälle von sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt durch SNA-Mitglieder (UNGA 9.2.2024). Die Vereinigten Staaten von Amerika belegten zwei Gruppierungen, die zur SNA gehören, mit Sanktionen aufgrund von schweren Menschenrechtsverletzungen, die diese in Nordsyrien begangen haben sollen. Zu den Menschenrechtsverletzungen gehören Entführungen, schwere körperliche Misshandlungen und Vergewaltigungen. Die betroffenen Gruppierungen sind die Suleiman-Shah-Brigade und die Hamza-Division (USDOS 17.8.2023).

Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur Situation im Herkunftsstaat stützen sich auf das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Syrien vom 8. Mai 2025. Angesichts der Aktualität und Plausibilität der angeführten Erkenntnisquellen sowie des Umstandes, dass diese Berichte auf verschiedenen voneinander unabhängigen (regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen) Quellen beruhen und ein in den Kernaussagen übereinstimmendes, in sich schlüssiges und nachvollziehbares Gesamtbild liefern, besteht für das Gericht kein Grund, an der Richtigkeit dieser Angaben zu zweifeln.

Die Feststellungen hinsichtlich der persönlichen Lebensumstände des BF, seiner Familie, der Umstände und des Zeitpunktes seiner Ausreise aus Syrien, der Aufenthaltsorte der Familienmitglieder und seines bisherigen beruflichen Werdeganges beruhen auf den diesbezüglich unbedenklichen Angaben des BF gegenüber der Polizei und dem BFA sowie in der mündlichen Verhandlung.

Laut der aktuellen Version des Carter Center (https://www.cartercenter.org/news/multimedia/map/exploring-historical-control-in-syria.html) in Übereinstimmung mit dem glaubhaften Vorbringen des BF in der Verhandlung steht Manbij aktuell unter Kontrolle der Türkei-nahen SNA und stand vor dem Sturz des Assad-Regimes unter kurdischer Kontrolle. Dass die Syria-Live-Map das Gebiet als aktuell unter der Herrschaft der neuen syrischen Regierung stehend ausweist, hängt mit einer geringeren Präzision dieser Karte zusammen. Auch die im aktuellen LIB auf S. 12 befindliche Karte vom 28.02.2025 weist Manbij als unter SNA-Herrschaft stehend aus.

Dass dem BF infolge des Sturzes des Assad-Regimes weder die Einziehung zur syrischen Armee noch sonstige Verfolgung durch das (ehemalige) Regime drohen, ergibt sich aus den angeführten Länderberichten, wonach das syrische Regime unter Präsident Assad infolge der erfolgreichen Großoffensive der HTS Ende November/Anfang Dezember 2024 nicht mehr existiert. Es gibt derzeit nach den Länderinformationen (LIB S. 140) auch keine staatliche Wehrpflicht in Syrien. Dem vermochte der BF in der mündlichen Verhandlung auch nichts Substantiiertes entgegenzusetzen, eine Bedrohung seitens des Assad-Regimes brachte er nicht mehr vor.

Die Negativfeststellung betreffend eine drohende Rekrutierung durch kurdische Milizen gründet darauf, dass die Kurden in der Herkunftsregion des BF ( Manbij Stadt) aktuell seit der Machtübernahme durch die SNA keine Gebietskontrolle mehr haben.

Die Feststellung betreffend die ethnisch motivierte Plünderung und Besetzung der Wohnungen des Vaters und eines Onkels des BF durch SNA-nahe Milizen ergibt sich aus den entsprechenden Aussagen des BF in der Verhandlung, die in sich stimmig und auch angesichts der Übereinstimmung mit den einschlägigen Länderberichten (insb. LIB S. 161) glaubhaft waren, auch wenn im Zuge der näheren Befragung hervorkam, dass die vom BF als Wohnung des Vaters bezeichnete Wohnung damals unbewohnt war, zumal die Eltern schon zuvor in die Wohnung der Großeltern gezogen waren.

Zum Fluchtgrund der drohenden Verfolgung als Angehöriger der kurdischen Volksgruppe siehe in der rechtlichen Beurteilung.

Die Unbescholtenheit des BF in Österreich ergibt sich aus dem eingeholten Strafregisterauszug.

Rechtlich folgt:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm in seinem Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.

Gemäß § 3 Abs. 2 AsylG kann die Verfolgung auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Heimatstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) oder auf Aktivitäten des Fremden beruhen, die dieser seit Verlassen des Herkunftsstaates gesetzt hat, insbesondere, wenn sie Ausdruck und Fortsetzung einer bereits im Herkunftsstaat bestehenden Überzeugung sind (subjektive Nachfluchtgründe).

Gemäß § 3 Abs. 3 AsylG ist der Antrag abzuweisen, wenn dem Fremden eine innerstaatliche Fluchtalternative offensteht oder er einen Asylausschlussgrund gesetzt hat.

Gemäß § 2 Abs. 1 Z 11 und 12 AsylG ist Verfolgung jede Verfolgungshandlung im Sinne des Art. 9 Statusrichtlinie, Verfolgungsgrund ein in Art. 10 StatusRL genannter Grund.

Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist als Flüchtling anzusehen, wer sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.

Nach Art. 9 der StatusRL muss eine Verfolgungshandlung i.S.d. GFK aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, die so gravierend sind, dass eine Person davon in ähnlicher Weise betroffen ist, bestehen.

Unter anderem können in diesem Sinne folgende Handlungen als Verfolgung gelten: Anwendung physischer oder psychischer, einschließlich sexueller Gewalt; gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewendet werden; unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung; Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung; Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich des Art. 12 Abs. 2 StatusRL fallen; Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.

Bei der Beurteilung der Frage, ob die Furcht eines Antragstellers vor Verfolgung begründet ist, ist es unerheblich, ob der Antragsteller tatsächlich die Merkmale der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der sozialen Gruppe aufweist, die zur Verfolgung führen, sofern ihm diese Merkmale von seinem Verfolger zugeschrieben werden.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt AZ 2 GFK definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht vor dieser Verfolgung. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht.

Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten nach § 3 Abs. 1 AsylG ist, dass dem Asylwerber in seinem Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK, also aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe droht.

Für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt es nicht bloß auf die tatsächliche politische Gesinnung an, auch eine seitens des Verfolgers dem Asylwerber unterstellte politische Gesinnung ist asylrechtlich relevant.

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft im Sinn der GFK zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Gewährung von Asyl zum einen nicht zwingend erforderlich, dass bereits in der Vergangenheit Verfolgung stattgefunden hat, zum anderen ist eine solche Vorverfolgung für sich genommen auch nicht hinreichend. Entscheidend ist, ob die betroffene Person im Zeitpunkt der Entscheidung bei Rückkehr in ihren Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit Verfolgungshandlungen rechnen müsste. Relevant kann also nur eine aktuelle Verfolgungsgefahr sein; sie muss bei Erlassung der Entscheidung vorliegen. Auf diesen Zeitpunkt hat die der Asylentscheidung immanente Prognose abzustellen, ob der Asylwerber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen zu befürchten hat (VwGH 23.05.2023, Ra 2023/20/0110, m.w.N.).

Zum Beschwerdeführer:

Zur Wehrdienstverweigerung bei der syrischen Armee bzw. sonstigen Verfolgung durch das Assad-Regime:

Wie festgestellt, existiert das syrische Regime unter Baschar al-Assad seit dem Umsturz im Dezember 2024 nicht mehr. Der Befürchtung der Einberufung zum Militärdienst beim syrischen Regime mit der Gefahr der Beteiligung an Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist damit der Boden entzogen. Eine Verfolgung (aus welchen Gründen immer) seitens des nicht mehr vorhandenen Regimes ist daher nicht anzunehmen.

Zu einer seitens kurdischer Milizen drohenden Zwangsrekrutierung:

Wie festgestellt, droht dem BF seitens der Kurden mangels Gebietskontrolle in Manbij keine Verfolgung.

Zu einer ethnisch motivierten Bedrohung durch die SNA bzw. dieser nahestehende Milizen:

Vor dem Hintergrund der getroffenen Länderfeststellungen ist aber mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der BF im Fall seiner Rückkehr nach Manbij als Angehöriger der kurdischen Volksgruppe wegen dieser Zugehörigkeit Opfer von Gewalt würde, die durch die die Region kontrollierende SNA ausgeübt wird oder mit deren Duldung stattfindet. Angehörige der Volksgruppe der Kurden erfahren in den von der türkisch dominierten SNA (bzw. FSA) kontrollierten Regionen in Nordsyrien laut den Länderberichten ethnische Verfolgung seitens der SNA bzw. unter deren Duldung, wobei die erst kürzlich eingenommene Region um Manbij im Länderinformationsblatt eigens erwähnt wird. Demnach plünderten die von der Türkei unterstützten Gruppierungen nach der Eroberung von Manbij das Eigentum von kurdischen Bürgern und führten identitätsbezogene Tötungen durch. Sie führten Racheaktionen durch, brannten Häuser nieder und demütigten Kurden (LIB S. 161). Angesichts dessen, dass Manbij gerade erst von der SNA erobert wurde, ist die Gefahr von Vergeltungsaktionen tendenziell höher als in anderen SNA-Gebieten.

Die Verfolgung äußert sich in Entführungen (samt Erpressungen von Lösegeld), Gewalt gegen die kurdische Bevölkerung, rechtswidrigen Inhaftierungen samt Folter, systematischen Plünderungen/Enteignungen von Privatbesitz und letztlich in der Vertreibung der kurdischen Bevölkerung. Diese Maßnahmen stellen eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte dar. Wirksame Schutzmöglichkeiten gegen die Übergriffe gibt es nach den Länderinformationen nicht. Die in Manbij verbliebenen Familienangehörigen des BF wurden selbst bereits Opfer ethnisch motivierter Gewalt und können den BF daher nicht wirksam schützen. Da die Verfolgung von staatlichen Stellen ausgeht bzw. unter deren Duldung stattfindet, ist auch kein staatlicher Schutz vorhanden (s. LIB S. 174: die zivile Regierung im SNA-Gebiet habe einige Vorwürfe untersucht und Gerichtsverfahren durchgeführt, ohne dass es zu konkreten Schlussfolgerungen gekommen wäre). Aus den Länderinformationen geht auch nicht hervor, dass die neue syrische Regierung unter al-Scharaa die Kurden im SNA-Gebiet ausreichend beschützen würde. Obwohl Präsident al-Scharaa laut dem EUAA-Bericht „Country Focus Syria“ vom Juli 2025, S. 40 ff, Mitte Februar Afrin besucht und ein Ende der Menschenrechtsverletzungen eingemahnt hat, ist es auch seitdem weiterhin zu solchen seitens der in der Region verbliebenen SNA-Milizen gekommen, etwa gegenüber rückkehrenden kurdischen Familien, die für die Inbesitznahme ihrer eigenen Häuser bezahlen mussten.

Der Verfassungsgerichtshof hat in seiner jüngsten Rechtsprechung betont (vgl. VfGH vom 19.09.2023, E720/2023, sowie 17.09.2024, E904/2024), dass die aktuellen EUAA-Richtlinien zu Syrien davon ausgehen, dass „für Kurden aus von der SNA kontrollierten Gebieten“ „grundsätzlich“ eine begründete Furcht vor Verfolgung nachgewiesen werden kann. Ein Abgehen von dieser für das Bundesverwaltungsgericht prinzipiell maßgeblichen Einschätzung erfordere eine begründete Darlegung konkreter Umstände, die im Einzelfall (doch) gegen eine Verfolgung sprechen. Solche Umstände liegen aber im gegenständlichen Fall gerade nicht vor, spricht doch die festgestellte Verfolgung seiner Familienangehörigen gerade dafür, dass auch der BF in Manbij mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Opfer von (ethnisch motivierter) Gewalt durch die SNA werden würde. Auch im aktuellen EUAA-Bericht „Country Guidance Syria“, veröffentlicht im Juni 2025, wird auf S. 35 festgehalten, dass Kurden aus Gebieten unter der Kontrolle der SNA mit hoher Wahrscheinlichkeit weiterhin die Flüchtlingseigenschaft erfüllen.

Auch der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner höchstgerichtlichen Rechtsprechung die Gewährung von Asyl an Kurden aus von der Türkei besetzten Gebieten (im Gouvernement Afrin) bestätigt (vgl. VwGH Ra 2021/19/0442 vom 25.08.2022).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass aus den oben angeführten Gründen mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass dem BF als Kurde bei einer Rückkehr in seine Heimatregion Manbij die Gefahr einer asylrelevanten Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden droht.

Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 AsylG) ist nicht ersichtlich. Ebenso- wenig ist ein Asylausschlussgrund (§ 6 AsylG) erkennbar.

Aus diesen Erwägungen ist dem BF der Status eines Asylberechtigten zuzuerkennen.

Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 ist die Entscheidung, mit der einem Fremden von Amts wegen oder aufgrund eines Antrages auf internationalen Schutz der Status des Asylberechtigten zuerkannt wird, mit der Feststellung zu verbinden, dass diesem Fremden damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.

Daher war spruchgemäß zu entscheiden.

Der Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision folgt dem Umstand, dass im Wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu beurteilen waren und im Rahmen der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes entschieden wurde.