JudikaturBVwG

W169 2297181-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
28. Juli 2025

Spruch

W169 2297181-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 04.07.2024, Zl. 1337497408-223942946, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.05.2025 zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 15.12.2022 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Bei der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am Folgetag gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er aus Mogadischu stamme, im Heimatland zwei Jahre die Grundschule besucht und als Schuhputzer gearbeitet habe. In Somalia habe er seine Mutter und seine fünf Geschwister. Zu seinen Ausreisegründen brachte der Beschwerdeführer vor, dass er Somalia aus Angst vor Hunger verlassen habe. Seine Mutter sei sehr arm und habe ihnen kaum Nahrung anbieten können. Mittlerweile wisse er auch nicht, wo sie sich aufhalte. Er sei ein Straßenkind gewesen. Es gebe dort kaum Arbeit und auch keine Ausbildung. Die Sicherheitslage sei auch sehr schlecht. Er habe keine weiteren Gründe. Im Falle einer Rückkehr habe er Angst an Hunger zu sterben oder im Krieg getötet zu werden.

2. Anlässlich seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 11.04.2024 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er gesund sei, dem Clan der Midgaan angehöre, in Somalia fünf bis acht Jahre die Grundschule besucht und als Bauarbeiter, Schuhputzer und Mechaniker gearbeitet habe. Er habe in einem Dorf in der Nähe der Stadt Balcad mit seiner Großmutter in einer Eigentumshütte gewohnt. Seine Großmutter sei mittlerweile verstorben. Seine Mutter und seine fünf Geschwister würden derzeit in Zypern leben. Sein Vater sei bereits im Jahr 2019 verstorben. Er habe Kontakt zu seiner Familie. Dieser gehe es gut. Er habe in Somalia Probleme aufgrund seiner Clanzugehörigkeit gehabt. Sein Clan werde in Somalia allgemein diskriminiert. Dies sei aber auch ein Grund gewesen, weshalb er Somalia verlassen habe.

Zu seinem Ausreisegrund führte der Beschwerdeführer in freier Erzählung im Wesentlichen aus, dass er bei seiner Oma gelebt habe. Es seien Al-Shabaab Mitglieder gekommen. Sie seien als Arbeiter von der Al-Shabaab versklavt worden. Seine Großmutter sei dann verstorben und er habe niemanden mehr dort gehabt, weshalb er für drei Monate bei seinem Koranlehrer gelebt habe. Die Angehörigen der Al-Shabaab hätten die Kinder rekrutiert. Es habe einen Mann gegeben, der sich in der Stadt ausgekannt und gewusst habe, wer wo dazugehört. Die Kinder seien dann dementsprechend eingeteilt worden. Zu ihm hätten sie gesagt, dass er zu nichts fähig wäre. Es sei bei seinem Koranlehrer zuhause gewesen. Am nächsten Tag sei die Al-Shabaab gekommen und habe gesagt, dass auch er nicht befreit sei und er ein Bombenattentäter sein müsse. Dann sei ein Mädchen gekommen, welches er gekannt habe. Sie habe gesagt, dass sie gehört habe, dass die Al-Shabaab ihn mitnehmen wolle und er deshalb die Stadt verlassen müsse. Es würde auch noch einen anderen Jungen geben, den die Al-Shabaab mitnehmen wolle. Der andere Junge und er seien in einen LKW gestiegen und nach Mogadischu gefahren. Der Junge habe zu ihm gesagt, dass sie nun getrennte Wege gehen würden. Deshalb sei er in den Bezirk Sanaan in Mogadischu gegangen. Dort habe er zwei Nächte verbracht. Dann habe er einen Jungen getroffen, welcher Schuhputzer gewesen sei. Dieser habe zu ihm gesagt, dass der Beschwerdeführer neu in Mogadischu sei und er habe ihm dann einen Teil seines Putzmittels gegeben, damit der Beschwerdeführer als Schuhputzer arbeiten könne. Eines Tages sei jemand zu ihm in Mogadischu gekommen und habe gesagt, dass er nun nicht mehr klein sei und er habe ihn in eine Garage mitgenommen. Er habe bei ihm als Mechaniker gearbeitet und dort Essen erhalten und am Abend in der Garage schlafen können. Der Beschwerdeführer habe dann gehört, dass der Junge, der mit ihm von seinem Dorf geflohen sei, von der Al-Shabaab gefasst worden sei. Der Beschwerdeführer sei ca. drei Monate in der Garage in der Werkstatt gewesen. Dann sei wieder ein Mädchen, das seine Familie gekannt habe, gekommen und habe ihn gefragt, was er mache. Er habe ihr die Situation erklärt. Dieses Mädchen habe gesagt, dass der Beschwerdeführer 20 Tage warten solle und sie ihm dann eine Antwort geben werde. Dieses Mädchen sei Ärztin gewesen und der Beschwerdeführer hätte jeden Tag um 12 Uhr zu ihr kommen sollen, weil sie ihm helfen habe wollen, Somalia zu verlassen. Dann sei das Mädchen zu ihm gekommen und habe ein Foto von ihm gemacht und ihm ein Telefon gegeben. Sie habe gesagt, dass sie den Beschwerdeführer in ca. zwei Monaten in die Türkei schicken werde. Er habe das Mädchen angerufen und das Mädchen sei zu ihm gekommen und habe ihn in eine andere Wohnung im Zentrum der Stadt gebracht. Er habe dort gemeinsam mit dem Mädchen ca. eineinhalb Monate gelebt. Dann sei er in die Türkei geflohen. Als er in der Türkei gewesen sei, habe er durch das Mädchen erfahren, dass seine Familie in Zypern lebe.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Dem Beschwerdeführer wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).

4. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und monierte nach Angabe der Gründe seiner Ausreise unter Ausführung näherer Gründe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, eine mangelhafte Beweiswürdigung sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung.

5. Für den 25.02.2025 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung anberaumt. Da der Dolmetscher jedoch kurzfristig erkrankt ist, wurde die Verhandlung vertagt.

6. Mit Schriftsatz vom 12.03.2025 erstattet der bevollmächtigte Vertreter des Beschwerdeführers ein ergänzendes Vorbringen, indem er vorbrachte, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr asylrelevante Verfolgung aufgrund seiner sexuellen Orientierung in Somalia fürchte. Die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers sei bereits vor seiner Flucht aus Somalia vorgelegen, er habe sich immer schon zu Männern hingezogen gefühlt, habe jedoch aufgrund der Kriminalisierung und gesellschaftlichen Stigmatisierung von gleichgeschlechtlichen sexuellen Handlungen in seinem Herkunftsland seine sexuelle Orientierung nicht frei ausleben können. Seit seiner Ankunft in Österreich habe der Beschwerdeführer bereits gleichgeschlechtliche Kontakte geknüpft. So habe er zunächst wiederholt lose sexuelle Kontakte zu Männern geführt, welche er über diverse Dating-Apps, insbesondere die App „Grindr“ kennengelernt habe. Seit mehreren Monaten führe er nun eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu einem Mann. Durch die Rechtsberatung der BBU habe der Beschwerdeführer im Februar 2025 zum ersten Mal von der Organisation „Queer Base – Welcome and Support for LGBTQI Refugees” erfahren und habe über diese inzwischen Anschluss zur LGBTQ-Community geknüpft. Zum Nachweis der Homosexualität des Beschwerdeführers werde ein Auszug von „Grindr“ Chats des Beschwerdeführers auf der Datingplattform vorlegt. Die Chats würden die Anbahnung von persönlichen Treffen zwischen dem Beschwerdeführer und anderen Männern belegen. Die Auszüge seien daher geeignet, die sexuelle Orientierung des Beschwerdeführers zu belegen. Im aktuellen Länderinformationsblatt zu Somalia, Version 7, vom 16.01.2025, sei zur Situation von LGBTQ in Somalia zu entnehmen, dass Homosexualität und Geschlechtsverkehr mit einer Person desselben Geschlechts ein Tabuthema sei und mit einer Gefängnisstrafe geahndet werde, in Gebieten der Al-Shabaab gelte dafür die Todesstrafe. Homosexuelle würden unter ständiger Angst leben, im Falle der Entdeckung Diskriminierung, Gewalt oder sogar Todesdrohungen zu erfahren. Auch in den EUAA Country Guidance zu Somalia werde angeführt, dass die Todesstrafe für Homosexuelle in Somalia verhängt werden könne. Homosexualität sei illegal, Menschen, die das LGBTQ Risikoprofil erfüllen, seien Oper von Hassverbrechen, Gewalt, Einschüchterung und Diskriminierung. Die sexuelle Orientierung werde vor Familienmitgliedern oft verschwiegen, um von diesen nicht verstoßen bzw. verfolgt zu werden. Es gäbe keine LGBTQ Organisationen, die sich für die Rechte dieser Zielgruppe einsetzen würden. Die dargestellten Länderberichte würden sohin keine Zweifel offen lassen, dass Angehörige sexueller Minderheiten im gesamten Herkunftsland asylrelevant verfolgt werden würden. Da der Beschwerdeführer seine sexuelle Orientierung glaubhaft belegen könne, sei ihm der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen. Der Beschwerdeführer sei nicht in der Lage gewesen, das Vorbringen zu seiner sexuellen Orientierung früher zu erstatten. Einerseits, weil er nicht gewusst habe, dass Homosexualität in Österreich legal sei, andererseits, weil Homosexualität in Somalia stark stigmatisiert und schambehaftet sei, was naturgemäß Einfluss auch auf den Beschwerdeführer und dessen Umgang mit seiner Sexualität habe. Er habe keine Vorstellung davon gehabt, dass er in Österreich als Homosexueller Unterstützung finden könnte, etwa bei der Queer Base. Der Beschwerdeführer bitte vor diesem Hintergrund um Verständnis, dass er sein Vorbringen erst zu diesem späten Zeitpunkt ergänzt habe.

7. Mit Schreiben vom 25.03.2025 ersuchte das Bundesverwaltungsgericht den Beschwerdeführer, binnen zwei Wochen den Namen und die Adresse seines jetzigen Partners mitzuteilen, damit das Bundesverwaltungsgericht diesen als Zeugen in der Beschwerdeverhandlung am 20.05.2025 einvernehmen könne.

8. Daraufhin teilte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 09.04.2025 mit, dass die von ihm in der Stellungnahme erwähnte Beziehung zwischenzeitlich nun nicht mehr aufrecht sei und dem Beschwerdeführer die aktuelle Adresse seines (mittlerweile) Ex-Partners nicht bekannt sei.

9. Am 20.05.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche, mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist entschuldigt nicht erschienen. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen befragt (siehe Verhandlungsprotokoll).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Er ist ein Staatsangehöriger von Somalia und gehört der Religionsgemeinschaft der sunnitischen Muslime sowie dem Clan der Midgaan, Subclan Reer Mohammed, Subsubclan Reer Maraboki, an. Der Beschwerdeführer wurde in Mogadischu geboren und wuchs im Dorf XXXX , in Middle Shabelle auf. Er besuchte dort sieben bis acht Jahre die Schule und lebte mit seiner Großmutter väterlicherseits in einer eigenen Hütte. Die Großmutter des Beschwerdeführers besaß Ziegen und Hühner, wobei die Milch der Ziegen verkauft wurde, um den Lebensunterhalt zu sichern. Der Beschwerdeführer half seiner Großmutter auch, auf die Tiere aufzupassen. Weiters arbeitete der Beschwerdeführer im Heimatland als Bauarbeiter, Schuhputzer und Mechaniker.

Entgegen den von ihm angegeben Ausreisegründen versuchte die Al-Shabaab nicht, den Beschwerdeführer zwangszurekrutieren. Ebensowenig wurde er aufgrund seiner Minderheitenzugehörigkeit von der Möglichkeit der Bildung, der Teilnahme am Erwerbsleben oder der Gesellschaft an sich ausgeschlossen.

Der Beschwerdeführer ist nicht homosexuell und war auch nie homosexuell, weshalb er diesbezüglich auch keine wie immer geartete Verfolgung im Falle einer Rückkehr nach Somalia zu gewärtigen hat.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

Al Shabaab - (Zwangs-)Rekrutierungen

Letzte Änderung 2025-01-16 14:09

Kindersoldaten: Al Shabaab entführt auch weiterhin Kinder, um diese zu rekrutieren (UNSC 2.2.2024; vgl. HRW 11.1.2024; BS 2024). Hauptsächlich betroffen sind hiervon die Regionen Hiiraan, Bay, Lower Shabelle, Bakool und Middle Juba (UNSC 2.2.2024).Al Shabaab führt u. a. Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch (USDOS 22.4.2024). Die Gruppe ent- führt systematisch Kinder von Minderheitengruppen (BS 2024). Nach anderen Angaben bleibt die freiwillige oder Zwangsrekrutierung von Kindern aber unüblich und hauptsächlich auf jene Gebiete beschränkt, wo al Shabaab am stärksten ist (Sahan/SWT 6.5.2022). Familien, die sich weigern, müssen mit Bußgeldern rechnen; manchmal werden sie auch mit Strafverfolgung oder Schlimmerem bedroht. Manche Familien schicken ihre Buben weg, damit sie einer Rekrutie- rung entgehen (Sahan/SWT 6.5.2022). Manchmal werden Clanälteste bedroht und erpresst, damit Kinder an die Gruppe abgegeben werden (USDOS 22.4.2024). Mitunter wird hierbei auch Gewalt angewendet (BS 2024). Knapp die Hälfte der Kinder wird mittels Gewalt und Entfüh- rung rekrutiert, die andere durch Überzeugung der Eltern, Ältesten oder der Kinder selbst (AA 23.8.2024). Eingesetzt werden Kinder etwa als Munitions- und Versorgungsträger, zur Spionage, als Wachen; aber auch zur Anbringung von Sprengsätzen, in Kampfhandlungen und als Selbst- mordattentäter (USDOS 22.4.2024). Laut einer Quelle kann es zwar sein, dass al Shabaab auch Kinder von 8-12 Jahren aushebt; tatsächlich ist demnach der Einsatz von Kindern im Kampf aber unwahrscheinlich. Es gibt keine Bilder derart junger Kämpfer der al Shabaab unter den Gefallenen. Die Jüngsten sind mindestens 16 Jahre alt, entsprechend somalischer Tradition gelten sie damit als Männer. Die überwiegende Mehrheit der Kämpfer der Gruppe sind jedenfalls Männer über 18 Jahren (BMLV 7.8.2024).

Schulen und Lager: Viele der den Clans abgerungenen Kinder kommen zunächst in Schulen, wo sie indoktriniert und rekrutiert werden (USDOS 22.4.2024; vgl. UNSC 6.10.2021). Die Gruppe betreibt eigene Schulen mit eigenem Curriculum (VOA/Maruf 16.11.2022) und hat ein Bildungs- system geschaffen, das darauf ausgerichtet ist, Rekruten hervorzubringen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; vgl. INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; Researcher/

STDOK/SEM 4.2023). Die Gruppe verbot andere islamische Schulen und hat eigene gegrün- det, die als „Islamische Institute“ firmieren. Diese orientieren sich an Clangrenzen, werden von Clans finanziert und stehen unter strenger Aufsicht der örtlichen Behörden der al Shabaab. Von den Clans wird erwartet, dass sie entweder Geld oder Schüler zur Verfügung stellen (Mubarak/ Jackson A./ODI 8.2023). In diesen Schulen werden die Schüler weltanschaulich indoktriniert, propagiert werden die Illegitimität der Bundesregierung und die Verpflichtung zum Dschihad (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). In einem Fall wird berichtet, dass Schüler dort nach zwei Jah- ren ein Abschlusszeugnis erhalten haben (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). Nach der Absolvierung einer solchen Schule werden die Absolventen normalerweise in Trainings- lager der al Shabaab verbracht (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; vgl. VOA/Maruf 16.11.2022). Die besten Schüler werden einer höheren Bildung zugeführt (VOA/Maruf 16.11.2022). Nach Angaben eines Augenzeugen konnten Absolventen in seinem Fall über ihren weiteren Weg innerhalb der Organisation selbst entscheiden, etwa ob sie religiöse Studien betreiben oder in eine Teilorganisation eintreten wollten (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). In einigen Gegenden betreibt al Shabaab auch „reguläre“ Schulen. Doch auch diese agieren nach der Ideologie der Gruppe (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023).

Aus Lagern oder anderen Einrichtungen der al Shabaab können Kinder nur mit Schwierigkeit ent- kommen. Sie sind dort brutalem physischen und psychischen Stress ausgesetzt, die der Folter nahekommen; sie sollen gebrochen werden (Sahan/SWT 6.5.2022). Kinder werden dort einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Kinder wer- den gezwungen, andere Kinder zu bestrafen oder zu exekutieren (USDOS 22.4.2024). Mädchen werden auf eine Ehe vorbereitet, manchmal aber auch auf Selbstmordmissionen. Armeeinhei- ten - wie Danaab - haben immer wieder Operationen unternommen, um Kinder aus solchen Ausbildungslagern zu befreien (Sahan/SWT 6.5.2022).

Rekrutierung über Clans: Üblicherweise rekrutiert al Shabaab über die Clans (INGO-F/STDOK/ SEM 4.2023). Clans auf dem Territorium von al Shabaab müssen in Form junger Männer Tri- but an die Gruppe abführen. Die Gruppe kommt in Dörfer, wendet sich an Älteste und fordert eine bestimmte Mannzahl (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; MBZ 6.2023). Wenn al Shabaab ein Gebiet besetzt, dann verlangt es von lokalen Clanältesten die Zurverfügungstellung von bis zu mehreren Dutzend – oder sogar hundert – jungen Menschen oder Waffen (Marchal 2018, S. 105). Der Clan wird die geforderte Zahl stellen. Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 verfügt die Gruppe in den Clans über „Agenten“, welche die Auswahl der Rekruten vornehmen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Nach anderen Angaben wen- det sich al Shabaab in den Gebieten unter ihrer Kontrolle an Familien, um diese zur Herausgabe von Buben aufzufordern (Sahan/SWT 6.5.2022).

Jedenfalls treten oft Älteste als Rekrutierer auf (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vgl. AQ21 11.2023). Nach anderen Angaben sind alleWehrfähigen bzw. militärisch Ausgebildeten innerhalb eines Bereichs auf dem von al Shabaab kontrollierten Gebiet für die Gruppe als territoriale „Dorfmiliz“ verfügbar und werden als solche auch eingesetzt, z. B. bei militärischen Operationen im Umfeld oder zur Aufklärung. Wehrfähig sind demnach auch Jugendliche mit 16 Jahren, die gemäß somalischer Tradition als erwachsen gelten (BMLV 7.8.2024).

Wo al Shabaab rekrutiert: Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia (ÖB Nairobi 10.2024). Rekrutiert wird vorwiegend in Gebieten unter Kontrolle der Gruppe, im südlichen Kernland, in Bay und Bakool (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-C/STDOK/ SEM 4.2023; BMLV 7.8.2024). Dort fällt al Shabaab dies einfacher, die Menschen haben kaum Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Etwa 40 % der Fußsol- daten von al Shabaab stammen aus diesen beiden Regionen (Marchal 2018, S. 107). Auch bei den Hawiye / Galja’el und Hawiye / Duduble hat die Gruppe bei der Rekrutierung große Erfolge (AQ21 11.2023). Viele Kämpfer stammen auch von den Rahanweyn. Generell finden sich bei al Shabaab Angehörige aller Clans (MBZ 6.2023). Auch viele Menschen aus von der Regierung kontrollierten Gebieten melden sich freiwillig zu al Shabaab (BMLV 7.8.2024).

Eine informierte Quelle der FFM Somalia 2023 gibt an, noch nie von Zwangsrekrutierungen an Straßensperren gehört zu haben (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Dahingegen wird in IDP-Lagern - etwa im Umfeld von Kismayo - sehr wohl (freiwillig) rekrutiert (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023).

Wen al Shabaab rekrutiert: Die Mirifle (Rahanweyn) konstituieren eine relevante Quelle an Fußsoldaten (EASO 1.9.2021, S. 18). Bei den meisten Fußsoldaten, die aus Middle Shabelle stammen, handelt es sich um Angehörige von Gruppen mit niedrigem Status, z. B. Bantu, bzw. marginalisierten Gruppen (Ingiriis 2020; vgl. Sahan/SWT 30.9.2022). Viele der Rekruten haben das Bildungssystem von al Shabaab durchlaufen (BMLV 7.8.2024). Die Gruppe nutzt in den von ihr kontrollierten Gebieten zudem gegebene lokale Spannungen aus. Minderheiten wird suggeriert, dass ein Beitritt zur Gruppe sie in eine stärkere Position bringen würde. Daher treten Angehörige von Minderheiten oft freiwillig bei und müssen nicht dazu gezwungen werden (MBZ 6.2023).

Manche Mitglieder von al Shabaab rekrutieren auch in ihrem eigenen Clan (Ingiriis 2020). Von al Shabaab rekrutiert zu werden bedeutet nicht unbedingt einen Einsatz als Kämpfer. Die Gruppe braucht natürlich z. B. auch Mechaniker, Logistiker, Fahrer, Träger, Reinigungskräfte, Köche, Richter, Verwaltungs- und Gesundheitspersonal sowie Lehrer (EASO 1.9.2021, S. 18).

Warum al Shabaab beigetreten wird: Eine Rekrutierung kann viele unterschiedliche Aspek- te umfassen: Geld, Clan, Ideologie, Interessen – und natürlich auch Drohungen und Gewalt (EASO 1.9.2021, S. 21; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Al Shabaab versucht, junge Männer durch Überzeugungsarbeit, ideologische und religiöse Beeinflussung und finanzielle Versprechen an- zulocken. Jene, die arbeitslos, arm und ohne Aussicht sind, können - trotz fehlenden religiösen Verständnisses - auch schon durch kleine Summen motiviert werden. Für manche Kandidaten spielen auch Rachegefühle gegen Gegner von al Shabaab eine Rolle (FIS 7.8.2020a, S. 17; vgl. Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, S. 33), bei anderen ist es Abenteuerlust (Khalil/Brown/et.al./ RUSI 1.2019, S. 33). Laut einer Quelle sind 52 % der Mitglieder von al Shabaab der Gruppe aus ökonomischen Gründen beigetreten, 1 % aus Abenteuerlust (ÖB Nairobi 10.2024). Nach anderen Angaben sind etwa zwei Drittel der Angehörigen von al Shabaab der Gruppe entweder aus finanziellen Gründen beigetreten, oder aber aufgrund von Kränkungen in Zusammenhang mit Clan-Diskriminierung oder in Zusammenhang mit Misshandlungen und Korruption seitens lokaler Behörden (Felbab 2020, S. 120f; vgl. Rollins/HIR 27.3.2023). Feldforschung unter ehe- maligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 52 % der höheren Ränge der Gruppe aus religiösen Gründen beigetreten waren, bei den Fußsoldaten waren dies nur 15 % (Botha/SIGLA 2019). Ökonomische Anreize locken insbesondere Jugendliche, die oft über kein (regelmäßiges) Einkommen verfügen (SIDRA 6.2019b, S. 4). So lange die Gruppe über Geld verfügt, verfügt sie auch über ein großes Rekrutierungspotenzial. Zudem hat sie aufgrund von xenophoben - insbesondere anti-äthiopischen - Ressentiments Zulauf an Freiwilligen (BMLV 7.8.2024).

Nur manche Menschen folgen al Shabaab aus ideologischen Gründen, die meisten tun es aus pragmatischen Gründen. Vielen geht es um Schutz - und in vielen Bezirken des Landes bleibt al Shabaab diesbezüglich die sichtbarste und praktikabelste Option (Sahan/SWT 25.8.2023). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite (FIS 7.8.2020b, S. 21) und sonstige Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke (Sahan/SWT 30.9.2022; vgl. Sahan/Menkhaus 23.8.2023).

Gerade in den seit vielen Jahren von der Gruppe kontrollierten Gebieten ist die Bevölkerung im Austausch gegen Sicherheit und Stabilität eher bereit, Rekruten abzugeben (MBZ 6.2023). Und speziell Angehörige marginalisierter Gruppen treten der Gruppe mitunter bei, um sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS 5.10.2018, S. 34). Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab auch die Möglichkeit, Rache an An- gehörigen anderer Clans zu üben (Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, S. 14f; vgl. EASO 1.9.2021, S. 20). Auch die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 22.4.2024) - so z. B. bei somalischen Bantu, wo Mischehen mit somalischen Clans oft tabu sind. Al Shabaab hat aber eben diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von starken somalischen Clans – etwa den Hawiye oder Darod – zu heiraten (Ingiriis 2020). Schlussend- lich darf auch Angst vor al Shabaab als Motivation nicht vergessen werden. Demonstrationen extremer Gewalt halten viele Menschen bei der Stange (Sahan/SWT 12.6.2023).

Entlohnung bei al Shabaab: Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab vor einigen Jahren mit 50 US-Dollar an- gegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen von al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, S. 16). Nach neueren Angaben verdienen Fußsoldaten und niedrige Ränge 50-100 US-Dol- lar (UNSC 10.10.2022; vgl. ÖB Nairobi 10.2024), Finanzbedienstete 250 US-Dollar im Monat (UNSC 10.10.2022). Eine andere Quelle nennt als Einstiegssold fertig ausgebildeter Kämpfer einen Betrag von 80-100 US-Dollar, bar oder in Gutscheinen (BMLV 7.8.2024). Gemäß soma- lischen Regierungsangaben erhalten neue Rekruten der al Shabaab 30 US-Dollar im Monat, ein ausgebildeter Fußsoldat oder ein Fahrer 70 US-Dollar; den höchsten Sold erhält demnach mit 25.000 US-Dollar der Emir selbst (Gov Som 2022, S. 99). Ein Mann, der in Mogadischu von einem Militärgericht wegen Anschlägen für al Shabaab verurteilt worden war, hat angegeben, einen Sold von 70 US-Dollar im Monat erhalten zu haben (GN 10.7.2023). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 84 % der Fußsoldaten und 31 % der höheren Ränge überhaupt nicht bezahlt worden sind (Botha/SIGLA 2019).

Zwangsrekrutierung: Direkter Zwang wird bei einer Rekrutierung in der Praxis nur selten an- gewendet (BMLV 7.8.2024; vgl. AQ21 11.2023; Ingiriis 2020), jedenfalls nur eingeschränkt, in Ausnahmefällen bzw. unter spezifischen Umständen (Marchal 2018, S. 92; vgl. BMLV 7.8.2024; MBZ 6.2023). Al Shabaab agiert sehr situativ. So kommt Zwang etwa zur Anwendung, wenn die Gruppe in einem Gebiet nach einem verlustreichen Gefecht schnell die Reihen auffüllen muss (ACCORD 31.5.2021). Die meisten Menschen treten der Gruppe freiwillig bei (MBZ 6.2023). Laut Angaben von Quellen der FFM Somalia 2023 kann man allerdings auf dem Gebiet der al Shabaab eine Rekrutierungsanfrage nicht einfach verneinen. Auch wenn al Shabaab Rekru- ten als Freiwillige präsentiert, haben diese i.d.R. keine wirkliche Option (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Zudem erklärt eine Quelle der FFM Somalia 2023, dass al Shabaab die Forderung nach Rekruten auch als Bestrafung einsetzt, etwa gegen Ge- meinden, die zuvor mit der Regierung zusammengearbeitet haben. In anderen Gebieten, wo die Gruppe versucht, Clans auf die eigene Seite zu ziehen, hat sie hingegen damit aufgehört, Kinder wegzunehmen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023).

Jedenfalls kommen Zwangsrekrutierungen vor - nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Er- wachsenen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Bei zwei Studien aus den Jahren 2016 und 2017 haben 10-11 % der befragten ehemaligen Angehörigen von al Shabaab angegeben, von der Gruppe zwangsrekrutiert worden oder ihr aus Angst vor Repressalien beigetreten zu sein (MBZ 6.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass 13 % der Angehörigen der Gruppe Zwangsrekrutierte sind (ÖB Nairobi 10.2024). Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen oft um eine Mischung aus Druck oder Drohungen und Anreizen oder Versprechungen (FIS 7.8.2020a, S. 18; vgl. MBZ 6.2023), eine Unterscheidung zwischen „freiwillig“ und „erzwungen“ ist nicht immer möglich (MBZ 6.2023).

Wo Zwangsrekrutierungen vorkommen: Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließ- lich in Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch al Shabaab (BMLV 7.8.2024; vgl. AQ21 11.2023; INGO-F/STDOK/ SEM 4.2023; UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023; Researcher/STDOK/SEM 4.2023; FIS 7.8.2020, S. 17f). Überhaupt werden dort nur wenige Leute rekrutiert, und diese nicht über die Clans (AQ21 11.2023). Dort hat al Shabaab die Besteuerung im Fokus und nicht das Rekrutieren (INGO-C/ STDOK/SEM 4.2023) und hätte auch keine Kapazitäten dafür (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Dies gilt laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 auch für andere städtische Gebiete wie etwa Kismayo oder Baidoa (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Laut dem Experten Marchal rekrutiert al Shabaab zwar in Mogadischu; dort werden aber Menschen angesprochen, die z. B. ihre Unzufriedenheit oder ihre Wut über AMISOM bzw. ATMIS oder die Regierung äußern (EASO 1.9.2021, S. 21).

Verweigerung einer Rekrutierung: Üblicherweise richtet al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Diese „Vorschreibung“ - also wie viele Rekruten ein Dorf, ein Gebiet oder ein Clan stellen muss - erfolgt üblicherweise jährlich, und zwar im Zuge der Vorschreibung anderer jährlicher Abgaben. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer, denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan (BMLV 7.8.2024). So kann es dann z. B. zur Entführung oder Ermordung unkooperativer Ältester kommen (MBZ 6.2023). Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden. Entweder der Clan oder das Individuum zahlt, oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufs (BMLV 7.8.2024; vgl. MBZ 6.2023). Eltern versuchen, durch Geldzahlungen die Rekrutierung ihrer Kinder zu verhindern (UNSC 10.10.2022). Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus von al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BMLV 7.8.2024). Generell haben größere Clans aufgrund gegebener Ressourcen eher die Möglichkeit, sich von Rekrutierungen freizukaufen, als dies bei Minderheiten der Fall ist (MBZ 6.2023). Insgesamt besteht offenbar Raum für Verhandlungen. Wenn die Gruppe beispielsweise eine bestimmte Anzahl von Schülern für ihre Schulen verlangt, kann ein Clan entweder Kinder zum Besuch dieser Schulen schicken oder für eine bestimmte Anzahl von Schülern anderer Clans bezahlen (Mubarak/Jackson A./ ODI 8.2023).

Eine andere Möglichkeit besteht in der Flucht (MBZ 6.2023). Eltern schicken ihre Kinder mitunter in von der Regierung kontrollierte Gebiete – meist zu Verwandten (UNSC 10.10.2022). Junge Männer flüchten mitunter nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)rekrutierung zu entziehen (BMLV 7.8.2024). Andererseits berichtet ein Augenzeuge, dass jene Jugendlichen, die nach Absolvierung einer Schule der al Shabaab vor einer möglichen Zwangsrekrutierung nach Mogadischu geflohen sind, bald wieder in die Heimat zurückkehrten, weil ihre Eltern bestraft worden sind (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). In anderen Fällen sind gleich ganze Familien vor einer Rekrutierung der Kinder geflohen, viele endeten als IDPs (INGO-C/ STDOK/SEM 4.2023; vgl. IO-D/STDOK/SEM 4.2023).

Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszah- lung die Exekution droht. Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BMLV 7.8.2024). Eine andere Quelle erklärt, dass, wer sich generell Rekrutierungen widersetzt, bedroht oder in Haft gesetzt wird (Mubarak/ Jackson A./ODI 8.2023). Ein Experte erklärt, dass eine einfache Person, die sich erfolgreich der Rekrutierung durch al Shabaab entzogen hat, nicht dauerhaft und über weite Strecken hin verfolgt wird (ACCORD 31.5.2021, S. 40). Stellt allerdings eine ganze Gemeinde den Rekru- tierungsambitionen von al Shabaab Widerstand entgegen, kommt es meist zu Gewalt (BMLV 7.8.2024; vgl. UNSC 28.9.2020, Annex 7.2).

Rekrutierung von Mädchen und Frauen: Auch Mädchen werden in den Gebieten unter Kon- trolle von al Shabaab für Zwangsehen mit Kämpfern der Gruppe entführt (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. BS 2024). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass al Shabaab sich auch in solchen Fällen an die Clans wendet und fordert, dass Frauen als Ehefrauen bereitgestellt werden. Dieser Aufforderung wird dann aus Angst nachgegeben. In Gebieten, die nicht unter Kontrolle von al Shabaab stehen, verfügt die Gruppe diesbezüglich demnach nicht über ausreichend Druckmittel (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Frauen und Mädchen der Bantu werden mitunter auch mittels Todesdrohungen in Ehen gezwungen, die sich in der Praxis eher als temporäre sexuelle Versklavung erweisen (Benstead/Lehman 2021). Al Shabaab bezahlt kein Brautgeld. Wird der Gruppe eine Tochter verweigert, kann es vorkommen, dass ersatzweise ein Sohn als Rekrut verlangt wird (AQ21 11.2023). Kann eine Abgabe nicht entrichtet werden, dann entführt al Shabaab ersatzweise Frauen und zwingt diese zur Ehe (MBZ 6.2023).

Abseits der Ehe werden Frauen bei al Shabaab zumeist in unterstützender Rolle eingesetzt (UNSC 10.10.2022; vgl. AQ21 11.2023): als Steuereinheberinnen, Lehrer- oder Predigerinnen in Madrassen, Wächterinnen in Gefängnissen; zum Kochen und Putzen, in der Spionage oder der Waffenpflege (UNSC 10.10.2022), beim Waffenschmuggel und bei der Waffenlagerung. Manche betreiben auch Fundraising, andere dienen als Selbstmordattentäterinnen (AQ21 11.2023; vgl. ICG 27.6.2019a, S. 7f). Frauen, die mit Soldaten oder AMISOM bzw. ATMIS Kleinhandel treiben, werden als Spione und Informationsbeschafferinnen rekrutiert (ICG 27.6.2019a, S. 12).

Quellen

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AQ21 - Anonyme Quelle 21 (11.2023): Expertengespräche

Benstead/Lehman - L.J. Benstead, D. van Lehman (2021): Two Classes of “Marriage”: Race and Sexual Slavery in Al- Shabaab-Controlled Somalia, in: The Journal of the Middle East and Africa. Zitiert in: EASO - European Asylum Support Office (9.2021): Somalia - Targeted Profiles, S.18 - u, https://coi.euaa.europa.eu/administration/easo/PLib/2021_09_EASO_COI_Report_Somalia_Targ eted_profiles.pdf, Zugriff 14.6.2024

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Botha/SIGLA - Dr. A. Botha (Autor), Security Institute for Governance and Leadership in Africa, Stellenbosch University (Herausgeber) (2019): Reasons for joining and staying in al- Shabaab in Somalia, Research Brief 5/2019, https://www.sun.ac.za/english/faculty/milscience/ sigla/Documents/Navy News 2019/SIGLA Brief 5 2019.pdf, Zugriff 14.6.2024

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/filea dmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024

EASO - European Asylum Support Office (1.9.2021): Somalia – Targeted Profiles, https://coi.euaa.e uropa.eu/administration/easo/PLib/2021_09_EASO_COI_Report_Somalia_Targeted_profiles.pdf, Zugriff 14.6.2024

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FIS - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_- Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1- f6944b6d21a7/Somalia_Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf.pdf, Zugriff 12.3.2024

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Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (30.9.2022): Winning the war of grievances, in: The Somali Wire Issue No. 458, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

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UNSC - United Nations Security Council (6.10.2021): Letter dated 5 October 2021 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council: Final report of the Panel of Experts on Somalia (S/2021/849), https://reliefweb.int/attachments/17a953bc-861a-348a-a59b-1e182f053030/S_2021_849_E.pdf, Zugriff 12.10.2023

UNSC - United Nations Security Council (28.9.2020): Letter dated 28 September 2020 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Final report of the Panel of Experts on Somalia [S/2020/949], https://www.ecoi.net/en/file/local/2039997/S_2020_949_E.pdf, Zugriff 14.6.2024

USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-right s-practices/somalia, Zugriff 23.4.2024

VOA/Maruf - Voice of America (Herausgeber), Harun Maruf (Autor) (16.11.2022): Somalia Fights Back Against Al-Shabab Attack on Education Sector, https://www.voanews.com/a/somalia-fight s-back-against-al-shabab-attack-on-education-sector-/6837584.html, Zugriff 14.6.2024

Minderheiten und Clans

Letzte Änderung 2025-01-16 14:12

Das westliche Verständnis der Zivilgesellschaft ist im somalischen Kontext irreführend, da kaum zwischen öffentlicher und privater Sphäre unterschieden wird. In ganz Somalia gibt es starke Traditionen sozialer Organisation außerhalb des Staates, die vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Verwandtschaftsgruppen fußen. Seit Beginn des Bürgerkriegs haben sich die sozialen Netzwerkstrukturen neu organisiert und gestärkt, um das Überleben ihrer Mitglieder zu sichern (BS 2024).

Clans [zu Clanschutz siehe auch Rechtsschutz, Justizwesen]:Der Clan ist die relevanteste so- ziopolitische und ökonomische Einheit in Somalia. Für den Somali stellt er die wichtigste Identität dar, für die es zu streiten und zu sterben gilt (NLM/Barnett 7.8.2023). Clans kämpfen für das ein- zelne Mitglied. Gleichzeitig werden alle Männer im Clan als Krieger erachtet (AQSOM 4 6.2024). Der Clan bildet aber eine volatile, vielschichtige Identität mit ständig wechselnden Allianzen (NLM/Barnett 7.8.2023). Er bestimmt das Leben des Individuums, seinen Zugang zu Sicherheit und Schutz, Ressourcen (z. B. Arbeit, Geschäfte, Land) und bildet das ultimative Sicherheitsnetz (AQSOM 4 6.2024; vgl. SPC 9.2.2022). Clanälteste dienen als Vermittler zwischen Staat und Gesellschaft. Sie werden nicht einfach aufgrund ihres Alters gewählt. Autorität und Führungs- position werden verdient, nicht vererbt. Ein Clanältester repräsentiert seine Gemeinschaft, ist ihr Interessensvertreter gegenüber dem Staat. Innerhalb der Gemeinschaft dienen sie als Frie- densstifter, Konfliktvermittler und Wächter des traditionellen Rechts (Xeer). Bei Streitigkeiten mit anderen Clans ist der Clanälteste der Verhandler (Sahan/SWT 26.10.2022).

Clanwissen: Laut Experten gibt es bis auf sehr wenige Waisenkinder in Somalia niemanden, der nicht weiß, woher er oder sie abstammt (ACCORD 31.5.2021, S. 2f/37/39f). Das Wissen um die eigene Herkunft, die eigene Genealogie, ist von überragender Bedeutung. Dieses Wissen dient zur Identifikation und zur Identifizierung (Shukri/TEL 3.5.2021). Auch junge Menschen im urbanen Umfeld kennen ihren Clan, allerdings fehlen ihnen manchmal die Details - etwa zu Clanältesten. Laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 betrifft dies tendenziell eher junge Frauen (SOMNAT/STDOK/SEM 5.2023).

Diskriminierung im Clanwesen: Diskriminierung steht in Somalia generell oft nicht mit ethni- schen Erwägungen in Zusammenhang, sondern vielmehr mit der Zugehörigkeit zu bestimmten Minderheitenclans oder Clans, die in einer bestimmten Region keine ausreichende Machtbasis und Stärke besitzen (AA 23.8.2024). Die meisten Bundesstaaten fußen auf einer fragilen Balan- ce zwischen unterschiedlichen Clans. In diesem Umfeld werden weniger mächtige Clans und Minderheiten oft vernachlässigt (BS 2024). Selbst relativ starke Clans können von einem lokalen Rivalen ausmanövriert werden, und es kommt zum Verlust der Kontrolle über eine Stadt oder eine regionale Verwaltung. Meist ist es die zweitstärkste Lineage in einem Bezirk oder einer Re- gion, welche über die Verteilung von Macht und Privilegien am unglücklichsten ist (Sahan/SWT 30.9.2022). Gleichzeitig mag auf einer Ebene innerhalb eines Clans oberflächlich betrachtet Einheit herrschen, doch wenn man näher heranzoomt, treten Konflikte zwischen den unteren Clanebenen zutage (NLM/Barnett 7.8.2023).

Ohnehin marginalisierte Gruppen werden diskriminiert und stoßen auf Schwierigkeiten, ihr Recht auf Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Prozessen wahrzunehmen (UNSOM 5.8.2023; vgl. BS 2024). Die Marginalisierung führt zu einer ungerechten und diskrimi- nierenden Verteilung der Ressourcen (UNSOM 5.8.2023) - etwa beim Zugang zu humanitärer Hilfe (AA 23.8.2024). Menschen, die keinem der großen Clans angehören, sehen sich in der Ge- sellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz (UNHCR 22.12.2021b, S. 56); und auch von Politik und Wirtschaft werden sie mitunter ausgeschlossen. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten (BS 2024). Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Insgesamt ist allerdings festzustel- len, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (UN OCHA 14.3.2022).

Recht [siehe hierzu auch Rechtsschutz, Justizwesen]: Die Übergangsverfassung und Verfas- sungen der Bundesstaaten verbieten die Diskriminierung und sehen Minderheitenrechte vor (UNHCR 22.12.2021b, S. 56). Weder Xeer (SEM 31.5.2017, S. 42) noch Polizei und Justiz be- nachteiligen Minderheiten systematisch. Faktoren wie Finanzkraft, Bildungsniveau oder zahlenmäßige Größe einer Gruppe können Minderheiten dennoch den Zugang zur Justiz erschweren (SEM 31.5.2017, S. 42; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Von Gerichten Rechtsschutz zu bekommen, ist für Angehörige von Minderheiten noch schwieriger als für andere Bevölkerungsteile (FIS 7.8.2020b, S. 21). Es kommt mitunter zu staatlicher Diskriminierung. So wurde beispielsweise in Mogadischu ein Strafprozess, bei welchem Rahanweyn und Bantu als Kläger gegen einen Poli- zeioffizier, der von einem großen Clan stammt, aufgetreten waren, vom Gericht ohne Weiteres eingestellt (Horn 6.5.2024).

Auch im Xeer sind Schutz und Verletzlichkeit einer Einzelperson eng verbunden mit der Macht ihres Clans (SEM 31.5.2017, S. 31). Weiterhin ist es für Minderheitsangehörige aber möglich, sich im Rahmen formaler Abkommen (Gashanbuur) einem anderen Clan anzuschließen bzw. sich unter Schutz zu stellen (AQSOM 4 6.2024; vgl. DI 6.2019, S. 11). Diese Resilienzmaß- nahme wurde von manchen Gruppen etwa angesichts der Hungersnot 2011 und der Dürre 2016/17 angewendet (DI 6.2019, S. 11). Aufgrund dieser Allianzen werden auch Minderheiten in das System des Xeer eingeschlossen. Wenn ein Angehöriger einer Minderheit, die mit einem großen Clan alliiert ist, einen Unfall verursacht, trägt auch der große Clan zu Mag/Diya (Kom- pensationszahlung) bei (SEM 31.5.2017, S. 33). Gemäß einer Quelle haben schwächere Clans und Minderheiten trotzdem oft Schwierigkeiten – oder es fehlt überhaupt die Möglichkeit – ihre Rechte im Xeer durchzusetzen (LIFOS 1.7.2019, S. 14).

Netzwerke abseits von Clans: Die Mitgliedschaft in islamischen Organisationen und Verbän- den gewinnt immer mehr an Bedeutung. Sie bietet eine Möglichkeit zur sozialen Organisation über Clangrenzen hinweg. Mit einer Mitgliedschaftkann eine „falsche“ Clanzugehörigkeit in ein- geschränktem Ausmaß kompensiert werden. Zumindest in bestimmten Teilen Somalias entsteht auch eine Form von Sozialkapital unter Mitgliedern der jüngeren Generation, die biografische Erfahrungen und Interessen (Bildung oder Beruf) teilen und manchmal in Jugendorganisationen organisiert sind oder sich in informellen Diskussionsgruppen und online treffen (BS 2024).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich]

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rück- kehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI- Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https://www.ecoi.net/en/file/local/ 2052555/20210531_COI-Webinar Somalia_ACCORD_Mai 2021.pdf, Zugriff 17.5.2022

AQSOM 4 - Anonymisierte Quelle Somalia 4 (6.2024): Expertengespräche

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/filea dmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024

DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/Report_Towards-an-i mproved-understanding-of-vulnerability-and-resilience-in-Somalia.pdf, Zugriff 15.12.2023

FIS - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (7.8.2020b): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020.pdf/2f51bf86-ac96-f34e-fd02-667c6ae973a0/Somalia Fact- Finding Mission to Mogadishu in March 2020.pdf?t=1602225617645, Zugriff 12.10.2023

Horn - Horn Observer (6.5.2024): Controversial Somali court decision grants immunity to perpetrator of human rights abuses, https://hornobserver.com/articles/2744/Controversial-Somali-court-decis ion-grants-immunity-to-perpetrator-of-human-rights-abuses, Zugriff 7.5.2024

LIFOS - LIFOS-Migrationsverket [Schweden] (1.7.2019): Somalia - Rätts- och säkerhetssektorn Version 1.0, https://www.ecoi.net/en/file/local/2012758/190704400.pdf, Zugriff 3.6.2024

NLM/Barnett - James Barnett (Autor), New Lines Magazine (Herausgeber) (7.8.2023): Inside the Newest Conflict in Somalia’s Long Civil War, https://newlinesmag.com/reportage/inside-the-new est-conflict-in-somalias-long-civil-war/, Zugriff 2.10.2023

ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht zu So- malia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116331/SOMA_ÖB-Bericht_2024_10.pdf, Zugriff 22.10.2024 [Login erforderlich]

Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (26.10.2022): The deaths of clan elders in the struggle against Al-Shabaab, in: The Somali Wire Issue No. 468, per e-Mail [kosten- pflichtig, Login erforderlich]

Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (30.9.2022): Winning the war of grievances, in: The Somali Wire Issue No. 458, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minder- heiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf, Zugriff 12.3.2024

Shukri/TEL - The Elephant (Herausgeber), Saeed Shukri (Autor) (3.5.2021): Unrecognized Vote: Somaliland’s Democratic Journey, https://www.theelephant.info/long-reads/2021/05/03/unrecogn ized-vote-somalilands-democratic-journey/, Zugriff 13.10.2023

SOMNAT/STDOK/SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (Herausgeber), Staatendoku- mentation des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl [Österreich] (Herausgeber), Somaliland National (Autor) (5.2023): Interview im Rahmen der FFM Somalia 2023

SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/SOM_PAU_Somalia-Protection-Analysis_Feb202 2.pdf, Zugriff 15.11.2023

UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (22.12.2021b): Citizenship and State- lessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf, Zugriff 6.10.2023

UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.3.2022): Somalia Hu- manitarian Bulletin, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA SOMALIA HUMANITARIAN BULLETIN - FEBRUARY 2022.pdf, Zugriff 12.3.2024

UNSOM - United Nations Assistance Mission in Somalia (5.8.2023): Muna Mohamed Abdi: Helping include marginalised communities in Kismayo, https://unsom.unmissions.org/muna-mohamed-a bdi-helping-include-marginalised-communities-kismayo, Zugriff 17.1.2024

Bevölkerungsstruktur

Letzte Änderung 2024-12-04 10:43

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021a). Die Landesbevölkerung ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings ist der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölke- rung demnach unklar (AA 23.8.2024). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine gemeinsame ethnische Herkunft (USDOS 22.4.2024). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UN OCHA 14.3.2022). Die UN gehen davon aus, dass ca. 30 % aller Somali Angehörige von Minderheiten sind (MBZ 6.2023). Abseits davon trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschafts- beziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irrefüh- rend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Über- leben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2024). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (Landinfo 4.4.2016).

Große Clanfamilien: Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zu- rückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, „noble“ Clanfamilien sind meist Nomaden:

Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Soma- liland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

Hawiye leben v. a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir- Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet (SEM 31.5.2017). Sie selbst erachten sich nicht als Teil der Dir (AQSOM 4 6.2024).

Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017).

Territorien: Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017).

Minderheiten: AlsMinderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethni- scher Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen „nobler“ Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017).

Quellen

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich]

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2050118/Auswärtiges_Amt,_Bericht_über_die_asyl-_und_abschieberelevante_Lage_in_der_Bundesrepublik_Somalia_(Stan d_Januar_2021),_18.04.2021.pdf, Zugriff 17.10.2024 [Login erforderlich]

AQSOM 4 - Anonymisierte Quelle Somalia 4 (6.2024): Expertengespräche

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/filea dmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024 Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (4.4.2016): Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia, https://land info.no/asset/3569/1/3569_1.pdf, Zugriff 12.3.2024

MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (6.2023): General country of origin infor- mation report on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2103761/General_COI_report_Somali a_June_2023.pdf, Zugriff 29.4.2024

SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minder- heiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf, Zugriff 12.3.2024

UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (22.12.2021a): Citizenship and State- lessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf, Zugriff 12.3.2024

UN OCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.3.2022): Somalia Hu- manitarian Bulletin, February 2022, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/OCHA SOMALIA HUMANITARIAN BULLETIN - FEBRUARY 2022.pdf, Zugriff 12.3.2024

USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-right s-practices/somalia, Zugriff 23.4.2024

Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

Berufsständische Minderheiten, aktuelle Situation

Letzte Änderung 2025-01-16 14:11

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021a). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Pro- phet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021a, S. 57; vgl. SEM 31.5.2017) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (MBZ 6.2023). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017; vgl. AQSOM 4 6.2024). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021a).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017). In Mogadischu sind Angehörige von Min- derheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (Landinfo 21.5.2019b). Ein Experte erklärt, dass Gabooye zwar nicht angegriffen werden, diese aber davor Angst haben. Minderheiten werden demnach nicht aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit angegriffen, es sei denn, dass sie bei einem Vorhaben im Weg stehen (AQSOM 4 6.2024).

Allerdings sind Angehörige berufsständischer Kasten Belästigung und Ausbeutung ausgesetzt (Sahan/SWT 1.12.2023). Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2024; vgl. AQSOM 4 6.2024). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blut- rache anzudrohen (Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017). Es kommt zu Beschimpfungen, Ausschluss von bestimmten Berufen, Einschränkungen beim Landbesitz sowie zu Diskriminierung im Bildungs- und Gesundheitssystem (AQSOM 4 6.2024). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohn- orten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wie- derum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017).

Aufgrund der oft schlechten Ausbildung treffen Gabooye außerhalb ihrer traditionellen Berufe am Arbeitsmarkt auf Schwierigkeiten (MBZ 6.2023). Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevöl- kerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017).

Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Aufgrund dieser Stigmatisierung (FH 2024a) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017; vgl. FIS 5.10.2018). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig ho- mogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. SEM 31.5.2017). Hawiye und Ra- hanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017). In Mogadischu sind Misch- ehen möglich (FIS 5.10.2018). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019a). Die Grup- pe hat Fußsoldaten, die zu Gruppen mit niedrigem Status gehören, dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von „noblen“ Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).

Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die

Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB Nairobi 10.2024). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem „noblen“ Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie nach Angaben einer Quelle aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018).

Quellen

AQSOM 4 - Anonymisierte Quelle Somalia 4 (6.2024): Expertengespräche

BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/filea dmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024

FH - Freedom House (2024a): Freedom in the World 2024 - Somaliland, https://www.ecoi.net/de/ dokument/2109065.html, Zugriff 8.7.2024

FIS - Finnische Einwanderungsbehörde [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018, https://migri.fi/documents/5202425/5914056/Somalia_- Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf/2abe79e2-baf3-0a23-97d1- f6944b6d21a7/Somalia_Fact_Finding Mission to Mogadishu and Nairobi January 2018.pdf.pdf, Zugriff 12.3.2024

ICG - International Crisis Group (27.6.2019a): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www. ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 12.3.2024

Ingiriis - M.H. Ingiriis (2020): The anthropology of Al-Shabaab: the salient factors for the insurgency movement’s recruitment project, in: Small Wars Insurgencies, Vol. 31/2, 2020, pp. 359-380, zit- iert in: EASO - European Asylum Support Office (9.2021): Somalia – Targeted Profiles, S.18, https:// www.ecoi.net/en/file/local/2060580/2021_09_EASO_COI_Report_Somalia_Targeted_profiles.pdf

Landinfo - Referat für Länderinformationen der Einwanderungsbehörde [Norwegen] (21.5.2019b): Somalia Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu, https://www.ecoi.net/en/file/local/2009629/Respo ns_Somalia_Rer_Hamar-befolkningen_i_Mogadishu_21052019.pdf, Zugriff 12.3.2024

MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (6.2023): General country of origin infor- mation report on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2103761/General_COI_report_Somali a_June_2023.pdf, Zugriff 29.4.2024

ÖB Nairobi - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (10.2024): Asylländerbericht zu So- malia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2116331/SOMA_ÖB-Bericht_2024_10.pdf, Zugriff 22.10.2024 [Login erforderlich]

Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (1.12.2023): Clans and displace- ment in Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 622, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]

SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minder- heiten, https://www.sem.admin.ch/dam/data/sem/internationales/herkunftslaender/afrika/som/SO M-clans-d.pdf, Zugriff 12.3.2024

UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (22.12.2021a): Citizenship and State- lessness in the Horn of Africa, https://www.ecoi.net/en/file/local/2065866/61c97bea4.pdf, Zugriff 12.3.2024

Wissenschaftl. Mitarbeiter GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente steht die Identität des Beschwerdeführers nicht fest. Zumal der Beschwerdeführer aber zweifellos aus dem somalischen Kulturraum stammt, kann ihm in seinen im wesentlichen gleichbleibenden Angaben zu seiner Staats-, Religions- und Clanzugehörigkeit sowie zu seiner Herkunft gefolgt werden. Dass der Beschwerdeführer in Somalia viele Jahre die Schule besuchte und als Bauarbeiter, Mechaniker und Schuhputzer arbeitete bzw. seiner Großmutter half, auf die familieneigenen Tiere aufzupassen, ergibt sich ebenfalls aus seinen glaubhaften und gleichbleibenden Angaben im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und in der mündlichen Beschwerdeverhandlung.

Zu seinen Fluchtgründen brachte der Beschwerdeführer vor, dass die Al-Shabaab versucht habe, ihn zwangszurekrutieren. Dieses Vorbringen ist jedoch nicht glaubwürdig, zumal es sehr widersprüchlich war und auch gesteigert wurde.

So brachte der Beschwerdeführer in der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes lediglich vor, dass er Somalia aus Angst vor Hunger verlassen habe, er ein Straßenkind gewesen sei und es dort kaum Arbeit gebe bzw. die Sicherheitslage schlecht sei. Weitere Gründe habe er nicht. Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl steigerte der Beschwerdeführer jedoch sein Vorbringen, indem er dort erstmals anführte, dass er Probleme mit der Al-Shabaab gehabt habe, zumal diese versucht habe, ihn zwangszurekrutieren. Warum der Beschwerdeführer die erstmals vor dem Bundesamt vorgebrachten Probleme mit der Al-Shabaab bei der Erstbefragung mit keinem Wort erwähnt hat und dort sogar darauf hingewiesen hat, dass es keine weiteren Gründe für seine Ausreise gegeben habe (AS 8), ist somit nicht nachvollziehbar. Nach Vorhalt der diesbezüglichen Steigerung seines Vorbringens im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung führte der Beschwerdeführer zwar an, dass die Einvernahme nicht sehr lange gedauert habe, er dort ausgesagt habe, woran er sich erinnern habe könne und er noch jung und sehr müde gewesen sei. Dies erklärt jedoch nicht, warum der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung zwar seine Probleme aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation bzw. die schlechte Sicherheitslage vorbringen konnte, die Probleme mit der Al-Shabaab, die ihn letztlich zur Ausreise aus Somalia bewogen haben, aber mit keinem Wort erwähnte. Folglich geht das Bundesverwaltungsgericht davon aus, dass der Beschwerdeführer in Wirklichkeit keine Probleme mit den Al Shabaab gehabt hat.

Unabhängig von der Steigerung des diesbezüglichen Vorbringens waren aber die vom Beschwerdeführer erstmals vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgebrachten Probleme mit der Al-Shabaab auch insofern nicht glaubhaft, als diese sehr widersprüchlich und nicht nachvollziehbar waren. So brachte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vor, dass er eines Abends im Jahr 2019 oder 2020 mit Freunden im Heimatdorf unterwegs gewesen sei und alle seine Freunde von der Al-Shabaab mitgenommen worden seien, um diese zu rekrutieren. Warum der Beschwerdeführer damals als Einziger nicht mitgenommen worden sei, wisse er nicht, es könnte sein, dass die Al-Shabaab gedacht habe, er sei noch zu klein. Er sei damals 14 bis 15 Jahre alt gewesen (Verhandlungsprotokoll Seite 8 und 9). Zwei Tage bis eine Woche nach diesem Vorfall seien dann aber Al-Shabaab Mitglieder zu seiner Großmutter gegangen und hätten auch den Beschwerdeführer zwangsrekrutieren wollen (Verhandlungsprotokoll Seite 9). Dies ist für das Bundesverwaltungsgericht aber keineswegs plausibel, ist doch kein nachvollziehbarer Grund im Verfahren hervorgekommen, wieso die Al-Shabaab den Beschwerdeführer zwei Tage bis eine Woche davor nicht zwangsrekrutieren hätten sollen. Zudem hat dieser vom Beschwerdeführer behauptete Besuch der Al-Shabaab bei der Großmutter des Beschwerdeführers laut seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung im Jahr 2019 oder 2020 – genaueres konnte der Beschwerdeführer auch auf ausdrückliche Nachfrage nicht angeben – stattgefunden (Verhandlungsprotokoll Seite 8). Im Widerspruch dazu gab der Beschwerdeführer jedoch vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, dass die Al-Shabaab Anfang 2021 zu seiner Großmutter nach Hause gegangen sei und den Beschwerdeführer zwangsrekrutieren hätte wollen (AS 71). In weiterer Folge führte der Beschwerdeführer aus, dass seine Großmutter im Jahr 2021 gestorben sei und er danach noch ein bis zwei Monte im Heimatort bei seinem Koranlehrer gelebt habe (Verhandlungsprotokoll S7). Eineinhalb Monate nach dem Tod der Großmutter sei die Al-Shabaab dann zu seinem Koranlehrer gekommen und hätte zu ihm gesagt, dass sie den Beschwerdeführer brauchen würden und er für die Al-Shabaab arbeiten solle. Damals sei er nicht zu Hause anwesend gewesen, sondern er habe von diesem Besuch nur von einem Mädchen gehört. Einen Tag nach dem Besuch der Al-Shabaab habe er den Heimatort verlassen und sei mit Hilfe eines Mädchens nach Mogadischu gereist (Verhandlungsprotokoll Seite 9 und 10). Im Widerspruch dazu gab der Beschwerdeführer aber vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, dass er bei seinem Koranlehrer zu Hause gewesen sei , als die Al-Shabaab zu seinem Koranlehrer gekommen sei und den Beschwerdeführer aufgefordert habe, als Bombenattentäter zu arbeiten. Dies sei im Jänner 2022 gewesen (AS 70 und 71). Dies kann jedoch nicht der Wahrheit entsprechen, zumal der Beschwerdeführer am Beginn der mündlichen Beschwerdeverhandlung ausführte, dass er seinen Heimatort Anfang 2020 verlassen habe (Verhandlungsprotokoll Seite 3). Gleich danach revidierte der Beschwerdeführer seine diesbezüglichen Angaben und führte aus, dass er seinen Heimatort Ende 2021 oder Anfang 2022 verlassen habe, wobei er auf entsprechenden Vorhalt der vorhin getätigten Angaben dann wieder ausführte, dass er sein Heimatdorf doch Ende 2020 verlassen habe (siehe Verhandlungsprotokoll Seite 3). Folglich passen dann aber die Angaben des Beschwerdeführers vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wonach er von den Al-Shabaab im Jänner 2022 bei seinem Koranlehrer aufgefordert worden sei, als Bombenattentäter für die Al-Shabaab zu arbeiten, nicht mit diesen Angaben vor dem Bundesverwaltungsgericht zusammen, war der Beschwerdeführer doch zu diesem Zeitpunkt – im Jänner 2022 – schon lange nicht mehr im Heimatort und konnte daher auch nicht von den Al-Shabaab aufgefordert worden sein, für diese als Bombenattentäter zu arbeiten.

Ein weiterer Widerspruch im Vorbringen des Beschwerdeführers findet sich darin, dass der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung ausführte, dass seine Großmutter väterlicherseits, mit der er im Heimatland zusammengelebt habe, im Jahr 2021 gestorben sei, und zwar, nachdem er den Heimatort verlassen habe (Verhandlungsprotokoll Seite 6). Im weiteren Verlauf der mündlichen Beschwerdeführer brachte der Beschwerdeführer dann aber vor, dass er nach dem Tod seiner Großmutter noch ein bis zwei Monate im Heimatort bei seinem Koranlehrer gelebt habe, bevor er diesen verlassen habe (Verhandlungsprotokoll Seite 7) und die Al-Shabaab den Beschwerdeführer eineinhalb Monate nach dem Tod der Großmutter mitnehmen hätte wollen (Verhandlungsprotokoll Seite 9).

Auch hinsichtlich des Zeitpunktes des Verlassens seines Heimatlandes verwickelte der Beschwerdeführer sich in Widersprüche, indem er vor dem Bundesamt und in der Beschwerdeverhandlung ausführte, dass er sein Heimatland im Juli 2022 verlassen habe (AS 74, Verhandlungsprotokoll Seite 3), während im Rahmen der Erstbefragung angab, dass das Mitte November 2022 gewesen sei (AS 6).

Weiters brachte der Beschwerdeführer im Verfahren vor, dass er nach seiner Flucht aus seinem Heimatort bis zu seiner Ausreise aus Somalia in Mogadischu gelebt habe. Im Rahmen der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte er diesbezüglich vor, dass er sechs Monate in Mogadischu gelebt habe (AS 72). Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht hingegen gab der Beschwerdeführer im Widerspruch dazu an, dass er nach Verlassen seines Heimatdorfes lediglich drei Monate in Mogadischu gelebt habe (siehe Verhandlungsprotoll Seite 3). Zu seinen Problemen in Mogadischu befragt, führte der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, dass er mit der Al-Shabaab dort keine Probleme dort gehabt habe (AS 72), während er in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht ausführte, dass er dort Probleme mit der Al-Shabaab gehabt habe (Verhandlungsprotokoll Seite 4 oben). Nach weiterer mehrmaliger Aufforderung, die Probleme mit der Al-Shabaab, die er in Mogadischu gehabt habe, ausführlich zu schildern, brachte der Beschwerdeführer dann aber lediglich vor, dass die Al-Shabaab seinen Freund und ihn als Soldaten rekrutieren hätten wollen und da beide dagegen gewesen seien, hätten sie den Heimatort verlassen. In diesem Zusammenhang gab der Beschwerdeführer auch an, dass die Al-Shabaab gewusst habe, dass er sich in Mogadischu aufhalte. Woher die Al-Shabaab jedoch dieses Wissen gehabt haben soll, konnte der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung nicht nachvollziehbar darlegen (siehe Verhandlungsprotokoll Seite 5).

Aber auch hinsichtlich der Organisation seiner Ausreise bzw. hinsichtlich des Aufenthaltes seiner Familie verwickelte sich der Beschwerdeführer in erhebliche Widersprüche. So gab er im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes an, dass seine Ausreise bzw. die Schleppung nach Europa seine Familie organisiert habe (AS 8), während er dazu im Widerspruch vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl angab, dass ein Mädchen namens Asha seine Ausreise organisiert habe (AS 73). Zum Aufenthalt seiner Familie brachte der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt vor, dass sich seine Mutter und seine Geschwister seit Juli 2022 in Zypern aufhalten würden (AS 73), während er dazu widersprüchlich im Rahmen der Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 16.12.2022 angab, dass er nicht wissen würde, wo sich seine Mutter aufhalte (AS 8).

Aus all diesen gravierenden Widersprüchen ergibt sich daher, dass die erstmals vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vorgebrachten Fluchtgründe – Bedrohung durch die Al-Shabaab – keinesfalls der Wahrheit entsprechen können.

Darüber hinaus brachte der Beschwerdeführer im Rahmen des Verfahrens vor, dass er aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Clan der Midgaan Diskriminierung im Heimatort erfahren habe. Auf Nachfrage gab der Beschwerdeführer lediglich an, dass man zu ihm gesagt habe, dass er ein „Boon“ bzw. „Midgaan“ sei und dies sei auch eine Diskriminierung (Verhandlungsprotokoll Seite 8). Weitere diesbezügliche Probleme schilderte der Beschwerdeführer aber in der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht. Darüber hinaus gab der Beschwerdeführer aber im Verfahren an, dass er in Somalia sieben bis acht Jahre die Schule besucht und als Mechaniker, Bauarbeiter und Schuhputzer gearbeitet habe. Dass der Beschwerdeführer somit sowohl sieben bis acht Jahre die Schule besuchen konnte bzw. auch als Mechaniker, Bauarbeiter und Schuhputzer gearbeitet hat, lässt viel eher darauf schließen, dass er keine relevante Schlechterstellung aufgrund seiner Clanzugehörigkeit erfahren hat. Es ist daher nicht davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer von der Bildung, dem Erwerbsleben oder der Gesellschaft an sich ausgeschlossen gewesen wäre.

Dass der Beschwerdeführer nicht (mehr) homosexuell ist, ergibt sich aus seinen Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, wo der Beschwerdeführer ausdrücklich angab, dass er nicht mehr homosexuell sein will, um auf Nachfrage anzugeben, dass er nicht mehr homosexuell sei (Verhandlungsprotokoll Seite 15). Dass der Beschwerdeführer aber jemals homosexuell gewesen ist und daher im Falle einer Rückkehr fürchten müsse, bestraft zu werden, sollte jemand daraufkomme, dass er homosexuell gewesen sei, ist aber auch nicht glaubhaft. So gab der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung auf die Frage, was er im Fall einer eventuellen Rückkehr nach Somalia befürchte, lediglich an, dass er Angst vor der Al-Shabaab habe, seine Familie nicht dort sei und er niemanden dort habe. Auch auf weitere Nachfrage, ob er noch etwas bei einer eventuellen Rückkehr nach Somalia befürchte, führte der Beschwerdeführer aus: „Nein, das war alles“. (Verhandlungsprotokoll Seite 10). Erst auf entsprechenden Vorhalt, dass er in der Stellungnahme vom 12.03.2025 durch seine Rechtsvertretung ergänzend vorgebracht habe, dass er auch aufgrund seiner sexuellen Orientierung nicht nach Somalia zurückkehren könnte, gab der Beschwerdeführer schließlich an, dass dies stimme. Wäre der Beschwerdeführer aber tatsächlich homosexuell (gewesen) und hätte bei einer Rückkehr nach Somalia diesbezügliche Probleme oder Verfolgung zu erwarten, so ist es für das Bundesverwaltungsgericht nicht nachvollziehbar, warum der Beschwerdeführer diese nicht gleich in der Verhandlung vorgebracht hat, sondern erst auf entsprechenden Vorhalt seiner diesbezüglichen Ausführungen in der Stellungnahme vom März 2025.

Darüber hinaus ist es auch unplausibel, warum der Beschwerdeführer seine sexuelle Orientierung erst zu so einem späteren Zeitpunkt im Verfahren, und zwar erst mit Stellungnahme vom März 2025, bekannt gegeben hat und nicht schon früher, wo er doch auf diesbezügliche Nachfrage ausdrücklich angab, dass er schon in Somalia sexuelle Kontakte gehabt habe und beim ersten Mal 10 Jahre alt gewesen sei (Verhandlungsprotokoll Seite 11). Zudem war der Beschwerdeführer bereits im Beschwerdeverfahren Anfang August 2024 von der BBU vertreten und hätte diese ihn auch aufklären können, dass er als Homosexueller in Österreich Unterstützung finden könnte, sodass auch diesbezüglich nicht nachvollziehbar ist, wieso der Beschwerdeführer seine sexuelle Orientierung erstmals im März 2025 vorgebracht hat. Darüber hinaus blieb der Beschwerdeführer aber auch zu seinen sexuellen Kontakten in Somalia und in Österreich sehr vage. So brachte der Beschwerdeführer auf diesbezügliche Nachfrage lediglich vor, dass der erste sexuelle Kontakt in Somalia freiwillig gewesen sei, „ich war damals mit Freunden von mir und wir haben gespielt und auf einmal haben wir miteinander geschlafen.“ (Verhandlungsprotokoll Seite 12 oben). Diese äußerst vagen und substanzlosen Angaben zum ersten freiwilligen sexuellen Kontakt in Somalia im Alter von nur 10 (!) Jahren sind für das Bundesverwaltungsgericht somit nicht nachvollziehbar. Zu seinen sexuellen Kontakten in Österreich befragt, gab der Beschwerdeführer in der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, dass er seit seiner Ankunft in Österreich bereits gleichgeschlechtliche Kontakte geknüpft und lose sexuelle Kontakte zu Männern geführt habe. Auf entsprechende Nachfrage war der Beschwerdeführer jedoch nicht in der Lage, die Namen dieser Männer zu nennen (Verhandlungsprotokoll Seite 14). Auch spricht gegen eine glaubhafte homosexuelle Orientierung des Beschwerdeführers, dass er noch in der Stellungnahme vom 12.03.2025 mitteilte, dass er nunmehr seit mehreren Monaten eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu einem Mann führe, aber nach Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht, den Namen und die Adresse seines jetzigen Partners mitzuteilen, damit das Bundesverwaltungsgericht diesen als Zeugen in der Beschwerdeverhandlung einvernehmen könne, mit Schreiben von Anfang April 2025 bekanntgab, dass seine Beziehung zu dem in der Stellungnahme erwähnten Mann nun doch nicht mehr aufrecht sei und dem Beschwerdeführer die aktuelle Adresse seines (mittlerweile) Ex-Partners auch nicht bekannt sei. Dazu in der Beschwerdeverhandlung weiters befragt, wollte der Beschwerdeführer dann aber auch den Namen seines Ex-Partners nicht nennen (Verhandlungsprotokoll Seite 12). Zudem führte der Beschwerdeführer diesbezüglich befragt in der Beschwerdeverhandlung aus, dass er mit diesem Mann seit ca. drei Monaten in keiner aufrechten Beziehung mehr sei, was bedeuten würde, dass der Beschwerdeführer seit ca. Mitte Februar 2025 in keiner aufrechten Beziehung mehr mit diesem Mann gewesen sein muss, obwohl er noch in der Stellungnahme vom 12.03.2025 bekanntgab, mit diesem seit mehreren Monaten eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu führen. Weiters widersprach sich der Beschwerdeführer auch in der Dauer dieser Beziehung, gab er doch im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung an, dass er mit diesem Mann ca. 1 ½ bis 2 Jahre eine Beziehung gehabt habe (Verhandlungsprotokoll Seite 13). In der Stellungnahme vom März 2025 führte er hingegen aus, dass er erst seit mehreren Monaten diese gleichgeschlechtliche Beziehung mit diesem Mann führe.

Aus all dem ergibt sich somit, dass das Bundesverwaltungsgericht den erstmals in der Stellungnahme vom März 2025 getätigten Angaben, wonach der Beschwerdeführer homosexuell (gewesen) sei, keinen Glauben schenkt, sodass auch die vom Beschwerdeführer mit Stellungnahme vom März 2025 vorgelegten „Grindr“ Chats zu keinem anderen Ergebnis des Verfahrens führen können.

2.2. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation in Somalia beruhen auf den angeführten Quellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Somalia vom 16.01.2025 (Version 7). Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend (VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Das Vorbringen des Antragstellers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit der Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 10.08.2019, Ra 2018/20/0314).

Nur unter bestimmten Voraussetzungen ist Diskriminierung mit Verfolgung gleichzusetzen. Dies wäre nur der Fall, wenn die Diskriminierungsmaßnahmen Konsequenzen mit sich brächten, welche die betroffene Person in hohem Maße benachteiligen würden, z.B. eine ernstliche Einschränkung des Rechts, ihren Lebensunterhalt zu verdienen oder des Zugangs zu den normalerweise verfügbaren Bildungseinrichtungen. In Fällen, in denen die Diskriminierungen an sich noch nicht allzu schwer wiegen, können sie trotzdem die Ursache verständlicher Furcht vor Verfolgung sein, wenn sie bei der betroffenen Person ein Gefühl der Furcht und Unsicherheit im Hinblick auf ihre Zukunft hervorrufen; ob solche Akte der Diskriminierung einer Verfolgung gleichkommen, muss unter Berücksichtigung aller Umstände entschieden werden. Das Vorbringen einer Furcht vor Verfolgung wird umso eher begründet sein, wenn eine Person bereits eine Reihe diskriminierender Akte dieser Art zu erdulden hatte und daher ein kumulatives Moment vorliegt (UNHCR Handbuch über Verfahren und Kriterien zur Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, Dezember 2003, Paragraph 54 f).

Wie beweiswürdigend dargelegt, ist das Vorbringen des Beschwerdeführers über eine versuchte Zwangsrekrutierung durch die Al Shabaab nicht glaubhaft. Ebenso wenig konnte der Beschwerdeführer eine asylrelevante Diskriminierung aufgrund seiner Minderheitenzugehörigkeit glaubhaft machen. Da der Beschwerdeführer auch seine sexuelle Orientierung nicht glaubhaft machen konnte, hat der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr nach Somalia keine diesbezügliche Verfolgung zu befürchten. Sonstige Gründe einer asylrelevanten Bedrohung sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlichen Verfolgung des Beschwerdeführers in Somalia aus Konventionsgründen.

Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.