Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28.03.2024, Zl. 1373397309-232125475, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 26.06.2025 zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Somalia, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 14.10.2023 einen Antrag auf internationalen Schutz, zu welchem er am folgenden Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurde. Er gab an, aus Jilib zu stammen und der Religionsgemeinschaft des Islam sowie der Volksgruppe der Somali anzugehören. Er habe zuletzt als Fahrradtechniker gearbeitet und verfüge weder über eine Schul-, noch eine Berufsausbildung. Seine Eltern und seine Ehefrau seien verstorben. Geschwister habe er keine. Sein Herkunftsland habe er im Jahr 2020 unter Verwendung eines von der Botschaft in Äthiopien ausgestellten somalischen Reisepasses mit dem Flugzeug in die Türkei verlassen, von wo er nach Griechenland und zwei Jahre später über weitere europäische Länder nach Österreich gelangt sei. Zu seinem Ausreisegrund nannte der Beschwerdeführer den Terror in seiner Heimat und gab dazu an, dass er Angst vor der Shabaab habe, weil sie seine Familie getötet habe. Bei einer Rückkehr in seine Heimat fürchte er um sein Leben.
2. Anlässlich seiner Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 18.03.2024 gab der Beschwerdeführer zu Protokoll, dass er aus Jilib stamme, dem Clan der Biimaal, Subclan Gadsen, Subsubclan Ibrahim, angehöre und in Jilib vier Jahre die Koranschule besucht habe. Er habe mit seinen Eltern und seiner Ehegattin vor Verlassen Jilibs zusammengelebt und am Feld gearbeitet. In Griechenland habe er gelernt, wie man Fahrräder repariere. Er sei christlich-protestantischen Glaubens und in Griechenland getauft worden. Seine Frau sei gemeinsam mit seiner Mutter von der Al Shabaab getötet worden. In Somalia würden zwei Onkel mütterlicherseits leben.
Zu seinem Ausreisegrund führte der Beschwerdeführer in freier Erzählung zusammengefasst aus, dass am 15.10.2020 kurz nach Sonnenuntergang Mitglieder der Al Shabaab zu ihnen nach Hause gekommen seien, um den Beschwerdeführer für die Beteiligung an deren Kampf gegen die Ungläubigen abzuholen und um „Zakat“ zu fordern. Seine Mutter habe ihnen das nicht erlaubt. Sein Vater sei nach draußen mitgenommen worden und kurze Zeit später zurückgekommen. Er habe gesagt, dass der Beschwerdeführer einer der zwölf Jugendlichen sei, welche mitgenommen würden. Die Männer hätten seinem Vater gesagt, dass dieser öfter in der Gesellschaft sein soll, sowie ihm aufgetragen, mit anderen Abgaben für die Al Shabaab zu sammeln. Das habe sein Vater abgelehnt. Sie hätten dem Vater gesagt, dass er nur zuhören und ihr Verlangen erfüllen müsse. Um zwei Uhr nachts habe seine Mutter seinen Onkel gebeten, den Beschwerdeführer zu seinem anderen Onkel nach Mogadischu zu bringen. Er sei dann mit seinem Onkel zu Fuß für fünf Tage nach XXXX gegangen und von dort mit dem Auto acht Stunden nach Mogadischu gefahren, wo ihn sein anderer Onkel empfangen habe. Dieser habe ihn mitgenommen und ihm am nächsten Tag gesagt, dass sein Vater bereits einen Tag nach dem Besuch von Männern der Al Shabaab getötet worden sei. Sie hätten ihn nach dem Aufenthaltsort des Beschwerdeführers gefragt, woraufhin der Vater geantwortet habe, dass er es nicht wisse und er die Abgabe bezahlen werde. Dann hätten sie ihn getötet, indem sie ihm mit einem Messer den Hals durchgeschnitten hätten. Ferner hätten sie seine Mutter mit dem Tod bedroht, falls sie den Beschwerdeführer nicht bringe. Sie habe den Onkel in Mogadischu kontaktiert und ihn gebeten, den Beschwerdeführer aus Somalia zu bringen, weil er sonst von der Al Shabaab getötet werde. Sein Onkel habe dem Beschwerdeführer mitgeteilt, dass er nicht mehr bei ihm zu Hause sein könne, weil er sich vor der Al Shabaab fürchte. Sein Sohn sei an Krebs erkrankt und könne zwei Begleitpersonen mitnehmen. Für den Beschwerdeführer müssten sie noch in Äthiopien einen Reisepass besorgen, weil er sonst Angst habe, dass die Al Shabaab das bemerke. In weiterer Folge seien sie in die Türkei gereist, wo sein Cousin am 26.10.2020 an Krebs verstorben sei.
Befragt, ob das alle Gründe seien, gab der Beschwerdeführer an, dass er jetzt Christ sei. Dazu führte er aus, dass er im Juni 2022 konvertiert und am 23.09.2022 in Griechenland getauft worden sei; Taufschein habe er keinen. Auf das Christentum aufmerksam geworden sei er, weil er „wie alle anderen Campbewohner“ außerhalb der Kirche „Peace House“ gesessen und dadurch mit dessen Mitarbeitern in Kontakt gekommen sei. Er habe sich viele Fragen bezüglich seinem Glauben gestellt. Diese Mitarbeiter hätten ihm ein Buch zu lesen gegeben, seine Fragen beantworten und ihm helfen können. Im christlichen Glauben habe er Ruhe gefunden und gelernt, Menschen gleich zu behandeln, geduldig zu sein, sowie, dass alle seine Brüder und Schwestern seien. Befragt nach einem Schlüsselereignis, wies er auf die Tötung seiner Familie durch die Al Shabaab im Namen Allahs und mangelnden Respekt gegenüber Frauen im Islam sowie einen Kurs einer Kirche hin.
3. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 wurde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und ihm gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt (Spruchpunkt III.).
4. Gegen Spruchpunkt I. dieses Bescheides erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und monierte nach Wiederholung der bisher getätigten Angaben unter Ausführung näherer Gründe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren, eine mangelhafte Beweiswürdigung sowie eine unrichtige rechtliche Beurteilung.
5. Am 26.06.2025 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche, mündliche Verhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer und seine Rechtsvertretung teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist entschuldigt nicht erschienen. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurde der Beschwerdeführer ausführlich zu seinen Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen befragt (s. Verhandlungsprotokoll).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Die Identität des Beschwerdeführers steht nicht fest. Er ist ein Staatsangehöriger von Somalia und gehört dem Clan der Biimaal, Subclan Gadsen, Subsubclan Ibrahim, an. Er stammt aus der von der Al Shabaab kontrollierten Stadt Jilib, Region Middle Juba.
Entgegen den von ihm angegebenen Ausreisegründen wollte die Al Shabaab ihn weder zwangsrekrutieren, noch hat sie seine Familie wegen der diesbezüglichen Weigerung umgebracht oder hatte seine Familie anderweitige Probleme mit der Gruppierung. Eine Zwangsrekrutierung oder eine etwaige sonstige Gefährdung durch die Al Shabaab droht ihm auch nicht bei einer Rückkehr.
Ein bereits bestehender und vollzogener innerer Entschluss, nach dem christlichen Glauben zu leben oder entsprechende religiöse Betätigungen vorzunehmen, kann in den Bezug auf den Beschwerdeführer nicht festgestellt werden. Ferner kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Somalia weiter nachkommen würde und deshalb psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.
Es besteht auch keine sonstige verfahrensrelevante, individuell gegen den Beschwerdeführer gerichtete Bedrohungslage in Somalia.
1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:
1. "Steuer"-Wesen bei al Shabaab
In den Gebieten der al Shabaab gibt es ein zentralisiertes "Steuer"-System. Die Einhebung von Abgaben erfolgt systematisch, organisiert und kontrolliert (BS 2024). Al Shabaab führt ein Register über den Besitz "ihrer" Bürger, um darauf jährlich 2,5 % Zakat zu beanspruchen (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023), den zwei Quellen als "Zwangsspende" bzw. als "Schutzgeld" betiteln (MBZ 6.2023; vgl. GITOC/Bahadur 8.12.2022). Der Zakat stellt eine der fünf Säulen des Islam dar, eine religiöse Verpflichtung, einen Prozentsatz seines Besitzes an die Armen abzugeben (UNSC 6.10.2021). Diese Abgabe betrifft nicht nur Individuen, sondern auch Betriebe (MBZ 6.2023). Al Shabaab hebt den Zakat zweimal jährlich auf die Agrarwirtschaft und einmal jährlich auf Viehwirtschaft und Wirtschaftstreibende ein. Außerdem erhält al Shabaab mit dem Infaq noch zusätzliche, freiwillige Beiträge zur Unterstützung von Kämpfern (UNSC 6.10.2021). Nach anderen Angaben handelt es sich dabei um eine Sondersteuer, die lokale Beamte al Shabaabs je nach Bedarf einheben können. Einen Teil davon erhalten Älteste, auch die Schulen der Gruppe werden so finanziert (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Zusätzlich lukriert al Shabaab aus Entführungen Lösegelder (GITOC/Bahadur 8.12.2022; vgl. UNSC 6.10.2021). Kommt es zu Finanzengpässen, erwartet sich die Gruppe von Clanältesten, Finanzierungslücken zu schließen (Gov Som 2022).
Was wird besteuert? Anders als der somalische Staat "besteuert" al Shabaab alles und jeden in Somalia (SRF 27.12.2021). Clanälteste helfen al Shabaab dabei, die Größe und die Finanzkraft ihres Clans zu bestimmen. Auf dieser Grundlage berechnet die Gruppe dann die fälligen „Steuern“ sowie die Anzahl der vom Clan zu stellenden Rekruten (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Die Haupteinnahmequelle der Gruppe ist die Besteuerung des Transits von Fahrzeugen und Gütern (UNSC 6.10.2021; vgl. UNSC 10.10.2022). Dazu unterhält die Gruppe Dutzende von Checkpoints, die mit "Steuer"-Beamten besetzt sind (GITOC/Bahadur 8.12.2022). "Besteuert" werden u. a.:
Agrarwirtschaft (dalag beeraha): auf Höfe, agrarische Produkte und Land (UNSC 6.10.2021; vgl. UNSC 10.10.2022; Gov Som 2022; BS 2024; UNSC 6.10.2021); aus Diinsoor wird berichtet, dass zurückkehrende IDPs eine Landwirtschaftsgenehmigung beantragen und bezahlen müssen, damit sie ihre eigenen Ackerflächen bewirtschaften dürfen (UNSC 10.10.2022);
Güter und Transport (badeeco): Wegzoll für alle Güter, die Höhe hängt von Art und Quantität ab (UNSC 6.10.2021; vgl. UNSC 10.10.2022; Gov Som 2022; BS 2024). Es werden sowohl der Besitzer der Güter als auch der Besitzer des Fahrzeuges besteuert (TANA/ACRC 9.3.2023);
Immobilientransaktionen bzw. -Sektor, Haussteuern (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. Gov Som 2022; TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a; HI 10.2020); in Afgooye verlangt al Shabaab z. B. von Hausbesitzern "Steuern". Für ein Steinhaus 150 US-Dollar, für ein mehrstöckiges Haus 300 US-Dollar; und für eine Wellblechhütte 100 US-Dollar (UNSC 10.10.2022). Auch in Mogadischu erhielten zwischen Mai und Juli 2022 zahlreiche Besitzer von gemauerten oder mehrstöckigen Häusern eine Zahlungsaufforderung von al Shabaab, und auch dort liegt die jährliche Abgabe zwischen 100 und 300 US-Dollar (GN 10.11.2022b);
Fahrzeuge (gadiid): Transitgebühren hängen von der Art des Fahrzeuges und von der Länge der Reise ab. Fahrzeuge müssen jedenfalls bei al Shabaab registriert sein (UNSC 6.10.2021; vgl. UNSC 10.10.2022; Gov Som 2022; BS 2024). Die Gruppe erpresst Schutzgeld auf alles, was 'segelt, rollt oder sich bewegt' (Detsch/FP 23.8.2023). Fahrzeuge, die einen Checkpoint von al Shabaab passieren, sind bei der Gruppe entweder bereits registriert oder aber sie müssen sich gegen eine Gebühr ins Register eintragen lassen (samt Fahrzeugdetails und Besitzern) (GITOC/Bahadur 8.12.2022);
Vieh (xoolo): auf den Verkauf von Vieh, v. a. Rinder, Kamele, Ziegen (UNSC 6.10.2021; vgl. UNSC 10.10.2022; Gov Som 2022; BS 2024);
Im- und Exporte (Gov Som 2022; vgl. Williams/ACSS 27.3.2023; Landinfo 8.9.2022; UNSC 6.10.2021; UNSC 10.10.2022; BS 2024); für jeden Container, der in Mogadischu anlandet, müssen Abgaben an al Shabaab entrichtet werden (Detsch/FP 23.8.2023);
Bauwesen, Bauarbeiten, Baufirmen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; vgl. Gov Som 2022; AQ21 11.2023); auf im Entstehen begriffene Bauten erhebt die Gruppe in Mogadischu ebenfalls Abgaben. Dort werden einem Bauherrn üblicherweise 25 % des Gesamtwertes des fertigen Baus in Rechnung gestellt (UNSC 10.10.2022);
Eigentum (Researcher/STDOK/SEM 4.2023);
bestimmte Dienstleistungen (HIPS 2020);
Bildungseinrichtungen: z. B. fordert al Shabaab von Privatschulen und Universitäten in der Nähe von Mogadischu laut einer Quelle monatliche Abgaben von 200-300 US-Dollar (Sahan/Caasimada 12.7.2023);
Wasser: Nutzung von Wasserstellen (UNSC 10.10.2022, Abs. 122) und Bewässerungsanlagen durch Bauern (Gov Som 2022; vgl. HI 10.2020);
NGOs: Diese müssen für Projekte 5-10 % der Projektkosten abführen - zuzüglich Gebühren. Es bestehen Möglichkeiten, ein Projekt von der Steuer ausnehmen zu lassen. Zusätzlich gibt es auch Projekte, die direkt von al Shabaab bei NGOs in Auftrag gegeben werden (z. B. Brückenbau) (AQ21 11.2023);
Remissen (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a);
Klassische Zahler von Abgaben: Nach Angaben zweier Quellen "besteuert" al Shabaab jeden größeren Gewerbetreibenden in Mogadischu. Kleinere Marktstände und Straßenhändler müssen nichts abführen bzw. sind al Shabaab weniger wichtig (BMLV 7.8.2024; vgl. HI 10.2020). Eine andere Quelle erklärt, dass auch Beamte und kleine Unternehmen Geld abführen müssen (Detsch/FP 23.8.2023). Die ganze Wirtschaft in der Hauptstadt zahlt "Steuern" an al Shabaab (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Viele Betriebe und Menschen führen weiterhin Abgaben an die Gruppe ab, weil sie nicht davon ausgehen, dass die Regierung in der Lage ist, sie vor al Shabaab zu schützen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; vgl. HI 10.2020). Ältere Quellen besagen, dass selbst das Personal internationaler Organisationen (STDOK 8.2017), Bundesbedienstete und mitunter hochrangige Angehörige der Armee Schutzgeld an al Shabaab abführen (HI 10.2020). Eine Quelle berichtet, dass auch viele Hilfsorganisationen "Steuern" an al Shabaab abzuführen scheinen. Ähnliches gilt für Hotels (Landinfo 8.9.2022).
Wo und wie Abgaben eingehoben werden: Al Shabaab erhebt Abgaben insbesondere in den eigenen Gebieten (HI 10.2020; vgl. BBC 18.1.2021). Doch auch in umstrittenen Gebieten findet sich kaum jemand, der eine Schutzgeldforderung von al Shabaab nicht befolgt (HI 10.2020); und selbst in den Gebieten, die sich nicht unter Kontrolle der Gruppe befinden, werden Gelder eingetrieben (MBZ 6.2023). Ein Teil der Einkünfte wird an einem Netzwerk an Straßensperren eingehoben. Insgesamt ist al Shabaab in der Lage, in ganz Süd-/Zentralsomalia erpresserisch Zahlungen zu erzwingen - auch in Gebieten, die nicht unter ihrer direkten Kontrolle stehen (UNSC 6.10.2021). Die Gruppe hebt in 10 von 18 somalischen Regionen Steuern ein (Williams/ACSS 27.3.2023; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Und selbst in Städten wie Mogadischu und sogar in Bossaso (Puntland) zahlen nahezu alle Wirtschaftstreibenden "Steuern" an al Shabaab; denn überall dort sind Straforgane der Gruppe aktiv (HI 10.2020; vgl. SRF 27.12.2021) bzw. wurden Schattenverwaltungen aufgebaut (BS 2024). Das Einsammeln der Gelder erfolgt üblicherweise nicht persönlich, sondern über das Mobiltelefon (Landinfo 8.9.2022). Manchmal wird die Einhebung auch an Clanälteste delegiert, diese erhalten auch ein Gehalt aus den eingehobenen Steuern (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Laut einer Quelle verrechnet al Shabaab Abgaben i.d.R. in US-Dollar (AQ21 11.2023). Bezahlt wird entweder mit Bargeld oder aber über mobile Applikationen ("mobile money"). Laut einer anderen Quelle können Abgaben auch durch Sachleistungen bzw. Naturalien gegeben werden (MBZ 6.2023).
Zahlungsmoral: Theoretisch sind Steuerforderungen nicht verhandelbar, in der Praxis ist aber ein gewisses Maß möglich - gerade weil Clanälteste bei der Steuereinhebung eine wichtige Rolle spielen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; vgl. WP 31.8.2019). Jedenfalls haben die Menschen de facto keine Wahl, sie müssen al Shabaab bezahlen (WP 31.8.2019). Wirtschaftstreibende nehmen die Macht von al Shabaab zur Kenntnis und zahlen Steuern an die Gruppe – auch weil die Regierung sie nicht vor den Folgen beschützen kann, die bei einer Zahlungsverweigerung drohen (Bryden/TEL 8.11.2021). Denn al Shabaab agiert wie ein verbrecherisches Syndikat (Weiss/FDD 11.8.2021). Die Gruppe baut auf ihre Reputation der Omnipräsenz und Einschüchterung - typisch für eine mafiöse Organisation. Der Zakat wird vom Amniyat [Nachrichtendienst von al Shabaab] durchgesetzt – und zwar durch Einschüchterung und Gewalt. Bei Zahlungsverweigerung droht die Ermordung (Williams/ACSS 27.3.2023). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass es al Shabaab in der Vergangenheit diesbezüglich teils zu weit getrieben hat. In manchen Landesteilen war die Gruppe zu gierig und brachte die Bevölkerung gegen sich auf. Al Shabaab schreckt nicht davor zurück, Menschen durch Gewalt gefügig zu machen. Menschen werden entführt, Vieh weggenommen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Teilweise flieht die Bevölkerung vor der Besteuerung (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Eine Quelle gibt an, dass al Shabaab in Folge des Aufstands der Macawiisley nun einen weniger autoritären Umgang mit den Clans pflegt und sich die Gruppe demnach den Umständen angepasst hat (Researcher/STDOK/SEM 4.2023).
Gegenmaßnahmen der Regierung: Mit einer neuen Gesetzgebung hat die Regierung Zahlungen an al Shabaab verboten; zudem gibt es entsprechende Kampagnen gegen Zahlungen an die Gruppe (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Zusätzlich droht die Regierung den Wirtschaftstreibenden, und einige von ihnen haben aufgehört, Geld an al Shabaab abführen (MBZ 6.2023; vgl. IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Die Bundesregierung bekämpft die Gruppe also auf finanzieller Ebene. Auch einige Konten von al Shabaab wurden eingefroren (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Nun versucht die Gruppe, in den Gebieten unter ihrer Kontrolle so viel wie möglich von der Bevölkerung zu erpressen (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Tatsächlich gibt es bei der finanziellen Bekämpfung von al Shabaab allerdings erhebliche Schwierigkeiten (Sahan/STDOK/SEM 4.2023).
Wirtschaftsmacht al Shabaab: Die ganze Wirtschaft ist von al Shabaab abhängig, wenn es z. B. um den Warentransport geht (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Zudem sind die tief wurzelnden Strukturen der Gruppe im Wirtschaftsbereich Mogadischus nur schwer zu beseitigen (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Nicht nur in den Gebieten unter direkter Kontrolle von al Shabaab, sondern auch anderswo fließen Überschüsse aus dem jährlich eingesammelten Zakat und aus "Steuern" häufig an Unterstützer der Gruppe, die kleine und mittlere Unternehmen betreiben (Sahan/SWT 25.8.2023). Die Rebellion von al Shabaab hat mit 20 Jahren die durchschnittliche Lebensdauer von Rebellionen überstiegen. Möglicherweise sucht die Gruppe eine neue Orientierung. Al Shabaab ist kaum mehr in der Lage, die ideologische Karte zu spielen bzw. die Idee der Schaffung eines islamischen Staates zu propagieren. Sie schafft sich also ein Wirtschaftsimperium, denn al Shabaab verfügt über entsprechende Kompetenzen. Morde gegen Bezahlung scheinen für al Shabaab zum Geschäftsmodell zu werden. Zudem hat die Gruppe in vielen Sparten investiert, Reichtümer angehäuft (Sahan/STDOK/SEM 4.2023) und betreibt einige Unternehmen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Mittlerweile erscheint die Gruppe eher als "Wagner-style mafia" (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Auch andere Quellen erklären, dass al Shabaab - v. a. außerhalb des eigenen Gebietes - wie ein Kartell bzw. wie eine Mafia agiert (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. HIPS 4.2021). Ziel ist es, aus kriminellen Aktivitäten Gewinn zu machen. Dabei dient die Religion nur als Deckmantel (FIS 7.8.2020b).
Schätzungen von Experten zufolge nimmt al Shabaab alleine an Checkpoints pro Jahr mehr als 100 Millionen US-Dollar ein (GITOC/Bahadur 8.12.2022; vgl. Williams/ACSS 27.3.2023). Laut einer anderen Schätzung kann al Shabaab jährlich bis zu 120 Millionen US-Dollar generieren (VOA 17.5.2022), laut einer weiteren Quelle sogar fast 250 Millionen US-Dollar (ÖB Nairobi 10.2024). Nach anderen Angaben geht die US-amerikanische Regierung davon aus, dass al Shabaab alleine in Mogadischu bis zu 100 Millionen US-Dollar im Jahr einbringt (Detsch/FP 23.8.2023). Gemäß Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 lukriert die Gruppe sogar rund 180 Millionen US-Dollar pro Jahr - bei Ausgaben von nur etwa 100 Millionen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Eine weitere Quelle bestätigt diese Angaben (Rollins/HIR 27.3.2023). Al Shabaab investiert einen Teil ihres Budgets in Immobilien und Klein- und Mittelbetriebe (Williams/ACSS 27.3.2023).
Hinsichtlich der Nichtzahlung von "Steuern" siehe Risiko in Zusammenhang mit Schutzgelderpressungen ("Steuern")
2. Al Shabaab - (Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten
Kindersoldaten: Al Shabaab entführt auch weiterhin Kinder, um diese zu rekrutieren (UNSC 2.2.2024; vgl. HRW 11.1.2024; BS 2024). Hauptsächlich betroffen sind hiervon die Regionen Hiiraan, Bay, Lower Shabelle, Bakool und Middle Juba (UNSC 2.2.2024). Al Shabaab führt u. a. Razzien gegen Schulen, Madrassen und Moscheen durch (USDOS 22.4.2024). Die Gruppe entführt systematisch Kinder von Minderheitengruppen (BS 2024). Nach anderen Angaben bleibt die freiwillige oder Zwangsrekrutierung von Kindern aber unüblich und hauptsächlich auf jene Gebiete beschränkt, wo al Shabaab am stärksten ist (Sahan/SWT 6.5.2022). Familien, die sich weigern, müssen mit Bußgeldern rechnen; manchmal werden sie auch mit Strafverfolgung oder Schlimmerem bedroht. Manche Familien schicken ihre Buben weg, damit sie einer Rekrutierung entgehen (Sahan/SWT 6.5.2022). Manchmal werden Clanälteste bedroht und erpresst, damit Kinder an die Gruppe abgegeben werden (USDOS 22.4.2024). Mitunter wird hierbei auch Gewalt angewendet (BS 2024). Knapp die Hälfte der Kinder wird mittels Gewalt und Entführung rekrutiert, die andere durch Überzeugung der Eltern, Ältesten oder der Kinder selbst (AA 23.8.2024). Eingesetzt werden Kinder etwa als Munitions- und Versorgungsträger, zur Spionage, als Wachen; aber auch zur Anbringung von Sprengsätzen, in Kampfhandlungen und als Selbstmordattentäter (USDOS 22.4.2024). Laut einer Quelle kann es zwar sein, dass al Shabaab auch Kinder von 8-12 Jahren aushebt; tatsächlich ist demnach der Einsatz von Kindern im Kampf aber unwahrscheinlich. Es gibt keine Bilder derart junger Kämpfer der al Shabaab unter den Gefallenen. Die Jüngsten sind mindestens 16 Jahre alt, entsprechend somalischer Tradition gelten sie damit als Männer. Die überwiegende Mehrheit der Kämpfer der Gruppe sind jedenfalls Männer über 18 Jahren (BMLV 7.8.2024).
Schulen und Lager: Viele der den Clans abgerungenen Kinder kommen zunächst in Schulen, wo sie indoktriniert und rekrutiert werden (USDOS 22.4.2024; vgl. UNSC 6.10.2021). Die Gruppe betreibt eigene Schulen mit eigenem Curriculum (VOA/Maruf 16.11.2022) und hat ein Bildungssystem geschaffen, das darauf ausgerichtet ist, Rekruten hervorzubringen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; vgl. INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; Researcher/STDOK/SEM 4.2023). Die Gruppe verbot andere islamische Schulen und hat eigene gegründet, die als „Islamische Institute“ firmieren. Diese orientieren sich an Clangrenzen, werden von Clans finanziert und stehen unter strenger Aufsicht der örtlichen Behörden der al Shabaab. Von den Clans wird erwartet, dass sie entweder Geld oder Schüler zur Verfügung stellen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). In diesen Schulen werden die Schüler weltanschaulich indoktriniert, propagiert werden die Illegitimität der Bundesregierung und die Verpflichtung zum Dschihad (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). In einem Fall wird berichtet, dass Schüler dort nach zwei Jahren ein Abschlusszeugnis erhalten haben (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). Nach der Absolvierung einer solchen Schule werden die Absolventen normalerweise in Trainingslager der al Shabaab verbracht (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023; vgl. VOA/Maruf 16.11.2022). Die besten Schüler werden einer höheren Bildung zugeführt (VOA/Maruf 16.11.2022). Nach Angaben eines Augenzeugen konnten Absolventen in seinem Fall über ihren weiteren Weg innerhalb der Organisation selbst entscheiden, etwa ob sie religiöse Studien betreiben oder in eine Teilorganisation eintreten wollten (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). In einigen Gegenden betreibt al Shabaab auch „reguläre“ Schulen. Doch auch diese agieren nach der Ideologie der Gruppe (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023).
Aus Lagern oder anderen Einrichtungen der al Shabaab können Kinder nur mit Schwierigkeit entkommen. Sie sind dort brutalem physischen und psychischen Stress ausgesetzt, die der Folter nahekommen; sie sollen gebrochen werden (Sahan/SWT 6.5.2022). Kinder werden dort einer grausamen körperlichen Ausbildung unterzogen. Sie erhalten keine adäquate Verpflegung, dafür aber eine Ausbildung an der Waffe, physische Strafen und religiöse Indoktrination. Kinder werden gezwungen, andere Kinder zu bestrafen oder zu exekutieren (USDOS 22.4.2024). Mädchen werden auf eine Ehe vorbereitet, manchmal aber auch auf Selbstmordmissionen. Armeeinheiten - wie Danaab - haben immer wieder Operationen unternommen, um Kinder aus solchen Ausbildungslagern zu befreien (Sahan/SWT 6.5.2022).
Rekrutierung über Clans: Üblicherweise rekrutiert al Shabaab über die Clans (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Clans auf dem Territorium von al Shabaab müssen in Form junger Männer Tribut an die Gruppe abführen. Die Gruppe kommt in Dörfer, wendet sich an Älteste und fordert eine bestimmte Mannzahl (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; MBZ 6.2023). Wenn al Shabaab ein Gebiet besetzt, dann verlangt es von lokalen Clanältesten die Zurverfügungstellung von bis zu mehreren Dutzend – oder sogar hundert – jungen Menschen oder Waffen (Marchal 2018, S. 105). Der Clan wird die geforderte Zahl stellen. Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 verfügt die Gruppe in den Clans über „Agenten“, welche die Auswahl der Rekruten vornehmen (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Nach anderen Angaben wendet sich al Shabaab in den Gebieten unter ihrer Kontrolle an Familien, um diese zur Herausgabe von Buben aufzufordern (Sahan/SWT 6.5.2022).
Jedenfalls treten oft Älteste als Rekrutierer auf (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vgl. AQ21 11.2023). Nach anderen Angaben sind alle Wehrfähigen bzw. militärisch Ausgebildeten innerhalb eines Bereichs auf dem von al Shabaab kontrollierten Gebiet für die Gruppe als territoriale „Dorfmiliz“ verfügbar und werden als solche auch eingesetzt, z. B. bei militärischen Operationen im Umfeld oder zur Aufklärung. Wehrfähig sind demnach auch Jugendliche mit 16 Jahren, die gemäß somalischer Tradition als erwachsen gelten (BMLV 7.8.2024).
Wo al Shabaab rekrutiert: Hauptrekrutierungsbereich von al Shabaab ist Süd-/Zentralsomalia (ÖB Nairobi 10.2024). Rekrutiert wird vorwiegend in Gebieten unter Kontrolle der Gruppe, im südlichen Kernland, in Bay und Bakool (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; BMLV 7.8.2024). Dort fällt al Shabaab dies einfacher, die Menschen haben kaum Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023). Etwa 40 % der Fußsoldaten von al Shabaab stammen aus diesen beiden Regionen (Marchal 2018, S. 107). Auch bei den Hawiye / Galja'el und Hawiye / Duduble hat die Gruppe bei der Rekrutierung große Erfolge (AQ21 11.2023). Viele Kämpfer stammen auch von den Rahanweyn. Generell finden sich bei al Shabaab Angehörige aller Clans (MBZ 6.2023). Auch viele Menschen aus von der Regierung kontrollierten Gebieten melden sich freiwillig zu al Shabaab (BMLV 7.8.2024).
Eine informierte Quelle der FFM Somalia 2023 gibt an, noch nie von Zwangsrekrutierungen an Straßensperren gehört zu haben (IO-D/STDOK/SEM 4.2023). Dahingegen wird in IDP-Lagern - etwa im Umfeld von Kismayo - sehr wohl (freiwillig) rekrutiert (MAEZA/STDOK/SEM 4.2023).
Wen al Shabaab rekrutiert: Die Mirifle (Rahanweyn) konstituieren eine relevante Quelle an Fußsoldaten (EASO 1.9.2021, S. 18). Bei den meisten Fußsoldaten, die aus Middle Shabelle stammen, handelt es sich um Angehörige von Gruppen mit niedrigem Status, z. B. Bantu, bzw. marginalisierten Gruppen (Ingiriis 2020; vgl. Sahan/SWT 30.9.2022). Viele der Rekruten haben das Bildungssystem von al Shabaab durchlaufen (BMLV 7.8.2024). Die Gruppe nutzt in den von ihr kontrollierten Gebieten zudem gegebene lokale Spannungen aus. Minderheiten wird suggeriert, dass ein Beitritt zur Gruppe sie in eine stärkere Position bringen würde. Daher treten Angehörige von Minderheiten oft freiwillig bei und müssen nicht dazu gezwungen werden (MBZ 6.2023).
Manche Mitglieder von al Shabaab rekrutieren auch in ihrem eigenen Clan (Ingiriis 2020). Von al Shabaab rekrutiert zu werden bedeutet nicht unbedingt einen Einsatz als Kämpfer. Die Gruppe braucht natürlich z. B. auch Mechaniker, Logistiker, Fahrer, Träger, Reinigungskräfte, Köche, Richter, Verwaltungs- und Gesundheitspersonal sowie Lehrer (EASO 1.9.2021, S. 18).
Warum al Shabaab beigetreten wird: Eine Rekrutierung kann viele unterschiedliche Aspekte umfassen: Geld, Clan, Ideologie, Interessen – und natürlich auch Drohungen und Gewalt (EASO 1.9.2021, S. 21; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Al Shabaab versucht, junge Männer durch Überzeugungsarbeit, ideologische und religiöse Beeinflussung und finanzielle Versprechen anzulocken. Jene, die arbeitslos, arm und ohne Aussicht sind, können - trotz fehlenden religiösen Verständnisses - auch schon durch kleine Summen motiviert werden. Für manche Kandidaten spielen auch Rachegefühle gegen Gegner von al Shabaab eine Rolle (FIS 7.8.2020a, S. 17; vgl. Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, S. 33), bei anderen ist es Abenteuerlust (Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, S. 33). Laut einer Quelle sind 52 % der Mitglieder von al Shabaab der Gruppe aus ökonomischen Gründen beigetreten, 1 % aus Abenteuerlust (ÖB Nairobi 10.2024). Nach anderen Angaben sind etwa zwei Drittel der Angehörigen von al Shabaab der Gruppe entweder aus finanziellen Gründen beigetreten, oder aber aufgrund von Kränkungen in Zusammenhang mit Clan-Diskriminierung oder in Zusammenhang mit Misshandlungen und Korruption seitens lokaler Behörden (Felbab 2020, S. 120f; vgl. Rollins/HIR 27.3.2023). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 52 % der höheren Ränge der Gruppe aus religiösen Gründen beigetreten waren, bei den Fußsoldaten waren dies nur 15 % (Botha/SIGLA 2019). Ökonomische Anreize locken insbesondere Jugendliche, die oft über kein (regelmäßiges) Einkommen verfügen (SIDRA 6.2019b, S. 4). So lange die Gruppe über Geld verfügt, verfügt sie auch über ein großes Rekrutierungspotenzial. Zudem hat sie aufgrund von xenophoben - insbesondere anti-äthiopischen - Ressentiments Zulauf an Freiwilligen (BMLV 7.8.2024).
Nur manche Menschen folgen al Shabaab aus ideologischen Gründen, die meisten tun es aus pragmatischen Gründen. Vielen geht es um Schutz - und in vielen Bezirken des Landes bleibt al Shabaab diesbezüglich die sichtbarste und praktikabelste Option (Sahan/SWT 25.8.2023). Fehlender Rechtsschutz auf Regierungsseite (FIS 7.8.2020b, S. 21) und sonstige Missstände treiben ganze Gemeinden in die Arme von al Shabaab. Sie suchen ein taktisches Bündnis – haben dabei aber keine dschihadistische Vision, sondern wollen ihre Rivalen ausstechen. Al Shabaab nimmt derartige Spannungen gerne auf und verwendet sie für eigene Zwecke (Sahan/SWT 30.9.2022; vgl. Sahan/Menkhaus 23.8.2023).
Gerade in den seit vielen Jahren von der Gruppe kontrollierten Gebieten ist die Bevölkerung im Austausch gegen Sicherheit und Stabilität eher bereit, Rekruten abzugeben (MBZ 6.2023). Und speziell Angehörige marginalisierter Gruppen treten der Gruppe mitunter bei, um sich selbst und die eigene Familie gegen Übergriffe anderer abzusichern (FIS 5.10.2018, S. 34). Manche versprechen sich durch ihre Mitgliedschaft bei al Shabaab auch die Möglichkeit, Rache an Angehörigen anderer Clans zu üben (Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, S. 14f; vgl. EASO 1.9.2021, S. 20). Auch die Aussicht auf eine Ehefrau wird als Rekrutierungswerkzeug verwendet (USDOS 22.4.2024) - so z. B. bei somalischen Bantu, wo Mischehen mit somalischen Clans oft tabu sind. Al Shabaab hat aber eben diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von starken somalischen Clans – etwa den Hawiye oder Darod – zu heiraten (Ingiriis 2020). Schlussendlich darf auch Angst vor al Shabaab als Motivation nicht vergessen werden. Demonstrationen extremer Gewalt halten viele Menschen bei der Stange (Sahan/SWT 12.6.2023).
Entlohnung bei al Shabaab: Von Deserteuren wurde der monatliche Sold für verheiratete Angehörige der Polizei und Armee von al Shabaab vor einigen Jahren mit 50 US-Dollar angegeben; Unverheiratete erhielten nur Gutscheine oder wurden in Naturalien bezahlt. Jene Angehörigen von al Shabaab, welche höherbewertete Aufgaben versehen (Kommandanten, Agenten, Sprengfallenhersteller, Logistiker und Journalisten) verdienen 200-300 US-Dollar pro Monat; allerdings erfolgen Auszahlungen nur inkonsequent (Khalil/Brown/et.al./RUSI 1.2019, S. 16). Nach neueren Angaben verdienen Fußsoldaten und niedrige Ränge 50-100 US-Dollar (UNSC 10.10.2022; vgl. ÖB Nairobi 10.2024), Finanzbedienstete 250 US-Dollar im Monat (UNSC 10.10.2022). Eine andere Quelle nennt als Einstiegssold fertig ausgebildeter Kämpfer einen Betrag von 80-100 US-Dollar, bar oder in Gutscheinen (BMLV 7.8.2024). Gemäß somalischen Regierungsangaben erhalten neue Rekruten der al Shabaab 30 US-Dollar im Monat, ein ausgebildeter Fußsoldat oder ein Fahrer 70 US-Dollar; den höchsten Sold erhält demnach mit 25.000 US-Dollar der Emir selbst (Gov Som 2022, S. 99). Ein Mann, der in Mogadischu von einem Militärgericht wegen Anschlägen für al Shabaab verurteilt worden war, hat angegeben, einen Sold von 70 US-Dollar im Monat erhalten zu haben (GN 10.7.2023). Feldforschung unter ehemaligen Mitgliedern von al Shabaab hat ergeben, dass 84 % der Fußsoldaten und 31 % der höheren Ränge überhaupt nicht bezahlt worden sind (Botha/SIGLA 2019).
Zwangsrekrutierung: Direkter Zwang wird bei einer Rekrutierung in der Praxis nur selten angewendet (BMLV 7.8.2024; vgl. AQ21 11.2023; Ingiriis 2020), jedenfalls nur eingeschränkt, in Ausnahmefällen bzw. unter spezifischen Umständen (Marchal 2018, S. 92; vgl. BMLV 7.8.2024; MBZ 6.2023). Al Shabaab agiert sehr situativ. So kommt Zwang etwa zur Anwendung, wenn die Gruppe in einem Gebiet nach einem verlustreichen Gefecht schnell die Reihen auffüllen muss (ACCORD 31.5.2021). Die meisten Menschen treten der Gruppe freiwillig bei (MBZ 6.2023). Laut Angaben von Quellen der FFM Somalia 2023 kann man allerdings auf dem Gebiet der al Shabaab eine Rekrutierungsanfrage nicht einfach verneinen. Auch wenn al Shabaab Rekruten als Freiwillige präsentiert, haben diese i.d.R. keine wirkliche Option (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Zudem erklärt eine Quelle der FFM Somalia 2023, dass al Shabaab die Forderung nach Rekruten auch als Bestrafung einsetzt, etwa gegen Gemeinden, die zuvor mit der Regierung zusammengearbeitet haben. In anderen Gebieten, wo die Gruppe versucht, Clans auf die eigene Seite zu ziehen, hat sie hingegen damit aufgehört, Kinder wegzunehmen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023).
Jedenfalls kommen Zwangsrekrutierungen vor - nicht nur bei Kindern, sondern auch bei Erwachsenen (Researcher/STDOK/SEM 4.2023; vgl. INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Bei zwei Studien aus den Jahren 2016 und 2017 haben 10-11 % der befragten ehemaligen Angehörigen von al Shabaab angegeben, von der Gruppe zwangsrekrutiert worden oder ihr aus Angst vor Repressalien beigetreten zu sein (MBZ 6.2023). Eine andere Quelle erklärt, dass 13 % der Angehörigen der Gruppe Zwangsrekrutierte sind (ÖB Nairobi 10.2024). Insgesamt handelt es sich bei Rekrutierungsversuchen oft um eine Mischung aus Druck oder Drohungen und Anreizen oder Versprechungen (FIS 7.8.2020a, S. 18; vgl. MBZ 6.2023), eine Unterscheidung zwischen "freiwillig" und "erzwungen" ist nicht immer möglich (MBZ 6.2023).
Wo Zwangsrekrutierungen vorkommen: Generell kommen Zwangsrekrutierungen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch al Shabaab (BMLV 7.8.2024; vgl. AQ21 11.2023; INGO-F/STDOK/SEM 4.2023; UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023; Researcher/STDOK/SEM 4.2023; FIS 7.8.2020, S. 17f). Überhaupt werden dort nur wenige Leute rekrutiert, und diese nicht über die Clans (AQ21 11.2023). Dort hat al Shabaab die Besteuerung im Fokus und nicht das Rekrutieren (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023) und hätte auch keine Kapazitäten dafür (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Dies gilt laut einer Quelle der FFM Somalia 2023 auch für andere städtische Gebiete wie etwa Kismayo oder Baidoa (UNOFFX/STDOK/SEM 4.2023). Laut dem Experten Marchal rekrutiert al Shabaab zwar in Mogadischu; dort werden aber Menschen angesprochen, die z. B. ihre Unzufriedenheit oder ihre Wut über AMISOM bzw. ATMIS oder die Regierung äußern (EASO 1.9.2021, S. 21).
Verweigerung einer Rekrutierung: Üblicherweise richtet al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Diese "Vorschreibung" - also wie viele Rekruten ein Dorf, ein Gebiet oder ein Clan stellen muss - erfolgt üblicherweise jährlich, und zwar im Zuge der Vorschreibung anderer jährlicher Abgaben. Die meisten Rekruten werden über Clans rekrutiert. Es wird also mit den Ältesten über neue Rekruten verhandelt. Dabei wird mitunter auch Druck ausgeübt. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer, denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan (BMLV 7.8.2024). So kann es dann z. B. zur Entführung oder Ermordung unkooperativer Ältester kommen (MBZ 6.2023). Damit al Shabaab die Verweigerung akzeptiert, muss eine Form der Kompensation getätigt werden. Entweder der Clan oder das Individuum zahlt, oder aber die Nicht-Zahlung wird durch Rekruten kompensiert. So gibt es also für Betroffene manchmal die Möglichkeit des Freikaufs (BMLV 7.8.2024; vgl. MBZ 6.2023). Eltern versuchen, durch Geldzahlungen die Rekrutierung ihrer Kinder zu verhindern (UNSC 10.10.2022). Diese Wahlmöglichkeit ist freilich nicht immer gegeben. In den Städten liegt der Fokus von al Shabaab eher auf dem Eintreiben von Steuern, in ländlichen Gebieten auf der Aushebung von Rekruten (BMLV 7.8.2024). Generell haben größere Clans aufgrund gegebener Ressourcen eher die Möglichkeit, sich von Rekrutierungen freizukaufen, als dies bei Minderheiten der Fall ist (MBZ 6.2023). Insgesamt besteht offenbar Raum für Verhandlungen. Wenn die Gruppe beispielsweise eine bestimmte Anzahl von Schülern für ihre Schulen verlangt, kann ein Clan entweder Kinder zum Besuch dieser Schulen schicken oder für eine bestimmte Anzahl von Schülern anderer Clans bezahlen (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023).
Eine andere Möglichkeit besteht in der Flucht (MBZ 6.2023). Eltern schicken ihre Kinder mitunter in von der Regierung kontrollierte Gebiete – meist zu Verwandten (UNSC 10.10.2022). Junge Männer flüchten mitunter nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)rekrutierung zu entziehen (BMLV 7.8.2024). Andererseits berichtet ein Augenzeuge, dass jene Jugendlichen, die nach Absolvierung einer Schule der al Shabaab vor einer möglichen Zwangsrekrutierung nach Mogadischu geflohen sind, bald wieder in die Heimat zurückkehrten, weil ihre Eltern bestraft worden sind (TRN/Khalil/Abdi Y./Glazzard/Nor/Zeuthen 12.2023a). In anderen Fällen sind gleich ganze Familien vor einer Rekrutierung der Kinder geflohen, viele endeten als IDPs (INGO-C/STDOK/SEM 4.2023; vgl. IO-D/STDOK/SEM 4.2023).
Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht. Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat (BMLV 7.8.2024). Eine andere Quelle erklärt, dass, wer sich generell Rekrutierungen widersetzt, bedroht oder in Haft gesetzt wird (Mubarak/Jackson A./ODI 8.2023). Ein Experte erklärt, dass eine einfache Person, die sich erfolgreich der Rekrutierung durch al Shabaab entzogen hat, nicht dauerhaft und über weite Strecken hin verfolgt wird (ACCORD 31.5.2021, S. 40). Stellt allerdings eine ganze Gemeinde den Rekrutierungsambitionen von al Shabaab Widerstand entgegen, kommt es meist zu Gewalt (BMLV 7.8.2024; vgl. UNSC 28.9.2020, Annex 7.2).
Quellen
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UNSC - United Nations Security Council (28.9.2020): Letter dated 28 September 2020 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council; Final report of the Panel of Experts on Somalia [S/2020/949], https://www.ecoi.net/en/file/local/2039997/S_2020_949_E.pdf, Zugriff 14.6.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (22.4.2024): 2023 Country Report on Human Rights Practices - Somalia, https://www.state.gov/reports/2023-country-reports-on-human-rights-practices/somalia, Zugriff 23.4.2024
VOA/Maruf - Voice of America (Herausgeber), Harun Maruf (Autor) (16.11.2022): Somalia Fights Back Against Al-Shabab Attack on Education Sector, https://www.voanews.com/a/somalia-fights-back-against-al-shabab-attack-on-education-sector-/6837584.html, Zugriff 14.6.2024
3. Religionsfreiheit
Die somalische Bevölkerung bekennt sich zu über 99 % zum sunnitischen Islam (AA 23.8.2024). Nur eine sehr kleine Minderheit hängt tatsächlich einer anderen Religion oder islamischen Richtung an (USDOS 30.6.2024; vgl. FH 2024b; AA 23.8.2024). Die auf tausend Mitglieder geschätzte (USDOS 30.6.2024) christliche Minderheit praktizieren ihren Glauben nicht in der Öffentlichkeit und versucht, nicht aufzufallen (FH 2024b; vgl. USDOS 30.6.2024).
Somalis folgten traditionell der Shafi’i-Schule des islamischen Rechts, geführt von mehreren dominanten Sufi-Orden bzw. Sekten (turuuq) (Bryden/TEL 8.11.2021). Der Sufismus hat sich in Ostafrika in den vergangenen 200 Jahren ausgebreitet und in Somalia eigene Formen angenommen (AQSOM 2 7.2022). Seit 20 Jahren macht sich allerdings der Einfluss des Wahhabismus bemerkbar. Damit geht einher, dass die Auslegung und Praktizierung des Islam je nach Region zunehmend konservative Züge annimmt und infolgedessen die Freiheit der Weltanschauung eingeschränkt sowie progressive Gesetzgebung verhindert wird (AA 23.8.2024). Dieser Trend hin zu einer konservativeren, "puristischen" Auslegung des Islam gilt sowohl für Somalia als auch für Somaliland. Religiöse Normen beeinflussen zunehmend Politik, Wirtschaft und Gesellschaft (BS 2024). Andererseits schätzen viele Somali trotz des aggressiven Vordringens des importierten Salafismus’ nach wie vor ihren Sufi-Glauben und ihre Sufi-Bräuche (Bryden/TEL 8.11.2021). Als Sufi-Hochburgen gelten Galgaduud und Hiiraan (Sahan/SWT 14.10.2022). Salafisten, al Quaida und al Shabaab verabscheuen hingegen die Sufi-Interpretation des Islam (AQSOM 2 7.2022).
Unabhängig von staatlichen Bestimmungen und insbesondere jenseits der Bereiche, in denen die staatlichen Stellen effektive Staatsgewalt ausüben können, sind islamische und lokale Traditionen und islamisches Gewohnheitsrecht weit verbreitet (AA 23.8.2024). Es herrscht ein starker sozialer Druck, den Traditionen des sunnitischen Islam zu folgen. Eine Konversion zu einer anderen Religion bleibt verboten, gilt als sozial inakzeptabel und als Verrat an Clan und Familie (USDOS 30.6.2024; vgl. FH 2024b). Jene, die unter dem Verdacht stehen, konvertiert zu sein, sowie deren Familien müssen mit Belästigungen seitens ihrer Umgebung rechnen (USDOS 30.6.2024). Sowohl Konversion als auch Apostasie und Aussagen, die als Blasphemie erachtet werden könnten, können zu Diskriminierung und Drangsalierung (MBZ 6.2023) und auch zu einer Verhaftung führen (USDOS 30.6.2024). Eine offen nicht-muslimische Lebensweise ist wegen sozialen Drucks nicht möglich und kann insbesondere zu einem praktischen Ausschluss aus dem Clansystem und der Familie führen, was schwerwiegende soziale Konsequenzen hat (AA 23.8.2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich]
AQSOM 2 - Anonymisierte Quelle Somalia 2 (7.2022): Bei der Quelle handelt es sich um einen analytischen Newsletter
Bryden/TEL - The Elephant (Herausgeber), Matt Bryden (Autor) (8.11.2021): Fake Fight: The Quiet Jihadist Takeover of Somalia, https://www.theelephant.info/long-reads/2021/11/08/fake-fight-the-quiet-jihadist-takeover-of-somalia/#.YYjpCzdaMR4.twitter, Zugriff 9.11.2023
BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024
FH - Freedom House (2024b): Freedom in the World 2024 - Somalia, https://freedomhouse.org/country/somalia/freedom-world/2024, Zugriff 8.7.2024
MBZ - Außenministerium der Niederlande [Niederlande] (6.2023): General country of origin information report on Somalia, https://www.ecoi.net/en/file/local/2103761/General_COI_report_Somalia_June_2023.pdf, Zugriff 29.4.2024
Sahan/SWT - Somali Wire Team (Autor), Sahan (Herausgeber) (14.10.2022): Hassan Sheikh and the politics of mawlid in Somalia, in: The Somali Wire Issue No. 463, per e-Mail [kostenpflichtig, Login erforderlich]
USDOS - United States Department of State [USA] (30.6.2024): 2023 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2111587.html, Zugriff 9.7.2024
4. Religionsfreiheit in Gebieten von al Shabaab
In den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab sind Politik und Verwaltung von religiösen Dogmen geprägt (BS 2024). Dort ist die Praktizierung eines moderaten Islams sowie anderer Religionen untersagt. Bei öffentlicher Ausübung drohen drastische Strafen (AA 23.8.2024). Al Shabaab setzt in den von ihr kontrollierten Gebieten gewaltsam die eigene harsche Interpretation des Islam und der Scharia durch (FH 2024b; vgl. USDOS 30.6.2024). Die Gruppe drangsaliert, verletzt oder tötet Menschen aus unterschiedlichen Gründen, u. a. dann, wenn sich diese nicht an die Edikte der Gruppe halten. Eltern, Lehrer und Gemeinden, welche sich nicht an die Vorschriften von al Shabaab halten, werden bedroht (USDOS 30.6.2024). Menschen werden von der Polizei der al Shabaab (Hisba) zum Pflichtgebet in die Moscheen beordert (TRN/Heide-Ottosen/Abdi Y./Nor/Khalil/Zeuthen 2022). Die Gruppe verbietet in ihrem Gebiet generell "un-islamisches Verhalten" - Kinos, Fernsehen, Musik, Internet, das Zusehen bei Sportübertragungen, der Verkauf von Khat, Rauchen und weiteres mehr. Es gilt das Gebot der Vollverschleierung (USDOS 30.6.2024; vgl. TRN/Heide-Ottosen/Abdi Y./Nor/Khalil/Zeuthen 2022; CFR 6.12.2022a). Allerdings scheint al Shabaab bei der Durchsetzung derartiger Normen pragmatisch zu sein (ICG 27.6.2019a, S. 7) bzw. erfolgt diese nicht einheitlich (TRN/Heide-Ottosen/Abdi Y./Nor/Khalil/Zeuthen 2022).
Al Shabaab droht damit, jeden Konvertiten zu exekutieren (USDOS 30.6.2024). Auf Apostasie steht die Todesstrafe (FH 2024b). Kritik am Islam und selbstverständlich auch Blasphemie können zur Exekution führen (HumInt 28.8.2020). Am 5.8.2021 wurde ein 83-Jähriger in der Nähe der Stadt Ceel Buur (Galmudug) von al Shabaab durch ein Erschießungskommando hingerichtet. Dem urteilenden Gericht zufolge hatte der Mann gestanden, den Propheten beleidigt zu haben (BAMF 9.8.2021; vgl. USDOS 12.4.2022). Gegner denunziert al Shabaab öffentlich als Ungläubige (BS 2024).
Quellen
AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (23.8.2024): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia, https://milo.bamf.de/otcs/cs.exe/app/nodes/30275841, Zugriff 4.9.2024 [Login erforderlich]
BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (9.8.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw32-2021.pdf?__blob=publicationFile v=2, Zugriff 18.6.2024
BS - Bertelsmann Stiftung (2024): BTI 2024 Country Report - Somalia, https://bti-project.org/fileadmin/api/content/en/downloads/reports/country_report_2024_SOM.pdf, Zugriff 18.3.2024
CFR - Council on Foreign Relations (6.12.2022a): Backgrounder – Al-Shabab, https://www.cfr.org/backgrounder/al-shabab, Zugriff 18.6.2024
FH - Freedom House (2024b): Freedom in the World 2024 - Somalia, https://freedomhouse.org/country/somalia/freedom-world/2024, Zugriff 8.7.2024
HumInt - Humanists International (28.8.2020): Freedom of Thought Report - Somalia, https://fot.humanists.international/countries/africa-eastern-africa/somalia, Zugriff 4.11.2024
ICG - International Crisis Group (27.6.2019a): Women and Al-Shabaab’s Insurgency, https://www.ecoi.net/en/file/local/2011897/b145-women-and-al-shabaab_0.pdf, Zugriff 12.3.2024
TRN/Heide-Ottosen/Abdi Y./Nor/Khalil/Zeuthen - Sif Heide-Ottosen (Autor), James Khalil (Autor), Yahye Abdi (Autor), Abdullahi Ahmed Nor (Autor), Martine Zeuthen (Autor), The Resolve Network (Herausgeber) (2022): Journeys through Extremism: The Experiences of Former Members of Al-Shabaab, https://resolvenet.org/system/files/2023-09/RSVE_RR_CBAGS_JourneysAlShabaab_Heide-Ottosenetal_Sept2022_UpdatedAug2023.pdf, Zugriff 29.1.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (30.6.2024): 2023 Report on International Religious Freedom - Somalia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2111587.html, Zugriff 9.7.2024
USDOS - United States Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices: Somalia, https://www.ecoi.net/de/dokument/2071126.html, Zugriff 4.10.2023
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Mangels Vorlage unbedenklicher Dokumente steht die Identität des Beschwerdeführers nicht fest. Zumal der Beschwerdeführer aber zweifellos aus dem somalischen Kulturraum stammt, kann ihm in seinen im Wesentlichen gleichbleibenden Angaben zu seiner Staats- und Clanzugehörigkeit sowie auch zu seiner örtlichen Herkunft gefolgt werden.
Zu seinem Ausreisegrund führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass die Al Shabaab ihn habe rekrutieren wollen. Seine Eltern hätten dies aber abgelehnt, weshalb er seine Heimat verlassen habe und die Gruppierung zunächst seinen Vater sowie in weiterer Folge auch seine Mutter und seine Ehefrau umgebracht habe.
Zwar konnte der Beschwerdeführer in der Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 18.03.2024 in seiner freien Erzählung des Fluchtgrundes noch dessen zentrale Elemente zusammenhängend schildern, in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 26.06.2025 erklärte er dazu aber bloß vollkommen allgemein, dass er Somalia aus Sicherheitsgründen und wegen Diskriminierung verlassen habe (Verhandlungsprotokoll S. 5). Selbst auf die Nachfrage, warum er sich nicht sicher gefühlt habe, erklärte er nur knapp, dass ihn die Al Shabaab zur Beteiligung an Kampfhandlungen aufgefordert habe und er dagegen gewesen sei; sie hätten seine Eltern umgebracht und er solle zwecks Zusammenarbeit zurückkommen (Verhandlungsprotokoll S. 6).
Ebenso blieb seine Schilderung über das von ihm mitgehörte Gespräch zwischen seinen Eltern und der Al Shabaab überaus oberflächlich. Demnach habe sein Vater erklärt, dass er das – ebenfalls von den Terroristen als Abgabe geforderte – Geld zahlen könne, aber keine Zusammenarbeit des Beschwerdeführers mit ihnen wolle. Zudem erwähnte der Beschwerdeführer erstmals im Verfahren das Angebot seines Vaters, ihnen das Feld zu überlassen (Verhandlungsprotokoll S. 7). Weitere noch vor dem Bundesamt angeführte Inhalte, wie etwa die von seinem Vater verlangte Beteiligung an der Abgabeneinhebung der Gruppierung (AS 73 und 83), ließ er vollkommen unerwähnt.
Seine näheren Schilderungen dazu wichen bereits in seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl gravierend voneinander ab. Wie im angefochtenen Bescheid aufgezeigt, divergieren seine Angaben nicht nur beispielsweise zum Ort der ersten Rekrutierungsaufforderung (AS 73 und 83), sondern auch zu den Wahrnehmungen des Beschwerdeführers über das damalige Gespräch zwischen seinem Vater und den Terroristen (AS 73 und 83) massiv. Aber auch seine Ausführungen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht stimmen mit keiner der vor dem Bundesamt präsentierten Versionen überein. So seien bei dem Vorfall – nach seiner damals insofern gleichbleibenden Darstellung – neben der Al Shabaab noch der Beschwerdeführer und seine Eltern anwesend gewesen. Seine Frau kam in der ersten Variante nicht vor und habe sich laut seiner späteren Angabe, wonach das Zusammentreffen auf einem Feld stattgefunden habe, zuhause befunden (AS 81 und 83). Demgegenüber sei nach seiner Darstellung vor dem Bundesverwaltungsgericht seine Frau auch auf der Landwirtschaft anwesend gewesen (Verhandlungsprotokoll S. 6). Ferner erklärte er, dass sein Vater nichts zur Forderung der Al Shabaab gesagt habe (Verhandlungsprotokoll S. 6). Später behauptete er wiederum, dass sein Vater damals schon mitgeteilt habe, dass er keine Zusammenarbeit des Beschwerdeführers mit der Al Shabaab wolle (Verhandlungsprotokoll S. 7). Vor dem Bundesamt meinte er aber noch an einer Stelle, dass sein Vater schließlich zugestimmt habe, dass der Beschwerdeführer zur Al Shabaab komme (AS 82).
Ferner fällt eine erhebliche Diskrepanz in seinen Erklärungen zum Verlassen des Heimatortes auf. Dazu beschrieb er vor der erkennenden Richterin, dass er sich noch am selben Abend um 20:00/20:30 Uhr auf den Weg nach Mogadischu begeben habe (Verhandlungsprotokoll S. 8). Dies kann zwar mit seiner späteren Behauptung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, wonach der Beschwerdeführer nach dem Abendessen heimlich von zu Hause weggegangen sei (AS 83), in Einklang gebracht werden. Allerdings schilderte der Beschwerdeführer zuvor in freier Erzählung seines Fluchtgrundes, dass seine Mutter um zwei Uhr nachts seinen Onkel gebeten habe, den Beschwerdeführer zu seinem anderen Onkel nach Mogadischu zu bringen, woraufhin sie losgegangen seien (AS 73 f). Demzufolge habe der Beschwerdeführer aber erst Mitten in der Nacht seine Reise angetreten.
Darüber hinaus verstrickte sich der Beschwerdeführer im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in weitere augenscheinliche Widersprüche:
So erzählte er etwa, dass die Al Shabaab am Tag nach seiner Flucht aus dem Heimatort seinen Vater nach dem Beschwerdeführer gefragt habe und diese gemeinsam auf die Landwirtschaft gegangen seien, um ihn zu suchen. Dort hätten sie zu seinem Vater gesagt, ob dieser sie verspotten wolle sowie „Wo ist er hingegagen? In die Regierung oder wohin?“. Seine Mutter sei später auf die Landwirtschaft gegangen, wo sie die Leiche des Vaters vorgefunden habe (Verhandlungsprotokoll S. 8). Befragt, woher er den Gesprächsinhalt so genau kenne, verwies er nur darauf, dass seine Mutter das gehört habe, bevor die Männer weggegangen seien. Zumal das Feld laut Angaben des Beschwerdeführers etwa 30 Minuten Fußweg von deren Haus entfernt liegt (Verhandlungsprotokoll S. 8), ist aber keinesfalls nachvollziehbar, woher seine Mutter von der dort geführten Unterhaltung Kenntnis haben sollte. Im Übrigen hat auch niemand gesehen, dass sein Vater getötet worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 8).
Zudem behauptete der Beschwerdeführer zu Beginn der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht etwa in erheblicher Steigerung seiner bisherigen Darstellung, dass er während seines Aufenthalts in Mogadischu einmal von einem Mitglied der Al Shabaab telefonisch aufgefordert worden sei, in seine Heimatstadt zu kommen (Verhandlungsprotokoll S. 3). In seiner Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erklärte er jedoch noch zu diesem Zeitraum, dass er persönlich nicht mehr in Kontakt mit der Al Shabaab gestanden sei, aber diese seine Mutter bedroht hätten, dass sie ihn finden und töten würden (AS 86). Ferner vermochte der Beschwerdeführer auf Nachfrage der erkennenden Richterin weder zu erklären, woher die Al Shabaab seine Telefonnummer kenne, noch woher sie über seinen Aufenthalt in Mogadischu Bescheid wisse (Verhandlungsprotokoll S. 3). Seine Erzählung des Telefonats beschränkte sich außerdem entgegen dem Ersuchen der erkennenden Richterin zur ausführlichen Schilderung neben der – bereits zuvor wiederholt erwähnten – Aufforderung zur Rückkehr nach Jilib auf die vorangegangene Vorstellung des Anrufers als Mitglied der Al Shabaab und die Ablehnung des Beschwerdeführers. Erst befragt, warum er dorthin kommen solle, gab der Beschwerdeführer an, dass er für sie kämpfen solle (Verhandlungsprotokoll S. 4). Zumal eine etwaige Rekrutierung des Beschwerdeführers bis dahin noch kein Thema in der mündlichen Verhandlung war, wäre vom Beschwerdeführer zu erwarten gewesen, dass er diesen wesentlichen Umstand von sich aus angesprochen hätte. Insbesondere kann aber seine weitere Erklärung in diesem Zusammenhang, wonach er erst danach am Telefon erfahren habe, dass sein Vater umgebracht worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 4), nicht mit seinen sonstigen zeitlichen Angaben in dem Kontext vereinbart werden. Einerseits sei er bei diesem Telefonat schon knapp einen Monat in Mogadischu gewesen (Verhandlungsprotokoll S. 4). Andererseits habe ihm sein Onkel – seiner wiederholten Angabe vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zufolge – aber schon am Tag nach seiner Ankunft in der Hauptstadt vom Tod seines Vaters berichtet (AS 74 und 83).
Der Beschwerdeführer vermochte auch keinen stichhaltigen Grund zu nennen, warum die Al Shabaab ihn nicht gleich mitgenommen habe, sondern verwies nur auf den Umstand, dass diese „so viele Jugendliche“ hätten mitnehmen wollen und daher am nächsten Tag wieder gekommen wären, um so viele wie möglich auf einmal mitzunehmen (Verhandlungsprotokoll S. 7). Seine Darstellung entspricht insofern nicht der allgemeinen Lebenserfahrung, als damit nicht nur jede Familie zwei Mal aufgesucht werden müsste, sondern auch etwaigen Rekrutierungsverweigerern die Möglichkeit zur Flucht geboten würde. Ein nachvollziehbarer Vorteil bei dieser Vorgehensweise ist nicht erkennbar.
Zusätzlich zu diesen massiven Ungereimtheiten erweist sich eine von der Al Shabaab beabsichtigte Rekrutierung konkret der Person des Beschwerdeführers sowie die Tötung seiner Familie aufgrund seiner Ausreise vor dem Hintergrund der vorliegenden Berichtslage zu Somalia als äußerst unwahrscheinlich. Nach der Länderinformation der Staatendokumentation Somalia vom 16.01.2025 (Version 7) richtet die Al Shabaab ein Rekrutierungsgesuch üblicherweise an einen Clan oder an ganze Gemeinden und nicht an Einzelpersonen. Kommt es bei diesem Prozess zu Problemen, dann bedeutet das nicht notwendigerweise ein Problem für den einzelnen Verweigerer, denn die Konsequenzen einer Rekrutierungsverweigerung trägt üblicherweise der Clan. Außerdem wird direkter Zwang bei einer Rekrutierung in der Praxis nur selten angewendet, jedenfalls nur eingeschränkt, in Ausnahmefällen bzw. unter spezifischen Umständen. Al Shabaab agiert sehr situativ. So kommt Zwang etwa zur Anwendung, wenn die Gruppe in einem Gebiet nach einem verlustreichen Gefecht schnell die Reihen auffüllen muss. Die meisten Menschen treten der Gruppe freiwillig bei. Al Shabaab versucht, junge Männer durch Überzeugungsarbeit, ideologische und religiöse Beeinflussung und finanzielle Versprechen anzulocken. Theoretisch besteht die Möglichkeit, dass einem Verweigerer bei fehlender Kompensationszahlung die Exekution droht. Insgesamt finden sich allerdings keine Beispiele dafür, wo die Al Shabaab einen Rekrutierungsverweigerer exekutiert hat. Da die Al Shabaab entsprechend seiner Erklärung vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl insgesamt zwölf Jugendliche rekrutieren wollte (AS 73 und 83), kann nicht angenommen werden, dass ein besonders großer Bedarf an neuen Kämpfern bestand. Abgesehen davon ist aber nicht ersichtlich, weshalb diese konkret am Beschwerdeführer interessiert gewesen sein sollten. Eine von der Al Shabaab beabsichtigte Zwangsrekrutierung des Beschwerdeführers ist damit im Ergebnis nicht glaubhaft.
Des Weiteren gab der Beschwerdeführer vor der erkennenden Richterin erstmals an, dass die Al Shabaab im März 2021 die Landwirtschaft der Familie weggenommen habe. In der Folge hätten seine Frau und seine Mutter nicht mehr dorthin kommen dürfen (Verhandlungsprotokoll S. 9). Diese Schilderung vermag schon insofern nicht zu überzeugen, als er befragt zur Sicherung des Lebensunterhaltes durch seine Frau und seine Familie einräumen musste, dass diese ein kleines Grundstück ihrer Landwirtschaft hätten behalten dürfen (Verhandlungsprotokoll S. 9). Die Rückkehr zu ihrem Feld kann seiner Familie damit jedoch nicht untersagt worden sein. Abgesehen davon ist nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer diese Wegnahme der Landwirtschaft nicht schon vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erwähnte.
Im Übrigen behauptete der Beschwerdeführer vor dem Bundesverwaltungsgericht, dass er nur einen in Mogadischu lebenden Onkel mütterlicherseits habe (Verhandlungsprotokoll S. 5). Hinsichtlich sonstiger Familienangehöriger führte er – neben seinen Eltern und seiner Ehefrau – bloß einen weitschichtigen Verwandten seiner Mutter in seiner Heimatstadt an (Verhandlungsprotokoll S. 10). Vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erklärte er aber noch, zwei Onkel mütterlicherseits in den Städten Jilib und Mogadischu zu haben (AS 71), welche ihn beide im Zuge seiner Flucht unterstützt hätten (AS 73 f und 83). Aber auch den Kontaktabbruch mit dem in Mogadischu lebenden Onkel gab der Beschwerdeführer nicht einheitlich wieder. Vor dem Bundesamt gab er dazu noch an, bis April 2023 mit ihm in Kontakt gestanden zu sein, aber ihn danach nicht mehr kontaktiert zu haben, um ihm Probleme zu ersparen. Sein Handy sei vom Wasser beschädigt worden und danach habe er nicht mehr den Onkel angerufen (AS 72). Gegenüber der erkennenden Richterin behauptete er allerdings in grober Abweichung davon, dass der letzte Kontakt schon im Jahr 2022 stattgefunden habe, als der Onkel ihm vom Tod seiner Mutter und Ehefrau erzählt habe (Verhandlungsprotokoll S. 5). Da diese seinen übrigen Erzählungen zufolge im Mai 2022 (Verhandlungsprotokoll S. 5) umgebracht worden seien, können somit weder der Monat noch das Jahr mit seiner vorangegangenen Antwort in Einklang gebracht werden. Daher kann nicht angenommen werden, dass sein Kontakt zu seinem Onkel abgebrochen worden sei.
In Bezug auf die ebenfalls von seiner Familie geforderte Abgabenleistung fällt ferner auf, dass der Beschwerdeführer auf die Frage nach deren Höhe vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl nur ausweichend auf schwankende Beträge je nach Intensität der Probleme mit der Regierung hinwies, aber keine nähere größenmäßige Einordnung nannte (AS 85). Gegenüber der erkennenden Richterin erklärte er dazu allerdings, dass bei dem fluchtkausalen Vorfall 1.000 US-Dollar verlangt worden seien. Insbesondere in Anbetracht seiner weiteren Angabe, dass sein Vater sonst bloß eine wesentlich geringere Summe zwischen 30 und 50 US-Dollar der Al Shabaab bezahlt habe (Verhandlungsprotokoll S. 7), wäre zu erwarten gewesen, dass der Beschwerdeführer auf die plötzlich um ein Vielfaches höhere Abgabenforderung zumindest ansatzweise Bezug genommen hätte. Der Beschwerdeführer vermochte auch nicht darzulegen, weshalb die Al Shabaab zuletzt erheblich mehr verlangt habe und mutmaßte nur vage, dass sich diese möglicherweise in einem Kriegszustand befunden habe (Verhandlungsprotokoll S. 8). Seine diesbezüglichen Angaben sind aber insbesondere auch vor dem Hintergrund der sich aus der vorliegenden Länderinformation vom 16.01.2025 ergebenden Berichtslage zu Somalia nicht plausibel. Da die Al Shabaab demnach ein Register über den Besitz "ihrer" Bürger führt, um darauf jährlich 2,5 % Zakat zu beanspruchen, scheint es nahezu ausgeschlossen, dass die Al Shabaab derart variierende Beträge von der Familie des Beschwerdeführers begehrt habe. Im Übrigen hebt die Al Shabaab der Berichtslage zufolge den Zakat zweimal jährlich auf die Agrarwirtschaft und einmal jährlich auf Viehwirtschaft und Wirtschaftstreibende ein. Der Beschwerdeführer erklärte jedoch, dass die Terroristen dreimal jährlich gekommen seien (Verhandlungsprotokoll S. 8). Da sich den Schilderungen des Beschwerdeführers nicht entnehmen lässt, dass seine Familie auch Nutztiere gehalten habe, steht auch diese Angabe in Diskrepanz zur beschriebenen Vorgehensweise der Al Shabaab.
Vor dem Hintergrund dieser – bloß beispielshaft dargelegten – Ungereimtheiten in seinen Aussagen konnte der Beschwerdeführer eine Gefährdung seiner Person durch die Al Shabaab im Fall seiner Rückkehr nach Somalia nicht glaubhaft zu machen, weshalb auch die damit im Zusammenhang stehende Ermordung seiner Eltern und seiner Ehegattin nicht glaubhaft waren.
Im Übrigen wies der Beschwerdeführer betreffend die Ursachen für das Verlassen seiner Heimat auch allgemein auf Diskriminierung hin (Verhandlungsprotokoll S. 5). Der Frage der erkennenden Richterin, von wem diese ausgegangen sei, wich er aber zunächst mit Verweis auf die Minderheitszugehörigkeit seiner Mutter aus (Verhandlungsprotokoll S. 6). Nachgefragt führte er schließlich aus, dass er in der Koranschule in der Ecke habe sitzen müssen und in der Moschee nicht mit den anderen Leuten habe beten dürfen (Verhandlungsprotokoll S. 6). Aus diesen Schilderungen kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf eine Gefährdung des Beschwerdeführers in verfahrensgegenständlich relevanter Intensität geschlossen werden, zumal sein Vater – und somit auch der Beschwerdeführer – keiner Minderheit angehört (Verhandlungsprotokoll S. 6). In diesem Kontext ist der Vollständigkeit halber auf die Länderinformation zu Somalia zu verweisen, wonach (selbst) Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Diskriminierung mehr ausgesetzt sind. Konkrete Hinweise für eine maßgebliche Bedrohung des Beschwerdeführers in Bezug auf die Clanzugehörigkeit seiner Mutter haben sich im vorliegenden Verfahren nicht ergeben.
Der Beschwerdeführer brachte hinsichtlich seiner Rückkehrbefürchtungen weiter vor, dass er jetzt eine andere Religion habe. Einen bereits vorhandenen inneren Entschluss, nach dem christlichen Glauben zu leben, konnte er gegenüber dem erkennenden Gericht nach einer umfassenden Befragung in der mündlichen Verhandlung aber nicht glaubhaft machen. Dies aus folgenden Erwägungen:
In diesem Kontext fällt zunächst auf, dass der Beschwerdeführer im Rahmen seiner Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 15.10.2023 zu seiner Religionszugehörigkeit noch Islam anführte (AS 4), obwohl er bereits etwa ein Jahr zuvor während seines Aufenthalts in Griechenland getauft worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 12). Diesbezüglich ist auch verwunderlich, dass der Beschwerdeführer auf Nachfrage vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im März 2024 nach einem Taufschien noch ausführte, dass „sie“ ihm keinen geben könnten, er aber ein Beweisvideo vorzeigen könne (AS 75). Bereits am folgenden Tag übermittelte der Beschwerdeführer jedoch dem Bundesamt eine schriftliche Bestätigung über seine Taufe (AS 109 ff). Vor der erkennenden Richterin erklärte er in grober Diskrepanz dazu, dass ihm der Taufschein schon im Dezember 2023 nachgesendet worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 13). Demnach hätte er bei seiner Einvernahme vor dem Bundesamt aber schon über das Dokument verfügt.
Der Beschwerdeführer vermochte aber auch den Auslöser für seine Hinwendung zum Christentum nicht nachvollziehbar darlegen. Demzufolge sei sein Interesse im März 2022 geweckt worden, weil er an einem Ort Gratisessen geholt habe und dort am zweiten Tag ein Buch, eine somalische Bibel, zum Lesen bekommen habe (Verhandlungsprotokoll S. 11). Befragt, wie lange er für die Lektüre benötigt habe, schilderte er jedoch ausweichend, dass er sich nach kurzer Zeit ein paar offene Fragen gestellt habe und diese ihm dann erklärt worden seien; insgesamt habe er sechs Monate für die Konversion benötigt und im September 2022 sei es soweit gewesen (Verhandlungsprotokoll S. 12). Betreffend seine Fragen bei der Bibellektüre nannte er als Beispiel, wie Gott der Vater von Jesus sein könne. Zur darauf erhaltenen Antwort beschrieb er überaus vage, dass „die Mutter von Jesus, Maria schwanger wird und Gott ist nicht der Vater von Jesus, aber Maria ist schwanger geworden.“ (Verhandlungsprotokoll S. 12). Das ist insofern nicht zutreffend, als Jesus im christlichen Glauben als Sohn Gottes bezeichnet wird. Da dieses Thema offenbar von großem Interesse für den Beschwerdeführer gewesen sei, wäre davon auszugehen, dass er die grundlegende Vorstellung im Christentum über die Empfängnis von Jesus durch Maria korrekt erklären kann.
Zudem antwortete er auf die Frage, von wem er getauft worden sei, nur allgemein, dass viele Leute anwesend gewesen seien (Verhandlungsprotokoll S. 13). Darüber hinaus konnte er die Taufzeremonie nicht einmal ansatzweise ausführlich schildern, sondern beschränkte sich darauf, dass an einem See mit vielen Leuten zwei Pfarrer ihn an seinem Kopf gehalten und ins Wasser getaucht hätten (Verhandlungsprotokoll S. 13). Hätte sich der Beschwerdeführer aber aus einer tiefen inneren Überzeugung vom Islam ab- und dem Christentum zugewandt, so hätte er in der Lage sein müssen, seine Taufe als besonders bedeutsames Erlebnis in seinem Leben wesentlich detaillierter zu beschreiben.
Aber auch seine Angaben zum Taufvorbereitungskurs blieben überaus oberflächlich, indem er dazu nur anführte, dass dieser einen Teil darüber beinhaltet habe, wie ein Mann und eine Frau zusammenleben könnten (Verhandlungsprotokoll S. 13). Ob und welche Glaubensinhalte der Kurs vermittelte, erwähnte er nicht einmal ansatzweise. Im Übrigen ergibt sich aus dem vorgelegten Kursprogramm (AS 97; Verhandlungsprotokoll S. 14), dass die letzte Einheit Mitte November 2022 stattgefunden habe. Seiner gleichbleibenden Aussage zufolge sei er aber schon im September 2022 – und damit vor der im Oktober abgehaltenen Einheit zum Thema „Taufe“ – getauft worden (AS 74; Verhandlungsprotokoll S. 12). Aber auch der vorgelegte Taufschein ist mit 23.10.2022 und somit noch vor Beendigung des Kurses datiert.
Insbesondere vor dem Hintergrund seiner Darstellung, wonach er nach wie vor zwei Mal pro Woche einen Online-Kurs besuche, in welchem die Bibel erklärt sowie an manchen Tagen gegenseitig Fragen gestellt würden und man offene Fragen stellen könne (Verhandlungsprotokoll S. 14), verfügt der Beschwerdeführer über ein überaus bescheidenes Wissen der christlichen Glaubensinhalte:
So wies der Beschwerdeführer betreffend seine Lieblingsstelle in der Bibel etwa auf eine Passage hin, in welcher „Jesus zu Gott sagt, als die Römer ihn umbringen wollten. Jesus bittet Gott, dass er den Römern nichts antun soll, weil sie nicht wissen, was die Römer tun werden.“ (Verhandlungsprotokoll S. 15). Auch wenn er damit wohl relativ ungenau darauf Bezug nahm, als Jesus am Kreuz betete: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun.“, kann ihm somit zwar nicht vorgeworfen werden, sich überhaupt nicht mit dem Christentum auseinandergesetzt zu haben. Im Zuge seiner weiteren Befragung vermochte der Beschwerdeführer aber zahlreiche grundlegende Frage nicht näher zu beantworten. Etwa konnte er weder die Zahl der Apostel oder ein christliches Gebet nennen, noch wusste er über Gebote im christlichen Glauben Bescheid (Verhandlungsprotokoll S. 17 f). Zudem zeigte sich seine vollkommene Unkenntnis über die Sakramente ebenso wie über das Konzept der Dreifaltigkeit (Verhandlungsprotokoll S. 19).
Ferner bejahte er zwar, christliche Feiertage zu begehen, wobei er als Beispiel den 30. November nannte und dazu nachgefragt erklärte, das sei „4 Wochen, wo man auf Jesus gewartet hat“ (Verhandlungsprotokoll S. 16 f). Damit nahm er offenbar auf die Adventszeit Bezug, wobei ihm in Anbetracht seiner bereits vor etwa drei Jahren erfolgten Konversion bekannt sein müsste, dass der Adventbeginn jährlich wechselt.
Ferner konnte er zwar Ostern als höchsten christlichen Feiertag anführen. Dazu erklärte er aber nur ungenau, dass Jesus an diesem Tag „in den Himmel gegangen“ ist (Verhandlungsprotokoll S. 17). Auch auf neuerliche Nachfrage im weiteren Verlauf der Verhandlung wiederholte er im Wesentlichen diese Antwort und nannte das diesjährige Datum des Osterwochenendes (Verhandlungsprotokoll S. 18). Betreffend weitere christliche Feiertage führte er unter anderem den 29. Mai und 08. Juni an. Zwar konnte er zum 08. Juni – dem diesjährigen Datum des Pfingstsonntags – richtig ausführen, dass dies 50 Tage nach der Auferstehung Jesu gefeiert werde. Zum 29. Mai – dem diesjährigen Datum von Christi Himmelfahrt – erklärte er aber, dass „er“ 40 Tage danach „wieder aufgestanden“ sei (Verhandlungsprotokoll S. 18). Der Beschwerdeführer verwechselt damit offenbar die an Ostern gefeierte Auferstehung von Jesus am dritten Tag nach seiner Kreuzigung mit seinem späteren Aufsteigen in den Himmel. Von einem fehlenden Verständnis des Osterfestes zeugt auch der Umstand, dass er weder die Bedeutung des Gründonnerstags, noch des Karfreitags erklären konnte (Verhandlungsprotokoll S. 17). Im Übrigen scheint dem Beschwerdeführer angesichts seiner datumsmäßigen Angaben nicht bewusst zu sein, dass der Termin der mit Ostern zusammenhängenden Feiertage jährlich wechselt. Abgesehen davon nahm der Beschwerdeführer zwar auf den 31. Oktober als weiteren Feiertag Bezug, wobei er diesen fälschlicherweise als „Martins-Feiertag“ bezeichnete (Verhandlungsprotokoll S. 17).
Auch wenn ihm vor diesem Hintergrund gewisse Basiskenntnisse zum Christentum nicht abgesprochen werden können, sind in seinem Glaubenswissen dennoch gravierende Lücken zu grundlegenden christlichen Lehren zu verzeichnen. Da sich der Beschwerdeführer seit mehr als drei Jahren für das Christentum interessiert und bereits getauft wurde, wäre von ihm im Fall eines aus innerer Überzeugung erfolgten Glaubenswechsels eine tiefergehende Auseinandersetzung mit seiner neuer Religion zu erwarten gewesen, welche die Basis für eine gefestigte Konversion darstellen könnte.
Aber auch anhand seinen Angaben über die Auslebung seines Glaubens kann nicht auf eine nachhaltige Konversion zum Christentum geschlossen werden. Dabei wird nicht verkannt, dass der Beschwerdeführer entsprechend seiner Darstellung zweimal wöchentlich an Online-Kursen zu Bibelinhalten teilnimmt. Da der Beschwerdeführer aber dennoch, wie soeben aufgezeigt, eine große Unwissenheit über grundlegende Informationen zum Christentum präsentierte, lässt diese Teilnahme eher nur auf ein allfälliges Interesse an dem Glauben, aber keine vollzogene Änderung seiner inneren Einstellung schließen. In dem Sinn erklärte er auf die Frage, was es für ihn bedeute, Christ zu sein, nur vollkommen allgemein, dass dies normal wie jede andere Religion sei und wenn jemand Christ werde, sei es das gleiche, wie wenn man eine andere Religion habe (Verhandlungsprotokoll S. 18). Ebenso verwies er auf die Frage, wie man erkennen könne, dass der christliche Glaube ein wesentlicher Bestandteil seines Lebens geworden sei, lediglich auf eine Bibel in seinem Rucksack sowie auf seinem Handy befindliche Online-Kurse und Predigten (Verhandlungsprotokoll S. 19). Ferner verneinte er, bei einer Rückkehr nach Somalia seinen christlichen Glauben zu leben, weil „das zwei verschiedene Religionen“ seien (Verhandlungsprotokoll S. 19). Darüber hinaus konnte er auf wiederholte Nachfrage nicht darlegen, welche christlichen Werte er seinen Kindern weitergeben würde (Verhandlungsprotokoll S. 20). In Anbetracht dessen kann nicht bloß anhand seiner Erklärung betreffend die Bedeutung seiner Taufe, wonach sich danach sein Leben positiv verändert habe und er den Mördern seiner Eltern verziehen habe sowie mit netten Menschen zusammengetroffen sei (Verhandlungsprotokoll S. 19), von einer nachhaltig verinnerlichten Glaubensänderung ausgegangen werden.
Diesen Eindruck bestätigt auch der vor dem Bundesverwaltungsgericht einvernommene Zeuge, der in der vom Beschwerdeführer in Wien besuchten Kirchengemeinde eine Leitungsfunktion ausübt und den Beschwerdeführer durchschnittlich alle zwei Monate berät (Verhandlungsprotokoll S. 22). Insbesondere beschrieb er, dass der Beschwerdeführer durch den Online-Kurs von der geistlichen Seite bekomme, was er benötige, um „an seinen Glauben zu wachsen“. Er brauche soziale Kontakte und Einbindung. Das langfristige Ziel des Zeugen gemeinsam mit den Leiter:innen des Online-Kurses sei, dass der Beschwerdeführer eine stabile geistliche Heimat und Gemeinschaft habe; das müsse nicht unbedingt in seiner Kirche sein (Verhandlungsprotokoll S. 24). Demzufolge befindet sich der Beschwerdeführer in Bezug auf seinen Religionswechsel aber erst in einem laufenden Prozess.
Abgesehen davon, dass der Beschwerdeführer nicht regelmäßig Veranstaltungen in seiner österreichischen Kirchengemeinde besucht (Verhandlungsprotokoll S. 24), berichtete der Zeuge zu seinen eigenen Wahrnehmungen, dass sich der Beschwerdeführer in der Gemeinde „schwertut“ und wie ein „Fremdkörper“ wirke. Der Beschwerdeführer habe neben ihm nur eine weitere Kontaktperson, mit der er spreche. Mit anderen habe er keine Interaktionen und sprachlich dürfte er nur wenig mitbekommen (Verhandlungsprotokoll S. 22 f). In dem Sinn führt auch der Leiter des vom Beschwerdeführer besuchten Online-Kurses in der vorgelegten Stellungnahme (OZ 6) aus, dass es dem Beschwerdeführer nicht gelungen sei, sich in die örtliche Gemeinde in Österreich zu integrieren. Aus dessen nicht näher begründeter Überzeugung von der Echtheit des persönlichen Glaubens des Beschwerdeführers kann in Anbetracht der obigen Ausführungen noch nicht auf eine gefestigte Konversion des Beschwerdeführers zum Christentum geschlossen werden. Ebenso kann aus der Tatsache, dass der Beschwerdeführer dem Schreiben zufolge im Rahmen zweier Aufenthalte in Deutschland in einer deutschen somalischen christlichen Gruppe gut aufgenommen worden sei, nichts Gegenteiliges abgeleitet werden.
Schließlich wird nicht außer Acht gelassen, dass im Fall des Beschwerdeführers eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtige mittelgradige Episode (F33.1) diagnostiziert wurde, weshalb eine medikamentöse Behandlung mittels Antidepressiva eingeleitet wurde und er daher eine gedrückten Stimmung, Anhedonie, Antriebsminderung, Konzentrationsstörung, Schlafstörung, Ängstlichkeit und Grübelneigung aufweist (Beilage ./A). Auch wenn ihm diese Symptomatik die Integration in die österreichische Kirchengemeinde erschweren mag, so ergibt sich aus einer Gesamtschau seiner Aussage, dass er sich mit dem Christentum bisher nur oberflächlich beschäftigte und der christliche Glaube (noch) kein wesentlicher Bestandteil seiner Identität wurde. Daher geht das erkennende Gericht auch nicht davon aus, dass der Beschwerdeführer seinem derzeitigen Interesse für den christlichen Glauben im Falle der Rückkehr nach Somalia weiter nachgehen und deshalb in das Blickfeld der Behörden, der Bevölkerung oder auch regierungsfeindlicher Elemente geraten würde.
Sonstige Fluchtgründe, Rückkehrbefürchtungen bzw. individuell gegen ihn gerichtete Bedrohungs- oder Gefährdungslagen in Somalia wurden vom Beschwerdeführer weder in der Erstbefragung, in der Einvernahme, in der Beschwerde oder in der mündlichen Verhandlung behauptet, noch ergäbe sich Derartiges per se aus den Länderberichten.
2.2. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur Situation in Somalia beruhen auf den angeführten Quellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Somalia vom 16.01.2025 (Version 7). Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Abweisung der Beschwerde:
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.
Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“
Gemäß Art. 9 Abs. 1 Status-RL (RL 2011/95) („Verfolgungshandlungen“) muss eine Handlung, um als Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A GFK zu gelten, aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Art. 15 Abs. 2 der EMRK keine Abweichung zulässig ist (lit. a), oder in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a beschriebenen Weise betroffen ist (lit. b).
Gemäß Art. 10 Abs. 1 lit. d Status-RL („Verfolgungsgründe“) gilt eine Gruppe insbesondere als eine bestimmte soziale Gruppe, wenn (erstens) die Mitglieder dieser Gruppe angeborene Merkmale oder einen gemeinsamen Hintergrund, der nicht verändert werden kann, gemein haben oder Merkmale oder eine Glaubensüberzeugung teilen, die so bedeutsam für die Identität oder das Gewissen sind, dass der Betreffende nicht gezwungen werden sollte, auf sie zu verzichten, und (zweitens) die Gruppe in dem betreffenden Land eine deutlich abgegrenzte Identität hat, da sie von der sie umgebenden Gesellschaft als andersartig betrachtet wird.
Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend (VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).
Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).
Das Vorbringen des Antragstellers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit der Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 10.08.2019, Ra 2018/20/0314).
Wie beweiswürdigend dargelegt, ist das Vorbringen des Beschwerdeführers über eine Zwangsrekrutierung durch die Al Shabaab nicht glaubhaft. Eine Gefährdung durch die Al Shabaab würde ihm auch nicht im Falle einer Rückkehr in seinen Herkunftsort drohen.
Ebenso konnte beim Beschwerdeführer ein bereits bestehender innerer Entschluss, nach dem christlichen Glauben zu leben, – also ein abgeschlossener Religionswechsel – im Entscheidungszeitpunkt nicht festgestellt werden. Bei der Beurteilung eines behaupteten Religionswechsels und der Prüfung einer Scheinkonversion kommt es auf die aktuell bestehende Glaubensüberzeugung an, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung anhand einer näheren Beurteilung von Zeugenaussagen und einer konkreten Befragung des Asylwerbers zu seinen religiösen Aktivitäten zu ermitteln ist (vgl. VwGH 23.06.2015, Ra 2014/01/0117 mwN).
Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlichen Verfolgung des Beschwerdeführers in Somalia aus Konventionsgründen.
Die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.