JudikaturBVwG

G310 2307209-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
EU-Recht
07. Juli 2025

Spruch

G310 2307209-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Gaby WALTNER über die Beschwerde des kroatischen Staatsangehörigen XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch die Rechtsanwaltskanzlei BLUM BLUM, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 13.12.2024, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.06.2025 zu Recht:

A) Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

B)Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

Verfahrensgang:

Das Landesgericht XXXX verständigte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Schreiben vom 16.09.2024 davon, dass der Beschwerdeführer (BF) am XXXX wegen Verdachts auf Freiheitsentziehung in Untersuchungshaft genommen wurde.

Daraufhin leitete das BFA ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme ein und forderte ihn mit Schreiben vom 24.09.2024 auf, sich zu der beabsichtigten Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbots zu äußern und Fragen zu seinem Aufenthalt in Österreich sowie zu seinem Privat- und Familienleben zu beantworten. Der BF erstattete keine Stellungnahme.

Mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX .2024, XXXX , wurde der BF wegen des Vergehens der Freiheitsentziehung zu einer siebenmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei fünf Monate für eine dreijährige Probezeit bedingt nachgesehen wurden.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein mit drei Jahren befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und gemäß § 70 Abs 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat erteilt (Spruchpunkt II.). Dieser Bescheid wurde im Wesentlichen mit der strafgerichtlichen Verurteilung des BF begründet. Art 8 EMRK werde nicht verletzt, zumal sein Lebensmittelpunkt in Kroatien liege, wo sich ein Teil seiner Geschwister aufhalte und er bis 2022 gelebt hat. Zu seinem Vater und den in Österreich lebten Geschwistern bestehe kein Abhängigkeitsverhältnis.

Gegen sämtliche Spruchpunkte dieses Bescheids richtet sich die Beschwerde mit den Anträgen eine mündliche Beschwerdeverhandlung durchzuführen und den Bescheid zu heben, in eventu wird die Reduktion der Dauer des Aufenthaltsverbots angestrebt. Begründend wird vorgebracht, dass in Österreich ein Familienlebe bestehe. Sein Vater und ein Teil seiner Geschwister leben in Österreich. Seine Mutter sei bereits im Sommer 2024 ausgezogen und kümmere sich nicht um die drei noch minderjährigen Geschwister. Der BF bedaure seine Straftat. Sie sei darauf zurückzuführen, dass die Mutter die Familie verlasen habe und sein Vater in seiner Verzweiflung versucht habe, seine Mutter zur Rückkehr zu veranlassen. Der BF habe nur eine untergeordnete Rolle gespielt, was sich an der verhängten Strafe widerspiegle und sei der BF unmittelbar nach der Hauptverhandlung aus der Untersuchungshaft entlassen worden. Er habe vor Deutsch zu lernen und in Österreich einer geregelten Arbeit nachzugehen.

Das BFA legte dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens mit dem Antrag vor, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht führte in der gegenständlichen Rechtssache am 30.06.2025 in der Außenstelle Graz eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an welcher der Beschwerdeführer, sein Rechtsvertreter sowie eine Dolmetscherin für die Sprache Kroatisch teilnahmen. Ein Vertreter der belangten Behörde ist nicht erschienen (Teilnahmeverzicht). Im Rahmen der mündlichen Verhandlung wurden vom BF der Bescheid des BFA vom 23.12.2024, Zl. XXXX , bezüglich des Aufenthaltsverbots seines Vaters und der Beschluss des Landesgericht XXXX vom XXXX .2025, XXXX vorgelegt, wonach der Vater des BF am 11.03.2025 bedingt entlassen wurde und in Entsprechung des Aufenthaltsverbots, gegen welches er kein Rechtsmittel erhob, nach Kroatien zurückkehrte.

Feststellungen:

Der Beschwerdeführer (BF) kam am XXXX in der kroatischen Ortschaft XXXX zur Welt. Er ist kroatischer Staatsbürger. Seine Muttersprache ist kroatisch. Er ist ledig und hat keine Sorgepflichten. In Kroatien hat der BF acht Jahre die Grundschule besucht, einen Beruf hat er nicht erlernt. Eine Kopie seines kroatischen Personalausweises liegt im Verwaltungsakt auf.

Von XXXX .2025 bis XXXX 2025 war der BF mit Wohnsitz in Österreich gemeldet. Seit XXXX .2025 liegt wieder eine Hauptwohnsitzmeldung des BF im Bundesgebiet vor; er wohnt mit seinem Zwillingsbruder XXXX zusammen.

Der BF leidet seit vier Jahren an einem Knochentumor, weswegen er in regelmäßigen Abständen zur Kontrolle muss, ist aber arbeitsfähig. Seit XXXX .2025 geht der BF einer Vollzeitbeschäftigung in einem Reinigungsunternehmen nach, wo auch sein Zwillingsbruder arbeitet. Eine Anmeldebescheinigung wurde von ihm bislang noch nicht beantragt.

Der BF weist eine strafgerichtliche Verurteilung auf. Dem oben angeführten Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX .2024 liegt zugrunde, dass der BF zusammen mit seinem Vater am XXXX .2024 in XXXX im bewussten und gewollten Zusammenwirken die Mutter des BF widerrechtlich gefangen gehalten oder ihr auf andere Weise die Freiheit entzogen haben, indem der Vater gegen XXXX vor der im Urteil genannten Adresse von einem Versteck aus von hinten auf die Mutter des BF zulief und diese gewaltsam am Oberkörper und am linken Oberarm packte und sie gemeinsam mit dem BF, der seine Mutter am rechten Oberarm packte, zu einem silbernen PKW mit kroatischen Kennzeichen zerrte, um sie gegen ihren Willen nach Kroatien zu verbringen und sie dort in der Gewalt des Vaters verbleiben sollte, obwohl sie nicht mehr mit ihm zusammen sein wollte, wobei der Vater die Mutter bis zur Festnahme um XXXX Uhr im PKW gefangen hielt. Durch den geschilderten Tathergang erlitt die Mutter eine durch den Vater verursachte Körperverletzung am linken Oberarm.

Der BF wurde wegen des Vergehens der Freiheitsentziehung nach § 99 Abs 1 StGB unter Anwendung des § 19 Abs 1 JGG verurteilt. Sein Vater wurde ebenfalls wegen § 99 Abs 1 StGB sowie wegen des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB zu einer 21monatigen Freiheitsstrafe verurteilt, wobei vierzehn Monate unter Setzung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurden.

Bei der Strafbemessung wurden beim BF das Geständnis, die Unbescholtenheit und das Alter unter 21 Jahren als mildernd gewertet; erschwerende Umstände gab es keine.

Der BF hat zu seiner Mutter keiner Kontakt und wird dies auch vom BF nicht angestrebt. Es besteht gegen den BF ein Annährungs- und Betretungsverbot.

Beweiswürdigung:

Der Verfahrensgang ergibt sich widerspruchsfrei aus dem unbedenklichen Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten und des Gerichtsakts des BVwG.

Die Feststellungen basieren insbesondere auf den Angaben des BF vor dem BFA und in der Beschwerde und den Informationen aufgrund von Abfragen im Zentralen Melderegister (ZMR), Informationsverbundsystem Zentrales Fremdenregister (IZR) und Strafregister sowie den Sozialversicherungsdaten.

Die Feststellungen zur Identität des BF und zu seinen familiären und persönlichen Verhältnissen beruhen auf den entsprechenden Angaben des BF anlässlich der Beschuldigtenvernehmung und der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG. Seine Identität wird auch durch seinen in Kopie im Verwaltungsakt aufliegenden Personalausweis belegt.

Im Fremdenregister ist kein Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinig dokumentiert.

Die Feststellungen zur Arbeitsfähigkeit und zum Gesundheitszustand des BF erfolgten anhand seines Alters und dem Umstand, dass im gesamten Verfahren keine Hinweise auf eine mögliche gesundheitliche Einschränkung zutage trat.

Im Versicherungsdatenauszug scheinen die Beschäftigungsverhältnisse des BF auf.

Die Feststellungen zu der vom BF begangenen Straftat, zu seiner Verurteilung in Österreich und zu den Strafbemessungsgründen basieren auf dem vorliegenden Urteil des Landesgerichts XXXX . Dass zur der Mutter des BF kein Kontakt mehr besteht, geht aus seinen Angaben vor dem BVwG hervor.

Das gegen den Vater erlassene Aufenthaltsverbot, seinen nunmehrigen Aufenthalt in Kroatien und der Kontakt zum BF gehen aus den Angaben des BF hervor sowie aus den im Rahmen der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen.

Dass gegen den BF ein Annährungs- und Betretungsverbot besteht geht aus seinen Angaben vor dem BVwG hervor, wie auch der Umstand, dass er keinen Kontakt mehr zu seiner Mutter hat und dies auch nicht wünscht.

Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

Gemäß § 67 Abs 1 FPG ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen den BF als EWR-Bürger iSd § 2 Abs 4 Z 8 FPG zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet ist. Das Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können diese Maßnahmen nicht ohne weiteres begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.

Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährdungsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die jeweils anzuwendende Gefährdungsannahme gerechtfertigt ist. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung oder Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der nach § 67 Abs 1 FPG zu erstellenden Gefährdungsprognose geht schon aus dem Gesetzeswortlaut klar hervor, dass auf das "persönliche Verhalten" des Fremden abzustellen ist und strafrechtliche Verurteilungen oder verwaltungsrechtliche Bestrafungen allein nicht ohne weiteres ein Aufenthaltsverbot begründen können (VwGH 22.08.2019, Ra 2019/21/0091).

§ 67 FPG dient der Umsetzung der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG; vgl § 2 Abs 4 Z 18 FPG), und zwar insbesondere der Umsetzung von deren Art 27 und 28 (VwGH Fr 2016/21/0020), und ist in erster Linie in Fällen schwerer Kriminalität anzuwenden (Filzwieser/Frank/Kloibmüller/Raschhofer, Asyl- und Fremdenrecht § 67 FPG K1).

Obwohl dem BF trotz seines jugendlichen Alters eine Straftat anzulasten sind, erreicht sein Fehlverhalten auch in der gebotenen Gesamtbetrachtung die von § 67 Abs 1 Satz 5 und 6 FPG geforderte Schwere nicht.

Zu seinen Gunsten ist ins Kalkül zu ziehen, dass er die Tat vor Vollendung des 21. Lebensjahr beging und von einer Beeinflussung durch seinen Vater auszugehen ist. Der BF ist aktiv um einen ordentlichen Lebenswandel bemüht. Er wohnt mit seinem Bruder zusammen und geht einer Vollzeitbeschäftigung nach. Es ist daher davon auszugehen, dass seine Tat nicht Ausdruck einer anhaltenden, zu einer kriminellen Karriere führenden Gewaltbereitschaft ist, sondern durch eine Beziehungskrise zwischen seinen Eltern bedingt war. Die nunmehrige Entwicklung des BF lässt vielmehr eine endgültige Abkehr vom delinquentem Verhalten erwarten und ist es wahrscheinlich, dass er sich nicht mehr strafbar machen wird.

Mangels Erfüllung des anzuwendenden Gefährdungsmaßstabs kann gegen ihn kein Aufenthaltsverbot erlassen werden, da dies auch nicht zu seinem Wohl notwendig ist. Eine Prüfung, ob der mit dem Aufenthaltsverbot verbundene Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF verhältnismäßig wäre, muss daher mehr nicht vorgenommen werden. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheids ist in Stattgebung der Beschwerde ersatzlos zu beheben. Dies bedingt auch die Aufhebung des Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids.

Zu Spruchteil B):

Die bei Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Erstellung einer Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen nicht revisibel (vgl. VwGH Ra 11.05.2017, 2016/21/0022; 20.10.2016, Ra 2016/21/0284). Die Revision ist nicht zuzulassen, weil sich das BVwG dabei an bestehender höchstgerichtlicher Rechtsprechung orientieren konnte und keine darüber hinausgehende grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu lösen war.