Spruch
W185 2309385-1/5E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER über die Beschwerde von XXXX XXXX StA. Nigeria, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH (BBU), gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 26.02.2025, Zl. 529096909-241170941, zu Recht:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 21 Abs. 3 erster Satz BFA-Verfahrensgesetz idgF (BFA-VG) stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz wird zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer (in der Folge: BF), ein Staatsangehöriger aus Nigeria, stellte nach irregulären Einreisen in das Bundesgebiet im August 2010, am 14.01.2012, am 01.09.2014, am 18.01.2022 und letztlich am 01.08.2024 (verfahrensgegenständlich) Anträge auf internationalen Schutz.
Vorliegende EURODAC-Treffermeldungen: AT 1 am 01.09.2014; AT1 am 18.01.2022.
Im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 01.08.2024 gab der BF zusammengefasst an, verheiratet zu sein. Seine Frau und sein Sohn würden in England leben. In Österreich oder einem anderen EU-Staat habe er keine Familienangehörigen. Der BF erklärte weiter, der Einvernahme ohne gesundheitliche Probleme folgen zu können und keine Medikamente zu benötigen Er sei im Jahr 2017 legal nach Italien geflogen, da zum damaligen Zeitpunkt seine Gattin dort gelebt habe. Er sei mit einem Familienvisum nach Italien eingereist. In Italien habe sich der BF dann 5 Jahre aufgehalten. Anschließend sei er nach Österreich gekommen, wo er um Asyl angesucht habe. Seit 01.06.2024 habe sich der BF dann wieder in Italien aufgehalten. Außer in Österreich habe der BF nirgends um Asyl angesucht.
Am 22.08.2024 richtete das Bundesamt ein auf Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: Dublin III-VO) gestütztes Aufnahmeersuchen an Italien. Dies unter Hinweis auf die vom BF getätigten Angaben zu seinem Aufenthalt(stitel) in Italien. Mitgeteilt wurde auch, dass der BF zwischenzeitig untergetaucht sei.
Am gleichen Tag ersuchte die Italienische Dublin-Behörde das Bundesamt, die Fingerabdrücke des BF zu übermitteln, um den Fall prüfen zu können. Am 23.08.2024 übermittelte das Bundesamt die angeforderten Fingerabdrücke des BF an Italien.
Mit Schreiben vom 23.10.2024 wies das Bundesamt die italienischen Behörden auf die Verfristung und die daraus resultierende Zuständigkeit Italiens nach Art 22 Abs. 7 Dublin III-VO, beginnend mit dem 22.10.2024, hin (AS 119).
Im Zuge seiner Einvernahme vor dem Bundesamt am 03.02.2025 gab der BF zusammengefasst an, sich psychisch und physisch in der Lage zu fühlen, die Befragung zu absolvieren. Er habe Schmerzen im Unterbauch, sei derzeit aber nicht in ärztlicher Behandlung, da er keine Versicherung habe. Gegen die Schmerzen nehme er Ibuprofen-Tabletten ein. In der EU bzw. im EWR-Raum habe der BF keine Verwandten, zu denen ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis oder eine besonders enge Beziehung bestünde. Österreich lebe er in keiner Familiengemeinschaft oder familienähnlichen Gemeinschaft; er lebe bei einem befreundeten Landsmann in Wien. In Italien habe der BF zu Beginn über ein Familienvisum verfügt; jetzt jedoch nicht mehr. Dies, da er sich im Jahr 2021 von seiner Gattin getrennt habe. Einen Asylantrag habe er in Italien nicht gestellt. In Italien habe er keine Unterkunft mehr gehabt und habe sich nicht mehr selbst „ernähren“ können. Er habe dann um Essen gebettelt. In Österreuich habe sich der BF eine Arbeit erhofft. Über Vorhalt der Absicht des Bundesamtes, den Asylantrag des BF zurückzuweisen und dessen Außerlandesbringung nach Italien zu veranlassen, erklärte der Genannte, nicht nach Italien zurückkehren zu wollen, weil es dort sehr schwer für ihn gewesen sei.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Italien gemäß Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen den BF gemäß § 61 Abs. 1 Z 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge eine Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
Gegen den o.a. Bescheid des Bundesamtes richtet sich die, von der BBU GmbH verfasste, fristgerecht eingebrachte Beschwerde. Darin wurde zusammengefasst ausgeführt, dass das italienische Visums bereits abgelaufen sei und sich der BF seit dem Jahr 2022 in Österreich aufhalte. In Italien habe der BF weder um Asyl angesucht noch sei er dort ausreichend versorgt worden. Seine gesundheitlichen Probleme habe er in Italien nicht behandeln lassen können. Die Behörde habe sich mit der Unterbringungs- und Versorgungssituation von Asylwerbern und Dublin-Rückkehrern nur mangelhaft auseinandergesetzt. Es bestehe die reale Gefahr der Obdachlosigkeit. In Italien würden systemische Mängel im Asylsystem vorherrschen. Im gegenständlichen Fall stelle eine Abschiebung nach Italien mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Verletzung der durch Art. 3 und 8 EMRK bzw. Art. 4 GRC gewährleisteten Rechte des BF dar, daher hätte vom Selbsteintrittsrecht gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO Gebrauch gemacht werden müssen.
Das Bundesamt gab mit E-Mail vom 24.04.2025 bekannt, dass die Überstellungsfrist am 22.04.2025 abgelaufen sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der unter Pkt. I. dargelegte Verfahrensgang.
Obwohl unzweifelhaft die Zuständigkeit Italiens zur Führung des Asylverfahrens des BF vorlag, erfolgte dessen Überstellung nicht binnen der in Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO festgelegten Frist von sechs Monaten, konkret bis zum Ablauf des 17.04.2024. Das Verfahren wurde nicht ausgesetzt und es kam auch zu keiner Fristverlängerung im Sinne des Art. 29 Abs. 2 Dublin III-VO.
2. Beweiswürdigung:
Die festgestellten Tatsachen ergeben sich aus dem unstrittigen Inhalt des vorliegenden Verwaltungsakts und des Gerichtsakts, insbesondere dem Konsultationsverfahren, sowie den Abfragen des Zentralen Melderegisters, des Betreuungsinformationssystem GVS sowie des Informationsverbundsystems Zentrales Fremdenregister. Überdies gab das Bundesamt bekannt, dass der BF nicht vor Ablauf der Überstellungsfrist überstellt werden kann.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A) Stattgebung der Beschwerde:
Die maßgebliche Bestimmung des BFA-Verfahrensgesetzes (BFA-VG) idgF lautet:
"§ 21 (3) Ist der Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesamtes im Zulassungsverfahren stattzugeben, ist das Verfahren zugelassen. Der Beschwerde gegen die Entscheidung im Zulassungsverfahren ist auch stattzugeben, wenn der vorliegende Sachverhalt so mangelhaft ist, dass die Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung unvermeidlich erscheint."
Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO) lauten:
"Artikel 22 Antwort auf ein Aufnahmegesuch
(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt des Gesuchs.
(2) ……………….."
"Artikel 29 Dublin III – VO: Modalitäten und Fristen
(1) Die Überstellung des Antragstellers oder einer anderen Person im Sinne von Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c oder d aus dem ersuchenden Mitgliedstaat in den zuständigen Mitgliedstaat erfolgt gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des ersuchenden Mitgliedstaats nach Abstimmung der beteiligten Mitgliedstaaten, sobald dies praktisch möglich ist und spätestens innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Annahme des Aufnahme — oder Wiederaufnahmegesuchs durch einen anderen Mitgliedstaat oder der endgültigen Entscheidung über einen Rechtsbehelf oder eine Überprüfung, wenn diese gemäß Artikel 27 Absatz 3 aufschiebende Wirkung hat.
……………………...
(2) Wird die Überstellung nicht innerhalb der Frist von sechs Monaten durchgeführt, ist der zuständige Mitgliedstaat nicht mehr zur Aufnahme oder Wiederaufnahme der betreffenden Person verpflichtet und die Zuständigkeit geht auf den ersuchenden Mitgliedstaat über. Diese Frist kann höchstens auf ein Jahr verlängert werden, wenn die Überstellung aufgrund der Inhaftierung der betreffenden Person nicht erfolgen konnte, oder höchstens auf achtzehn Monate, wenn die betreffende Person flüchtig ist."
…
"Artikel 42 Berechnung der Fristen
Die in dieser Verordnung vorgesehenen Fristen werden wie folgt berechnet:
a) Ist für den Anfang einer nach Tagen, Wochen oder Monaten bemessenen Frist der Zeitpunkt maßgebend, zu dem ein Ereignis eintritt oder eine Handlung vorgenommen wird, so wird bei Berechnung dieser Frist der Tag, auf den das Ereignis oder die Handlung fällt, nicht mitgerechnet.
b) Eine nach Wochen oder Monaten bemessene Frist endet mit Ablauf des Tages, der in der letzten Woche oder im letzten Monat dieselbe Bezeichnung oder dieselbe Zahl wie der Tag trägt, an dem das Ereignis eingetreten oder die Handlung vorgenommen worden ist, von denen an die Frist zu berechnen ist. Fehlt bei einer nach Monaten bemessenen Frist im letzten Monat der für ihren Ablauf maßgebende Tag, so endet die Frist mit Ablauf des letzten Tages dieses Monats.
c) Eine Frist umfasst die Samstage, die Sonntage und alle gesetzlichen Feiertage in jedem der betroffenen Mitgliedstaaten."
Auf Grund des Aufnahmegesuchs Österreichs gem. Art. 13 Abs. 1 Dublin III-VO an Italien vom 16.08.2023 und der Zustimmung Italiens zur Übernahme des BF durch Verschweigen (Verfristung), endete die sechsmonatige Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 1 iVm Art 42 Dublin III-VO mit Ablauf des 17.04.2024.
Eine Aussetzung der Verfahren bzw. eine Verlängerung der Überstellungsfrist, etwa aufgrund Inhaftierung oder unbekannten Aufenthalts des BF, hat nicht stattgefunden. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist somit die Überstellungsfrist gem. Art. 29 Abs. 1 Dublin III–VO bereits abgelaufen.
Die Verfristungsbestimmungen der Dublin III-VO normieren einen Zuständigkeitsübergang bzw. eine Zuständigkeitsbegründung des die Überstellung nicht während dieser Frist durchführenden Mitgliedsstaates. Ein Übergang der Zuständigkeit hat im gegenständlichen Verfahren somit stattgefunden und ist Österreich demnach nunmehr für die Führung des materiellen Verfahrens des BF zuständig. Dementsprechend war der gegenständliche, die Zuständigkeit Österreichs zurückweisende Bescheid zu beheben und das Verfahren zuzulassen.
In diesem Zusammenhang bleibt noch anzuführen, dass die in Art 29 Abs 1 und 2 Dublin III-VO normierte Frist zur Überstellung in den zuständigen Mitgliedstaat eine zwingende Frist ist (siehe EuGH 25.10.2017, Rs C-201/16 Shiri), bei deren Nichteinhaltung die Zuständigkeit, ohne dass dies von der Reaktion des zuständigen Mitgliedstaates abhängig wäre, auf den ersuchenden Staat übergeht. Darauf kann sich auch ein Antragsteller berufen (VwGH 13.12.2017, Ra 2017/19/0081).
Eine mündliche Verhandlung konnte gemäß § 21 Abs. 6a und 7 BFA-VG unterbleiben, zumal sämtliche verfahrenswesentliche Abklärungen, insbesondere aber die im gegenständlichen Verfahren relevante Frage hinsichtlich des Vorliegens eines Fristablaufes, eindeutig aus dem vorliegenden Verwaltungsakt beantwortet werden konnten.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, da die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Im Übrigen treffen Art. 29 Dub III-VO und § 21 Abs. 3 BFA-VG klare, eindeutige Regelungen (vgl. OGH 22.03.1992, 5Ob105/90), weshalb keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.