JudikaturBVwG

I419 2310747-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
11. April 2025

Spruch

I419 2310747-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. Tomas JOOS über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. MAROKKO, vertreten durch BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 27.03.2025, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde gegen Spruchpunkt I des bekämpften Bescheides wird als unbegründet abgewiesen. Die Spruchpunkte II, III, IV und V des angefochtenen Bescheides werden aufgehoben.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit dem angefochtenen Bescheid erteilte das BFA dem Beschwerdeführer keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ (Spruchpunkt I), erließ wider diesen eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II), stellte fest, dass dessen Abschiebung nach Marokko zulässig sei (Spruchpunkt III), gewährte für die freiwillige Ausreise keine Frist (Spruchpunkt IV) und aberkannte einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung (Spruchpunkt V).

2. Beschwerdehalber wird vorgebracht, der Beschwerdeführer habe inzwischen internationalen Schutz beantragt. Die Rückkehrentscheidung dürfe nicht vor der Entscheidung über diesen Antrag ergehen und auch eine Abschiebung wäre davor rechtswidrig. Das BFA habe zudem die aufschiebende Wirkung ohne ausreichende Begründung aberkannt. Da die anderen Spruchpunkte mit der Rückkehrentscheidung in untrennbarem Zusammenhang stünden, sei der gesamte Bescheid aufzuheben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Zunächst wird der unter Punkt I dargestellte Verfahrensgang festgestellt. Darüber hinaus werden folgende Feststellungen getroffen:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

1.1.1 Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Marokkos, Anfang 50, gesund und arbeitsfähig. Er spricht Arabisch als Muttersprache und wurde im Herkunftsstaat in XXXX in der Provinz XXXX der heutigen Region XXXX geboren. Zuletzt lebte er seinen Angaben zufolge im Viertel XXXX ) der Nachbargemeinde XXXX ), auch XXXX ).

Mit seinem am 30.11.2022 am Wohnort ausgestellten marokkanischen Reisepass gelangte er nach Katar, wo er erfolglos versuchte, ein Visum zu erlangen, erst für Griechenland, dann für die Niederlande, zuletzt am 17.02.2025 für Ungarn.

1.1.2 Am 26.03.2025 hielt er sich unrechtmäßig in Österreich auf, von wo er nach Italien wollte, aber zurückgewiesen wurde. Nach seiner Rücküberstellung durch die italienischen Organe erließ das BFA am folgenden Tag den angefochtenen Bescheid, den der Beschwerdeführer in der Schubhaft übernahm. Am folgenden Tag wurde er in ein Nachbarbundesland verlegt.

1.2 Zum weiteren Vorbringen:

1.2.1 Am 01.04.2025 erteilte er der im Spruch genannten Rechtsvertretung die Vollmacht, beantragte internationalen Schutz und gab am nächsten Tag dazu an, er werde von Gläubigern bedroht. Einen Tag später wurde die vorliegend zu behandelnde Beschwerde eingebracht.

1.2.2 Zum Asylantrag hat das BFA noch keine Einvernahme durchgeführt und keine Entscheidung getroffen. Über den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde daher bisher nicht rechtskräftig entschieden.

2. Beweiswürdigung:

Der oben unter Punkt I angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus Akteninhalt des Verwaltungsakts des BFA, der angeforderten Niederschrift der Erstbefragung und des Gerichtsaktes, ebenso die Feststellungen, soweit nicht unten eigens darauf eingegangen wird. Auskünfte aus dem Strafregister, dem Zentralen Melderegister (ZMR), dem Zentralen Fremdenregister und dem Betreuungsinformationssystem der Grundversorgung (GVS) wurden ergänzend eingeholt.

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund seiner Visaanträge fest; Marokko hat auch ein Heimreisezertifikat für ihn erteilt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Teilstattgebung der Beschwerde

3.1 Zur Nichterteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz (Spruchpunkt I):

Im Spruchpunkt III des angefochtenen Bescheides sprach das BFA aus, dass dem Beschwerdeführer keine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz gemäß § 57 AsylG (AsylG 2005, Anm.) erteilt werde.

Nach § 58 Abs. 1 Z. 5 AsylG 2005 hat das BFA die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 von Amts wegen zu prüfen, wenn ein Fremder sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt („Zurückweisung, Transitsicherung, Zurückschiebung und Durchbeförderung“), das hier nicht anzuwenden ist.

Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz ist gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 in drei Fallkonstellationen zu erteilen, nämlich (jeweils unter weiteren Voraussetzungen) nach mindestens einem Jahr der Duldung (Z. 1), zur Sicherung der Strafverfolgung gerichtlich strafbarer Handlungen und zur Geltendmachung oder Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche im Zusammenhang mit solchen Handlungen (Z. 2) sowie bei Gewaltopfern, die glaubhaft machen, dass die Erteilung dieser Aufenthaltsberechtigung zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z. 3).

Von den alternativen Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Z. 1 bis 3 AsylG 2005 liegt hier keine vor und wurde vom Beschwerdeführer auch keine behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war dem Beschwerdeführer daher nicht zuzuerkennen.

Demnach war die Beschwerde zu diesem Punkt (auf den sie inhaltlich nicht eingeht) unbegründet und daher abzuweisen.

3.2 Zur Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt II):

3.2.1 In § 10 Abs. 2 AsylG 2005 ist angeordnet, dass die Entscheidung, mit welcher einem Fremden von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt wird, mit einer Rückkehrentscheidung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden ist.

3.2.2 Gemäß dem im bezogenen 8. Hauptstück des FPG zu findenden § 52 Abs. 1 Z. 1 FPG ist gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält, und nach Z. 2 auch, wenn er sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten hat und das Rückkehrentscheidungsverfahren binnen sechs Wochen ab Ausreise eingeleitet wurde.

3.2.3 Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge ist jedoch die Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht zulässig ist, bevor über einen anhängigen Antrag auf internationalen Schutz abgesprochen wurde. Nach § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist die Rückkehrentscheidung nämlich mit der negativen Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz „zu verbinden“, nach § 52 Abs. 2 FPG hat sie „unter einem“ zu ergehen; sie setzt also die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz voraus. Auch dann, wenn ein Rückkehrentscheidungsverfahren - unabhängig vom Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz - bereits anhängig ist, darf die Rückkehrentscheidung (unbeschadet eines allenfalls weiterbestehenden unrechtmäßigen Aufenthalts des Fremden) grundsätzlich nicht vor der Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz ergehen. Zugleich mit der Rückkehrentscheidung ist nämlich die Feststellung nach § 52 Abs. 9 FPG zu treffen, dass die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist; dies würde aber - jedenfalls in Bezug auf den Herkunftsstaat - bedeuten, das Ergebnis des Verfahrens über den Antrag auf internationalen Schutz, in dem diese Frage erst zu klären ist, vorwegzunehmen. (VwGH 21.12.2021, Ra 2012/21/0328, Rz. 9. mwN)

3.2.4 Aus diesem Grund hat das BVwG die vom BFA erlassene Rückkehrentscheidung und die weiteren damit verbundenen Nebenaussprüche ersatzlos zu beheben. Darüber wird nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes letztlich im anhängigen Verfahren über den vom Beschwerdeführer gestellten Antrag auf internationalen Schutz - dann zeitaktuell - zu entscheiden sein. (VwGH 15.03.2018, Ra 2017/21/0138, Rz. 18)

3.3 Zur Zulässigkeit der Abschiebung (Spruchpunkt III)

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG hat das BFA mit einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, dass eine Abschiebung eines Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 FPG in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist, es sei denn, dies wäre aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich.

Da die Rückkehrentscheidung entfällt, hatte nach der soeben angeführten Rechtsprechung auch die Feststellung betreffend die Zulässigkeit der Abschiebung in Spruchpunkt II aufgehoben zu werden.

3.4 Zum Nichtbestehen einer Ausreisefrist und zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung (Spruchpunkte IV und V):

Nach § 55 Abs. 1 FPG wird zugleich mit einer Rückkehrentscheidung eine Ausreisefrist festgelegt, es sei denn, dass einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt worden wäre, weil das BFA dann nach Abs. 4 von der Festlegung einer solchen Frist abzusehen hat.

Der in Spruchpunkt IV getroffene Ausspruch über die Ausreisefrist, wonach eine solche gemäß der letztgenannten Bestimmung nicht gewährt werde, war demnach zusammen mit der Rückkehrentscheidung zu beheben, da es für die Anwendung von § 55 FPG mit deren Wegfall jedenfalls an der Tatbestandsmäßigkeit fehlt.

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde begründete das BFA mit der Voraussetzung des § 18 Abs. 2 Z. 3 BFA-VG wonach einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt werden muss, wenn Fluchtgefahr besteht.

Entfällt aber die Rückkehrentscheidung, dann kann auch § 18 Abs. 2 BFA-VG nicht angewendet werden. Demnach war der Beschwerde auch gegen Spruchpunkt V stattzugeben und dieser ersatzlos aufzuheben.

Zu B) (Un)Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung zur gleichzeitigen Anhängigkeit einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung und eines Antrages des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz.

Die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Sonstige Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage(n) kamen nicht hervor.

4. Zum Unterbleiben einer Verhandlung:

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Eine mündliche Verhandlung kann unterbleiben, wenn der für die rechtliche Beurteilung relevante Sachverhalt von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben wurde und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweist.

Außerdem muss die Verwaltungsbehörde ihre die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Gericht diese tragenden Erwägungen in seiner Entscheidung teilen. Auch darf im Rahmen der Beschwerde kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht zu bleiben hat, wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Die genannten Kriterien treffen in diesem Fall zu. Der relevante Sachverhalt ist vollständig erhoben und weist - aufgrund des Umstandes, dass zwischen der Entscheidung durch die belangte Behörde und jener durch das Gericht rund zwei Wochen liegen - die gebotene Aktualität auf.

Das Gericht musste sich auch keinen persönlichen Eindruck vom Beschwerdeführer verschaffen, da es sich um einen eindeutigen Fall in dem Sinne handelt, dass auch bei Berücksichtigung aller zugunsten des Fremden sprechenden Fakten für ihn kein günstigeres Ergebnis zu erwarten ist, wenn der persönliche Eindruck ein positiver ist (vgl. VwGH 18.10.2017, Ra 2017/19/0422, mwN).

Die Abhaltung einer Verhandlung konnte demnach unterbleiben.