JudikaturBVwG

W169 2293119-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
03. März 2025

Spruch

W169 2293116-1/11EW169 2293118-1/9EW169 2293119-1/9EW169 2293120-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX , 2.) XXXX , geb. XXXX , 3.) XXXX , geb. XXXX , und 4.) XXXX , geb. XXXX , alle StA. Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen (BBU-GmbH), gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl 1.) vom 15.04.2024, Zl. 1316204908-240496045, 2.) vom 16.04.2024, Zl. 1316197008-240495995, 3.) vom 16.04.2024, Zl. 1316204004-240496008, und 4.) vom 16.04.2024, Zl. 1316206706-240495966, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 21.11.2024 zu Recht:

A)

Die Beschwerden werden gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Mutter der Beschwerdeführer wurde nach Einreise in das österreichische Bundesgebiet und Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz mit mündlich verkündetem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 25.01.2018 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt.

2. Die damals allesamt minderjährigen Beschwerdeführer stellten am 07.07.2022 bei der Österreichischen Botschaft in Addis Abeba, Äthiopien, Einreiseanträge im Rahmen des Familienverfahrens gemäß § 35 AsylG 2005.

3. Aufgrund der ihnen erteilten Visa der Kategorie D reisten die Beschwerdeführer am 21.03.2024 in Österreich ein und stellten am 25.03.2024 im Rahmen des Familienverfahrens Anträge auf internationalen Schutz, zu welchen sie am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt wurden. Dabei gaben der Erstbeschwerdeführer, der Zweitbeschwerdeführer sowie der Drittbeschwerdeführer an, keine eigenen Fluchtgründe zu haben, denselben Schutzstatus wie ihre Mutter zu beantragen und auf eine weitere Einvernahme zu verzichten. Die Viertbeschwerdeführerin gab zu Protokoll, dass sie eigene Fluchtgründe habe, sie nämlich in Somalia beschnitten werden würde, und sie deswegen den Status der Asylberechtigten erlangen wolle.

4. Mit den – ohne Durchführung einer Einvernahme erlassenen – jeweils hinsichtlich Spruchpunkt I. angefochtenen Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurden die Anträge der Beschwerdeführer auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Ihnen wurde gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 34 Abs. 3 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt II.) und gemäß § 8 Abs. 5 iVm Abs. 4 AsylG 2005 eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigte erteilt (Spruchpunkt III.).

5. Gegen Spruchpunkt I. dieser Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerden und monierten im Wesentlichen, dass zum einen das Bundesamt die Vernehmung der Viertbeschwerdeführerin, welche einen eigenen Fluchtgrund vorgebracht habe, unterlassen habe, und zum anderen auch der Erstbeschwerdeführer, der Zweitbeschwerdeführer und der Drittbeschwerdeführer eigene Fluchtgründe hätten. Die Beschwerdeführer seien alle als Angehörige der Minderheit der Tumal diskriminiert worden, der Erstbeschwerdeführer habe heimlich eine Mehrheitsangehörige geheiratet, weswegen die Beschwerdeführer von ihrer Familie bedroht worden seien, und die Viertbeschwerdeführerin befürchte eine Genitalverstümmelung, sexuelle Gewalt sowie eine Zwangsverheiratung. Zudem handle es sich bei ihr um eine alleinstehende Frau ohne männlichen Schutz.

6. Am 21.11.2024 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche, mündliche Verhandlung statt, an welcher die Beschwerdeführer, ihre Mutter als teilweise gesetzliche Vertreterin, und ihre gewillkürte Rechtsvertretung teilnahmen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist entschuldigt nicht erschienen. Im Rahmen der Beschwerdeverhandlung wurden die Beschwerdeführer ausführlich zu ihren Fluchtgründen und Rückkehrbefürchtungen befragt (s. Verhandlungsprotokoll).

7. Mit Schriftsatz vom 10.01.2025 gaben die Beschwerdeführer eine Stellungnahme ab und legten einen gynäkologischen Befund der Viertbeschwerdeführerin vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Identität der Beschwerdeführer steht fest. Sie sind Staatsangehörige von Somalia und stammen aus Mogadischu. Sie gehören der Religionsgemeinschaft der Muslime an.

Die Beschwerdeführer gehören entgegen ihrem Vorbringen keiner Minderheit in Somalia an. Sie werden in Somalia nicht deswegen von der Möglichkeit der Bildung, der Teilnahme am Erwerbsleben oder der Gesellschaft an sich ausgeschlossen. Der Erstbeschwerdeführer heiratete nicht heimlich eine Mehrheitsclanangehörige und erfolgte deswegen keine Bedrohung der Beschwerdeführer. Der nach WHO-Typ I beschnittenen Viertbeschwerdeführerin droht in Somalia keine weitere Genitalverstümmelung. Es droht ihr dort keine Zwangsverheiratung oder sonstige sexuelle Gewalt. Sie verfügt über – auch männliche – Anknüpfungspunkte und ist keine alleinstehende, schutzlose Frau in Somalia.

Die Beschwerdeführer haben Somalia einzig aus dem Grund verlassen, um zu ihrer subsidiär schutzberechtigten Mutter nach Österreich zu ziehen.

1.2. Zur maßgeblichen Situation in Somalia:

1. Bevölkerungsstruktur

Somalia ist eines der wenigen Länder in Afrika, wo es eine dominante Mehrheitskultur und -Sprache gibt. Die Mehrheit der Bevölkerung findet sich innerhalb der traditionellen somalischen Clanstrukturen (UNHCR 22.12.2021, S. 56). Somalia ist nach Angabe einer Quelle ethnisch sehr homogen; allerdings sei der Anteil ethnischer Minderheiten an der Gesamtbevölkerung unklar (AA 28.6.2022, S. 11/14). Gemäß einer Quelle teilen mehr als 85 % der Bevölkerung eine ethnische Herkunft (USDOS 12.4.2022, S. 40). Eine andere Quelle besagt, dass die somalische Bevölkerung aufgrund von Migration, ehemaliger Sklavenhaltung und der Präsenz von nicht nomadischen Berufsständen divers ist (GIGA 3.7.2018). Es gibt weder eine Konsistenz noch eine Verständigungsbasis dafür, wie Minderheiten definiert werden (UNOCHA 14.3.2022; vgl. NLMBZ 1.12.2021, S. 44). Insgesamt reichen die Schätzungen hinsichtlich des Anteils an Minderheiten an der Gesamtbevölkerung von 6 % bis hin zu 33 %. Diese Diskrepanz veranschaulicht die Schwierigkeit, Clans und Minderheiten genau zu definieren (NLMBZ 1.12.2021, S. 44; vgl. SEM, 31.5.2017, S. 12). Jedenfalls trifft man in Somalia auf Zersplitterung in zahlreiche Clans, Subclans und Sub-Subclans, deren Mitgliedschaft sich nach Verwandtschaftsbeziehungen bzw. nach traditionellem Zugehörigkeitsempfinden bestimmt (AA 18.4.2021, S. 12). Diese Unterteilung setzt sich fort bis hinunter zur Kernfamilie (SEM 31.5.2017, S. 5).

Insgesamt ist das westliche Verständnis einer Gesellschaft im somalischen Kontext irreführend. Dort gibt es kaum eine Unterscheidung zwischen öffentlicher und privater Sphäre. Zudem herrscht eine starke Tradition der sozialen Organisation abseits des Staates. Diese beruht vor allem auf sozialem Vertrauen innerhalb von Abstammungsgruppen. Seit dem Zusammenbruch des Staates hat sich diese soziale Netzwerkstruktur reorganisiert und verstärkt, um das Überleben der einzelnen Mitglieder zu sichern (BS 2022, S. 34). Die Zugehörigkeit zu einem Clan ist der wichtigste identitätsstiftende Faktor für Somalis. Sie bestimmt, wo jemand lebt, arbeitet und geschützt wird. Darum kennen Somalis üblicherweise ihre exakte Position im Clansystem (SEM 31.5.2017, S. 8).

Die sogenannten „noblen“ Clanfamilien können (nach eigenen Angaben) ihre Abstammung auf mythische gemeinsame Vorfahren und den Propheten Mohammed zurückverfolgen. Die meisten Minderheiten sind dazu nicht in der Lage (SEM 31.5.2017, S. 5). Somali sehen sich als Nation arabischer Abstammung, "noble" Clanfamilien sind meist Nomaden:

Darod gliedern sich in die drei Hauptgruppen: Ogaden, Marehan und Harti sowie einige kleinere Clans. Die Harti sind eine Föderation von drei Clans: Die Majerteen sind der wichtigste Clan Puntlands, während Dulbahante und Warsangeli in den zwischen Somaliland und Puntland umstrittenen Grenzregionen leben. Die Ogaden sind der wichtigste somalische Clan in Äthiopien, haben aber auch großen Einfluss in den südsomalischen Juba-Regionen sowie im Nordosten Kenias. Die Marehan sind in Süd-/Zentralsomalia präsent.

Hawiye leben v.a. in Süd-/Zentralsomalia. Die wichtigsten Hawiye-Clans sind Habr Gedir und Abgaal, beide haben in und um Mogadischu großen Einfluss.

Dir leben im Westen Somalilands sowie in den angrenzenden Gebieten in Äthiopien und Dschibuti, außerdem in kleineren Gebieten Süd-/Zentralsomalias. Die wichtigsten Dir-Clans sind Issa, Gadabursi (beide im Norden) und Biyomaal (Süd-/Zentralsomalia).

Isaaq sind die wichtigste Clanfamilie in Somaliland, wo sie kompakt leben. Teils werden sie zu den Dir gerechnet.

Rahanweyn bzw. Digil-Mirifle sind eine weitere Clanfamilie (SEM 31.5.2017, S. 10). Vor dem Bürgerkrieg der 1990er war noch auf sie herabgesehen worden. Allerdings konnten sie sich bald militärisch organisieren (BS 2020, S. 9).

Alle Mehrheitsclans sowie ein Teil der ethnischen Minderheiten – nicht aber die berufsständischen Gruppen – haben ihr eigenes Territorium. Dessen Ausdehnung kann sich u. a. aufgrund von Konflikten verändern (SEM 31.5.2017, S. 25). In Mogadischu verfügen die Hawiye-Clans Abgaal, Habr Gedir und teilweise auch Murusade über eine herausragende Machtposition. Allerdings leben in der Stadt Angehörige aller somalischen Clans, auch die einzelnen Bezirke sind diesbezüglich meist heterogen (FIS 7.8.2020, S. 38ff).

Als Minderheiten werden jene Gruppen bezeichnet, die aufgrund ihrer geringeren Anzahl schwächer als die „noblen“ Mehrheitsclans sind. Dazu gehören Gruppen anderer ethnischer Abstammung; Gruppen, die traditionell als unrein angesehene Berufe ausüben; sowie die Angehörigen "nobler" Clans, die nicht auf dem Territorium ihres Clans leben oder zahlenmäßig klein sind (SEM 31.5.2017, S. 5). Insgesamt gibt es keine physischen Charakteristika, welche die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Clan erkennen ließen (LI 4.4.2016, S. 9). Zudem gewinnt die Mitgliedschaft in einer islamischen Organisation immer mehr an Bedeutung. Dadurch kann eine "falsche" Clanzugehörigkeit in eingeschränktem Ausmaß kompensiert werden (BS 2022, S. 25).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report

BS - Bertelsmann Stiftung (2020): BTI 2020 - Somalia Country Report

FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020

GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

LI - Landinfo [Norwegen] (4.4.2016): Somalia: Practical issues and security challenges associated with travels in Southern Somalia

NLMBZ - Ministerie von Buitenlandse Zaken [Niederlande] (1.12.2021): Algemeen ambtsbericht Somalië

SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (22.12.2021): Citizenship and Statelessness in the Horn of Africa

UNOCHA - UN Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (14.3.2022): Somalia Humanitarian Bulletin, February 2022

USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia

2. Berufsständische Minderheiten

Berufsständische Gruppen unterscheiden sich weder durch Abstammung noch durch Sprache und Kultur von der Mehrheitsbevölkerung (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Sie sind somalischen Ursprungs, wurden aber von den traditionellen Clan-Lineages ausgeschlossen (UNHCR 22.12.2021, S. 57). Im Gegensatz zu den „noblen“ Clans wird ihnen nachgesagt, ihre Abstammungslinie nicht auf Prophet Mohammed zurückverfolgen zu können (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Ihre traditionellen Berufe werden als unrein oder unehrenhaft erachtet (UNHCR 22.12.2021, S. 57; vgl. NLMBZ 1.12.2021, S. 45; SEM 31.5.2017, S. 14ff) - etwa Jäger, Lederverarbeiter, Schuster, Friseure, Töpferinnen, traditionelle Heiler oder Hebammen (NLMBZ 1.12.2021, S. 45). Diese Gruppen stehen damit auf der untersten Stufe der sozialen Hierarchie in der Gesellschaft. Sie leben verstreut in allen Teilen des somalischen Kulturraums, mehrheitlich aber in Städten. Ein v. a. im Norden bekannter Sammelbegriff für einige berufsständische Gruppen ist Gabooye, dieser umfasst etwa die Tumal, Madhiban, Muse Dheriyo und Yibir (SEM 31.5.2017, S. 14ff). Ein anderer Sammelbegriff ist Midgan (UNHCR 22.12.2021, S. 57).

Diskriminierung: Für die Gabooye hat sich die Situation im Vergleich zur Jahrtausendwende, als sie nicht einmal normal die Schule besuchen konnten, gebessert. Insbesondere unter jungen Somali ist die Einstellung zu ihnen positiver geworden; mittlerweile ist es für viele Angehörige der Mehrheitsclans üblich, auch mit Angehörigen berufsständischer Gruppen zu sprechen, zu essen, zu arbeiten und Freundschaften zu unterhalten. Es gibt keine gezielten Angriffe gegen oder Misshandlungen von Gabooye (SEM 31.5.2017, S. 43f). In Mogadischu sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Gewalt ausgesetzt. Allerdings sind all jene Personen, welche nicht einem dominanten Clan der Stadt angehören, potenziell gegenüber Kriminalität vulnerabler (LI 21.5.2019b, S. 3).

Die berufsständischen Kasten werden zudem diskriminiert und als Bürger zweiter Klasse erachtet (BS 2022, S. 9). Zu ihrer Diskriminierung trägt bei, dass sie sich weniger strikt organisieren und sie viel ärmer sind. Daher sind sie nur in geringerem Maß in der Lage, Kompensation zu zahlen oder Blutrache anzudrohen (GIGA 3.7.2018; vgl. SEM 31.5.2017, S. 44ff). Insgesamt ist die soziale Stufe und die damit verbundene Armut für viele das Hauptproblem. Hinzu kommt, dass diese Minderheiten in der Regel eine tendenziell schlechtere Kenntnis des Rechtssystems haben. Der Zugang berufsständischer Gruppen zur Bildung ist erschwert, weil an ihren Wohnorten z. B. Schulen fehlen. Außerdem verlassen viele Kinder die Schule früher, um zu arbeiten. Viele Familien sind auf derartige Einkommen angewiesen. Die meist schlechtere Bildung wiederum führt zur Benachteiligung bei der Arbeitssuche, bei der die Clanzugehörigkeit ohnehin oft zu Diskriminierung führen kann. Da berufsständische Gruppen nur über eine kleine Diaspora verfügen, profitieren sie zudem in geringerem Ausmaß von Remissen als Mehrheitsclans (SEM 31.5.2017, S. 44ff).

Dennoch sind vereinzelt auch Angehörige berufsständischer Gruppen wirtschaftlich erfolgreich. Auch wenn sie weiterhin die ärmste Bevölkerungsschicht stellen, finden sich einzelne Angehörige in den Regierungen, im Parlament und in der Wirtschaft (SEM 31.5.2017, S. 49).

Mischehe: In dieser Frage kommt es weiterhin zu einer gesellschaftlichen Diskriminierung, da Mehrheitsclans Mischehen mit Angehörigen berufsständischer Gruppen meist nicht akzeptieren. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Mehrheitsfrau einen Minderheitenmann heiratet. Der umgekehrte Fall ist weniger problematisch (SEM 31.5.2017, S. 44ff; vgl. ÖB 11.2022, S. 4). Aufgrund dieses teils starken sozialen Drucks (FH 2022a, G3) kommen Mischehen äußerst selten vor (SEM 31.5.2017, S. 44ff; vgl. FIS 5.10.2018, S. 26). Diesbezüglich bestehen aber regionale Unterschiede: Im Clan-mäßig homogeneren Norden des somalischen Kulturraums sind Mischehen seltener und gleichzeitig stärker stigmatisiert als im Süden (ÖB 11.2022, S. 4; vgl. SEM 31.5.2017, S. 44ff). Hawiye und Rahanweyn sehen die Frage der Mischehe weniger eng. Außerdem ist der Druck auf Mischehen insbesondere in ländlichen Gebieten ausgeprägt (SEM 31.5.2017, S. 44ff). In Mogadischu sind Mischehen möglich (FIS 5.10.2018, S. 26). Auch al Shabaab hat Hindernisse für Mischehen beseitigt, in ihren Gebieten kommt es zunehmend zu solchen Eheschließungen (ICG 27.6.2019, S. 7f). Die Gruppe hat Fußsoldaten, die zu Gruppen mit niedrigem Status gehören, dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).

Eine Mischehe führt so gut wie nie zu Gewalt oder gar zu Tötungen. Seltene Vorfälle, in denen es etwa in Somaliland im Zusammenhang mit Mischehen zu Gewalt kam, sind in somaliländischen Medien dokumentiert (SEM 31.5.2017, S. 44ff). Trotzdem können diese Ehen negative Folgen für die Ehepartner mit sich bringen – insbesondere, wenn der Mann einer Minderheit angehört (ÖB 11.2022, S. 4). So kommt es häufig zur Verstoßung des aus einem "noblen" Clan stammenden Teils der Eheleute durch die eigenen Familienangehörigen. Letztere besuchen das Paar nicht mehr, kümmern sich nicht um dessen Kinder oder brechen den Kontakt ganz ab; es kommt zu sozialem Druck (SEM 31.5.2017, S. 44ff). Diese Art der Verstoßung kann vor allem in ländlichen Gebieten vorkommen. Eine Mischehe sorgt auf jeden Fall für Diskussionen und Getratsche, nach einer gewissen Zeit wird sie aber meist akzeptiert (FIS 5.10.2018, S. 26).

Quellen:

BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report

FH - Freedom House (2022a): Freedom in the World 2022 – Somalia

FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018

GIGA - Wissenschaftlicher Mitarbeiter am German Institute of Global and Area Studies (3.7.2018): Sachverständigengutachten zu 10 K 1802/14A

ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency

Ingiriis, M. H. (2020): The anthropology of Al-Shabaab: the salient factors for the insurgency movement’s recruitment project, in: Small Wars Insurgencies, Vol. 31/2, 2020, pp. 359-380, zitiert in: EASO - European Asylum Support Office (9.2021c): Somalia – Targeted Profiles, S.18

LI - Landinfo [Norwegen] (21.5.2019b): Somalia: Rer Hamar-befolkningen i Mogadishu

NLMBZ - Ministerie van Buitenlandse Zaken [Niederlande] (1.12.2021): Algemeen ambtsbericht Somalië

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (11.2022): Asylländerbericht Somalia

SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (22.12.2021): Citizenship and Statelessness in the Horn of Africa

3. Frauen

Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 12.4.2022, S. 40). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 28.6.2022, S. 17). Frauen werden in der somalischen Gesellschaft, in der Politik und in den Rechtssystemen systematisch Männern untergeordnet (LIFOS 16.4.2019, S. 10; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 40). Sie genießen nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status wie Männer und werden diesen systematisch untergeordnet. Frauen leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik und Unterbringung (USDOS 12.4.2022, S. 40).

Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019, S. 3). Frauen sind das ökonomische Rückgrat der Gesellschaft und mittlerweile oft die eigentlichen Brotverdiener der Familie (SIDRA 6.2019b, S. 2). Daher ist es üblich, in einer Stadt wie Mogadischu Kleinhändlerinnen anzutreffen, die Khat, Gemüse oder Benzin verkaufen (TE 11.3.2019; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 11). Außer bei großen Betrieben spielen Frauen eine führende Rolle bei den Privatunternehmen. In Mogadischu und Bossaso gehören ca. 45 % aller formellen Unternehmen Frauen (WB 22.3.2022).

Politik: Viele traditionelle und religiöse Eliten stellen sich vehement gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen am politischen Leben (AA 28.6.2022, S. 18). Die eigentlich vorgesehene 30-%-Frauenquote für Abgeordnete im somalischen Parlament wird nicht eingehalten. Aktuell liegt diese bei 20 % (UNSC 13.5.2022, Abs. 2; vgl. ÖB 11.2022, S. 12) im Unterhaus und 26 % im Oberhaus (14 von 54 Sitzen) (USDOS 12.4.2022, S. 31; vgl. ÖB 11.2022, S. 12; UNSC 8.2.2022, Abs. 12). In der neuen Regierung nehmen Frauen 10 Sitze ein, was einen Anteil von 13 % ausmacht (UNSC 1.9.2022, Abs. 9).

Auch wenn Gewalt gegen Frauen gesetzlich verboten ist (USDOS 12.4.2022, S. 37), bleiben häusliche (USDOS 12.4.2022, S. 37; vgl. AA 28.6.2022, S. 18) und sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem. Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 12.4.2022, S. 34/37).

Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt bleiben ein großes Problem – speziell für IDPs (FH 2022a, G3; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 34ff, ÖB 11.2022, S. 11). Im Jahr 2021 kam es zu einem Anstieg an derartigen Fällen, oft werden Opfer auch getötet (HRW 13.1.2022; vgl. UNFPA 14.4.2022). Auch im Jahr 2022 ist die Zahl an Fällen geschlechtsspezifischer Gewalt weiter gestiegen. Im Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer. 2021 war eine hohe Rate an Partnergewalt zu verzeichnen; mit der Rücknahme von Covid-19-bedingten Einschränkungen ist die Rate an Partnergewalt zuletzt gesunken. 74 % aller registrierten Vergehen von geschlechtsspezifischer Gewalt betreffen IDPs (UNFPA 14.4.2022). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert (USDOS 12.4.2022, S. 35).

Frauen und Mädchen werden Opfer, wenn sie Wasser holen, Felder bewirtschaften oder auf den Markt gehen. Klassische Muster sind: a) die Entführung von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Vergewaltigung oder der Zwangsehe. Hier sind die Täter meist nicht-staatliche Akteure; und b) Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen durch staatliche Akteure, assoziierte Milizen und unbekannte Bewaffnete. Nach anderen Angaben wiederum ereignet sich der Großteil der Vergewaltigungen - über 50 % - im eigenen Haushalt oder aber im direkten Umfeld; das heißt, Täter sind Familienmitglieder oder Nachbarn der Opfer. Diesbezüglich ist davon auszugehen, dass die Zahl an Fällen sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt aufgrund der Covid-19-Maßnahmen zugenommen hat. Alleine im Juli 2021 wurden von der UN 168 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt dokumentiert - darunter auch Vergewaltigungen und versuchte Vergewaltigungen. Es wird angenommen, dass die Dunkelziffer viel höher liegt (USDOS 12.4.2022, S. 35f). Insgesamt hat sich aber aufgrund von Chaos und Gesetzlosigkeit seit 1991 eine Kultur der Gewalt etabliert, in welcher Männer Frauen ungestraft vergewaltigen können (TE 11.3.2019). Frauen und Mädchen bleiben daher den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 28.6.2022, S. 17).

Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage und staatlicher Schutz: Vergewaltigung ist gesetzlich verboten (AA 28.6.2022, S. 18). Allerdings handelt es sich um ein Vergehen gegen Anstand und Ehre - und nicht gegen die körperliche Integrität (HRW 13.1.2022). Die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 12.4.2022, S. 34). Das Problem im Kampf gegen sexuelle Gewalt liegt insgesamt nicht am Mangel an Gesetzen – sei es im formellen Recht oder in islamischen Vorschriften (SIDRA 6.2019b, S. 5ff). Woran es mangelt, ist der politische Wille der Bundesregierung und der Bundesstaaten, bestehendes Recht umzusetzen und Täter zu bestrafen (SIDRA 6.2019b, S. 5ff; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 34). Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig als Kavaliersdelikte abgetan, eine Verurteilung der Täter mithilfe von Bestechung oder Kompensationszahlungen verhindert (AA 28.6.2022, S. 17). Hinsichtlich einer Strafverfolgung von Vergewaltigern gibt es keine Fortschritte (UNSC 13.5.2022, Abs. 60).

Bei Vergewaltigungen kann von staatlichem Schutz nicht ausgegangen werden (ÖB 11.2022, S. 11; vgl. BS 2022, S. 19). Generell herrscht Straflosigkeit (USDOS 12.4.2022, S. 35; vgl. ÖB 11.2022, S. 11). Nach anderen Angaben nimmt die Zahl erfolgreicher Strafverfolgung bei Vergewaltigungen und anderer Formen sexueller Gewalt zu. Mädchen und Frauen haben demnach Vertrauen gewonnen und zeigen Fälle an. Trotzdem gibt es noch zahlreiche Mängel und Hürden, wenn Opfer Gerechtigkeit suchen (UNFPA 14.4.2022).

Die Tabuisierung von Vergewaltigungen führt u. a. dazu, dass kaum Daten zur tatsächlichen Prävalenz vorhanden sind (SIDRA 6.2019b, S. 2). Außerdem leiden Vergewaltigungsopfer an Stigmatisierung (USDOS 12.4.2022, S. 36). Opfer, die sich an Behörden wenden, werden oft angefeindet; in manchen Fällen sogar getötet (TE 11.3.2019). Aus Furcht vor Repressalien und Stigmatisierung wird folglich in vielen Fällen keine Anzeige erstattet (ÖB 11.2022, S. 11; vgl. UNFPA 14.4.2022; UNSC 10.10.2022, Abs. 132). Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 12.4.2022, S. 36).

Insgesamt werden Vergewaltigungen aber nur selten der formellen Justiz zugeführt (USDOS 12.4.2022, S. 36; vgl. AA 28.6.2022, S. 18; UNSC 10.10.2022, Abs. 132), was u. a. an der Angst vor Rache, vor Stigmatisierung und am schwachen Justizsystem und der allgemeinen Straflosigkeit der Täter liegt (UNSC 10.10.2022, Abs. 132). Zum größten Teil (95 %) werden Fälle sexueller Gewalt – wenn überhaupt – im traditionellen Rechtsrahmen erledigt. Dort getroffene Einigungen beinhalten Kompensationszahlungen an die Familie des Opfers (SIDRA 6.2019b, S. 5ff), oder aber das Opfer wird gezwungen, den Täter zu ehelichen (TE 11.3.2019; vgl. USDOS 12.4.2022, S. 36). Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen also keinen Schutz, denn wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, wird der eigentliche Täter nicht bestraft (SEM 31.5.2017, S. 49; vgl. ÖB 11.2022, S. 11; SIDRA 6.2019b, S. 5ff). Manchmal übergibt die Polizei ohne Zustimmung des Opfers oder der Familie des Opfers einen Vergewaltigungsfall an traditionelle Rechtsinstrumente (UNSC 6.10.2021).

Sexuelle Gewalt - Maßnahmen: Es gibt kleinere Fortschritte dabei, Opfern den Zugang zum formellen Justizsystem zu erleichtern. Einerseits wurden Staatsanwältinnen eingesetzt; andererseits werden Kräfte im medizinischen und sozialen Bereich ausgebildet, welche hinkünftig Opfern zeitnah vertrauliche Dienste anbieten können werden (UNSC 13.5.2020, Abs. 56f). Zusätzlich kommt es zu Ausbildungsmaßnahmen für Sicherheitskräfte, um diese hinsichtlich konfliktbezogener sexueller Gewalt und den damit verbundenen Menschenrechten zu sensibilisieren (UNSC 13.11.2020, Abs. 49).

Bei der Armee wurden einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 12.4.2022, S. 35). In Puntland wurden zwei Zivilisten (Vergewaltigung und Mord) und in Baidoa ein Polizist (Vergewaltigung einer Schwangeren) – nach Verurteilung – exekutiert (UNSC 13.5.2020, Abs. 48/58). Im Mai 2021 wurden drei Verdächtige festgenommen, die als Sicherheitskräfte Frauen vergewaltigt haben sollen. Ihre DNA-Proben wurden zur Untersuchung nach Garoowe geschickt – dort befindet sich das einzige dafür ausgerüstete Labor Somalias (UNSC 10.8.2021, Abs. 48). In Baidoa wurde ein Mann, der eine Frau ermordet hatte, zum Tode verurteilt und Anfang Juni 2022 öffentlich von einem Erschießungskommando exekutiert (GN 7.6.2022). In zwei Vergewaltigungsfällen an Minderjährigen in Jubaland und Galmudug wurden die Täter (ein Soldat und ein Clanmilizionär) verhaftet, die Opfer wurden medizinisch versorgt (UNSC 1.9.2022, Abs. 61).

Sexuelle Gewalt - Unterstützung: Insgesamt gibt es für Opfer sexueller Gewalt beachtliche Hürden, um notwendige Unterstützung in Anspruch nehmen zu können (USDOS 12.4.2022, S. 37). Zudem gibt es nur wenig Unterstützung in Fällen von Vergewaltigung, da es kaum spezialisierte Anbieter hinsichtlich psycho-sozialer Unterstützung oder zur Behandlung von Traumata gibt (UNFPA 14.4.2022). Sogenannte One-Stop-Centers, die von lokalen und internationalen Organisationen sowie vom Gesundheitsministerium betrieben werden, bieten Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt (auch FGM) rechtliche Hilfe und andere Dienste (UNICEF 29.6.2021). UNFPA unterstützt insgesamt 31 solche Einrichtungen sowie 16 Gesundheitseinrichtungen, welche für Opfer spezialisierte Behandlungen anbieten (UNFPA 5.2022). In ganz Somalia sind 74 NGOs und internationale Organisationen aktiv, um Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt zu unterstützen. In Mogadischu und in Puntland sind z.B. jeweils mehr als 20 Organisationen aktiv. Im Jahr 2021 wurden durch diese Anbieter ca. 51.000 Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt behandelt, fast 10.000 Opfern wurde ein safe space zur Verfügung gestellt (UNFPA 14.4.2022). In Lower Shabelle stellen etwa ein Dutzend NGOs und andere Akteure für Vergewaltigungsopfer medizinische Behandlung, Beratung und andere Dienste zur Verfügung (USDOS 12.4.2022, S. 35). Insgesamt mangelt es allerdings an Schutzeinrichtungen. In Puntland gibt es einige Frauenhäuser, im Süd-/Zentralsomalia hingegen gibt es nur sehr wenige derartige Einrichtungen für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (UNFPA 14.4.2022).

Sexuelle Gewalt - Puntland: Nur in Puntland gibt es ein entsprechendes Gesetz hinsichtlich sexueller Übergriffe (UNFPA 14.4.2022). Dort haben die Behörden zudem Maßnahmen getroffen, um die Straflosigkeit im Bereich sexualisierter Gewalt effektiver bekämpfen zu können. Bei der Generalstaatsanwaltschaft wurde eine eigene Abteilung eingerichtet (AA 18.4.2021, S. 16). Bei drei Vergewaltigungsfällen Ende 2021 und Anfang 2022 in den Bezirken Bossaso, Galkacyo und Garoowe wurden Verdächtige verhaftet (UNSC 8.2.2022, Abs. 62). Insgesamt blieb die Umsetzung des Gesetzes bislang begrenzt (AA 18.4.2021, S. 16), und der Regierung wird vorgeworfen, in Fällen sexueller Gewalt zu intervenieren oder Untersuchungen zu verhindern (HRW 13.1.2022). In Puntland gibt es eine von UNFPA unterstützte, mobile Rechtshilfe-Klinik, die Frauen und Mädchen aus vulnerablen und marginalisierten Gruppen berät und rechtlich unterstützt (GN 10.11.2022b).

Frauen - al Shabaab: In den von ihr kontrollierten Gebieten gelingt es al Shabaab, Frauen und Mädchen ein gewisses Maß an physischem Schutz zukommen zu lassen. Die Gruppe interveniert z. B. in Fällen häuslicher Gewalt (ICG 27.6.2019, S. 2/6). Al Shabaab hat Vergewaltiger – mitunter zum Tode – verurteilt (USDOS 12.4.2022, S. 37). Dies ist auch ein Grund dafür, warum es in den Gebieten der al Shabaab nur vergleichsweise selten zu Vergewaltigungen kommt (ICG 27.6.2019, S. 6; vgl. DI 6.2019, S. 9).

Andererseits legen Berichte nahe, dass sexualisierte Gewalt von al Shabaab gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 28.6.2022, S. 18). Die Zahl an Zwangs- und Frühehen durch al Shabaab hat zugenommen (UNSC 6.10.2021). Dabei zwingt al Shabaab Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 20 Jahren zur Ehe. Diese sowie deren Familien haben generell kaum eine Wahl. Solche Zwangsehen gibt es nur in den von al Shabaab kontrollierten Gebieten (USDOS 12.4.2022, S. 37). Nach anderen Angaben werden die meisten Ehen mit Mitgliedern der al Shabaab freiwillig eingegangen, auch wenn der Einfluss von Eltern und Clan sowie das geringe Alter bei der Eheschließung nicht gering geschätzt werden dürfen. Eine solche Ehe bietet der Ehefrau und ihrer Familie ein gewisses Maß an finanzieller Stabilität, selbst Witwen beziehen eine Rente (ICG 27.6.2019, S. 8). Demgegenüber stehen Berichte, wonach viele Eltern ihre Töchter in Städte gebracht haben, um sie vor dem Zugriff durch al Shabaab in Sicherheit zu bringen (DI 6.2019, S. 9).

Al Shabaab schränkt die Freiheit und die Möglichkeiten von Frauen auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle signifikant ein (TE 11.3.2019). Die Anwendung einer extremen Form der Scharia resultiert in einer entsprechend weitgehenden Diskriminierung von Frauen (AA 28.6.2022, S. 18). Diese werden etwa insofern stärker ausgeschlossen, als ihre Beteiligung an ökonomischen Aktivitäten als unislamisch erachtet wird (USDOS 12.4.2022, S. 40). Nach anderen Angaben hat al Shabaab einen pragmatischen Zugang. Da immer mehr Familien vom Einkommen der Frauen abhängig sind, tendiert die Gruppe dazu, sie ihren wirtschaftlichen Aktivitäten nachgehen zu lassen. Und dies, obwohl Frauen nominell das Verlassen des eigenen Hauses nur unter Begleitung eines männlichen Verwandten (mahram) erlaubt ist (ICG 27.6.2019, S. 11).

Eheschließung: Bei Eheschließungen gilt das Scharia-Recht. Polygamie ist somit erlaubt, ebenso die Ehescheidung (ÖB 11.2022, S. 10). Es gibt keine Zivilehe (LI 14.6.2018, S. 7). Die Ehe ist extrem wichtig, und es ist in der somalischen Gesellschaft geradezu undenkbar, dass eine junge Person unverheiratet bleibt. Gleichzeitig besteht gegenüber der Braut die gesellschaftliche Erwartung, dass sie bei ihrer ersten Eheschließung Jungfrau ist (LIFOS 16.4.2019, S. 38). Gerade bei der ersten Ehe ist die arrangierte Ehe die Norm (LI 14.6.2018, S. 8f). Eheschließungen über Clangrenzen [Anm.: großer bzw. "nobler" Clans] hinweg sind normal (FIS 5.10.2018, S. 26f).

Ehe-Alter / Kinderehe: Generell sind die Ausdrücke "Erwachsener" und "Kind" in Somalia umstritten und de facto gesetzlich nicht explizit definiert (SPA 1.2021). Zwar ist gemäß somalischem Zivilrecht für eine Eheschließung ein Mindestalter von 15 Jahren vorgesehen (ICG 27.6.2019, S. 8), doch Scharia und Tradition nehmen eine Heiratsfähigkeit bei Erreichen der Pubertät an (LI 14.6.2018, S. 7). Generell herrscht unter den relevanten Stakeholdern keine Einigkeit darüber, wann denn nun eigentlich das Heiratsalter erreicht ist (UNFPA 14.4.2022) - und dies, obwohl Somalia die Kinderrechtskonvention unterzeichnet hat, die eigentlich gegen eine Ehe vor dem Alter von 18 Jahren spricht (Sahan 19.9.2022). Laut Gesetzen sollen beide Ehepartner das "age of maturity" erreicht haben; als Kinder werden Personen unter 18 Jahren definiert. Außerdem sieht die Verfassung vor, dass beide Ehepartner einer Eheschließung freiwillig zustimmen müssen (USDOS 12.4.2022, S. 42; vgl. Sahan 19.9.2022). Trotzdem ist die Kinderehe verbreitet (USDOS 12.4.2022, S. 42; vgl. FH 2022a, G3) – gerade in ärmeren, ländlichen Gebieten (ICG 27.6.2019, S. 8; vgl. FIS 5.10.2018, S. 27; LI 14.6.2018, S. 7). Denn die Scharia, in der kein Mindestalter vorgesehen ist, hat das Familiengesetz weitestgehend ersetzt (Sahan 19.9.2022). Oft werden Mädchen zwischen 10 und 16 Jahren verheiratet, wobei die Eheschließung von den Eltern schon sehr früh vereinbart wird. Die eigentliche Hochzeit erfolgt, wenn das Mädchen die Pubertät erreicht (FIS 5.10.2018, S. 27). Eltern ermutigen Mädchen zur Heirat, in der Hoffnung, dass die Ehe dem Kind finanzielle und soziale Absicherung bringt und dass diese die eigene Familie finanziell entlastet. Zudem wird eine frühe Ehe als kulturelle und religiöse Anforderung wahrgenommen (UNFPA 14.4.2022). Bei einer Umfrage im Jahr 2017 gaben ca. 60 % der Befragten an, dass eine Eheschließung für Mädchen unter 18 Jahren kein Problem ist (AV 7.2017, S. 36). Schätzungen zufolge heiraten 45 % der Mädchen vor ihrem 18. und 8 % vor ihrem 15. Geburtstag. Die Dürre hat das Risiko für viele Mädchen erhöht, bereits in jungen Jahren einer Ehe zugeführt zu werden. Es ist zu einem starken Anstieg der Zahl an Kinderehen gekommen. Viele durch die Dürre verarmte Familien holen Töchter aus den Schulen und verheiraten diese, um vom Brautgeld (yarad) leben zu können. In einem unsicheren Umfeld – etwa in einem IDP-Lager – wollen Eltern u.U. auch die Tochter vor Missbrauch schützen, indem sie diese verheiraten (Sahan 19.9.2022).

Arrangierte Ehe / Zwangsehe: Der Übergang von arrangierter zur Zwangsehe ist fließend. Bei Ersterer liegt die mehr oder weniger explizite Zustimmung beider Eheleute vor, wobei hier ein unterschiedliches Maß an Druck ausgeübt wird. Bei der Zwangsehe hingegen fehlt die Zustimmung gänzlich oder nahezu gänzlich (LI 14.6.2018, S. 9f). Frauen und viele minderjährige Mädchen werden zur Heirat gezwungen (AA 28.6.2022, S. 18). Nach Angaben einer Quelle sind Zwangsehen in Somalia normal (SPA 1.2021). Laut einer Studie aus dem Jahr 2018 gibt eine von fünf Frauen an, zur Ehe gezwungen worden zu sein; viele von ihnen waren bei der Eheschließung keine 15 Jahre alt (LIFOS 16.4.2019, S. 10). Und manche Mädchen haben nur in eine Ehe eingewilligt, um nicht von der eigenen Familie verstoßen zu werden (SPA 1.2021). Es gibt keine bekannten Akzente der Bundesregierung oder regionaler Behörden, um dagegen vorzugehen. Außerdem gibt es kein Mindestalter für einvernehmlichen Geschlechtsverkehr (USDOS 12.4.2022, S. 43). Gegen Frauen, die sich weigern, einen von der Familie gewählten Partner zu ehelichen, wird mitunter auch Gewalt angewendet. Das Ausmaß ist unklar, Ehrenmorde haben diesbezüglich in Somalia aber keine Tradition (LI 14.6.2018, S. 10). Vielmehr können Frauen, die sich gegen eine arrangierte Ehe wehren und/oder davonlaufen, ihr verwandtschaftliches Solidaritätsnetzwerk verlieren (ACCORD 31.5.2021, S. 33; vgl. LI 14.6.2018, S. 10).

Bereits eine Quelle aus dem Jahr 2004 besagt, dass sich die Tradition gewandelt hat, und viele Ehen ohne Einbindung, Wissen oder Zustimmung der Eltern geschlossen werden (LI 14.6.2018, S. 9f). Viele junge Somali akzeptieren arrangierte Ehen nicht mehr (LIFOS 16.4.2019, S. 11). Gerade in Städten ist es zunehmend möglich, den Ehepartner selbst zu wählen (LIFOS 16.4.2019, S. 11; vgl. LI 14.6.2018, S. 8f). In der Hauptstadt ist es nicht unüblich, dass es zu – freilich oft im Vorfeld mit den Familien abgesprochenen – Liebesehen kommt (LI 14.6.2018, S. 8f). Dort sind arrangierte Ehen eher unüblich. Gemäß einer Schätzung konnten sich die Eheleute in 80 % der Fälle ihren Partner selbst aussuchen bzw. bei der Entscheidung mitreden. Zusätzlich gibt es auch die Tradition der "runaway marriages", bei welcher die Eheschließung ohne Wissen und Zustimmung der Eltern erfolgt (FIS 5.10.2018, S. 26f). Diese Art der Eheschließung ist in den vergangenen Jahren immer verbreiteter in Anspruch genommen worden (LI 14.6.2018, S. 11).

Durch eine Scheidung wird eine Frau nicht stigmatisiert, und Scheidungen sind in Somalia nicht unüblich (LI 14.6.2018, S. 18f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 27f). Bereits 1991 wurde festgestellt, dass mehr als die Hälfte der über 50-jährigen Frauen mehr als einmal verheiratet gewesen ist (LI 14.6.2018, S. 18). Die Zahlen geschiedener Frauen und von Wiederverheirateten sind gestiegen. Bei einer Scheidung bleiben die Kinder üblicherweise bei der Frau, diese kann wieder heiraten oder die Kinder alleine großziehen. Um unterstützt zu werden, zieht die Geschiedene aber meist mit den Kindern zu ihren Eltern oder zu Verwandten (FIS 5.10.2018, S. 27f). Bei der Auswahl eines Ehepartners sind Geschiedene in der Regel freier als bei der ersten Eheschließung (LI 14.6.2018, S. 19). Auch bei al Shabaab sind Scheidungen erlaubt und werden von der Gruppe auch vorgenommen (ICG 27.6.2019, S. 9).

In Somalia gibt es keine Tradition sogenannter Ehrenmorde im Sinne einer akzeptierten Tötung von Frauen, welche bestimmte soziale Normen überschritten haben – z. B. Geburt eines unehelichen Kindes (LI 14.6.2018, S. 10). Ein uneheliches Kind wird allerdings als Schande für die ganze Familie der Frau erachtet. Mutter und Kind werden stigmatisiert, im schlimmsten Fall werden sie von der Familie verstoßen (FIS 5.10.2018, S. 27).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (18.4.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021

AV - Africa’s Voices (7.2017): Beliefs and practices of Somali citizens related to child protection and gender

BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report

DI - Development Initiatives (6.2019): Towards an improved understanding of vulnerability and resilience in Somalia

FH - Freedom House (2022a): Freedom in the World 2022 – Somalia

FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018

GN - Goobjoog News (10.11.2022b): Reclaiming hope and justice for survivors of sexual violence during drought and hunger crisis in Somalia

GN - Goobjoog News (7.6.2022): Man who killed woman in Baidoa and dumped body in sewer executed by firing squad

HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Somalia

ICG - International Crisis Group (27.6.2019): Women and Al-Shabaab’s Insurgency

LI - Landinfo [Norwegen] (14.6.2018): Somalia: Marriage and divorce

LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (16.4.2019): Somalia - Kvinnlig könsstympning (version 1.0)

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (11.2022): Asylländerbericht Somalia

Sahan - Sahan / Somali Wire Team (19.9.2022): Worsening drought in Somalia leads to rise in child marriages, in: The Somali Wire Issue No. 453, per e-Mail

SEM - Staatssekretariat für Migration [Schweiz] (31.5.2017): Focus Somalia – Clans und Minderheiten

SIDRA - Somali Institute for Development Research and Analysis (6.2019b): Rape: A rising Crisis and Reality for the Women in Somalia

SPA - Somali Public Agenda (1.2021): A comparative review of Somalia’s controversial Sexual Offences Bills

TE - The Elephant / Rasna Warah (11.3.2019): The Invisible Clan: Is Somalia Ready for a Women’s Revolution?

UNFPA - UN Population Fund (5.2022): UNFPA Response in Somalia, Situation Report, Issue #5

UNFPA - UN Population Fund (14.4.2022): Overview of Gender Based Violence Situation in Somalia

UNICEF (29.6.2021): Ending child marriage and female genital mutilation in Eastern and Southern Africa: Case studies of promising practices from across the region

UNSC - UN Security Council (10.10.2022): Letter dated 10 October 2022 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council: Letter dated 1 September 2022 from the Panel of Experts on Somalia addressed to the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia [S/2022/754]

UNSC - UN Security Council (1.9.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/665]

UNSC - UN Security Council (13.5.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/392]

UNSC - UN Security Council (8.2.2022): Situation in Somalia - Report of the Secretary-General [S/2022/101]

UNSC - UN Security Council (6.10.2021): Letter dated 5 October 2021 from the Chair of the Security Council Committee pursuant to resolution 751 (1992) concerning Somalia addressed to the President of the Security Council: Final report of the Panel of Experts on Somalia (S/2021/849)

UNSC - UN Security Council (10.8.2021): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2021/723]

UNSC - UN Security Council (13.11.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/1113]

UNSC - UN Security Council (13.5.2020): Situation in Somalia; Report of the Secretary-General [S/2020/398]

USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia

WB - Weltbank / Sophia Friedson-Ridenour (22.3.2022): Voices of women entrepreneurs in a changing Somalia

4. Weibliche Genitalverstümmelung und -beschneidung (FGM/C)

Gudniin ist die allgemeine somalische Bezeichnung für Beschneidung – egal ob bei einer Frau oder bei einem Mann (Crawford 2015, S.65f). In Somalia herrschen zwei Formen von FGM vor:

a) Einerseits die am meisten verbreitete sogenannte Pharaonische Beschneidung (gudniinka fircooniga), welche weitgehend dem WHO Typ III (Infibulation) entspricht (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 13f; Crawford 2015, S. 66f) und von der somalischen Bevölkerung unter dem - mittlerweile auch dort geläufigen - Synonym "FGM" verstanden wird (UNFPA 4.2022; vgl. Crawford 2015, S. 68).

b) Andererseits die Sunna (gudniinka sunna) (LIFOS 16.4.2019, S. 13f; vgl. Crawford 2015, S. 66f), welche laut einer Quelle generell dem weniger drastischen WHO Typ I entspricht (LIFOS 16.4.2019, S. 13f), laut einer anderen Quelle WHO Typ I und II (AV 2017, S. 29) bzw. laut einer dritten Quelle eine breite Palette an Eingriffen umfasst (Crawford 2015, S. 41ff/66f). Denn die Sunna wird nochmals unterteilt in die sog. große Sunna (sunna kabir) und die kleine Sunna (sunna saghir); es gibt auch Mischformen (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. Crawford 2015, S. 41ff/66f). De facto kann unter dem Begriff „Sunna“ jede Form – von einem kleinen Schnitt bis hin zur fast vollständigen pharaonischen Beschneidung – gemeint sein, die von der traditionellen Form von FGM (Infibulation) abweicht (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Aufgrund der Problematik, dass es keine klare Definition der Sunna gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 14f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 31), wissen Eltern oft gar nicht, welchen Eingriff die Beschneiderin genau durchführen wird (LIFOS 16.4.2019, S. 14f). Allgemein wird die Sunna von Eltern und Betroffenen als harmlos erachtet, mit dieser Form werden nur geringfügige gesundheitliche Komplikationen in Zusammenhang gebracht (UNFPA 4.2022).

Laut einer in Puntland gemachten Studie gibt es auch noch andere Namen für FGM, etwa Dhufaanid (Kastration) oder Tolid (Zunähen) (UNFPA 4.2022).

Durchführung: Mädchen werden zunehmend von medizinischen Fachkräften beschnitten (LI 14.9.2022, S. 11; vgl. UNFPA 4.2022). Bei einer Studie in Somaliland gaben nur 5 % der Mütter an, selbst von einer Fachkraft beschnitten worden zu sein; bei den Töchtern waren es hingegen schon 33 % (LI 14.9.2022, S. 11). Diese "Medizinisierung" von FGM/C ist v. a. im städtischen Bereich und bei der Diaspora angestiegen (UNICEF 29.6.2021). FGM/C wird also zunehmend im medizinischen Bereich durchgeführt – in Spitälern, Kliniken oder auch bei Hausbesuchen. Die Durchführung durch medizinisches Personal ist teilweise schon gängige Praxis – in Mogadischu gibt es sogar Straßenwerbung für "FGM clinics". Insgesamt sind die Ausführenden aber immer noch oft traditionelle Geburtshelferinnen, Hebammen und Beschneiderinnen. Der Eingriff wird an Einzelnen oder auch an Gruppen von Mädchen vorgenommen. In ländlichen Gebieten Puntlands und Somalilands üblicherweise in Gruppen. Auch in Mogadischu ist das die übliche Praxis. Oft gibt es danach für die Mädchen eine Feier (Crawford 2015, S. 73f). Eine traditionelle Beschneiderin verlangt üblicherweise 20 US-Dollar für einen Eingriff, bei finanzschwachen Familien kann dieser Preis auf 5 US-Dollar reduziert werden (UNFPA 4.2022).

Verbreitung: FGM ist in Somalia auch weiterhin weit verbreitet (USDOS 12.4.2022, S. 37; vgl. AA 28.6.2022, S. 18) und bleibt die Norm (LI 14.9.2022, S. 16). Lange Zeit wurde die Zahl betroffener Frauen mit 98 % angegeben. Diese Zahl ist laut somalischem Gesundheitsministerium bis 2015 auf 95 % und bis 2018 auf 90 % gefallen (FIS 5.10.2018, S. 29). UN News berichtet von "mehr als 90 %" (UNN 4.2.2022). Gemäß einer Studie aus dem Jahr 2017 sind rund 13 % der 15-17-jährigen Mädchen nicht beschnitten (STC 9.2017). In der Altersgruppe von 15-49 Jahren liegt die Prävalenz hingegen bei 98 %, jene der Infibulation bei 77 %, wie eine andere Studie besagt (BMC Yussuf 2020, S. 1f). Laut einer anderen Quelle sind 88 % der 5-9-jährigen Mädchen bereits beschnitten oder verstümmelt (CARE 4.2.2022).

Insgesamt gibt es diesbezüglich nur wenige aktuelle Daten. Generell ist von einer Rückläufigkeit auszugehen (LIFOS 16.4.2019, S. 19f; vgl. STC 9.2017).

Hinsichtlich geografischer Verbreitung scheint die Infibulation 2006 in Süd-/Zentralsomalia mit 72 % am wenigsten verbreitet gewesen zu sein; in Puntland war sie mit 93 % am verbreitetsten (LIFOS 16.4.2019, S. 21). Es wird davon ausgegangen, dass die Rate an Infibulationen in ländlichen Gebieten höher ist als in der Stadt (Crawford 2015, S. 69). Vielen Menschen – v.a. in städtischen Gebieten – erachten die extremeren Formen von FGM zunehmend als inakzeptabel, halten aber an Typ I fest (UNICEF 29.6.2021; vgl. UNFPA 4.2022). Bei einer landesweiten Umfrage aus dem Jahr 2017 haben 40,6 % angegeben, von einer Infibulation betroffen zu sein (AV 2017, S. 29). Jedenfalls ist die Quote an Infibulationen im ganzen Land rückläufig (Crawford 2015, S. 70). Während in der ältesten Altersgruppe vier von fünf Frauen eine Infibulation erlitten haben, ist es bei der jüngsten Altersgruppe nicht einmal eine von zwei (28TM o.D.). Generell geht der Trend in Richtung Sunna (UNFPA 4.2022).

FGM kann als gesellschaftliche Konvention erachtet werden, die von den meisten Menschen als selbstverständliche angesehen wird. Daher stellt sich üblicherweise nicht die Frage, ob der Eingriff durchgeführt wird. Vielmehr geht es um die praktischen Aspekte der Umsetzung (LI 14.9.2022). Üblicherweise liegt die Entscheidung darüber, ob eine Beschneidung stattfinden soll, in erster Linie bei der Mutter (FIS 5.10.2018, S. 30; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 17f; LI 14.9.2022, S. 11; Crawford 2015, S. 85). Der Vater hingegen wird wenig eingebunden (LI 14.9.2022, S. 11; vgl. Crawford 2015, S. 85). Dabei geht es bei dieser Entscheidung weniger um das "ob" als vielmehr um das "wie und wann" (LI 14.9.2022, S. 11). Eine Studie aus dem Jahr 2022 in Puntland bestätigt, dass Mütter die Entscheidung hinsichtlich von FGM und Väter jene hinsichtlich der Beschneidung der Söhne treffen. Tendenziell können Väter neuerdings mehr Mitsprache halten. Insgesamt ist es aber die Mutter, die für die Jungfräulichkeit, Reinheit und Ehefähigkeit ihrer Töchter verantwortlich ist (UNFPA 4.2022). Es kann zu – teils sehr starkem – psychischem Druck auf eine Mutter kommen, damit eine Tochter beschnitten wird. Um eine Verstümmelung zu vermeiden, kommt es auf die Standhaftigkeit der Mutter an. Spricht sich auch der Kindesvater gegen eine Verstümmelung aus, und bleibt dieser standhaft, dann ist es leichter, dem psychischen Druck seitens der Gesellschaft und gegebenenfalls durch die Familie standzuhalten (DIS 1.2016, S. 8ff). Manchmal wird der Vater von der Mutter bei der Entscheidung übergangen (UNFPA 4.2022; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f). Nach anderen Angaben liegt es an den Eltern, darüber zu entscheiden, welche Form von FGM an der Tochter vorgenommen wird. Manchmal halten Großmütter oder andere weibliche Verwandte Mitsprache. In ländlichen Gebieten können Großmütter eher Einfluss ausüben (LIFOS 16.4.2019, S. 25f/42f; vgl. FIS 5.10.2018, S. 30). Dort ist es mitunter auch schwieriger, FGM infrage zu stellen (FIS 5.10.2018, S. 30f). Gemäß Angaben anderer Quellen sind Großmütter maßgeblich in die Entscheidung involviert (LI 14.9.2022, S. 11; vgl. Crawford 2015, S. 85). Laut anderen Angaben kann es vorkommen, dass eine Mutter bei weiblichen Verwandten Ratschläge einholt (UNFPA 4.2022). Dass Mädchen ohne Einwilligung der Mutter von Verwandten einer FGM unterzogen werden, ist zwar nicht auszuschließen, aber unwahrscheinlich. Keine Quelle des Danish Immigration Service konnte einen derartigen Fall berichten (DIS 1.2016, S. 10ff). Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos nennen als diesbezüglich annehmbare Ausnahme (theoretisch) den Fall, dass ein bei den Großeltern lebendes Kind von der Großmutter FGM zugeführt wird, ohne dass es dazu eine Einwilligung der Eltern gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 26). Gerade in Städten ist es heutzutage kein Problem mehr, sich einer Beschneidung zu widersetzen, und die Zahl unbeschnittener Mädchen steigt (FIS 5.10.2018, S. 31).

In der Diaspora lebende Mädchen werden „nach Hause“ oder in bestimmte europäische Städte geflogen, wo FGM vollzogen wird (GN 3.11.2022). Allerdings nimmt in der Diaspora die Praktik ab. Der Druck sinkt mit der Distanz zur Heimat und zur Familie (LI 14.9.2022, S. 17). In manchen Gemeinden und Gemeinschaften, wo Aufklärung bezüglich FGM stattgefunden hat, stellen sich Teile der Bevölkerung gegen jegliche Art von FGM. Von jenen, die nicht von Aufklärungskampagnen betroffen waren, gab es nur eine kleine Minderheit aus gut gebildeten Menschen und Personen der Diaspora, die sich von allen Formen von FGM verabschiedet hat (Crawford 2015, S. 65; vgl. LI 14.9.2022). Eine Expertin erklärt, dass hinsichtlich FGM kein Zwang herrscht, dass allerdings eine Art Gruppendruck besteht (ACCORD 31.5.2021, S. 41).

Überhaupt ist der Hauptantrieb, weswegen Mädchen weiterhin einer FGM/C unterzogen werden, der Druck, sozialen Erwartungen gerecht zu werden (Crawford 2015, S. 82). Frauen fürchten sich vor einem gesellschaftlichen Ausschluss und vor Diskriminierung - ihrer selbst und ihrer Töchter. Eine Beschneidung bringt hingegen soziale Vorteile und sichert der Familie und dem Mädchen die Integration in die Gesellschaft (UNFPA 4.2022). So gibt es etwa Berichte über erwachsene Frauen, die sich einer Infibulation unterzogen haben, da sie sich durch (sozialen) Druck dazu gezwungen sahen (Crawford 2015, S. 73). Mitunter üben nicht beschnittene Mädchen aufgrund des gesellschaftlichen Drucks selbst Druck auf Eltern aus, damit die Verstümmelung vollzogen wird (UNFPA 4.2022; vgl. Crawford 2015, S. 83; LIFOS 16.4.2019, S. 42f/26; ACCORD 31.5.2021, S. 41). Die umfassende FGM in Form einer Infibulation stellt eine Art Garantie der Jungfräulichkeit bei der ersten Eheschließung dar. Die in der Gemeinde zirkulierte Information, wonach eine Frau nicht infibuliert ist, wirkt sich auf das Ansehen und letztendlich auf die Heiratsmöglichkeiten der Frau und anderer Töchter der Familie aus. Daher wird die Infibulation teils immer noch als notwendig erachtet (LIFOS 16.4.2019, S. 38f; vgl. LI 14.9.2022, S. 11). Kulturell gilt die Klitoris als "schmutzig", eine Infibulation als ästhetisch. Letztere trägt zur Ehre der Frau bei, denn sie beschränkt den Sexualdrang, sichert die Jungfräulichkeit und sichert die Heirat (LI 14.9.2022, S. 10; UNFPA 4.2022). Dahingegeben werden unbeschnittene Frauen oft als schmutzig oder un-somalisch (LI 14.9.2022, S. 16), als abnormal und schamlos (Crawford 2015, S. 82f) oder aber als un-islamisch bezeichnet. Sie werden mitunter in der Schule gehänselt und drangsaliert und sie und ihre Familie als Schande für die Gemeinschaft erachtet. Ein diesbezügliches Schimpfwort ist hier buurya qab (UNFPA 4.2022), ein Weiteres leitet sich vom Wort für Klitoris (kintir) ab: Kinitrey. Allerdings gaben bei einer Studie in Somaliland nur 14 von 212 Frauen an, überhaupt eine (völlig) unbeschnittene Frau zu kennen (LI 14.9.2022, S. 16). Die Sunna als Alternative zur Infibulation wird laut einer rezenten Studie aus Puntland jedoch akzeptiert (UNFPA 4.2022).

Die Akzeptanz unbeschnittener Frauen bzw. jener, die nicht einer Infibulation unterzogen wurden, hängt maßgeblich von der Familie ab. Generell steht man ihnen in urbanen Gebieten eher offen gegenüber (LIFOS 16.4.2019, S. 23). In der Stadt ist es kein Problem, zuzugeben, dass die eigene Tochter nicht beschnitten ist. Auf dem Land ist das anders (CEDOCA 9.6.2016, S. 21). Nach anderen Angaben stellt der Verzicht auf jegliche Form von FGM in Somalia eine radikale Entscheidung dar, die gegen grundlegende Normen verstößt. Damit sich Eltern aus eigener Initiative gegen FGM ihrer Tochter wehren können, müssen sie über Kenntnisse und Einwände gegen die Praxis sowie über genügend Robustheit und Ressourcen verfügen, um die Einwände für Familie, Netzwerke und lokale Gemeinschaften zu fördern (LI 14.9.2022).

Eine Familie, die sich gegen FGM entschieden hat, wird versuchen, die Tatsache geheim zu halten (FIS 5.10.2018, S. 30f). Nur wenige Mütter "bekennen", dass sie ihre Töchter nicht beschneiden haben lassen; und diese stammen v. a. aus Gemeinden, die zuvor Aufklärungskampagnen durchlaufen hatten (Crawford 2015, S. 65). In größeren Städten ist es auch möglich, den unbeschnittenen Status ganz zu verbergen. Die Anonymität ist eher gegeben, die soziale Interaktion geringer; dies ist in Dörfern mitunter sehr schwierig (DIS 1.2016, S. 24/9; vgl. LIFOS 16.4.2019, S. 39). Natürlich werden nicht ständig die Genitalien von Mädchen überprüft. Aber Menschen sprechen miteinander, sie könnten ein betroffenes Mädchen z. B. fragen, wo es denn beschnitten worden sei (ACCORD 31.5.2021, S. 41). Da gleichaltrige Mädchen einer Nachbarschaft oder eines Ortes oft gleichzeitig beschnitten werden, ist es nicht unüblich, dass eine Gemeinschaft darüber Bescheid weiß, welche Mädchen beschnitten sind und welche nicht (LI 14.9.2022, S. 16). Gleichzeitig ist FGM auch unter den Mädchen selbst ein Thema. Es sprechen also nicht nur Mütter untereinander darüber, ob ihre Töchter bereits beschnitten wurden; auch Mädchen reden untereinander darüber (Crawford 2015, S. 83). Spätestens bei der Verheiratung ist der physische Status jedenfalls klar (ACCORD 31.5.2021, S. 41).

Trotzdem gibt es sowohl in urbanen als auch in ländlichen Gebieten Eltern, die ihre Töchter nicht verstümmeln lassen (DIS 1.2016, S. 9). Wird der unbeschnittene Status eines Mädchens bekannt, kann dies zu Hänseleien und zur Stigmatisierung führen (LIFOS 16.4.2019, S. 39). Doch auch dabei gibt es Unterschiede zwischen Stadt und Land (CEDOCA 9.6.2016, S. 21). Allerdings kommt es zu keinen körperlichen Untersuchungen, um den Status hinsichtlich einer vollzogenen Verstümmelung bei einem Mädchen festzustellen. Dies gilt auch für Rückkehrer aus dem Westen. In ländlichen Gebieten wird wahrscheinlich schneller herausgefunden, dass ein Mädchen nicht verstümmelt ist. Eine Mutter kann den Status ihrer Tochter verschleiern, indem sie vorgibt, dass diese einer Sunna unterzogen worden ist (DIS 1.2016, S. 12f).

Zum Alter bei der Beschneidung gibt es unterschiedliche Angaben. Die meisten Quellen der schwedischen COI-Einheit Lifos nennen ein Alter von 5-10 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20/39), UN News nennt ein Alter von 5-9 Jahren (UNN 4.2.2022); in Puntland und Somaliland erfolgt die Beschneidung laut einer Studie aus dem Jahr 2011 meist im Alter von 10-14 Jahren (LIFOS 16.4.2019, S. 20). Eine Studie aus dem Jahr 2022 hingegen besagt für Puntland, dass Mädchen bis zum 13. Geburtstag der Praktik unterzogen sein müssen, wenn die Mutter Hänseleien entgehen will (UNFPA 4.2022). Eine Studie aus dem Jahr 2017 nennt für ganz Somalia die Gruppe der 10-14-Jährigen (STC 9.2017), dieses Alter erwähnt auch eine NGO (28TM o.D.). Eine andere Quelle nennt ein Alter von 10-13 Jahren (AA 28.6.2022, S. 19). UNICEF wiederum nennt ein Alter von 4-14 Jahren als üblich; die NGO IIDA gibt an, dass die Beschneidung üblicherweise vor dem achten Geburtstag erfolgt (CEDOCA 9.6.2016, S. 6). Laut einer Quelle ist das Alter im Zuge des Wechsels hin zur Sunna in Somaliland auf 5-8 Jahre gesunken (PC 1.2018, S. 22). Eine weitere Quelle bestätigt, dass das Beschneidungsalter immer weiter sinkt (CARE 4.2.2022).

Bei den Benadiri und arabischen Gemeinden in Somalia, wo grundsätzlich die Sunna praktiziert wird, scheint die Beschneidung bei der Geburt stattzufinden, möglicherweise auch nur als symbolischer Schnitt (DIS 1.2016, S. 6). Gemäß einer Quelle werden Mädchen, welche die Pubertät erreicht haben, nicht mehr einer FGM unterzogen, da dies gesundheitlich zu riskant ist. Hat ein Mädchen die Pubertät erreicht, fällt auch der Druck durch die Verwandtschaft weg (DIS 1.2016, S. 11). Laut einer Quelle sind aus der Diaspora zum Zwecke von FGM nach Somalia geschickte Mädchen meist älter als allgemein üblich (LI 14.9.2022). Im Jahr 2018 hat man über vier Mädchen aus Galmudug und Puntland erfahren, dass diese im Zuge einer FGM bzw. an deren Folgen verstorben sind. Diese Mädchen waren 10 - 11 Jahre alt. Ein weiteres Mädchen, das fast gestorben wäre, war bei der Vornahme der FGM sieben Jahre alt (CNN 11.10.2018).

Quellen:

28TM - 28 Too Many (o.D.): Somalia

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021

AV - Africa’s Voices (2017): Beliefs and practices of Somali citizens related to child protection and gender

BMC Yussuf - BMC Health Services Research / Mohammed Yussuf et al. (2020): Exploring the capacity of the Somaliland healthcare system to manage female genital mutilation / cutting-related complications and prevent the medicalization of the practice: a cross-sectional study

CARE (4.2.2022): Somalia - Betroffene von Genitalverstümmelung werden immer jünger

CEDOCA - Documentation and Research Department of the CGRS [Belgien] (9.6.2016): Somalië - Vrouwelijke genitale verminking (VGV) in Somaliland en Puntland; Dokument liegt bei der Staatendokumentation auf.

CNN / Jessica Neuwirth (11.10.2018): Opinion - Four girls under 10 have died recently from FGM, it's time to act

Crawford, S. / Ali, S. / HEART - Health and Education Advice and Resource Team (2015): Assignment Report. Situational analysis of FGM/C stakeholders and interventions in Somalia

DIS - Danish Immigration Service [Dänemark] (1.2016): South Central Somalia - Female Genital Mutilation/Cutting

DNS - Directorate of National Statistics, Federal Government of [Somalia] (2020): The Somali Health and Demographic Survey 2020

FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018

GN - Goobjoog News (3.11.2022): Somali refugees in Germany strive to leave old practices behind

LI - Landinfo [Norwegen] (14.9.2022): Kjønnslemlestelse av kvinner [FGM]

LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (16.4.2019): Somalia - Kvinnlig könsstympning (version 1.0)

PC - Population Council / Powell, Richard A. / Yussuf, Mohamed (1.2018): Changes in FGM/C in Somaliland: Medical narrative driving shift in types of cutting. Evidence to End FGM/C: Research to Help Women Thrive

STC - Safe the Children (9.2017): Changing Social Norms in Somalia: Exploring the Role of Community Perception in FGM/C, Fact Sheet No. 6

UNFPA - UN Population Fund (4.2022): Community Knowledge, Attitudes and Practices on FGM Puntland

UNICEF (29.6.2021): Ending child marriage and female genital mutilation in Eastern and Southern Africa: Case studies of promising practices from across the region

UNN - UN News (4.2.2022): Daughters of Somalia, a continuous pledge to end female genital mutilation

USDOS - US Department of State [USA] (12.4.2022): 2021 Country Report on Human Rights Practices - Somalia

5. Kinder

Die Regierung setzt Kinderrechte nur selten durch (Sahan 22.7.2022). Die Übergangsverfassung definiert Kinder als Personen, die jünger als 18 Jahre alt sind (USDOS 12.4.2022, S. 46). Traditionell werden Kinder allerdings ab einem Alter von 15 Jahren als volljährig erachtet (LIFOS 16.4.2019, S. 10/12). Nach anderen Angaben sehen viele Somali - und auch somalische Behörden - die Pubertät als relevantes Kriterium, um ein Kind als erwachsen zu erachten. Dem Geburtsdatum kommt im somalischen Kontext demnach nur eine geringe praktische und kulturelle Bedeutung zu (NLMBZ 1.12.2021, S. 41).

Im April 2022 waren knapp 1,4 Millionen Kinder in ganz Somalia von akuter Unterernährung betroffen, davon 330.000 von schwerer Unterernährung (UNOCHA 20.4.2022, S. 2). Somalia hat weltweit die höchste Kindersterblichkeitsrate (AI 18.8.2021, S. 5). Eines von sieben Kindern stirbt vor dem fünften Geburtstag, schuld daran sind u. a. Unterernährung, Pneumonie, Masern und Durchfallerkrankungen (LIFOS 3.7.2019, S. 11); nach anderen Angaben sind es sogar 117 Todesfälle bei 1.000 Lebendgeburten. Die grundlegenden Impfungen erfolgen bei Kindern in nomadischen Gebieten bei nur 1 %, bei der restlichen ländlichen Bevölkerung bei 14 % und in Städten bei 19 % (WB 6.2021, S. 30).

Gewalt: Es kommt weiterhin zu schweren Verbrechen gegen Kinder, darunter Rekrutierungen, Verwendung von Kindersoldaten (v.a. durch al Shabaab), Tötungen und Verstümmelungen sowie geschlechtsspezifischer Gewalt (UNSC 10.10.2022, Abs. 126). Somalia findet sich unter den Ländern mit der größten Zahl an Verbrechen an Kindern weltweit (SPC 9.2.2022). Alle am Konflikt in Somalia beteiligten Parteien haben schwere Vergehen gegen Kinder begangen – darunter Tötung, Verstümmelung, Rekrutierung und Kampfeinsatz (HRW 13.1.2022). Im Zeitraum 6.11.2021-31.1.2022 wurden 767 Fälle von schweren Menschenrechtsverletzungen an Kindern dokumentiert, 635 Kinder waren betroffen (467 Buben, 168 Mädchen). Für ca. 67 % der Vergehen war al Shabaab verantwortlich. Die registrierten Fälle umfassen 289 Kinder, die rekrutiert und eingesetzt wurden; 182 Kinder, die getötet oder verstümmelt wurden; 220 Kinder, die entführt wurden; und 68 Kinder, die einer Vergewaltigung oder einer anderen Form sexueller Gewalt ausgesetzt waren (UNSC 8.2.2022, Abs. 59). Es ist davon auszugehen, dass die tatsächliche Zahl an schweren Verbrechen an Kindern weit höher liegt, als die der gemeldeten und verifizierten Fälle (SPC 9.2.2022).

Missbrauch und Vergewaltigung von Kindern sind ernste Probleme. Es gibt keine bekannten Anstrengungen der Bundesregierung oder von Regionalregierungen, dagegen vorzugehen (USDOS 12.4.2022, S. 42). Es kommt immer wieder zur Verhaftung und Inhaftierung von Kindern, denen Verbindungen zu bewaffneten Gruppen nachgesagt werden, durch Bundes- und Lokalkräfte (HRW 13.1.2022). Im Zeitraum Jänner bis März 2022 wurden 194 Fälle von Kindesentführungen dokumentiert. In 192 dieser Fälle wird al Shabaab als Täter genannt (UNSC 10.10.2022, Abs. 127). Kinder, die aus armen (meist ländlichen) Gegenden zu besser situierten Verwandten in die Städte geschickt werden, können manchmal auch Opfer von Menschenhandel werden (Sahan 22.7.2022).

Eine physische Bestrafung von Kindern wird weitgehend akzeptiert und ist weder im eigenen Heim, noch z.B. in der Schule oder in Haft verboten (UNOHCHR 25.11.2022).

Kinderarbeit: Tatsächlich gibt es kein Mindestalter hinsichtlich einer Anstellung. Das Gesetz verbietet und kriminalisiert nicht einmal die schlimmsten Formen von Kinderarbeit. Ein Gesetz, welches das Mindestalter für die meisten Tätigkeiten auf 15 Jahre festlegt, schreibt gleichzeitig ein unterschiedliches Alter für unterschiedliche Tätigkeiten vor. Dieses Gesetz wird allerdings nicht umgesetzt. Kinderarbeit ist weit verbreitet. Es ist nicht unüblich, dass Jugendliche schon in jungen Jahren als Hirten, in der Landwirtschaft oder im Haushalt arbeiten. Kinder werden außerdem zum Zerkleinern von Steinen, als Verkäufer oder Träger eingesetzt (USDOS 12.4.2022, S. 47). Kinderarbeit wird nicht als unmoralisch oder illegal erachtet, und daher ist sie in Somalia relativ normal. Die meisten Kinder beginnen bereits in jungen Jahren zu arbeiten, manche von ihnen können Arbeit und Schule kombinieren (Sahan 22.7.2022). Im ländlichen Somalia ist von Kinderarbeit - meist Feldarbeit oder nomadische Hilfstätigkeit - auszugehen. In urbanen Zentren werden Kinder als Dienstboten und für einfache Erledigungen eingesetzt. Für Puntland und Somaliland gilt dies nur eingeschränkt (AA 28.6.2022, S. 17). Die körperliche Züchtigung von Kindern ist gesetzlich nicht verboten, allgemein üblich und wird gesellschaftlich akzeptiert (FIS 5.10.2018, S. 33).

Adoption: Der Konflikt hat viele Waisen hervorgebracht. Zudem wurden viele Kinder von ihren biologischen Eltern getrennt (UNHCR 22.12.2021, S. 49f). Trotzdem gibt es weder eine offizielle, staatlich geregelte Adoptionspraxis noch ein staatliches Adoptionsrecht (ÖB 11.2022, S. 10; vgl. UNHCR 22.12.2021, S. 23). Auch die Scharia sieht keine völlige Adoption vor, bevorzugt dagegen ein System der Vormundschaft (kafala). Dabei übernimmt der Vormund alle Pflichten eines Elternteils, allerdings ohne die Rechtsbindung des Kindes zur biologischen Familie zu brechen (UNHCR 22.12.2021, S. 23). Generell ist es nicht unüblich, eigene Kinder – etwa wegen eigener Armut – bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen (SIDRA 6.2019b, S. 4). Viele Kinder und Waisen wachsen innerhalb der weiteren Verwandtschaft auf, bei Familien, in die sie nicht hineingeboren wurden. Dabei gibt es keine rechtliche Vereinbarung, die Unterbringung erfolgt relativ formlos (UNHCR 22.12.2021, S. 24/49f; vgl. ÖB 11.2022, S. 10). Offizielle Dokumente sind zumeist nicht vorzufinden bzw. könnten diese einer Urkundenüberprüfung nicht standhalten (ÖB 11.2022, S. 10). In Mogadischu gibt es einige Waisenhäuser; allerdings funktioniert dieses System nicht ausreichend und daher gibt es in der Stadt auch viele Straßenkinder (FIS 7.8.2020, S. 38). In Somaliland gibt es die Möglichkeit, dass ein Gericht einem (Waisen)Kind eine neue Identität gibt, damit dieses Dokumente erhalten und die Schule besuchen kann (UNHCR 22.12.2021, S. 49).

Bildung: Eigentlich sieht das Gesetz eine kostenlose Schulbildung vor. In der Realität ist diese aber weder kostenlos oder verpflichtend. In vielen Gebieten haben Kinder keinen Zugang zu Schulen, sei es aufgrund von Armut, Unsicherheit, langen Schulwegen oder wichtigeren Aufgaben im Haushalt (USDOS 12.4.2022, S. 41f). Die Alphabetisierungsquote ist eine der niedrigsten weltweit. Dabei gibt es Unterschiede: In urbanen Gebieten beträgt die Quote knapp 65 %, in ländlichen Gebieten 27,5 %; unter Nomaden nur 12,1 %. Im Norden ist sie höher als im Süden (BS 2022, S. 32). Außerdem hängt eine Alphabetisierung auch von der individuellen finanziellen Situation ab, Arme können sich Bildung nicht leisten (BS 2022, S. 32; vgl. FIS 7.8.2020, S. 32). Die Mehrheit der Kinder - fast zwei Drittel - geht jedenfalls nicht in die Schule. Mädchen sind zudem in geringerem Ausmaß in Schulen eingeschrieben (USDOS 12.4.2022, S. 42/47). Die nationale Bruttoregistrierungsrate (GER) betrug im Jahr 2020 14,4 % für die Grundschule und 14,3 % für die Sekundarstufe (ÖB 11.2022, S. 15). Im Zuge der Dürre besteht für 420.000 Kinder das Risiko, von der Schule genommen zu werden. Darunter finden sich knapp 190.000 Mädchen (Sahan 19.9.2022). Schon vor der Dürre waren nur 52 % der Schulen in Somalia in permanenten Strukturen untergebracht und zudem befanden sich die Schulen für einen von drei Haushalten in einer Entfernung von mindestens 30 Minuten. Mit der Dürre haben immer mehr Kinder die Schulen verlassen und 250 Schulen wurden wegen der Dürre geschlossen. 25 % der Lehrer haben sich nach einer anderen Einkommensquelle umgeschaut und sind aus dem Lehrberuf ausgeschieden. In 50 % der IDP-Lager gibt es für die Kinder keinen Zugang zu Schulen (UNICEF 24.7.2022).

Es gibt mitunter NGOs – wie z. B. Gargaar in Dhusamareb, Galmudug – die Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Mitteln (u.a. finanziell) dabei unterstützen, eine Ausbildung abzuschließen (UNSOM 17.12.2022). In Jubaland gibt es ein von USAID finanziertes, fünf Jahre laufendes Programm (Bar ama Baro), mit welchem Kinder aus armen und marginalisiert Familien der Schulbesuch finanziert wird. Mehr als 20.000 Kinder zwischen neun und 17 Jahren wurden damit bereits eingeschult. Im Jahr 2022 waren 16.000 Schüler registriert. Das Programm läuft an 50 Schulen in den Bezirken Kismayo, Bardheere und Jamaame (RE 24.8.2022). Somalia-weit unterstützt dieses Programm 461 Schulen in 32 Bezirken sowie 2.200 Lehrer. 100.000 Kinder konnten dadurch eine Schule besuchen (FTL 20.9.2022).

Quellen:

AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (28.6.2022): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Bundesrepublik Somalia

AI - Amnesty International (18.8.2021): „We just watched COVID-19 patients die“: COVID-19 exposed Somalia’s weak healthcare system but debt relief can transform it [AFR 52/4602/2021]

BS - Bertelsmann Stiftung (2022): BTI 2022 - Somalia Country Report

FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (7.8.2020): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu in March 2020

FIS - Finnish Immigration Service [Finnland] (5.10.2018): Somalia: Fact-Finding Mission to Mogadishu and Nairobi, January 2018

FTL - Facility for Talo and Leadership (20.9.2022): USAID Enrolls 100,000 Somali Children to School through the Bar ama Baro Program

HRW - Human Rights Watch (13.1.2022): World Report 2022 - Somalia

LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (3.7.2019): Säkerhetssituationen i Somalia

LIFOS - Lifos/Migrationsverket [Schweden] (16.4.2019): Somalia - Kvinnlig könsstympning (version 1.0)

NLMBZ - Ministerie van Buitenlandse Zaken [Niederlande] (1.12.2021): Algemeen ambtsbericht Somalië

ÖB - Österreichische Botschaft Nairobi [Österreich] (11.2022): Asylländerbericht Somalia

RE - Radio Ergo (24.8.2022): First time in school for Kismayo children from poor backgrounds

Sahan - Sahan / Somali Wire Team (19.9.2022): Worsening drought in Somalia leads to rise in child marriages, in: The Somali Wire Issue No. 453, per e-Mail

Sahan - Sahan / Somali Wire Team (22.7.2022): Mo Farah, global migration, and the perils of child trafficking, in: The Somali Wire Issue No. 429, per e-Mail

SIDRA - Somali Institute for Development Research and Analysis (6.2019b): Rape: A rising Crisis and Reality for the Women in Somalia

SPC - Somalia Protection Cluster (9.2.2022): Protection Analysis Update, February 2022

UNHCR - UN High Commissioner for Refugees (22.12.2021): Citizenship and Statelessness in the Horn of Africa

2. Beweiswürdigung:

2.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Identität der Beschwerdeführer steht aufgrund der im Zuge des Einreiseverfahrens vorgelegten somalischen Reisepässe mit hinreichender Sicherheit fest. Demnach besteht auch kein Zweifel an ihrer somalischen Staatsangehörigkeit und ihrer muslimischen Religionszugehörigkeit. Sämtlichen vorgelegten Dokumenten und Unterlagen der Beschwerdeführer – sowohl den Reisepässen als auch den Geburtsurkunden als auch den ausgefüllten Formularen bei der Österreichischen Botschaft in Addis Abeba – ist zu entnehmen, dass sie in Mogadischu geboren wurden. Soweit sie hingegen in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 21.11.2024 demgegenüber alle behaupten, in XXXX , einem in der Region Middle Shabelle gelegenen Ort, geboren zu sein und dort gelebt zu haben, ist dies daher unglaubhaft, da nicht ersichtlich ist, weshalb auf allen Unterlagen ein falscher Geburtsort eingetragen worden wäre. Der Grund für das veränderte Vorbringen in der mündlichen Verhandlung ist dabei im Asylverfahren der Mutter der Beschwerdeführer zu finden, die nämlich selbst in ihrer Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 17.08.2014 noch zu Protokoll gegeben hatte, in Mogadischu gelebt zu haben und dort auch aufgrund einer Trauerfeier von der Al Shabaab bedroht worden zu sein, weshalb sie ausgereist sei, anschließend jedoch in ihrer Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 02.03.2017 wie auch in ihrer mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 25.01.2018 behauptet hatte, dies nie gesagt zu haben und in Wahrheit aus XXXX zu stammen, wobei sie im Zuge dessen zugleich ihr Fluchtvorbringen austauschte (s. Vorakt der Mutter der Beschwerdeführer). Demgemäß wurde der Mutter der Beschwerdeführer insoweit weder vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch vom Bundesverwaltungsgericht Glaube geschenkt. Insgesamt besteht somit kein Zweifel, dass die Beschwerdeführer in der gegenständlichen mündlichen Verhandlung lediglich (wohl auf Betreiben ihrer Mutter) versuchten, ihr Vorbringen auf das ihrer Mutter anzupassen, sie in Wahrheit aber ihren Dokumenten gemäß ebenso wie ihre Mutter aus Mogadischu stammen und dort gelebt haben.

Die Beschwerdeführer brachten im Verfahren weiters zwar vor, der berufsständischen Minderheit der Tumal anzugehören, doch ist auch dies nicht glaubhaft, da sie keine plausiblen Angaben hierzu machen konnten. Zunächst vermochten der Zweitbeschwerdeführer, der Drittbeschwerdeführer und die Viertbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht keine weitere Abstammungslinie bzw. Zugehörigkeit anzugeben, obwohl dies nach den Länderberichten doch in Somalia von erheblicher Bedeutung wäre und allgemein jeder Somalier seine Abstammungslinie kennt (Verhandlungsprotokoll S. 14, 18, 21). Der Erstbeschwerdeführer wiederum gab zwar eine solche Linie rudimentär zu Protokoll, nämlich dass er zu den Boon, Subclan Tumal, Subsubclan Gabooye gehöre (Verhandlungsprotokoll S. 5), doch entspricht dies keiner tatsächlichen Clanlinie in Somalia, zumal die Tumal vielmehr ein Subclan der Gabooye sind. Bemerkenswerterweise wollte seine Mutter nach Rückübersetzung des Protokolls die Clanzugehörigkeit des Erstbeschwerdeführers korrigieren lassen. Als ihr dies – aufgrund der Volljährigkeit des Erstbeschwerdeführers – verwehrt wurde, erklärte dieser selbst plötzlich, dass er korrigieren wolle, dass er dem Clan der Tumal, Subclan Gaymaal, angehöre (Verhandlungsprotokoll S. 22). Augenscheinlich wurde auch hier versucht, das Vorbringen auf jenes der Mutter in ihrem eigenen Asylverfahren anzupassen, welche damals selbst angab, dem Subclan Gaymaal zuzugehören, wobei wohlgemerkt eine solche Zugehörigkeit dort wiederum weder durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch durch das Bundesverwaltungsgericht festgestellt wurde, war doch bereits die Mutter der Beschwerdeführer in ihrem Verfahren nicht imstande, ein stringentes Vorbringen zu einer Zugehörigkeit zu einer diskriminierten Minderheit zu erstatten (zumal sie beispielsweise in ihrer Erstbefragung behauptet hatte, den gerade für somalische Verhältnisse ganz erheblichen Betrag von 5.000,- US-Dollar für ihre Ausreise bezahlt zu haben, und dies in ihrer Einvernahme durch das Bundesamt mit der völlig lebensfremden Verantwortung verteidigt hatte, dass ihre Mutter diesen Betrag in verschiedenen Moscheen erbettelt habe; s. Vorakt). Es waren aber auch die Angaben der Beschwerdeführer zu ihrer Behandlung als Tumal widersprüchlich und unplausibel. So meinte etwa der Zweitbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung zu ihrem Sozialleben, dass sie wegen ihrer Clanzugehörigkeit nicht einmal Fußball spielen hätten dürfen (Verhandlungsprotokoll S. 13), wohingegen der Erstbeschwerdeführer im Rahmen seines Fluchtvorbringens erwähnte, dass der Zweitbeschwerdeführer gerade im Ort Fußball gespielt habe (Verhandlungsprotokoll S. 9). Die Viertbeschwerdeführerin erzählte wiederum zwar, dass sie im Alter von acht Jahren von anderen Mädchen geschlagen worden sei und ihr an der Hand eine Brandwunde zugefügt worden sei, konnte dann aber auf Nachfrage nichts zu diesem Vorfall angeben, sondern wiederholte lediglich nochmals geschlagen und verbrannt worden zu sein (Verhandlungsprotokoll S. 20). Auch wenn die Viertbeschwerdeführerin damals noch sehr jung gewesen wäre, ist doch nicht nachzuvollziehen, dass sie überhaupt nichts über dieses Ereignis berichten kann. Wenn sie sich daran erinnert, dass sie von Mädchen geschlagen und ihr eine Brandwunde zugefügt worden sei, so müsste sie sich wohl auch an zumindest rudimentäre bzw. fragmentarische Details zu diesem Vorfall erinnern, die sie wiedergeben könnte. Während sie hier aber auf der einen Seite behauptete, dass sie wegen dieser Diskriminierung aus Angst nicht das Haus verlassen habe können, sprach sie dann aber an anderer Stelle bemerkenswerterweise von „meine[n] Freundinnen“ (Verhandlungsprotokoll S. 21), wonach sie also offenkundig doch Sozialkontakte in ihrer Heimat haben musste. Der Erstbeschwerdeführer wie auch der Zweitbeschwerdeführer gaben desweiteren zur Möglichkeit des Schulbesuchs an, dass sie wegen ihrer Clanzugehörigkeit die (gemeint: Grund-)Schule nicht besuchen hätten können und nur in die Koranschule gegangen seien (Verhandlungsprotokoll S. 5, 11 und 13). Zu dieser erzählte aber der Zweitbeschwerdeführer, dass er selbst zumindest drei bis vier Jahre lang die Koranschule besucht habe, wobei er mit dieser erst angefangen habe, als der Erstbeschwerdeführer aufgehört habe, sie zu besuchen (Verhandlungsprotokoll S. 13), wohingegen der Erstbeschwerdeführer im Widerspruch aussagte, dass sie „alle“ erst nicht mehr in die Koranschule gegangen sei, als und weil sie wegen seiner heimlichen Eheschließung kurz vor der Ausreise bedroht worden seien (Verhandlungsprotokoll S. 10). Der Erstbeschwerdeführer brachte weiters zur Möglichkeit der Teilnahme am Erwerbsleben einerseits vor, dass er in Somalia nicht gearbeitet habe, zumal er als Tumal keinen Job finden habe können, andererseits aber, dass er (erst) aufgrund der erfahrenen Bedrohung nach seiner heimlichen Eheschließung mit einer Mehrheitsclanangehörigen „nicht mehr“ arbeiten habe können (Verhandlungsprotokoll S. 5 f). Er schilderte im weiteren Verlauf der Verhandlung, dass ihn „niemand“ anstellen habe wollen, gab dann aber auf Nachfrage an, dass er (lediglich) einmal bei einem Geschäft gefragt habe, ob er als Verkäufer mitarbeiten dürfe. Weitere Versuche einer Arbeitssuche behauptete er schon gar nicht (Verhandlungsprotokoll S. 11). Allgemein lässt sich nicht nachvollziehen, dass die Beschwerdeführer aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit und der Diskriminierung zwar keine Arbeit finden hätten können, ihren Großeltern dies aber doch möglich gewesen sei bzw. ihre Großmutter sogar – entgegen all dieser Diskriminierungen – eine eigene Landwirtschaft betreibe, wo sie Weizen anbaue (Verhandlungsprotokoll S. 5 und 14), wobei keiner der Beschwerdeführer je angab, bei dieser Tätigkeit mitgeholfen zu haben, obwohl doch nicht davon ausgegangen werden könnte, dass ihre Großmutter einer derartige mühsame manuelle Tätigkeit ohne Zuhilfenahme der zumindest älteren Enkelkinder ausführen würde. Die Beschwerdeführer konnten dadurch in ihrem Vorbringen insgesamt nicht davon überzeugen, dass sie die geschilderten Diskriminierungen tatsächlich erfahren hätten. Eine derart schlechte Behandlung von Angehörigen der berufsständischen Minderheiten in dem Sinne, dass ihnen der Schulbesuch oder Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verwehrt wäre oder sie ständig verfolgt werden würden, ergäbe sich auch nicht aus den Länderberichten. Infolge dieser gewürdigten unglaubhaften Angaben ist aber in weiterer Folge zudem darauf zu schließen, dass die Beschwerdeführer schon gar keiner Minderheit angehören, zumal sie auch zu ihren übrigen Verhältnissen und ihrem übrigen Vorbringen nicht glaubhaft sind.

Die Beschwerdeführer gaben in der gegenständlichen Beschwerde nämlich erstmals an, dass der Erstbeschwerdeführer in der Heimat heimlich eine Angehörige des Mehrheitsclans der Hawiye geheiratet habe, weshalb er von ihrer Familie geschlagen und – wie auch die anderen Beschwerdeführer – bedroht worden sei, weil er der Minderheit der Tumal angehöre. Dieses Vorbringen ist jedoch gänzlich unglaubhaft. Der Erstbeschwerdeführer blieb in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht nur vage und oberflächlich (Verhandlungsprotokoll S. 6 ff). Er erzählte ohne jegliche Details, dass er die Frau in XXXX am Nachhauseweg kennengelernt habe. Er habe sie im März 2020 heimlich in Mogadischu bei einer Familie, die seinem Clan angehöre, geheiratet. Auch hier nannte er keinerlei näheren Umstände und erwähnte etwa nicht, wie sie ohne Weiteres nach Mogadischu fahren hätten können, ohne dass ihre Abwesenheit jemandem – insbesondere der Familie der Frau – aufgefallen wäre, wie er auf diese Clanangehörigen in Mogadischu gekommen wäre, oder wie die Heirat abgelaufen wäre, zumal er nicht einmal die – allerdings notwendige – Anwesenheit eines Imams behauptete. Der Erstbeschwerdeführer meinte, dass er zu diesem Zeitpunkt 17 Jahre alt gewesen sei, nach seinem Geburtsdatum hätte er aber erst das 14. Lebensjahr vollendet gehabt. Es muss aber – selbst in einem Land wie Somalia – als lebensfremd betrachtet werden, dass ein 14-jähriger Bursche beschließen würde, heimlich zu heiraten und dies zumal auch organisieren könnte. Ebenso wenig ist der Sinn dieser heimlichen Heirat nachzuvollziehen, wenn der Erstbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung meinte, dass sie nach XXXX zurückkehren hätten müssen, da sie an keinem anderen Ort leben hätten können (Verhandlungsprotokoll S. 8), wiewohl er sodann wieder im Widerspruch meinte, dass seine Frau aufgrund der entstandenen Probleme – alleine – nach Saudi-Arabien gehen habe wollen (Verhandlungsprotokoll S. 11), bzw. seinem Vorbringen in der gegenständlichen Beschwerde nach auch tatsächlich dorthin geflohen sei (Beschwerde S. 6). Aus welchem Grund der Erstbeschwerdeführer und seine Frau, obgleich sie zuvor sogar heimlich geheiratet hätten, nicht gemeinsam geflohen wären, kann nicht nachvollzogen werden. Insbesondere widersprachen sich die Beschwerdeführer in ihren Angaben zu diesen Geschehnissen aber auch. Der Erstbeschwerdeführer schilderte nämlich, dass es letztlich im Jänner 2021 zu einer Konfrontation mit zwei älteren Brüdern seiner Frau gekommen sei, als diese sie gemeinsam in der Öffentlichkeit gesehen hätten, wobei seiner Frau dabei „[her]ausgerutscht“ sei, dass sie verheiratet seien, woraufhin der Erstbeschwerdeführer von ihnen geschlagen worden sei. Der Zweitbeschwerdeführer habe zu diesem Zeitpunkt dort Fußball gespielt, als er dies gesehen habe und zum Erstbeschwerdeführer gelaufen sei, um ihn zu verteidigen, woraufhin er ebenso von diesen beiden Brüdern der Frau des Erstbeschwerdeführers geschlagen worden sei. Andere Dorfbewohner hätten sie in der Folge voneinander getrennt und der Erstbeschwerdeführer sowie der Zweitbeschwerdeführer seien nachhause gegangen. Am Abend seien die Brüder der Frau des Erstbeschwerdeführers zu ihnen nachhause gekommen und hätten ihnen mit dem Tod gedroht, wenn sie sie wieder mit ihrer Schwester – also der Frau des Erstbeschwerdeführers – sehen würden. Zu diesem Zeitpunkt seien die Beschwerdeführer alle zuhause gewesen. Die Beschwerdeführer seien danach noch „Monate“ zuhause im Heimatort geblieben und anschließend nach Mogadischu gereist (Verhandlungsprotokoll S. 8 ff). Zu Beginn der Verhandlung hatte der Erstbeschwerdeführer dabei angegeben, dass sie wohl im August 2021 ihren Heimatort nach Mogadischu verlassen hätten (Verhandlungsprotokoll S. 4), womit also rund sieben bis acht Monate zwischen dem Vorfall und der Ausreise aus XXXX vergangen wären. Der Zweitbeschwerdeführer divergierte in seiner Schilderung dieser Ereignisse aber erheblich von diesem Vorbringen. Dieser sagte nämlich in der mündlichen Verhandlung aus, dass er gerade ein Fußballspiel (lediglich) geschaut habe – zumal er als Minderheitenangehöriger nicht Fußballspielen habe dürfen – als er gesehen habe, dass der Erstbeschwerdeführer von drei (statt bloß zwei) Brüdern von dessen Frau geschlagen worden sei und er ihm zur Hilfe gekommen sei. Er könne sich nicht erinnern, ob zudem eine Frau dort gewesen sei, er glaube aber nicht, dass es die Frau des Erstbeschwerdeführers gewesen sei. Diese Brüder der Frau des Erstbeschwerdeführers seien aber nie bei ihnen zuhause gewesen. Sie seien nach diesem Vorfall nur eine kurze Zeit, vielleicht einen Monat lang, noch in XXXX geblieben und anschließend nach Mogadischu gereist (Verhandlungsprotokoll S. 13 und 15 f). Der Zweitbeschwerdeführer widersprach dem Erstbeschwerdeführer somit in beinahe sämtlichen Elementen des Vorbringens. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass sich in diesem Zusammenhang auch nicht erschließen lässt, aus welchem Grund insbesondere der Erstbeschwerdeführer diese Ereignisse, die letztlich für das Verlassen des Heimatortes ausschlaggebend gewesen wären, nicht bereits in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 25.03.2024 zu Protokoll gegeben hätte, sondern er dort vielmehr angab, dass er keine eigenen Fluchtgründe habe. In Zusammenschau mit den Feststellungen, dass die Beschwerdeführer tatsächlich weder in XXXX lebten noch der Minderheit der Tumal angehören, ist dieses Vorbringen über eine Bedrohung aufgrund einer heimlichen Eheschließung des Erstbeschwerdeführers somit als unglaubhaft zu bewerten. Daran kann auch das noch junge Alter des Erstbeschwerdeführers und des Zweitbeschwerdeführers nichts ändern, da auch bei im Zeitpunkt der Ereignisse Jugendlichen zum einen nicht zu erwarten ist, dass sie sich zu selbst erlebten Vorfällen derart widersprechen würden, und zum anderen eine vom Erstbeschwerdeführer offenkundig selbst beschlossene und durchgeführte heimliche Eheschließung sicherlich so einprägsam und denkwürdig gewesen wäre, dass er auch heute noch mehr als bloß zur Gänze oberflächliche Angaben dazu machen könnte.

Die Viertbeschwerdeführerin brachte bereits in der Erstbefragung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes vor, eigene Fluchtgründe zu haben, da sie in Somalia beschnitten werden würde. Dieses Vorbringen wurde von der belangten Behörde zur Gänze ignoriert. In der gegenständlichen Beschwerde wiederholte sie dieses Vorbringen und ergänzte, dass sie aufgrund ihrer Clanzugehörigkeit misshandelt worden sei und sie Angst vor sexuell motivierten Angriffen und einer Zwangsverheiratung in Somalia habe. Zudem sei sie dort eine alleinstehende Frau (Beschwerde S. 6). In Bezug auf die Befürchtung einer Beschneidung eröffnete die Viertbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht aber, dass in Somalia bereits eine Beschneidung vorgenommen worden sei (Verhandlungsprotokoll S. 21). In der Folge legte sie mit Schriftsatz vom 10.01.2025 einen gynäkologischen Befund vor, mit welchem ihr eine Beschneidung nach dem WHO-Typ I diagnostiziert wurde. Wenn in der beiliegenden Stellungnahme der Viertbeschwerdeführerin ausgeführt wird, dass dies nicht den gesellschaftlichen Erfordernissen einer Beschneidung in Somalia entsprechen würde und daher eine neuerliche Beschneidung in Somalia zu befürchten wäre, sowie jeder Frau in Somalia eine häufigere Beschneidung durch eine Infibulation, Defibulation und Reinfibulation drohen würde, so kann dem weder auf Basis des bisherigen Vorbringens der Viertbeschwerdeführerin und ihrer Mutter als gesetzliche Vertreterin noch auf Grundlage der Länderberichte gefolgt werden. Nach diesen Länderberichten wird in Somalia durchaus – neben den anderen Typen – ebenso eine Beschneidung nach dem WHO-Typ I vorgenommen und brachte die Viertbeschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung schließlich selbst vor, dass sie in ihrer Heimat – wie dort üblich – gemeinsam mit den Nachbarsmädchen und im Einverständnis ihrer Großmutter, bei der sie gelebt habe, von einer Beschneiderin nach diesem Typ beschnitten worden sei. Dass irgendeine konkrete Person damit nicht einverstanden gewesen wäre oder eine andere Form der Beschneidung verlangt hätte oder nun fordern würde, wurde nicht vorgebracht. Aus welchen Berichten oder nicht bloß spekulativen Annahmen nun in der Stellungnahme vom 10.01.2025 der Schluss gezogen wird, dass eine solche Beschneidung nach dem WHO-Typ I in Somalia nicht die gesellschaftlichen Erwartungen erfüllen würde, lässt sich nicht nachvollziehen. Auch die Behauptung, dass jeder Frau in Somalia Infibulation, Defibulation und Reinfibulation drohen würde, widerspricht den Länderberichten, da die Infibulation dem WHO-Typ III entspricht, der bei der Viertbeschwerdeführerin gerade nicht vorliegt. Die Frage der Defibulation und Reinfibulation betrifft folglich ebenso nur Frauen, bei denen eine Beschneidung nach diesem Typ III besteht, nicht aber die Viertbeschwerdeführerin. Der Viertbeschwerdeführerin würde somit im Falle einer Rückkehr mangels jeglicher Anhaltspunkte keine weitere Beschneidung in Somalia drohen. In Bezug auf eine Zwangsverheiratung wurde in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht gleichfalls nichts Konkretes vorgebracht, was auf eine solche Gefahr in Somalia hindeuten würde. Die Viertbeschwerdeführerin brachte hier lediglich spekulativ vor, dass „man“ sie „vielleicht“ mit einem älteren Mann verheiratet hätte. Wer dies tun sollte, wisse sie nicht. Ihre Mutter als gesetzliche Vertreterin stimmte auf Nachfrage der Rechtsvertretung auch nicht zu, dass die Viertbeschwerdeführerin gezwungen wäre, eine Ehe einzugehen (Verhandlungsprotokoll S. 21 f). Es mag nun durchaus sein, dass – wie im Schriftsatz vom 10.01.2025 betont – Zwangsverheiratungen in Somalia nicht unüblich sind und auch generell sexuelle Gewalt gegenüber Frauen ein Problem in Somalia darstellt, mangels konkreter Anhaltspunkte lässt sich alleine daraus aber nicht ableiten, dass dies mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auch die Viertbeschwerdeführerin treffen würde. Letztendlich würde es sich bei der Viertbeschwerdeführerin in Somalia auch nicht um eine alleinstehende, schutzlose Frau handeln. Zum einen hat sie ihre drei miteingereisten Brüder, von denen zwei bereits volljährig sind. Zum anderen brachte etwa der Drittbeschwerdeführer in der mündlichen Verhandlung vor, dass dort, wo sie gelebt hätten, neben der Großmutter auch ihr Onkel mütterlicherseits und ihre verheiratete (ältere) Schwester wohnen würden (Verhandlungsprotokoll S. 18 f) und meinte der Zweitbeschwerdeführer, dass es „andere Verwandte“ in Somalia gebe, die er selbst aber nicht kenne (Verhandlungsprotokoll S. 14). Schon daher lässt sich folglich nicht annehmen, dass die Viertbeschwerdeführerin in Somalia eine alleinstehende, schutzlose Frau wäre, hat sie doch – nämlich auch männliche – Angehörige, die sie beschützen könnten. Da die Viertbeschwerdeführerin – wie eingangs gewürdigt – keine Minderheitenangehörige ist, befindet sie sich darüber hinaus aber auch nicht in einer besonders vulnerablen Position, sondern wird ihr zudem Clanschutz zugutekommen, zumal davon ausgegangen werden muss, dass die Viertbeschwerdeführerin neben ihren Angehörigen zumindest durch diese auch weitere Bekanntschaften bzw. Anknüpfungspunkte, die der Familie nahestehen, hat, werden die Beschwerdeführer und ihre Angehörigen doch in Somalia nicht in gesellschaftlicher Isolation gelebt haben.

Sonstige Fluchtgründe oder Rückkehrbefürchtungen wurden nicht vorgebracht. In Gesamtbetrachtung all dieser Erwägungsgründe ist somit festzustellen, dass die Beschwerdeführer Somalia einzig aus dem Grund verlassen haben, um im Rahmen der Familienzusammenführung zu ihrer subsidiär schutzberechtigten Mutter nach Österreich zu ziehen. Diese brachte schließlich auch in ihrem eigenen Asylverfahren wiederholt vor, dass sie ihre Kinder alsbald nach Österreich nachholen wolle.

2.2. Zu den Feststellungen der maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat:

Die Feststellungen zur Situation in Somalia beruhen auf den angeführten Quellen des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Somalia vom 08.01.2024 (Version 6). Bei den Quellen handelt es sich um Berichte verschiedener anerkannter und teilweise vor Ort agierender Institutionen, die in ihren Aussagen ein übereinstimmendes, schlüssiges Gesamtbild der Situation in Somalia ergeben. Angesichts der Seriosität der angeführten Erkenntnisquellen und der Plausibilität der Aussagen besteht kein Grund, an der Richtigkeit der Darstellung zu zweifeln. Ein Vergleich mit dem kürzlich aktualisierten Länderinformationsblatt vom 16.01.2025 (Version 7) hat keine für das Verfahren relevante Änderung – insbesondere Verschlechterung – der Lage ergeben.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerden:

Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht bereits gemäß §§ 4, 4a oder 5 zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd. Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) droht.

Flüchtling iSd. Art. 1 Abschnitt A Z. 2 GFK ist, wer sich „aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.“

Einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung kommt Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat aber asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).

Für die Asylgewährung kommt es auf die Flüchtlingseigenschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung an. Es ist demnach für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zum einen nicht zwingend erforderlich, dass der Antragsteller bereits in der Vergangenheit verfolgt wurde, zum anderen ist auch eine bereits stattgefundene Verfolgung („Vorverfolgung“) für sich genommen nicht hinreichend (VwGH 03.09.2021, Ra 2021/14/0108).

Zentraler Aspekt dieses Flüchtlingsbegriffs der GFK ist die wohlbegründete Furcht vor Verfolgung. Wohlbegründet kann eine Furcht nur dann sein, wenn sie im Lichte der speziellen Situation des Asylwerbers und unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation (aus Konventionsgründen) fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates bzw. der Rückkehr in das Land des vorigen Aufenthaltes zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 23.10.2019, Ra 2019/19/0413).

Das Vorbringen des Antragstellers muss, um eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit und nicht nur eine entfernte Möglichkeit der Verfolgung glaubhaft zu machen, eine entsprechende Konkretisierung aufweisen. Die allgemeine Behauptung von Verfolgungssituationen, wie sie in allgemein zugänglichen Quellen auffindbar sind, wird grundsätzlich zur Dartuung von selbst Erlebtem nicht genügen (VwGH 10.08.2019, Ra 2018/20/0314).

Wie beweiswürdigend dargelegt, ist das Vorbringen der Beschwerdeführer über eine Zugehörigkeit zur berufsständischen Minderheit der Tumal und insbesondere einer darauf gerichteten asylrelevanten Diskriminierung der Beschwerdeführer, über eine Bedrohung der Beschwerdeführer aufgrund einer heimlichen Eheschließung des Erstbeschwerdeführers und über eine Bedrohung der Viertbeschwerdeführerin aufgrund einer befürchteten Beschneidung, Zwangsverheiratung und sonstiger sexueller Gewalt sowie aufgrund einer Eigenschaft als alleinstehende, schutzlose Frau nicht glaubhaft. Sonstige Gründe einer asylrelevanten Bedrohung sind im Verfahren nicht hervorgekommen. Es besteht somit keine maßgebliche Wahrscheinlichkeit einer asylrechtlichen Verfolgung der Beschwerdeführer in Somalia aus Konventionsgründen.

Die Abweisung der Anträge auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl war daher im Ergebnis nicht zu beanstanden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.