Spruch
W602 2283186-1/10E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Brigitte GSTREIN über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Somalia, vertreten durch die Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zahl XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.12.2024, zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und XXXX , geboren am XXXX , gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten zuerkannt.
II. Gemäß § 3 Abs. 5 AsylG 2005 wird festgestellt, dass XXXX , geboren am XXXX , damit kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige Somalias, stellte am 10.08.2022 in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 12.10.2022 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes eine Erstbefragung zu ihrem Antrag statt, vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden Bundesamt) wurde die Beschwerdeführerin am 11.10.2023 niederschriftlich einvernommen. Sie gab an, dem Clan der Jareer anzugehören und zwangsverheiratet gewesen zu sein. Sie habe fünf Kinder, eine Tochter sei schwer krank.
Der Asylantrag wurde mit angefochtenem Bescheid des Bundesamtes vom 27.11.2023 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.) und der Beschwerdeführerin gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status der subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihr eine Aufenthaltsberechtigung für ein Jahr erteilt. Die Nichtzuerkennung des Asylstatus wurde mit der fehlenden Glaubhaftigkeit des Vorbringens begründet.
Mit dem am 18.12.2023 beim Bundesamt eingebrachten Schriftsatz vom selben Tag erhob die Beschwerdeführerin durch ihre bevollmächtigte Rechtsvertretung Beschwerde gegen Spruchpunkt I. des Bescheides. Die Beschwerde wurde vom Bundesamt mit dem Bezug habenden Verwaltungsakt vorgelegt und langte am 21.12.2023 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 20.12.2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der die Beschwerdeführerin, ihre Rechtsvertretung und eine Dolmetscherin für die Sprache Somali teilnahmen. Im Vorfeld der Verhandlung übermittelte die Rechtsvertretung einen Patientenbrief der XXXX und das Protokoll einer Zeugenvernehmung zum Verdacht, dass die Beschwerdeführerin in Österreich Opfer sexueller Gewalt geworden ist.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin heißt XXXX und ist am XXXX geboren. Sie ist Staatsangehörige Somalias und bekennt sich zur islamischen Glaubensgemeinschaft. Sie gehört der ethnischen Minderheit der Bantu, Subclan XXXX , an. Sie spricht Somalisch. Ihre Identität steht nicht fest.
Die Beschwerdeführerin stammt aus einem Dorf namens XXXX in Middle Shabelle. Die nächstgrößere Stadt ist Jowhar und liegt rund zwei Stunden Fußmarsch entfernt. In XXXX übt Al Shabaab die Kontrolle aus. Die Familie lebt von einer kleinen Landwirtschaft, in der Mais und rote Bohnen angebaut werden sowie vom Verkauf von Kohle.
Die Beschwerdeführerin ist Mutter von fünf Kindern im Alter zwischen zehn und 16 Jahren. Sie war zweimal verheiratet, beide Ehemänner sind ermordet wordn. Ihre erste Ehe ging sie mit einem Angehörigen des Clans der Hawiye, Subclan Abgaal, ein. Es war eine Liebesheirat. Der Ehe entstammen vier Kinder, die dem Clan der Hawiye angehören. Nach dem gewaltsamen Tod ihres ersten Ehemannes musste die Beschwerdeführerin einen Verwandten ihres ersten Ehemannes heiraten. Die Zwangsheirat ging sie ein, da die Familie des ersten Ehemannes verlangte, dass die gemeinsamen Kinder bei ihnen lebten. Nur mit der Zwangsheirat war es der Beschwerdeführerin möglich, weiterhin mit ihren Kindern zusammen zu leben. Nach dem gewaltsamen Tod des zweiten Ehemannes im Jahr 2018 musste sie mit ihren Kindern die Familie ihrer Ehemänner verlassen und zog mit ihren Kindern zurück zu ihrer Familie in XXXX . Der zweiten Ehe entstammt eine Tochter, die schwer krank ist und medizinische Betreuung benötigt.
Ihre beiden Söhne und die älteste Tochter wurden mittlerweile wieder von der Familie ihrer verstorbenen Ehemänner zu sich genommen und werden dort zur Feldarbeit und zum Hüten der Tiere gezwungen. Die Beschwerdeführerin hat über einen Cousin des zweiten Ehemannes, der in XXXX lebt und zu dem sie ein gutes Verhältnis hat, sporadisch Kontakt zu ihren Kindern. Ihre beiden jüngsten Töchter leben bei ihrer Familie in XXXX , mit ihnen steht sie in regelmäßigem telefonischem Kontakt.
Die Familie ihrer beiden Ehemänner ist aus XXXX weggezogen und lebt nunmehr in Lower Shabelle, Afgooye, XXXX .
In XXXX leben die Mutter, zwei Brüder und drei Schwestern der Beschwerdeführerin. Der Vater ist vor nicht allzu langer Zeit verstorben. Die Brüder sind 22 und 28 Jahre alt, der jüngere Bruder leidet an einer geistigen Behinderung.
Die Beschwerdeführerin reiste im März 2022 gemeinsam mit ihrer Tante mit dem Flugzeug von Mogadischu in die Türkei aus und von dort weiter über Griechenland, wo sie sich rund eineinhalb Monate aufhielt, um dann über Serbien und Ungarn am 10.08.2022 in das österreichische Bundesgebiet einzureisen und den verfahrensgegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen. Die mitgereiste Tante verstarb in der Türkei.
An der Beschwerdeführerin wurde im Kindesalter eine Beschneidung durchgeführt. Darüber hinaus ist sie gesund.
Die Beschwerdeführerin ist in Österreich strafrechtlich unbescholten. Sie ist als Opfer in einem anhängigen Strafverfahren gegen einen somalischen Staatsangehörigen involviert, der verdächtigt wird, die Beschwerdeführerin vergewaltigt zu haben und der wegen dieses Tatverdachts derzeit zumindest bis zum XXXX 2025 in Untersuchungshaft ist.
1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
Die Beschwerdeführerin wurde in Somalia als Angehörige der ethnischen Minderheit der Bantu zu ihrer zweiten Ehe mit einem Angehörigen des Mehrheitsclans der Hawiye gezwungen und war während dieser Ehe körperlicher Gewalt und gemeinsam mit ihren Kindern einer erheblichen Diskriminierung innerhalb der Familie dieses Mannes ausgesetzt. Sie wurde wie eine Sklavin behandelt und musste Zwangsarbeit verrichten. Die Familie der verstorbenen Ehemänner gestattet es der Beschwerdeführerin nach wie vor nicht, ihre Kinder zu besuchen, da sie eine Angehörige der Bantu ist. Im Fall eines Besuches würde die Beschwerdeführerin körperliche Gewalt durch Angehörige der Familie der verstorbenen Ehemänner erleiden, wie dies bereits in der Vergangenheit der Fall war. Die Beschwerdeführerin ging bereits eine zwanghafte Ehe ein, um mit ihren Kindern gemeinsam zu leben. Sie wird sich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit erneut der Gewalt und Diskriminierung durch die Familie ihrer verstorbenen Ehemänner aussetzen, um mit ihren Kindern in Kontakt treten zu können. Die Beschwerdeführerin erlitt erhebliches psychisches Leid, da ihr der Kontakt zu ihren älteren Kindern vollständig untersagt war und erschwerend hinzukam, dass sie wusste, dass ihre älteren Kinder Ausbeutung und Zwangsarbeit ausgesetzt sind und sie ihnen nicht helfen konnte. Während ihrer aufrechten Ehe mit beiden Ehemännern war es den Familienangehörigen der Beschwerdeführerin untersagt, die Beschwerdeführerin bei der Familie der Ehemänner zu besuchen.
Die somalische Gesellschaft und die Familie der verstorbenen Ehemänner lasten ihr den gewaltsamen Tod ihrer beiden Ehemänner an, in dem man ihr unterstellt, dass sie deshalb Unglück bringen würde. Ein weiteres Stigma haftet ihr aufgrund der schweren Erkrankung ihrer Tochter an und der in Österreich angezeigten Vergewaltigung, die sie im Fall einer Rückkehr nicht geheim halten könnte.
Die Diskriminierung aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Bantu war nicht auf das Eingehen der Zwangsehe und die familiären Folgen der Mischehen begrenzt, sondern äußerte sich auch im Alltag, indem sie zum Beispiel keine Schulbildung erlangen konnte und Heiraten grundsätzlich nur innerhalb dieser Minderheit zulässig sind. Als Bantu ist die Beschwerdeführerin im Fall einer Rückkehr nach Somalia auch einem erhöhten Risiko der Zwangsrekrutierung durch Al Shabaab und der Versklavung in einer weiteren Zwangsehe ausgesetzt.
Die Bantu sind die am stärksten marginalisierte, ausgegrenzte und ausgebeutete somalische Gemeinschaft. Von Machtpositionen auf lokaler und nationaler Ebene sind sie vielfach ausgeschlossen. Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert und diskriminiert. Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu herab. Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft. Der mangelnde Zugang zu Bildung, Beschäftigung und politischer Vertretung hat einen Kreislauf aus Armut und Ausgrenzung verursacht und die Möglichkeiten für wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg eingeschränkt. Dies wiederum verstärkt gesellschaftliche Stereotypen.
Die Beschwerdeführerin weist als alleinerziehende Frau, behaftet mit dem Stigma des Todes ihrer beiden Ehemänner, mit erschwerten Lebensbedingungen durch die Sorgen um ihre Kinder und die Fürsorgepflicht für ihre erkrankte Tochter und der im Verdacht stehenden Vergewaltigung in Österreich eine mehrfache Vulnerabilität auf, aufgrund der sie im Fall ihrer Rückkehr mit einer Diskriminierung und Gewalt rechnen muss, die geschlechtsspezifische und körperliche Gewalt und den mangelnden Zugang zu Ressourcen umfasst.
Als Angehörige der Bantu wird der Beschwerdeführer kein staatlicher Schutz zuteil und sie hat kaum Zugang zum Gewohnheitsrecht (Xeer).
Eine maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass der Beschwerdeführerin bei ihrer Rückkehr eine Zwangsheirat mit einem Familienmitglied der verstorbenen Ehemänner oder mit einem anderen Clanangehörigen droht, besteht, ebenso wenig wie eine Reinfibulation, nicht.
Weitere Verfolgungssachverhalte aufgrund ihrer Nationalität, ihrer Religion, ihrer politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wurden nicht festgestellt.
1.3. Zur für den gegenständlichen Fall maßgeblichen Situation in Somalia:
1.3.1. Länderinformationen zu ethnischen Minderheiten:
1.3.1.1. Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation (Stand 16.01.2025, Version 7), 174, 215ff:
11 Wehrdienst und Rekrutierungen
(…)
11.2 Al Shabaab - (Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten
(…)
Rekrutierung von Mädchen und Frauen: Auch Mädchen werden in den Gebieten unter Kontrolle von al Shabaab für Zwangsehen mit Kämpfern der Gruppe entführt (IO-D/STDOK/SEM 4.2023; vgl. BS 2024). Eine Quelle der FFM Somalia 2023 erklärt, dass al Shabaab sich auch in solchen Fällen an die Clans wendet und fordert, dass Frauen als Ehefrauen bereitgestellt werden. Dieser Aufforderung wird dann aus Angst nachgegeben. In Gebieten, die nicht unter Kontrolle von al Shabaab stehen, verfügt die Gruppe diesbezüglich demnach nicht über ausreichend Druckmittel (INGO-F/STDOK/SEM 4.2023). Frauen und Mädchen der Bantu werden mitunter auch mittels Todesdrohungen in Ehen gezwungen, die sich in der Praxis eher als temporäre sexuelle Versklavung erweisen (Benstead/Lehman 2021). Al Shabaab bezahlt kein Brautgeld. Wird der Gruppe eine Tochter verweigert, kann es vorkommen, dass ersatzweise ein Sohn als Rekrut verlangt wird (AQ21 11.2023). Kann eine Abgabe nicht entrichtet werden, dann entführt al Shabaab ersatzweise Frauen und zwingt diese zur Ehe (MBZ 6.2023).
Abseits der Ehe werden Frauen bei al Shabaab zumeist in unterstützender Rolle eingesetzt (UNSC 10.10.2022; vgl. AQ21 11.2023): als Steuereinheberinnen, Lehrer- oder Predigerinnen in Madrassen, Wächterinnen in Gefängnissen; zum Kochen und Putzen, in der Spionage oder der Waffenpflege (UNSC 10.10.2022), beim Waffenschmuggel und bei der Waffenlagerung. Manche betreiben auch Fundraising, andere dienen als Selbstmordattentäterinnen (AQ21 11.2023; vgl. ICG 27.6.2019a, S. 7f). Frauen, die mit Soldaten oder AMISOM bzw. ATMIS Kleinhandel treiben, werden als Spione und Informationsbeschafferinnen rekrutiert (ICG 27.6.2019a, S. 12).
Quellen: […]
18.2 Süd-/Zentralsomalia, Puntland
(…)
18.2.1 Ethnische Minderheiten, aktuelle Situation
Ethnische Minderheiten haben eine andere Abstammung und in manchen Fällen auch eine andere Sprache als die restlichen Einwohner des somalischen Sprachraums. Die soziale Stellung der einzelnen ethnischen Minderheiten ist unterschiedlich (SEM 31.5.2017). Mitunter werden sie als Fremde erachtet (SPC 9.2.2022). So können Angehörige ethnischer Minderheiten auf Probleme stoßen - bis hin zu Staatenlosigkeit - wenn sie z. B. in einem Flüchtlingslager außerhalb Somalias geboren wurden (UNHCR 22.12.2021a).
Generell sind Angehörige von Minderheiten keiner systematischen Verfolgung mehr ausgesetzt, wie dies Anfang der 1990er der Fall war (MBZ 6.2023). In den Städten ist die Bevölkerung allgemein gemischt, Kinder gehen unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit in die Schule und Menschen ins Spital (UNFPA/DIS 25.6.2020). Nach anderen Angaben können Angehörige ethnischer Minderheiten Diskriminierung und Benachteiligung ausgesetzt sein - etwa beim Zugang zu sozialer Absicherung oder zu humanitärer Hilfe. Auch im Xeer werden sie marginalisiert (MBZ 6.2023). In Mogadischu mangelt es den Minderheiten auch an politischem Einfluss. Andererseits ändert sich die Situation langsam zum Besseren, die Einstellung v. a. der jüngeren Generation ändert sich; die Clanzugehörigkeit ist für diese nicht mehr so wichtig wie für die Älteren (FIS 7.8.2020a).
Die Bantu (Jareer) sind die größte Minderheit in Somalia (SEM 31.5.2017; vgl. FIS 7.8.2020a). Sie stammen teils von Bauernvölkern ab, die bereits vor der Expansion der Somali an den Flüssen existiert haben; teils stammen sie von nach Somalia importierten Sklaven ab. "Adoon" – ein abwertendes Wort, das noch immer von einigen ethnischen Somalis für die Jareer verwendet wird – bedeutet wörtlich "Sklave". Ein weiteres abwertendes Wort für somalische Bantu – "tiimo jareer" ("hartes Haar") – bezieht sich vorgeblich auf die dichten Locken ihrer Haare im Gegensatz zu den "weichen Locken" ethnischer Somali. Die Bantu selbst haben dies aufgegriffen und bezeichnen sich als "Jareer" oder "die Harten". Als sie ihre zahlenmäßige Stärke erkannt haben, änderte sich der Name in "Jareer Weyne" – "die großen Harten". Was einst eine Beleidigung war, ist heute ein Ehrenzeichen (Sahan/Menkhaus 23.8.2023).
Traditionell waren somalische Bantu in verschiedenen, getrennten Gemeinschaften im Süden Somalias verstreut. Hier gibt es z. B. die Makanne, Shiidle, Gobaweyne, Mushunguli und Shangani (Sahan/Menkhaus 23.8.2023), die Kabole, Reer Shabelle und Oji. Traditionell leben sie als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Juba und Shabelle (SEM 31.5.2017; vgl. UNHCR 22.12.2021a). Bantu werden oft für manuelle Tätigkeiten eingesetzt. Sie übernehmen Arbeiten, die von ethnischen Somali als zu gering erachtet werden (Sahan/Menkhaus 23.8.2023).
Die Bantu waren jahrzehntelang systematischer Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt durch die somalische Regierung und die somalische Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt (Sahan/SWT 3.11.2023). Sie sind die am stärksten marginalisierte, ausgegrenzte und ausgebeutete somalische Gemeinschaft. Von Machtpositionen auf lokaler und nationaler Ebene sind sie vielfach ausgeschlossen (Sahan/Menkhaus 23.8.2023; vgl. MBZ 6.2023). Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert (ACCORD 31.5.2021, S. 25) und diskriminiert (ACCORD 31.5.2021, S. 25; vgl. USDOS 22.4.2024). Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu herab (SEM 31.5.2017; vgl. UNHCR 22.12.2021a; MBZ 6.2023). Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet (Sahan/SWT 3.11.2023; vgl. BS 2024) und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft (LIFOS 19.6.2019). Der mangelnde Zugang zu Bildung, Beschäftigung und politischer Vertretung hat einen Kreislauf aus Armut und Ausgrenzung verursacht und die Möglichkeiten für wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg eingeschränkt. Dies wiederum verstärkt gesellschaftliche Stereotypen (Sahan/SWT 3.11.2023; vgl. TANA/ACRC 9.3.2023). In Städten wie Kismayo mangelt es den Bantu an Ressourcen und Unterstützung (Sahan/SWT 1.12.2023).
Auch in IDP-Lagern werden sie diskriminiert, Bantu-Frauen mangelt es dort an Schutz durch die traditionelle Clanstruktur (USDOS 22.4.2024; vgl. LIFOS 19.6.2019), Bantu haben kaum Zugang zum Xeer (LIFOS 19.6.2019) und sind folglich besonders schutzlos (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. FIS 7.8.2020a). Die Diskriminierung von Bantu ist auch in der Bundesarmee und im somalischen Rechtssystem allgegenwärtig. Oft wird ihnen der Zugang zur Justiz verweigert, sie tragen ein höheres Risiko, vor Gericht ungerecht behandelt zu werden (Sahan/SWT 3.11.2023); im Justizsystem sind Bantu kaum vertreten (TANA/ACRC 9.3.2023).
Nach anderen Angaben sind einige Bantu-Gruppen mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich dadurch zu schützen (FIS 7.8.2020a). Eine Quelle erklärt, dass die meisten von ihnen als niedrige Kaste einem dominanten somalischen Clan angehören (Sahan/Menkhaus 23.8.2023). Gleichzeitig erklärt der Experte Ken Menkhaus zur jüngeren Entwicklung der Bantu in Somalia: Bis vor Kurzem hatten die unterschiedlichen Bantu-Gruppen kein Gefühl einer gemeinsamen Identität. Auch ihre Probleme und ihr Identitätsgefühl waren lokal und nicht national. Sich als "Jareer" zu bezeichnen ist neu. Bis vor Kurzem waren die Bantu unbewaffnet und daher politisch schwach und anfällig für Raubüberfälle. Der Aufstieg von al Shabaab hat das geändert. Die Rekrutierungstaktiken der militanten Gruppen konzentrieren sich seit Langem darauf, Missstände auszunutzen, wobei die Jareer ein offensichtliches Ziel sind. Der Beitritt zu al Shabaab wurde oft als attraktive Option angesehen, da er den Jugendlichen der Jareer ein Gehalt, eine Waffe, Status und Schutz verschafft hat. Obwohl die meisten Jareer heute der al Shabaab gegenüber misstrauisch und viele aus dem Territorium der militanten Gruppe geflohen sind, hat die Tatsache, dass so viele zu bewaffneten Kämpfern geworden sind, begonnen, ihren Status zu verändern (Sahan/Menkhaus 23.8.2023).
Heute finden sich unter den hunderttausenden IDPs im Großraum Mogadischu zu fast 80 % Bantu (FIS 7.8.2020a). Jahrzehnte der Urbanisierung haben aus den Subsistenzbauern der Flusstäler Stadtmenschen gemacht (Sahan/SWT 1.12.2023). Menkaus erklärt diesbezüglich: Somalische Bantu stellen heute einen signifikanten Prozentsatz der städtischen Bevölkerung in Südsomalia. Dies könnte bei allgemeinen Wahlen durchaus von Bedeutung werden und ist einer der Hauptgründe, warum politisch einflussreiche Clans in den Städten darauf bestehen, die Jareer als IDPs zu bezeichnen, die per Definition anderswo hingehören. Tatsächlich ist ihre Umsiedlung aber dauerhaft geschehen. Die Jareer bilden heute eine große städtische Unterschicht mit begrenzten Aussichten auf soziale Mobilität und ein besseres Leben außerhalb der sogenannten IDP-Lager. Wahr ist aber auch, dass zumindest einige städtische Jareer nunmehr bewaffnet und in der Lage sind, Banden oder Milizen in Mogadischu zu leiten und Straßenproteste zu mobilisieren. Das ist eine außergewöhnliche Entwicklung, die noch vor nicht allzu langer Zeit undenkbar gewesen wäre (Sahan/Menkhaus 23.8.2023). So geschehen ist dies etwa, als ein Offizier der Bundesarmee - ein Bantu - verhaftet worden war. Sowohl in Baidoa als auch in Mogadischu kam es daraufhin zu Protesten von Bantus. Dies wäre früher undenkbar gewesen (Sahan/SWT 16.8.2024).
Mischehen werden stigmatisiert (LIFOS 19.6.2019). Viele Fußsoldaten von al Shabaab, die aus Middle Shabelle stammen, gehören zu Gruppen mit niedrigem Status – etwa zu den Bantu. Al Shabaab hat diese Mitglieder dazu ermutigt, Frauen und Mädchen von "noblen" Clans (z. B. Hawiye, Darod) zu heiraten (Ingiriis 2020).
Einem Bericht zufolge sind aus den USA deportierte somalische Bantu - manchmal schon am Flughafen in Mogadischu - von Bewaffneten entführt worden, um Lösegeld zu erpressen (UNHCR 22.12.2021a).
(…)
Kinder von Mischehen der al Shabaab: Einige somalische Mädchen und Frauen haben ausländische Kämpfer (z. B. aus Europa, USA, Asien) der al Shabaab geheiratet. Die aus solchen Ehen hervorgegangenen Kinder sind teils leicht zu identifizieren (ICG 27.6.2019a).
Quellen: […]
1.3.1.2. Auszug aus der Anfragebeantwortung der Staatendokumentation zu Somalia, Jareer, Biyomaal vom 04.05.2017
„Dr. Joakim Gundel schreibt zu den Bantu/Jareer in einer Publikation von ACCORD:
Die Bantu werden häufig als kleine Gruppen beschrieben, die vielleicht sechs Prozent der Bevölkerung bilden, doch könnten sie in Wirklichkeit 20 Prozent darstellen, und in Zentral- und Südsomalia könnte es lokale Bezirke geben, in denen die Bantu sogar 50 Prozent der lokalen Bevölkerung bilden.
Die Bantu leben vornehmlich in den südlichen Gebieten, in denen vor allem Ackerbau betrieben wird, und werden je nach Ort unterschiedlich – etwa als Gosha, Makane, Shiidle, Reer Shabelle oder Mushungli - bezeichnet. Sie sprechen eine Bantu-Sprache, einige ihrer Mitglieder sprechen daneben Arabisch. Allgemein versuchen somalische nomadische Clans, Minderheitengruppen zu assimilieren, um sie zu kontrollieren. In Bezug auf die Bantu (auf deren Ausbeutung zwecks Landbewirtschaftung die „noblen“ nomadischen Clans abzielen) ist jedoch unter vielen nomadischen Clans die Vorstellung verbreitet, dass diese wegen ihrer zu großen „Andersartigkeit“ nicht assimilierbar seien und daher marginalisiert werden müssten. Dies führte zu einer Situation, in der Angriffe auf Bantu straflos blieben. Diese Verhältnisse haben sich mittlerweile geändert, unter anderem deshalb, da manche Bantu-Gruppen damit begonnen haben, sich zu organisieren und zu bewaffnen. An bestimmten Orten haben Bantu daher an Macht gewonnen und sind dort in der Lage, sich selbst zu verteidigen. Andernorts ist dies jedoch nicht der Fall.
ACCORD (15.12.2009): Clans in Somalia - Bericht zum Vortrag von Dr. Joakim Gundel beim COI-Workshop in Wien am 15. Mai 2009 (überarbeitete Neuausgabe),
http://www.ecoi.net/file_upload/90_1261131016_accord-bericht-clans-in-somalia-ueberarbeitete-neuausgabe-20091215.pdf, Zugriff 4.5.2017“
1.3.2. Länderinformation zur Situation von Frauen in Somalia:
1.3.2.1. Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation (Stand 16.01.2025, Version 7), 229ff, 323ff:
19 Relevante Bevölkerungsgruppen
19.1 Frauen - allgemein
Sowohl im Zuge der Anwendung der Scharia als auch bei der Anwendung traditionellen Rechtes sind Frauen nicht in Entscheidungsprozesse eingebunden. Die Scharia wird ausschließlich von Männern angewendet, die oftmals zugunsten von Männern entscheiden (USDOS 22.4.2024). Zudem gelten die aus der Scharia interpretierten Regeln des Zivil- und Strafrechts. In der Scharia gelten für Frauen andere gesetzliche Maßstäbe als für Männer (z. B. halbe Erbquote). Insgesamt gibt es hinsichtlich der grundsätzlich diskriminierenden Auslegungen der zivil- und strafrechtlichen Elemente der Scharia keine Ausweichmöglichkeiten, diese gelten auch in Somaliland (AA 23.8.2024).
Auch im Rahmen der Ausübung des Xeer (traditionelles Recht) haben Frauen nur eingeschränkt Einfluss. Verhandelt wird unter Männern, und die Frau wird üblicherweise von einem männlichen Familienmitglied vertreten (SPC 9.2.2022; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Oft werden Gewalttaten gegen Frauen außerhalb des staatlichen Systems zwischen Clanältesten geregelt, sodass ein Opferschutz nicht gewährleistet ist (AA 23.8.2024). Auch Vergewaltigungsfälle werden oft im Rahmen kollektiver Clanverantwortung abgehandelt (ÖB Nairobi 11.1.2024; vgl. AQ21 11.2023; SPC 9.2.2022). Diesbezüglich geschaffene Gesetze haben zwar Signalwirkung, diese wendet sich aber insbesondere nach Außen (ÖB Nairobi 11.1.2024). Viele Fälle werden auch gar nicht gemeldet. Weibliche Opfer befürchten, von ihren Familien oder Gemeinden verstoßen zu werden, sie fürchten sich z. B. auch vor einer Scheidung oder einer Zwangsehe. Anderen Opfern sind die formellen Regressstrukturen schlichtweg unbekannt (SPC 9.2.2022). Im traditionellen System werden Vergewaltigungen oft mittels Blutgeld zwischen den betroffenen Clans ausverhandelt. Dabei darf das Opfer nach Angaben einer Quelle über die Höhe des Betrags mitentscheiden (ÖB Nairobi 11.1.2024). Andererseits werden Frauen im Falle von Clankonflikten oft als neutral erachtet, da es für sie leichter möglich ist, sich an unterschiedliche Clans zu wenden, um z. B. eine Waffenruhe zu erbitten. Folglich sind Frauen aufgrund der Verwandtschaftsverhältnisse beim Peace Building durchaus mächtig (AQ21 11.2023).
Während Frauen in Somalia zunehmend entscheidende wirtschaftliche Rollen übernehmen und häufig als Hauptverdiener ihrer Familien auftreten, stoßen sie bei der Suche nach politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten auf Hindernisse. Oft finden sie sich in schlecht bezahlten Positionen wieder (BS 2024). Gemäß einer Studie zum Gender-Gap in Süd-/Zentralsomalia und Puntland verfügen Frauen dort nur über 50 % der Möglichkeiten der Männer – und zwar mit Bezug auf Teilnahme an der Wirtschaft; wirtschaftliche Möglichkeiten; Politik; und Bildung (SOMSUN 6.4.2021). Viele traditionelle und religiöse Eliten stellen sich vehement gegen eine stärkere Beteiligung von Frauen am politischen Leben (AA 23.8.2024). Auf allen politischen Ebenen herrscht dementsprechend eine Absenz von Frauen. Insgesamt ist dies auf die patriarchale, auf Clans basierende Gesellschaft zurückzuführen (Sahan/SWT 19.1.2024; vgl. AA 23.8.2024). Trotzdem finden sich bei Behörden, bei den Macawiisley, in der Bundesarmee, bei der NISA und den Darawish Frauen, bei der Polizei sind es ca. 10 % (AQ21 11.2023; vgl. Sahan/SWT 9.9.2022).
Quellen: […]
19.1.1 Süd-/Zentralsomalia, Puntland
Diskriminierung: Die Diskriminierung von Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Die aktuelle Verfassung betont in besonderer Weise die Rolle und die Menschenrechte von Frauen und Mädchen und die Verantwortung des Staates in dieser Hinsicht. Tatsächlich ist deren Lage jedoch weiterhin besonders prekär (AA 23.8.2024). Sie genießen nicht die gleichen Rechte und den gleichen Status wie Männer und leiden unter Diskriminierung bei Kreditvergabe, Bildung, Politik, Unterbringung und am Arbeitsmarkt (USDOS 22.4.2024; vgl. FH 2024b). Bei der politischen Entscheidungsfindung werden Frauen marginalisiert (UNSC 2.2.2024).
Andererseits ist es der Regierung gelungen, Frauenrechte etwas zu fördern: Immer mehr Mädchen gehen zur Schule, die Zahl an Frauen im öffentlichen Dienst wächst (ICG 27.6.2019a, S. 3).
Wirtschaft und Arbeit: Siehe dazu Grundversorgung/Wirtschaft / Süd-/Zentralsomalia / Wirtschaft und Arbeit
Frauen in der Politik: Die eigentlich vorgesehene 30-Prozent-Frauenquote für Abgeordnete im somalischen Parlament wird nicht eingehalten. Aktuell liegt diese bei 54 Sitzen (knapp 20 %) im Unterhaus (FH 2024b; vgl. UNSC 13.5.2022; BS 2024) und 26 % im Oberhaus (14 von 54 Sitzen) (FH 2024b; vgl. UNSC 8.2.2022). In der neuen Regierung nehmen Frauen 10 Sitze ein, was einen Anteil von 13 % ausmacht (UNSC 1.9.2022b). Die stellvertretende Sprecherin des Unterhauses ist weiblich (BS 2024). Unter den in Puntland Anfang 2024 vereidigten 66 Parlamentsabgeordneten findet sich nur eine Frau (Sahan/SWT 19.1.2024).
Gewalt gegen Frauen: Gewalt gegen Frauen ist gesetzlich verboten (USDOS 22.4.2024). Trotzdem bleibt häusliche Gewalt ein großes Problem (USDOS 22.4.2024; vgl. BS 2024; AA 23.8.2024). Bezüglich Gewalt in der Ehe – darunter auch Vergewaltigung – gibt es keine speziellen Gesetze (USDOS 22.4.2024). Auch generell ist sexuelle Gewalt gegen Frauen ein großes Problem - IDPs sind spezifisch betroffen (FH 2024b; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024; HRW 11.1.2024). Auch weibliche Angehörige von Minderheiten sind häufig unter den Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. NGOs haben eine diesbezügliche Systematik dokumentiert (USDOS 22.4.2024). So waren z. B. sieben von zwölf in einem UN-Bericht für das erste Jahresdrittel 2024 erwähnten weiblichen Opfer konfliktverursachter sexueller Gewalt Angehörige von Minderheiten, drei waren IDPs (UNSC 3.6.2024). Frauen, die aus Minderheiten stammen, sind dementsprechend besonders vulnerabel hinsichtlich sexueller Gewalt, Kriminalität, Ausbeutung und Diskriminierung und haben gleichzeitig kaum Zugang zu Justiz oder Clanschutz (ÖB Nairobi 10.2024).
Zur Veranschaulichung: Im Jahr 2021 setzten sich die Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt laut UNFPA wie folgt zusammen: 62 % physische Gewalt; 11 % Vergewaltigungen; 10 % sexuelle Übergriffe; 7 % Verweigerung von Ressourcen; 6 % psychische Gewalt; 4 % Zwangs- oder Kinderehe. 53 % der Fälle ereigneten sich im Wohnbereich der Opfer (UNFPA 14.4.2022). Zudem werden Frauen und Mädchen Opfer, wenn sie Wasser holen, Felder bewirtschaften oder auf den Markt gehen. Klassische Muster sind: a) die Entführung von Mädchen und Frauen zum Zwecke der Vergewaltigung oder der Zwangsehe. Hier sind die Täter meist nicht-staatliche Akteure; und b) Vergewaltigungen und Gruppenvergewaltigungen durch staatliche Akteure, assoziierte Milizen und unbekannte Bewaffnete. Insgesamt gaben bei einer Untersuchung aber 59 % der befragten Frauen an, dass die meiste Gewalt gegen Frauen von Ehemännern ausgeht (USDOS 22.4.2024). UNFPA berichtete 2021 von jährlich 80 % Zuwachs bei der Zahl an gemeldeten Fällen (Sahan/SWT 9.2.2024). Frauen und Mädchen bleiben den Gefahren bezüglich Vergewaltigung, Verschleppung und systematischer sexueller Versklavung ausgesetzt (AA 23.8.2024).
Sexuelle Gewalt - Gesetzeslage: Das Strafgesetzbuch befasst sich hinsichtlich sexueller Gewalt weniger mit Körperverletzung, sondern beschreibt diese eher im Sinne einer Verletzung der Sittlichkeit und der sexuellen Ehre (BS 2024). Nicht die körperliche Integrität, sondern Anstand und Ehre stehen im Vordergrund (HRW 11.1.2024). Nach anderen Angaben ist Vergewaltigung gesetzlich verboten (AA 23.8.2024). Die Strafandrohung beträgt 5-15 Jahre, vor Militärgerichten auch den Tod (USDOS 22.4.2024). Vergewaltigung bzw. Übergriffe in der Ehe sind hingegen nicht verboten. Insgesamt ist die Gesetzeslage unklar und wird auch uneinheitlich angewendet (Sahan/SWT 9.2.2024) bzw. setzt die Regierung bestehende Gesetze nicht effektiv um (USDOS 22.4.2024).
Sexuelle Gewalt - staatlicher Schutz: Fälle sexueller und geschlechtsspezifischer Gewalt werden häufig als Kavaliersdelikte abgetan, eine Verurteilung der Täter mithilfe von Bestechung oder Kompensationszahlungen verhindert (AA 23.8.2024). Denn wenn eine Frau - trotz Angst vor sozialer Ächtung - z. B. Beschwerden über ihren Ehemann vorbringt, dann handelt üblicherweise nicht die Polizei, sondern Älteste oder Familienangehörige (Horn 6.2.2024). Folglich kann bei Vergewaltigungen von staatlichem Schutz nicht ausgegangen werden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. BS 2024). Eine strafrechtliche Verfolgung von Vergewaltigungen erfolgt in der Praxis kaum (AA 23.8.2024; vgl. USDOS 22.4.2024; ÖB Nairobi 10.2024), die Aufklärungsrate ist verschwindend gering (AA 23.8.2024).
Insgesamt wird Gewalt gegen Frauen aber aufgrund des Stigmatisierungsrisikos und mangelnder Reaktionen der von Männern dominierten Strafverfolgungs- und Justizsysteme oft gar nicht erst gemeldet (SW 3.2023; vgl. Sahan/SWT 9.2.2024; USDOS 22.4.2024; AA 23.8.2024; ÖB Nairobi 10.2024). Die Tabuisierung von Vergewaltigungen führt u. a. dazu, dass kaum Daten zur tatsächlichen Prävalenz vorhanden sind (SIDRA 6.2019a, S. 2). Vergewaltigungsopfer leiden oft unter ihrer angeschlagenen Reputation. Zudem untersucht die Polizei Fälle sexueller Gewalt nur zögerlich; manchmal verlangt sie von den Opfern, die Untersuchungen zu ihrem eigenen Fall selbst zu tätigen (USDOS 22.4.2024). Manchmal übergibt die Polizei ohne Zustimmung des Opfers oder der Familie des Opfers einen Vergewaltigungsfall an traditionelle Rechtsinstrumente (UNSC 6.10.2021).
Sexuelle Gewalt - traditionelles Recht (Xeer): Zum größten Teil (95 %) werden Fälle sexueller Gewalt – wenn überhaupt – im traditionellen Rechtsrahmen erledigt (SIDRA 6.2019a, S. 5ff; vgl. Sahan/SWT 13.3.2023; MBZ 6.2023), wo Frauen sich von einem männlichen Verwandten repräsentieren lassen müssen (Sahan/SWT 9.2.2024). Xeer stellt aber die Interessen des Clans und Clanbeziehungen in den Vordergrund (MBZ 6.2023). Dort getroffene Einigungen beinhalten Kompensationszahlungen an die Familie des Opfers (SIDRA 6.2019a, S. 5ff), oder aber das Opfer wird gezwungen, den Täter zu ehelichen (USDOS 22.4.2024). Das patriarchalische Clansystem und Xeer an sich bieten Frauen also keinen Schutz, denn wird ein Vergehen gegen eine Frau gemäß Xeer gesühnt, wird der eigentliche Täter nicht bestraft (SEM 31.5.2017, S. 49; vgl. ÖB Nairobi 10.2024; SIDRA 6.2019a, S. 5ff).
Sexuelle Gewalt - Maßnahmen: Nach Angaben einer Quelle nimmt die Zahl erfolgreicher Strafverfolgung bei Vergewaltigungen und anderer Formen sexueller Gewalt zu. Mädchen und Frauen haben demnach Vertrauen gewonnen und zeigen Fälle an, auch wenn es noch zahlreiche Mängel und Hürden gibt (UNFPA 14.4.2022). Bei der Armee wurden einige Soldaten wegen des Vorwurfs von Vergewaltigung verhaftet (USDOS 22.4.2024). In Baidoa wurde ein Mann, der eine Frau ermordet hatte, zum Tode verurteilt und Anfang Juni 2022 exekutiert (GN 7.6.2022). In zwei Vergewaltigungsfällen von Minderjährigen in Jubaland und Galmudug wurden die Täter (ein Soldat und ein Clanmilizionär) verhaftet (UNSC 1.9.2022b).
Sexuelle Gewalt - Unterstützung: Insgesamt gibt es für Opfer sexueller Gewalt beachtliche Hürden, um notwendige Unterstützung in Anspruch nehmen zu können (USDOS 22.4.2024). Somalische Frauen und Mädchen haben nur äußerst begrenzten Zugang zu Programmen, die sie vor Gewalt schützen (Sahan/SWT 13.3.2023), es gibt kaum rechtliche oder medizinische Unterstützungsangebote (Sahan/SWT 9.2.2024). Laut einer Studie erhielten 17 % der von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffenen Frauen und Mädchen Unterstützung (USDOS 22.4.2024). UNFPA treibt die Einrichtung sogenannter One-Stop-Center und Women and Girls' Safe Spaces voran und unterhält diese. Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt sollen umfassend betreut werden. Sie können in solchen Einrichtungen in Sicherheit auf medizinische, psychosoziale, rechtliche und andere Hilfe zurückgreifen. UNFPA hat mit ihren Partnern im Jahr 2022 fast 9.000 Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt einen Safe Space zur Verfügung gestellt; im gleichen Jahr wurden mehr als 22.000 Opfer betreut (UNFPA 16.6.2023). IDPs, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind, werden mitunter von UNHCR mit u. a. psychosozialen Diensten und einer Fallbetreuung unterstützt (UNHCR 23.1.2024; vgl. UNHCR 23.6.2024). Hierzu gehören u. a. auch ein sog. Safe House, Verpflegung, Geldaushilfe und medizinische Versorgung (UNHCR 23.6.2024). In Mogadischu gibt es mindestens ein Frauenhaus. Dort werden Opfer von geschlechtsspezifischer Gewalt oder von Zwangsehen aufgenommen - auch Frauen, die vor einer Ehe schwanger geworden sind (Love Does 20.10.2023). Die NGO Elman Peace betreibt unter dem Titel "Sister Somalia" Krisenzentren für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt. Auch dort gibt es psychosoziale, medizinische und Trauma-Betreuung (Elman o.D.c). Die NGO SWSC bietet in Jubaland psychosoziale und rechtliche Unterstützung, die NGO SWDC tut dies in Mogadischu und im Bundesstaat SWS (SW 11.2023). Insgesamt mangelt es allerdings an Schutzeinrichtungen. In Puntland gibt es einige Frauenhäuser, in Süd-/Zentralsomalia hingegen gibt es nur sehr wenige derartige Einrichtungen für Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt (UNFPA 14.4.2022). Die im Violence Observatory System erfassten Fälle in Mogadischu, Baidoa und Kismayo zeigen eine geographische Ungleichverteilung: Während in Baidoa 98 % der Fälle nicht an einen Safe Space verwiesen wurden, waren es in Kismayo 71 % und in Mogadischu 66 %. Noch ungleicher gestaltet sich die Antwort auf die Frage, ob Opfer Rechtsschritte ergreifen möchten: 80 % der Opfer in Baidoa schlossen rechtliche Schritte gegen den Täter aus; dahingegen waren es in Kismayo nur 23 % und in Mogadischu nur 8 % (SW 11.2023).
Sexuelle Gewalt - Puntland: Nur in Puntland kriminalisiert ein Gesetz alle Formen sexueller Gewalt (MBZ 6.2023; vgl. UNFPA 14.4.2022), Vergewaltigung ist explizit verboten (Sahan/SWT 9.2.2024). Es gibt eine von UNFPA unterstützte, mobile Rechtshilfe-Klinik, die Frauen und Mädchen aus vulnerablen und marginalisierten Gruppen berät und rechtlich unterstützt (GN 10.11.2022a). Insgesamt wird das o. g. Gesetz aber nicht ausreichend implementiert, manche Gerichte entscheiden weiterhin nach dem alten Strafgesetz (MBZ 6.2023). Zudem überwiegt oft der Druck der Ältesten, wonach ein Opfer den Täter heiraten muss, oder aber Kompensation bezahlt wird (AQ21 11.2023).
Alleinstehende Frauen sind insbesondere dann gefährdet, wenn sie in IDP-Lagern leben. Dort haben sie ein erhöhtes Risiko, sexuelle Gewalt zu erfahren. Für Frauen, die einem Minderheitenclan angehören, ist das Risiko noch höher. Die Hauptquelle für Schutz liegt in der erweiterten Familie der Frau. Wenn eine Frau nicht bei ihrer Großfamilie lebt, verringert sich ihre Sicherheit. Frauen, die einem Mehrheitsclan angehören, können daher mit einem gewissen Schutz rechnen (MBZ 6.2023).
Frauen - al Shabaab: In den von ihr kontrollierten Gebieten gelingt es al Shabaab, Frauen und Mädchen ein gewisses Maß an physischem Schutz hinsichtlich sexueller Gewalt und Entführung zukommen zu lassen (ICG 27.6.2019a, S. 2/6; vgl. SW 3.2023). Die Gruppe interveniert z. B. auch in Fällen häuslicher Gewalt (ICG 27.6.2019a, S. 2/6). Al Shabaab hat Vergewaltiger zum Tode verurteilt (USDOS 22.4.2024). Dies ist auch ein Grund dafür, warum es in den Gebieten von al Shabaab nur vergleichsweise selten zu Vergewaltigungen kommt (ICG 27.6.2019a, S. 6; vgl. DI 6.2019, S. 9).
Andererseits legen Berichte nahe, dass sexualisierte Gewalt von al Shabaab selbst gezielt als Taktik im bewaffneten Konflikt eingesetzt wird (AA 23.8.2024). In den Gebieten unter ihrer Kontrolle zwingt die Gruppe Mädchen und Frauen im Alter von 14 bis 20 Jahren zur Ehe. Diese sowie deren Familien haben generell kaum eine Wahl (USDOS 22.4.2024). Nach anderen Angaben werden die meisten Ehen mit Mitgliedern der al Shabaab freiwillig eingegangen, auch wenn der Einfluss von Eltern und Clan sowie das geringe Alter bei der Eheschließung nicht gering geschätzt werden dürfen. Eine solche Ehe bietet der Ehefrau und ihrer Familie ein gewisses Maß an finanzieller Stabilität, selbst Witwen beziehen eine Rente (ICG 27.6.2019a, S. 8). Demgegenüber stehen Berichte, wonach viele Eltern ihre Töchter in Städte gebracht haben, um sie vor dem Zugriff durch al Shabaab in Sicherheit zu bringen (DI 6.2019, S. 9).
Zur (Zwangs-)Rekrutierung von Frauen und Mädchen durch al Shabaab siehe Wehrdienst / Al Shabaab - (Zwangs-)Rekrutierungen und Kindersoldaten
Laut Eigendarstellung ermöglicht al Shabaab Fortbildungsmöglichkeiten – auch für Frauen. In Jilib gehen demnach Mädchen zur Schule, und Frauen werden von al Shabaab durchaus ermutigt, einer Arbeit nachzugehen (C4/Jamal 15.6.2022). Nach anderen Angaben schränkt al Shabaab die Freiheit und die Möglichkeiten von Frauen auf dem Gebiet unter ihrer Kontrolle signifikant ein (SW 3.2023; vgl. TEL/Warah 11.3.2019). Die Anwendung einer extremen Form der Scharia resultiert in einer entsprechend weitgehenden Diskriminierung von Frauen (AA 23.8.2024). Diese werden etwa insofern stärker ausgeschlossen, als ihre Beteiligung an ökonomischen Aktivitäten als unislamisch erachtet wird (USDOS 22.4.2024), und Frauen vom Prinzip her nicht arbeiten dürften (AQ21 11.2023). Allerdings hat al Shabaab hier einen pragmatischen Zugang (ICG 27.6.2019a, S. 11). Einschränkungen werden oft nicht streng überwacht, oder aber Frauen müssen eine Sondergebühr dafür bezahlen, wenn sie ein "Business" besitzen (AQ21 11.2023). Da immer mehr Familien vom Einkommen der Frauen abhängig sind, tendiert die Gruppe dazu, sie ihren wirtschaftlichen Aktivitäten nachgehen zu lassen. Und dies, obwohl Frauen nominell das Verlassen des eigenen Hauses nur unter Begleitung eines männlichen Verwandten erlaubt ist (ICG 27.6.2019a, S. 11).
Quellen: […]
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19.2 Mädchen / Frauen - Weibliche Genitalverstümmelung und -Beschneidung (FGM/C)
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20.2.3 Reinfibulation, Deinfibulation
19.2.3 Reinfibulation, Deinfibulation
Die Thematik der Reinfibulation (Wiederherstellung einer Infibulation, Wiederzunähen) betrifft jene Frauen und Mädchen, die bereits einer Infibulation unterzogen und später deinfibuliert wurden. Letzteres erfolgt z. B. im Rahmen einer Geburt, zur Erleichterung des Geschlechtsverkehrs (LIFOS 16.4.2019, S. 35/12; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 9/12) oder aber z. B. auf Wunsch der Familie, wenn bei der Menstruation Beschwerden auftreten (LIFOS 16.4.2019, S. 32; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt zudem anekdotische Berichte, wonach eine neue Intervention durchgeführt wurde, weil die Familie eine umfassendere Intervention als die ursprüngliche gewünscht hat (Landinfo 14.9.2022; vgl. HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 74).
Eine Reinfibulation kommt v. a. dann vor, wenn Frauen - üblicherweise noch vor der ersten Eheschließung - eine bestehende Jungfräulichkeit vorgeben wollen (DIS 1.2016, S. 23). Obwohl es vor einer Ehe gar keine physische Untersuchung der Jungfräulichkeit gibt (LIFOS 16.4.2019, S. 40f), kann es bei jungen Mädchen, die z. B. Opfer einer Vergewaltigung wurden, zu Druck oder Zwang seitens der Eltern kommen, sich einer Reinfibulation zu unterziehen (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/76; vgl. CEDOCA 13.6.2016, S. 9). Vergewaltigungsopfer werden oft wieder zugenäht (HO 27.2.2019; vgl. Landinfo 14.9.2022, S. 12). Es gibt anekdotische Berichte über Fälle, in denen unverheiratete Mädchen oder junge Frauen aus der Diaspora nach Somalia geschickt wurden, um eine Reinfibulation durchzuführen (Landinfo 14.9.2022).
Eine Quelle gibt an, dass es Folgen - bis hin zur Scheidung - haben kann, wenn ein Ehemann in der Hochzeitsnacht feststellt, dass eine Deinfibulation bereits vorliegt. Eine Scheidung kann in diesem Fall zu einer indirekten Stigmatisierung infolge von "Gerede" führen. Generell können zur Frage der Reinfibulation von vor der Ehe deinfibulierten Mädchen und jungen Frauen nur hypothetische Angaben gemacht werden, da z. B. den von der schwedischen COI-Einheit LIFOS befragten Quellen derartige Fälle überhaupt nicht bekannt waren (LIFOS 16.4.2019, S. 40f).
Als weitere Gründe, warum sich Frauen für eine Reinfibulation im Sinne einer weitestmöglichen Verschließung entscheiden, werden in einer Studie aus dem Jahr 2015 folgende genannt: a) nach einer Geburt: Manche Frauen verlangen z. B. eine Reinfibulation, weil sie sich nach Jahren an ihren Zustand gewöhnt hatten und sich die geöffnete Narbe ungewohnt und unwohl anfühlt; b) manche geschiedene Frauen möchten als Jungfrauen erscheinen; c) Eltern von Vergewaltigungsopfern fragen danach; d) in manchen Bantu-Gemeinden in Süd-/Zentralsomalia möchten Frauen, deren Männer für längere Zeit von zu Hause weg sind, eine Reinfibulation als Zeichen der Treue (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 76; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 11).
Gesellschaftlich verliert die Frage einer Deinfibulation oder Reinfibulation nach einer Eheschließung generell an Bedeutung, da die Vorgabe der Reinheit/Jungfräulichkeit irrelevant geworden ist (LIFOS 16.4.2019, S. 40). Für verheiratete oder geschiedene Frauen und für Witwen gibt es keinen Grund, eine Jungfräulichkeit vorzugeben (CEDOCA 13.6.2016, S. 6).
Wird eine Frau vor einer Geburt deinfibuliert, kann es vorkommen, dass nach der Geburt eine Reinfibulation stattfindet. Dies obliegt i.d.R. der Entscheidung der betroffenen Frau (LIFOS 16.4.2019, S. 40; vgl. CEDOCA 9.6.2016, S. 26). Die Gesellschaft hat kein Problem damit, wenn eine Deinfibulation nach einer Geburt bestehen bleibt, und es gibt üblicherweise keinen Druck, sich einer Reinfibulation zu unterziehen. Viele Frauen fragen aber offenbar von sich aus nach einer (manchmal nur teilweisen) Reinfibulation (CEDOCA 13.6.2016, S. 9f/26). Gemäß Angaben einer Quelle ist eine derartige - von der Frau verlangte - Reinfibulation in Somalia durchaus üblich. Manche Frauen unterziehen sich demnach mehrmals im Leben einer Reinfibulation (HEART/Crawford/Ali 2 2015, S. 73/75f). Nach anderen Angaben kann ein derartiges Neu-Vernähen der Infibulation im ländlichen Raum vorkommen, ist in Städten aber eher unüblich (FIS 5.10.2018, S. 29). Die Verbreitung variiert offenbar auch geographisch: Bei Studien an somalischen Frauen in Kenia haben sich 35 von 57 Frauen einer Reinfibulation unterzogen. Gemäß einer anderen Studie entscheiden sich in Puntland 95 % der Frauen nach einer Geburt gegen eine Reinfibulation (CEDOCA 9.6.2016, S. 13f). Insgesamt gibt es zur Reinfibulation keine Studien, die Prävalenz ist unbekannt. Eine Wissenschaftlerin, die sich seit Jahren mit FGM in Somalia auseinandersetzt, sieht keine Grundlage dafür, dass nach einer Geburt oder Scheidung systematisch eine Reinfibulation durchgeführt wird – weder in der Vergangenheit noch in der heutigen Zeit. Im somalischen Kontext wird demnach eine Infibulation durchgeführt, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“. Dementsprechend macht es keinen Sinn, eine verheiratete Frau nach der Geburt zu reinfibulieren (Landinfo 14.9.2022, S. 12f).
Freilich kann es vorkommen, dass eine Frau – wenn sie z. B. physisch nicht in der Lage ist, eine Entscheidung zu treffen – auch gegen ihren Willen einer Reinfibulation unterzogen wird; die Entscheidung treffen in diesem Fall weibliche Verwandte oder die Hebamme. Es kann auch nicht völlig ausgeschlossen werden, dass Frauen durch Druck von Familie, Freunden oder dem Ehemann zu einer Reinfibulation gedrängt werden. Insgesamt hängt das Risiko einer Reinfibulation also zwar vom Lebensumfeld und der körperlichen Verfassung der Frau nach der Geburt ab, aber generell liegt die Entscheidung darüber bei ihr selbst. Sie kann sich nach der Geburt gegen eine Reinfibulation entscheiden. Es kommt in diesem Zusammenhang weder zu Zwang noch zu Gewalt. Keine der zahlreichen, von der schwedischen COI-Einheit LIFOS dazu befragten Quellen hat jemals davon gehört, dass eine deinfibulierte Rückkehrerin nach Somalia dort zwangsweise reinfibuliert worden wäre (LIFOS 16.4.2019, S. 41).
Quellen: […]
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22.1.3 Rückkehrspezifische Grundversorgung
Somalis aus der Diaspora - aus Europa oder den USA - die freiwillig zurückkehren, nehmen oft keine Hilfspakete in Anspruch, sondern kehren einfach zurück. Viele der Rückkehrer aus Kenia und dem Jemen gehen in die großen Städte Kismayo, Mogadischu und Baidoa, weil sie sich dort bessere ökonomische Möglichkeiten erwarten (ACCORD 31.5.2021, S. 24). Der UNHCR hat mehr als 3.200 Haushalte von Rückkehrern - v. a. aus Kenia, Äthiopien und dem Jemen - zu ihrer Situation befragt. Dabei haben 57 % angegeben, dass ihr Haushalt nicht über genügend Einkommen verfügt. Das verfügbare Einkommen stammt oftmals aus der Arbeit als Tagelöhner, als Selbständige oder aus humanitärer Hilfe. 45 % der befragten Haushalte gaben an, dass es an Arbeitsmöglichkeiten mangle, und 12 %, dass die verfügbaren Jobs zu weit entfernt sind (UNHCR 9.11.2022).
Nach Angaben einer Quelle ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet (ÖB Nairobi 10.2024). Rückkehrer, Menschen, die aus Flüchtlingslagern im Ausland nach Somalia zurückgekehrt sind, finden sich oft in IDP-Lagern wieder (USDOS 22.4.2024; vgl. ÖB Nairobi 10.2024). Viele Rückkehrer sind zudem Druck seitens ihrer Familie ausgesetzt – v. a. wenn sie aufgrund ihrer „abgebrochenen“ Migration noch Schulden offen haben (ACCORD 31.5.2021, S. 24). Jene die es nicht geschafft haben, im Westen bleiben zu können, werden mitunter stigmatisiert (AQ21 11.2023). Manche Rückkehrer gehen deshalb explizit nicht in Regionen, wo Mitglieder des eigenen Clans leben (ACCORD 31.5.2021, S. 24).
Laut einer Quelle muss eine nach Mogadischu zurückgeführte Person nicht damit rechnen, ohne Angehörige zu verhungern. Selbst wenn jemand tatsächlich überhaupt niemanden kennen sollte, dann würde diese Person in ein IDP-Lager gehen und dort in irgendeiner Form Hilfe bekommen. Die Person ist auf Mitleid angewiesen; Hilfe findet sich ggf. auch in einer Moschee. Jedenfalls würde eine solche Person so schnell wie möglich versuchen, dorthin zu gelangen, wo sich ein Familienmitglied befindet. Dass gar keine Familie existiert, ist sehr unwahrscheinlich (ACCORD 31.5.2021, S. 37). Nach Angaben einer Quelle der FFM Somalia 2023 müssen sich aus der Diaspora Zurückkommende neu in den Kontext einordnen. Hat eine Person Mittel und Informationen oder aber Verwandte, kann sie zurechtkommen. Doch nicht jedermann - und im Speziellen Minderheitsangehörige - hat in Mogadischu Verwandte (DIPL-X/STDOK/SEM 4.2023).
In Kismayo werden Somali, die nach Jahrzehnten in Kenia nach Somalia zurückgekehrt sind, auch in der Verwaltung eingesetzt – mitunter in hohen Funktionen. Anekdotische Berichte belegen, dass viele der Rückkehrer aus Kenia in ganz Somalia für Behörden oder NGOs arbeiten (AJ 14.9.2022a). Rückkehrer, die im Ausland ausgebildet wurden, können - bei vorhandenen, besseren Fähigkeiten - am Arbeitsmarkt Vorteile haben (EASO 9.2021; vgl. AQ21 11.2023). Sie können durchaus gute Jobs erhalten. So finden sich etwa auch im somalischen Parlament und in der Bundesregierung viele Rückkehrer. Manche davon haben eine gute Ausbildung genossen, andere - etwa ein Minister - waren in der Diaspora Taxifahrer (AQ21 11.2023). Netzwerke aus Familie, Nachbarn und Freunden sind für Rückkehrer höchst relevant. Die Unterstützung, die ein Rückkehrer aus diesen Netzwerken ziehen kann, hängt maßgeblich davon ab, wie sehr er diese Netzwerke während seines Auslandsaufenthalts gepflegt hat. Natürlich spielen auch Clannetzwerke eine Rolle. Dies ist mit ein Grund dafür, dass Rückkehrer sich oft in Gebieten ansiedeln, die von eigenen Clanmitgliedern bewohnt werden (EASO 9.2021).
Unterstützung / Netzwerk: Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder - je nach Ausmaß - an untere Ebenen (z. B. Großfamilie) (SEM 31.5.2017, S. 5/31f). Jedenfalls versucht die Mehrheit der Rückkehrer, in eine Region zu kommen, wo zumindest Mitglieder ihres Clans leben (ACCORD 31.5.2021, S. 24), denn eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clan- oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden (ÖB Nairobi 10.2024; vgl. AQ21 11.2023). Nach anderen Angaben ist es bei einer Rückkehr weniger entscheidend, ob jemand Verwandte hat oder nicht. Entscheidend ist vielmehr, wie diese persönlichen Verwandtschaftsbeziehungen funktionieren und ob sie aktiv sind, ob sie gepflegt wurden. Denn Solidarität wird nicht bedingungslos gegeben. Wer sich lange nicht um seine Beziehungen gekümmert hat, wer einen (gesellschaftlichen) Makel auf sich geladen hat oder damit behaftet ist, der kann - trotz vorhandener Verwandtschaft - nicht uneingeschränkt auf Solidarität und Hilfe hoffen (ACCORD 31.5.2021, S. 39f). Laut Angestellten von IOM in Somaliland würde ein Rückkehrer ohne Beziehungen oder Kontakten in Hargeysa in der Stadt trotzdem mit Wasser, Nahrung und Unterkunft versorgt werden. Dies erfolgt informell und aus Gründen der Gastfreundschaft und anderen kulturellen Werten. Die Verfügbarkeit derartiger kulturell bedingter Unterstützung kann aber weder geplant werden, noch ist diese längerfristig garantiert (IOM 2.3.2023). Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig (FIS 7.8.2020a, S. 39).
Unterstützung extern: Der UNHCR unterstützt freiwillige Rückkehrer. So wurden alleine im Zeitraum Dezember 2014 bis September 2022 ca. 16.000 Haushalte bei der freiwilligen Rückkehr unterstützt (UNHCR 9.11.2022). Deutschland unterstützt in Jubaland ein Vorhaben, das der Vorbereitung der aufnehmenden Gemeinden für freiwillige Rückkehrer dient (AA 23.8.2024). Auch z. B. das Elman Peace Center bietet kostenlose Berufsausbildung für Jugendliche (Elman o.D.a; vgl. Elman o.D.b).
Rückkehrprogramme (siehe dazu auch Rückkehr): Seit Mai 2023 führt IOM für Österreich ein neues Reintegrationsprojekt durch, das auch Somalia umfasst. Das Programm bietet Rückkehrern 500 Euro Bargeld sowie 3.000 Euro Sachleistungen (etwa für eine Ausbildung oder zur Unternehmensgründung) sowie zusätzliche Unterstützung und Beratung nach Bedarf (BMI 7.2023; vgl. BMI 29.5.2024). Auch die auf Rückkehrer spezialisierte Organisation IRARA kooperiert im Rahmen des EU Reintegration Programme (EURP) mit Frontex, um u. a. in Somalia eine Reintegration zu gewährleisten. Hierbei werden nicht nur freiwillige, sondern auch unfreiwillige Rückkehrer aus Schengen-Staaten unterstützt. Bei der Ankunft werden folgende Leistungen angeboten: Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft; dringende medizinische Betreuung; spezielle Betreuung vulnerabler Personen; Geldaushilfe. IRARA bietet auch sogenannte Post-Return Assistance. Diese umfasst etwa Hilfe beim Aufbau eines Betriebes; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Bildung und Berufsausbildung; Geldaushilfe (IRARA 7.11.2024).
Unterkunft (siehe dazu auch: Grundversorgung/Wirtschaft / Lebenshaltungskosten): Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an (AA 15.5.2023); nach anderen Angaben finden sich viele der Rückkehrer aus dem Jemen und aus Kenia in IDP-Lagern wieder (ACCORD 31.5.2021, S. 24). Bei der bereits weiter oben erwähnten Rückkehrer-Studie des UNHCR haben allerdings nur 23 % der unterstützten und 42 % der nicht unterstützten Rückkehrerhaushalte (Sample: 3.200) angegeben, in einem IDP-Lager zu leben (UNHCR 9.11.2022). IOM-Mitarbeiter erklären, dass der durchschnittliche Rückkehrer sich vorübergehend nur eine Wellblechhütte oder eine traditionelle Wohnstatt als Unterkunft leisten kann ( IOM 2.3.2023). In der bereits erwähnten Studie von UNHCR haben 33 % der befragten Rückkehrerhaushalte angegeben, in einer Wellblechbehausung zu wohnen, 24 % wohnten in einem Buul, weitere 24 % in anderen temporären Behausungen. 79 % der Haushalte haben angegeben, auch zwei Jahre nach ihrer Rückkehr noch in einer behelfsmäßigen Unterkunft zu leben (UNHCR 9.11.2022).
Frauen: Einer Quelle des niederländischen Außenministeriums zufolge hängen die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit alleinstehender Frauen und ihr wirtschaftlicher Handlungsspielraum von einigen wenigen individuellen Faktoren ab. Eine wichtige Rolle spielen die erweiterte Familie und der Clan bzw. Subclan. Über diese Netzwerke kann eine Frau z. B. Arbeit oder den Zugang zu finanziellen Ressourcen organisieren. Darüber hinaus zählt der Bildungsstand Betroffenen. Für Frauen mit einem höheren Bildungsniveau ist es einfacher, wirtschaftlich zu überleben. Die größte Herausforderung für Frauen am Arbeitsmarkt ist oft nicht die Tatsache, dass sie alleinstehend sind, sondern dass es ihnen an Bildung mangelt (MBZ 6.2023). Für eine weibliche Angehörige von Minderheiten, die weder Aussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (ÖB Nairobi 10.2024).
Quellen: […]
[…]
1.3.2.2. Auszug aus dem Asylländerbericht der ÖB in Nairobi, Stand Oktober 2024, 7:
2. Minderheitenschutz, Minderheitenverfolgung, Mischehen
(…) Offizielle Zahlen oder klare Einteilungen hinsichtlich einer systematischen Verfolgung von Minderheiten bzw. Berichte darüber konnten nicht gefunden werden. Allerdings werden Minderheiten eher Opfer von Menschenrechtsverletzungen. Als besonders marginalisiert und schutzlos gelten Angehörige der ethnischen Minderheit der Bantu.
1.3.3. Länderinformation zur allgemeinen politischen und Sicherheitslage in Middle Shabelle
1.3.3.1. Auszug aus der Länderinformation der Staatendokumentation (Stand 16.01.2025, Version 7), 15ff, 72ff:
4.1.4 HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle)
HirShabelle wurde 2016 überhastet als letzter Bundesstaat etabliert, obwohl es damals auch Stimmen für einen eigenständigen Bundesstaat Hiiraan gegeben hat (HIPS 7.5.2024; vgl. Sahan/SWT 30.10.2024). Viele Clans in Hiiraan - etwa die Hawadle und die Galja’el - sind mit der von Abgaal und Mudulood auf den Bundesstaat ausgeübten Dominanz unzufrieden (Sahan/SWT 6.11.2023). Die Spannungen hinsichtlich der Machtverteilung halten auch weiter an (HIPS 7.5.2024).
Im November 2020 wurde mit Ali Gudlawe ein neuer Präsident gewählt (HO 11.11.2020). Dessen Wahl wurde als Bruch des informellen Machtteilungsabkommens zwischen den beiden in HirShabelle dominanten Clans Abgaal und Hawadle erachtet (HIPS 8.2.2022). Dieses Abkommen sah vor, dass Jowhar (im Gebiet der Abgaal) zur Hauptstadt wird, während die Hawadle den Präsidenten stellen (Sahan/SWT 30.10.2024). Gestritten wird auch um Fragen der Besteuerung (HIPS 7.5.2024), der Ressourcenverteilung und wegen der Checkpoints (Sahan/SWT 30.6.2023). Im Juni 2023 wurde der Gouverneur der Region Hiiraan, Ali Jeyte Osman (Hawiye / Hawadle), durch Präsident Gudlawe seines Amtes enthoben. Dadurch wurde eine politische Krise ausgelöst. Jeyte hat sich geweigert, zurückzutreten, und in Belet Weyne wurde eine Interimsregierung des selbstproklamierten Bundesstaates Hiiraan eingerichtet (HIPS 7.5.2024; vgl. Halbeeg 25.6.2023). Auch im Oktober 2024 war das Thema eines eigenständigen "Hiiraan State" weiterhin aktuell (Sahan/SWT 30.10.2024).
Die schon im Zuge der Bildung des Bundesstaates neu zutage getretenen Clankonflikte sind also wieder aufgeflammt. Die Clans in Middle Shabelle stehen größtenteils hinter der Regionalverwaltung. In Belet Weyne hingegen treffen Vertreter von HirShabelle nach wie vor auf unverminderte Ablehnung. De facto ist der Bundesstaat geteilt (BMLV 1.12.2023). Im Vordergrund stehen - wie erwähnt - die Spannungen zwischen den Hawadle ("Hiiraan State") und der Verwaltung von HirShabelle. Dies führt jedoch auch zu Spannungen in Hiiraan, wo die westlich des Shabelle Flusses lebenden Hawiye / Gugundhabe (Subclans: Galje'el, Baadi Adde und Jajele), die sich zu erheblichen Teilen mit al Shabaab arrangiert haben, in der Regionalverwaltung von Hiiraan bislang nicht berücksichtigt werden (BMLV 7.8.2024). Zusammenfassend erklärt eine Quelle, dass Präsident Gudlawe eigentlich nur das Gebiet der Abgaal kontrolliert (Sahan/SWT 30.10.2024).
Quellen: […]
4.1.4 HirShabelle (Hiiraan, Middle Shabelle)
Die Macht der Regierung von HirShabelle reicht in alle Gebiete östlich des Flusses Shabelle und jedenfalls in die Regionalhauptstädte Jowhar und - in gewissem Maße - Belet Weyne. Die Macawiisley haben beeindruckende Erfolge gegen al Shabaab erzielt und die Gruppe weitgehend aus den östlichen Teilen von Hiiraan und Middle Shabelle verdrängt (BMLV 7.8.2024). Die Regierung hat auch weiterhin die Kontrolle über die Gebiete östlich des Shabelle (UNSC 28.10.2024). Dies sind im wesentlich die einzigen nachhaltigen Erfolge der Regierungsoffensive in Zentralsomalia (BMLV 4.7.2024).
Die Verbindung von Jowhar nach Belet Weyne ist grundsätzlich offen. Die Ortschaften entlang der Straße befinden sich jedenfalls nicht unter Kontrolle von al Shabaab. Die Lage entlang dieser Route hat sich nach Rückschlägen für die Regierungstruppen im September 2023 wieder verschlechtert, ist allerdings nicht mit der schlechten Lage von vor der Offensive 2022 vergleichbar. Generell hat sich die Lage in Ost-Hiiraan und in Middle Shabelle verbessert. Hier sind in weiten Gebieten auch Bewegungen zwischen den Orten möglich (BMLV 7.8.2024). Allerdings sickert al Shabaab teilweise über den Shabelle nach Osten ein (Raum Jowhar - Mahaday) (BMLV 4.7.2024) und greift dann Orte an der Route oder den Verkehr selbst an (BMLV 7.8.2024). Zudem werden ATMIS-Stützpunkte entlang der Hauptversorgungsroute nach und nach an die Bundesarmee übergeben oder aufgelöst. Es sind aber gerade auch diese Stützpunkte, welche die Route sicher gemacht haben (BMLV 4.7.2024).
An der Grenze von Hiiraan zu Middle Shabelle kam es im Jänner 2024 im Streit um Land zu Auseinandersetzungen zwischen Clans. Sechs Menschen wurden dabei getötet. Lokalbehörden unternahmen Vermittlungsversuche (MUST 22.1.2024). Auch im April 2024 kamen dort (Bereich Moqokori und Adan Yabaal) bei Kämpfen zwischen Abgaal und Hawadle sechs Menschen ums Leben (SMN 18.4.2024). Generell tut sich die Regierung von HirShabelle schwer dabei, die zunehmenden Clankonflikte unter Kontrolle zu bringen (UNSC 28.10.2024).
Ende November 2024 wurden bei erneuten Kämpfen entlang der instabilen Grenze zwischen Hiiraan und Middle Shabelle sechs Menschen getötet und zehn weitere verletzt. Die Kämpfe um Ressourcen zwischen Abgaal und Hawadle ereigneten sich im Gebiet von Ceel Dheere. Trotz Versöhnungsbemühungen - darunter ein Treffen von Clanältesten und politischen Führern beider Clans in Mogadischu - ist die Situation weiter eskaliert. Bereits zuvor war es in den Gebieten von Ceel Baraf und Jalalaqsi zu Kampfhandlungen gekommen (HO 30.11.2024). Anfang Dezember konnte ein fragiler Waffenstillstand ausgehandelt werden, der von der Bundesarmee durchgesetzt werden soll (HO 3.12.2024b).
Hiiraan: Belet Weyne, Buulo Barde und Jalalaqsi befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS (PGN 28.6.2024). Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Auch der Bereich entlang der somalisch-äthiopischen Grenze ist als sicher anzusehen (BMLV 7.8.2024). Gemäß Regierungsangaben haben die Hawadle in Hiiraan alle Teile ihres Clangebiets von al Shabaab zurückerobert (Economist 3.11.2022). Im Westen der Region konnten die - maßgeblich aus Hawiye / Hawadle bestehenden - Macawiisley hingegen nicht operieren, da dies das Territorium der Hawiye / Galja'el ist (AQ21 11.2023). Nur noch das südwestliche Hiiraan befindet sich unter Kontrolle von al Shabaab (PGN 28.6.2024). Die Präsenz von Kämpfern der al Shabaab im westlichen Hiiraan ist 2024 allerdings gewachsen (BMLV 7.8.2024).
In Belet Weyne ist die Sicherheitslage unverändert vergleichsweise stabil, es kommt nur sporadisch zu Gewalt oder Attacken der al Shabaab. In der Stadt befinden sich das Regionalkommando der Bundesarmee sowie Stützpunkte dschibutischer ATMIS-Truppen und der äthiopischen Armee. Zusätzlich gibt es einzelne Polizisten und Teile einer Formed Police Unit von ATMIS. Zudem gibt es eine relativ starke Bezirksverwaltung und lokal rekrutierte Polizeikräfte. Clankonflikte werden nicht in der Stadt, sondern mehrheitlich außerhalb ausgetragen. Die in Belet Weyne vorhandene Präsenz der al Shabaab scheint kaum relevant (BMLV 7.8.2024).
Im März 2024 wurden bei Auseinandersetzungen zwischen Kräften von HirShabelle und Milizen der Region Hiiraan in und im Umfeld der Stadt sechs Menschen - darunter Zivilisten - getötet (HO 14.3.2024; vgl. UNSC 3.6.2024). Der Gewaltausbruch wird als Fortsetzung der Absetzung des Gouverneurs von Hiiraan, Ali Jeyte Osman, im Juni 2023 durch den Präsidenten des Bundesstaates gewertet (HO 14.3.2024). Älteste der Hawadle haben einen Waffenstillstand vermittelt, eine Clankonferenz wurde einberufen (UNSC 3.6.2024). Allerdings ist es auch im Oktober 2024 zu Auseinandersetzungen zwischen Hawadle-Milizen und Kräften von HirShabelle gekommen (Sahan/SWT 30.10.2024).
Middle Shabelle: Jowhar, Balcad, Adan Yabaal und Cadale befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und ATMIS (PGN 28.6.2024; vgl. BMLV 7.8.2024). Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden (BMLV 1.12.2023). Auch in Adan Yabaal befinden sich starke Kräfte der Bundesarmee, der Bereich ist keiner unmittelbaren Bedrohung ausgesetzt (Sahan/SWT 1.9.2024). Ansonsten findet sich die Armee nur in kritischen Gebieten - also entlang der Hauptversorgungsrouten (Sahan/STDOK/SEM 4.2023). Al Shabaab wurde im Dezember 2022 aus der Bezirkshauptstadt Adan Yabaal vertrieben. Die Stadt war seit 2016 eine wichtige Bastion der Gruppe (VOA 6.12.2022). In Middle Shabelle befindet sich lediglich noch ein schmaler Streifen im Nordwesten, westlich des Shabelle an der Grenze zu Hiiraan, unter Kontrolle von al Shabaab (PGN 28.6.2024; vgl. BMLV 7.8.2024).
Gemäß Angaben vom September 2024 übt al Shabaab aber zunehmend militärischen Druck auf das Gebiet um Balcad aus (Sahan/SWT 1.9.2024). Im August 2024 hatte al Shabaab die Stadt Balcad kurzfristig gestürmt (GO 13.8.2024). Schon im April des Jahres war die Gruppe mit stärkeren Kräften in die Stadt vorgedrungen und haben sich kurz darauf wieder zurückgezogen (SMN 6.4.2024). Laut Vereinten Nationen kommt es in Balcad zur Einschüchterung und zu Unsicherheit durch al Shabaab und andere bewaffnete Kräfte (UNSC 28.10.2024).
Jowhar gilt als relativ ruhig. Dort befinden sich das Brigadekommando der burundischen ATMIS-Kräfte und ein Bataillon dieser Truppen (BMLV 7.8.2024).
Im Bezirk Cadale waren im November 2022 Clanauseinandersetzungen ausgebrochen, nachdem sich al Shabaab aus dem Gebiet zurückgezogen hatte. Auslöser war ein Landkonflikt, es gab Dutzende Tote (HO 29.11.2022; vgl. FTL 18.11.2022). Die somalische Regierung hat Sicherheitskräfte entsandt (RD 1.12.2022), Friedensverhandlungen wurden in Gang gesetzt (FTL 18.11.2022). Im Oktober 2023 sind Clankonflikte im Bezirk aber wieder aufgeflammt (MUST 24.10.2023).
Vorfälle: In den beiden Regionen Hiiraan (420.060) und Middle Shabelle (961.554) leben nach Angaben einer Quelle 1,381.614 Einwohner (IPC 13.12.2022). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2022 insgesamt 36 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie "Violence against Civilians"). Bei 28 dieser 36 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2023 waren es 29 derartige Vorfälle (davon 20 mit je einem Toten) (ACLED 2023). In der Zusammenschau von Bevölkerungszahl und Violence against Civilians ergeben sich für 2023 folgende Zahlen (Vorfälle je 100.000 Einwohner): Hiiraan 5,00; Middle Shabelle 0,83;
In der Folge eine Übersicht für die Jahre 2013-2023 zur Gesamtzahl an Vorfällen mit Todesopfern sowie zur Subkategorie "Violence against Civilians", in welcher auch "normale" Morde inkludiert sind. Die Zahlen werden in zwei Subkategorien aufgeschlüsselt: Ein Todesopfer; mehrere Todesopfer. Es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt: [nicht abgebildet; Quelle: ACLED 12.1.2024]
Quellen: […]
2. Beweiswürdigung:
2.1. Beweis wurde erhoben durch die persönliche Einvernahme der Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 20.12.2024, die Berücksichtigung des verwaltungsbehördlichen Aktes und der eingelangten Dokumentenvorlage vom 17.12.2024 (OZ 5) und die diesem Verfahren zugrunde gelegten Länderberichte zur Situation im Herkunftsstaat sowie vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Auszüge aus dem zentralen Fremdenregister, der Grundversorgungsdatenbank, dem zentralen Melderegister und dem Strafregister (OZ 2). Weiters wurde in den Strafakt zu XXXX Einsicht genommen.
2.2. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:
Soweit in der gegenständlichen Entscheidung Feststellungen zum Namen und Geburtsdatum der Beschwerdeführerin getroffen wurden, beruhen diese auf den bisherigen Angaben der Beschwerdeführerin im Verfahren (EB, AS 1; EV, AS 73; VHS, 7). Die Beschwerdeführerin gab an, ihr Geburtsdatum nicht genau zu kennen, sie wisse aber, dass sie 32 Jahre alt sei (EV, AS 73; VHS, 7). Dem Geburtsdatum in Somalia kommt nur eine geringe praktische und kulturelle Bedeutung zu (vgl. dazu LI [Version 6], 228), weshalb es glaubwürdig erscheint, dass sie ihr Geburtsdatum nicht genau wusste, sondern nur eine ungefähre Altersangabe machen konnte. Mangels Identitätsdokument gilt die festgestellte Identität der Beschwerdeführerin ausschließlich für ihre Identifizierung im Asylverfahren. Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit, zur Religionszugehörigkeit, zu den Sprachkenntnissen und ihrer Clanangehörigkeit stützen sich auf ihre diesbezüglich glaubhaften sowie gleichbleibenden Angaben im gesamten Verfahren (vgl. EB, AS 1f; EV, AS 74; VHS, 7 und 10f). Die Beschwerdeführerin bezeichnete sich selbst als Angehörige der „Jareer“ und verwendete damit einen gebräuchlichen, aber negativ konnotierten Ausdruck für die Volksgruppe der Bantu. „Jareer“ bedeutet im Somalischen „Kraushaar“ oder „hartes Haar“ und wird darauf zurückgeführt, dass diese Volksgruppe nach Ansicht vieler Mehrheitsclans „afrikanischer“ aussehe als die (ethnischen) Somalis (vgl. Focus Somalia, 13). In der Entscheidung wird, sofern es sich nicht um Zitate handelt, in der Folge der neutralere Begriff Bantu verwendet.
Die Feststellungen zum Herkunftsort der Beschwerdeführerin, zur Erwerbstätigkeit ihrer Familie und ihrer Schulbildung sowie zu den Machtverhältnissen im Herkunftsort ergeben sich aus ihren widerspruchsfreien Angaben im Verfahren (vgl. EB, AS 1; EV, AS 75f; VHS, 11 und 14) und stehen überdies im Einklang mit den Länderinformationen über die Präsenz von Al Shabaab in Middle Shabelle (vgl. LI, 72). Die Erwerbstätigkeit ihrer Familie ist vor dem Hintergrund der Länderinformation über die Bantu stimmig. Dem Bericht von SEM, Focus Somalia zufolge leben die Bantu traditionell als sesshafte Bauern in den fruchtbaren Tälern der Flüsse Jubba und Shabelle (S 12f). Ebenso war glaubhaft, dass sie als Angehörige der Bantu keine Schulbildung erhielt (EB, AS 2; EV, AS 72; VHS, 16).
Die Beschwerdeführerin war bemüht, die an sie gerichteten Fragen vollständig und ausführlich zu beantworten. Immer wieder war ihre Erzählung von heftigem Weinen begleitet. Sie macht sich große Sorgen um ihre Kinder, insbesondere um ihre erkrankte Tochter, wie sie durchgehend im Verfahren zum Ausdruck brachte (EV, AS 7; BFA, AS 79-80; VHS, 9).
Die Angaben der Beschwerdeführerin zu ihren familiären Verhältnissen waren gleichbleibend vorgebracht (EB, AS 3 und 6; EV, AS 74; VHS, 8f und 12f). Die Beschwerdeführerin führte in der mündlichen Verhandlung ergänzend glaubwürdig aus, dass ihr Vater vor kurzem eines natürlichen Todes verstorben war. Sie konnte auch das Alter ihrer Brüder ungefähr angeben. Da auch ihr älterer Bruder im Familienhaus lebt, ist die Beschwerdeführerin nicht als alleinstehend zu betrachten (VHS, 9). Mit dem familiären Netz, über das die Beschwerdeführerin im Fall ihrer hypothetischen Rückkehr verfügen würde, wäre auch gewährleistet, dass, entgegen dem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung, die Beschwerdeführerin in keinem Lager für Binnenvertriebene unterkommen würde.
Bereits das Bundesamt stellte fest, dass die Beschwerdeführerin mit zwei Ehemännern verheiratet war und das erste Mal eine einvernehmliche und das zweite Mal eine Zwangsehe zustande kam und die Ehen Mischehen zwischen einer Angehörigen der Bantu und einem Angehörigen der Hawiye waren. Auch für die erkennende Richterin bestanden weder am Zustandekommen der beiden Ehen, noch an der Freiwilligkeit der ersten Ehe und der Zwangsheirat beim zweiten Mal Zweifel, da die Beschwerdeführerin, teils in unterschiedlichen Worten und mit unterschiedlichen Details, aber im Kern gleichbleibend ihre Ehen schilderte (EB, AS 6; EV, AS 74ff; VHS, 10). So meinte sie einmal: „Mit meinem ersten Ehemann habe ich gut gelebt, der zweite war die Hölle. Nach dem Tod meines ersten Mannes wurde ich zwangsverheiratet und ich und meine Kinder mussten uns verschleiern.“ (EV, AS 76), über den ersten Ehemann sagte sie: „Er war mein Leben.“ (EV, AS 75) oder auf Nachfrage der Richterin, ob sie sie richtig verstanden habe, als sie gemeint habe, leider sei ihr zweiter Ehemann verstorben: „Ich habe gemeint, dass ich nur mit ihm zusammenbleiben wollte, wegen meiner Kinder. Aber wenn es nach mir ginge, wollte ich nicht mit ihm zusammenleben.“ (VHS, 14) oder auf die Frage einer persönlichen Bedrohung abgesehen von der geschilderten Zwangsheirat: „Die Schwester vom ersten Ehemann hat meine Hand verbrannt. Sie haben mich wie eine Sklavin behandelt. Außer dieser Verbrennung bin ich nicht verfolgt.“ und gibt weiter an: „Ich habe nur Angst vor den Angehörigen meiner Kinder.“ (VHS, 10). Die Clanzugehörigkeit der Ehemänner brachte sie gleichbleibend vor (EV, AS 76). Obwohl sie vor dem Bundesamt angab, sie dürfe als Angehörige der Jareer nur „innerhalb derselben Volksgruppe heirate[n].“ (EV, AS 74), sind die eingegangenen Mischehen zwischen ihr und zwei Angehörigen der Hawiye dennoch glaubwürdig. Vor dem Bundesamt antwortete sie auf die Frage, ob es bei der ersten, einvernehmlichen Ehe Probleme wegen der verschiedenen Clanzugehörigkeiten gegeben habe: „Nein. Er hat mich geliebt, er war ein super Mann.“ (EV, AS 77). Die erste Ehe begründete sie auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung, wie sie diese trotz der unterschiedlichen Clanzugehörigkeit eingehen konnte, lebensnahe vor dem Hintergrund der Machtposition der Hawiye in ihrem Herkunftsort, sehr einfach: „Er wollte mich heiraten. Nachdem er verstorben ist, hat seine Familie meine Kinder weggenommen, weil ich eine Minderheit bin.“ (VHS, 13). Scheinbar gelingt es den Männern eines Mehrheitsclans, nach ihren Wünschen Frauen zu ehelichen. Dass sie mit ihren beiden Ehemännern im selben Dorf und sogar im selben Haus wohnte, gab sie eindeutig vor dem Bundesamt zu Protokoll (EV, AS 76).
Entgegen den Feststellungen des Bundesamtes wird der Beschwerdeführerin geglaubt, dass drei ihrer Kinder nicht mehr in ihrer Familie wohnen, sondern bei Angehörigen ihrer verstorbenen Ehemänner leben und zur Feldarbeit gezwungen werden. Erstens behauptete sie durchgehend im Verfahren, dass ihre Kinder nicht bei ihr leben würden, sondern von Angehörigen ihrer Väter mitgenommen worden seien (EB, AS 6; EV, AS 77f; VHS, 10 und 13), zweitens steht diese Tatsache im Einklang mit der Zwangsheirat, die bereits unter dem Druck, dass sie ohne Heirat ihre Kinder nicht mehr sehen dürfe, zustande gekommen war (VHS, 10 und 13) und drittens schilderte die Beschwerdeführerin die Vorkommnisse in der mündlichen Verhandlung konkreter als vor dem Bundesamt. Letztlich wird die Wegnahme der Kinder durch die Familie der verstorbenen Väter auch durch einschlägige Länderberichten untermauert. Der Bericht von Landinfo zum Thema Ehe und Familie in Somalia vom 26.08.2024 (Übersetzung ins Deutsche durch den Übersetzungsdienst der Europäischen Kommission) belegt, dass im Fall einer Scheidung der Mann bzw. die Familie des Vaters das Sorgerecht für die Kinder erhält, die Kinder aber zumindest bis zum siebten Lebensjahr bei der Mutter bleiben. Jungen, die älter als sieben Jahre sind, ziehen in der Regel zu ihrem Vater oder seiner Familie. Töchter bleiben oft bis zur Pubertät bei ihrer Mutter. Auch wenn der Vater stirbt, erhält seine Familie die elterliche Verantwortung, d. h. der Großvater väterlicherseits oder der älteste Bruder des Vaters. Wenn beide Eltern sterben, entscheiden die Familien väterlicherseits und mütterlicherseits, wer sich um die Kinder kümmert. In der Regel fällt die Wahl auf den Verwandten mit den meisten Ressourcen. Es ist daher glaubwürdig, dass die Familie der Kindsväter die Kinder zu sich genommen hat. Auch die Erklärung, sie würden als Zwangsarbeitskräfte eingesetzt, ist nachvollziehbar, da die Beschwerdeführerin dies glaubwürdig und sehr emotional schilderte und dies offenbar passierte, obwohl die Kinder die Clanzugehörigkeit des Vaters übernommen haben. Dass sie gezwungen wurde, die Familie nach dem Tod der Ehemänner zu verlassen, ergibt sich zum Beispiel aus ihrem geäußerten Bedauern über den Tod des zweiten Ehemannes und ihre Antwort auf die Nachfrage der erkennenden Richterin, warum sie den Tod bedauern würde: „Ich habe gemeint, dass ich nur mit ihm zusammenbleiben wollte, wegen meiner Kinder. Aber wenn es nach mir ginge, wollte ich nicht mit ihm zusammenleben.“ (VHS, 14) und aus ihrer eindeutigen Antwort auf die konkrete Frage, ob sie mit ihren Kindern die Familie verlassen musste, als ihr zweiter Mann verstorben war: „Ja.“ (VHS, 18).
Die Situation ihrer Kinder, insbesondere auch die Erkrankung der zweitältesten Tochter, war ebenfalls entsprechend den glaubwürdigen Angaben der Beschwerdeführerin festzustellen. In der mündlichen Verhandlung berichtete die Beschwerdeführerin, wie und wie oft sie Kontakt zu ihren Kindern hat (VHS, 17). Sie schilderte, dass der Kontakt zu den älteren Kindern nur über einen Verwandten ihrer verstorbenen Männer herstellbar sei. Da dieser bei ihr im Heimatort lebt, die Kinder aber an einem anderen Ort lebten, ist der bloß sporadische Kontakt aufgrund der lebensnahen Schilderung nachvollziehbar.
Die Beschwerdeführerin berichtete in der mündlichen Verhandlung, dass die Familien der verstorbenen Ehemänner aus XXXX weggezogen seien. Es besteht kein Grund, an dieser Aussage zu zweifeln (VHS, 16).
Die Feststellungen zur Ausreise und zum Fluchtweg beruhen auf den Angaben im Verfahren (EB, AS 5; EV, AS 79). Der Zeitpunkt der Asylantragstellung ergibt sich aus dem Protokoll der Erstbefragung (EB, AS 3).
Die Feststellung zu ihrer erlittenen Beschneidung und ihrem Gesundheitszustand beruht auf ihren Angaben im Verfahren und dem vorgelegten Befundbericht der gynäkologischen Ambulanz Graz (vgl. EV, AS 72, 91). Nach der angegebenen Vergewaltigung am 25.10.2024 wurde die Beschwerdeführerin für zehn Tage, von 26.10.2024 bis zum 04.11.2024, stationär in der XXXX aufgenommen. Sie nimmt keine regelmäßigen Medikamente mehr ein oder benötigt regelmäßige Arztbesuche. Solche sind auch dem Patientenbrief der XXXX nicht zu entnehmen (Beilage zu OZ 5). Eine zu einem früheren Zeitpunkt diagnostizierte Diabeteserkrankung besteht nicht mehr (VHS, 6). Es war daher festzustellen, dass die Beschwerdeführerin, abgesehen von der erlittenen Beschneidung, gesund ist.
Die Unbescholtenheit der Beschwerdeführerin steht aufgrund der Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich fest (Auszug vom 20.12.2024, OZ 2). Die über den mutmaßlichen Vergewaltiger der Beschwerdeführerin verhängte Untersuchungshaft ergibt sich aus dem Strafakt (ON 1.34, 1).
Der derzeitige fremdenrechtliche Status der Beschwerdeführerin steht aufgrund der Einsichtnahme in das Fremdenregister fest (IZR-Auszug vom 20.12.2024, OZ 2). Das Datum der Asylantragstellung ergibt sich aus dem Verwaltungsakt (EB, AS 2)
2.3. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:
2.3.1. Die Beschwerdeführerin gab bei ihrer Erstbefragung an, Somalia wegen des Hungers verlassen zu haben. Außerdem sei sie zwangsverheiratet gewesen. Ihre Kinder würden schlecht behandelt werden, ihre jüngste Tochter sei schwer krank und sie könne ihr nicht helfen.
Vor dem Bundesamt wiederholte sie im Wesentlichen, dass sie zweimal verheiratet gewesen sei, einmal freiwillig und einmal unter Zwang. Ihre Kinder seien nicht bei ihr, weil sie Angehörige einer Minderheit sei. Deshalb durfte ihre Familie sie während der aufrechten Ehen auch nicht besuchen. Die Familie des ersten Ehemannes habe ihr drei der gemeinsamen Kinder weggenommen, sie wisse nicht, wo diese seien. Ihre Kinder seien nicht gut versorgt und sie möchte ihnen eine sichere Zukunft und ein besseres Leben bieten (EV, AS 79f). Während ihrer zweiten Ehe sei sie wie eine Sklavin behandelt worden und sie und die Kinder seien geschlagen worden (EV, AS 77). Sie habe sich verschleiern müssen (EV, AS 76f).
In der mündlichen Verhandlung führte die Beschwerdeführerin neuerlich aus, dass sie zweimal verheiratet gewesen sei, die Ehen seien Mischehen gewesen, ihre Ehemänner gehörten dem einflussreichen Clan der Hawiye an. Explizit zum Fluchtgrund befragt gab sie an, sie habe Somalia wegen ihrer Kinder verlassen müssen, da sie es nicht mehr aushalten konnte, wie ihre Kinder behandelt wurden (VHS, 7f). Wenn sie versucht habe, zu ihren Kindern zu gehen, sei sie geschlagen worden (VHS, 8).
2.3.2. Die Feststellungen zur Zwangsehe und zu den, während dieser Ehe erlebten Gewalt- und Diskriminierungserfahrungen, ergeben sich zweifelsfrei aus den gleichlautenden Schilderungen der Beschwerdeführerin bei ihren Befragungen. So erwähnte sie zum Beispiel, sie habe sich verschleiern müssen (EV, AS 76), sei an der Hand verbrannt und geschlagen worden und wie eine Sklavin behandelt worden (EV, AS 77; VHS, 10). Der zweite Ehemann habe sie sehr schlecht behandelt, er habe sie und die Kinder geschlagen (EV, AS 77). Ihre Schilderungen, dass die erste Ehe eine gute Ehe gewesen sei und sich die Situation mit dem Tod des Ehemannes für sie drastisch verschlechtert habe und sie wegen ihrer Kinder zu einer Heirat mit einem anderen, viel älteren (VHS, 7, 18) Familienmitglied gezwungen wurde, waren lebensnahe und emotional.
Die Feststellung zur aktuellen Bedrohungslage der Beschwerdeführerin durch die Familie ihrer verstorbenen Ehemänner ergibt sich aus den Aussagen der Beschwerdeführerin. Vor dem Bundesamt erwähnte sie, sie habe Angst vor der Familie ihres Mannes, weil diese ihre Kinder genommen hätte (EV, AS 78) und habe Furcht vor Verfolgung durch die Familie ihres Mannes erlitten (EV, AS 80). In der mündlichen Verhandlung berichtete sie, im Fall einer hypothetischen Rückkehr Angst vor den Angehörigen ihrer Kinder zu haben. Diese hätten sie unter Druck gesetzt, da sie nur wollten, dass sie und ihre Kinder bei dieser Familie bleiben würden, um sie wie Sklaven zu behandeln, in dem sie nur auf die Tiere aufpassen müssten (VHS, 10). Befragt zu konkreten Gefahren für die Beschwerdeführerin, als Frau oder Mutter in Somalia, gab sie an: „Wenn ich versucht habe, zu meinen Kindern zu gehen oder sie zu holen, haben sie mich geschlagen. Aber wenn ich bei meiner Mutter zuhause bleibe, hatte ich kein Problem. Da ich eine Mutter bin, war diese Situation für mich unerträglich.“ (VHS, 8). Es war daher auch festzustellen, dass die Beschwerdeführerin bereits bei dem Versuch, ihre Kinder zu sehen, körperliche Gewalt erlebt hatte. Die maßgebliche Wahrscheinlichkeit, dass erneut gegen die Beschwerdeführerin Gewalt ausgeübt wird, ist auf mehrere Umstände zurückzuführen. Zunächst wurde die Beschwerdeführerin gezwungen, eine von Gewalt geprägte Ehe einzugehen, wenn sie mit ihren Kindern leben wollte. Die Beschwerdeführerin beugte sich dem Zwang zur Ehe und nahm die Diskriminierung und Gewalt bereits einmal in Kauf, damit sie mit ihren Kindern zusammen sein konnte. Die Beschwerdeführerin wird im Fall einer Rückkehr erneut versuchen, im Hinblick auf die offenkundig starke Bindung, die die Beschwerdeführerin zu ihren Kindern hat, verständlicherweise mit ihren Kindern in Kontakt zu treten und Gewalt gegen sie in Kauf zu nehmen. Sie weiß, dass sie ihre Kinder nicht sehen darf (VHS, 18), würde sich aber über das Verbot hinwegsetzen und eine Verfolgung in Kauf nehmen, wie sie dies bereits mit dem Eingehen ihrer zweiten Ehe getan hatte. Der Umstand, dass die Familie der verstorbenen Ehemänner mittlerweile woanders lebt, wird die Beschwerdeführerin mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht daran hindern, mit ihren Kindern physisch in Kontakt zu treten. Es kann der Beschwerdeführerin in dieser Situation nicht zugemutet werden, ihre Kinder nicht zu besuchen oder den Kontakt zu ihnen zu unterlassen, da ihre Kinder ihr Lebensinhalt sind und sie bereits bisher alles versucht hatte, um ihre Kinder zu schützen und zu betreuen. Es ist nachvollziehbar, dass der fehlende Kontakt zu den Kindern in einer intakten Mutter-Kind-Beziehung zu unermesslichem Leid für die Mutter führt. Ihr psychisches Leid schilderte sie eindrücklich: „Ich konnte nicht mehr aushalten, wie sie meine Kinder behandeln. Ich konnte nicht meine Kinder beschützen. Ich musste sehen wie meine Kinder auf die Tiere aufpassen und ich konnte nichts dagegen machen. Da musste ich gehen. Falls eine Person stirbt, man kann das akzeptieren. Aber wenn eine Person schlecht behandelt wird und ich nichts dagegen mache, wird es schwer.“ (VHS, 8). Der, für die Beschwerdeführerin lebensbestimmende Kontakt zu ihren Kindern ist dann aber mit einer erheblichen Gewalt und Diskriminierung gegenüber ihrer Person verbunden. Es wird in diesem Zusammenhang nicht übersehen, dass die Beschwerdeführerin mehrfach auf Fragen zu konkreten Gewalterfahrungen nur angab, es sei ihre Hand verbrannt worden (VHS, 10, 13, 18) und damit ihre Gewalterfahrungen zumeist relativierte. Zu berücksichtigen ist aber, dass die Beschwerdeführerin es auch als „normal“ ansieht, dass ihr diese Behandlung als Angehörige einer Minderheit widerfahren ist (EV, AS 80), weshalb der Schluss naheliegt, dass viele dieser „normalen“ Diskriminierungen für sie nicht mehr erwähnenswert waren und sie daher körperliche Gewalt nicht im Einzelfall schilderte. Angesichts der im Verfahren an unterschiedlichen Stellen geschilderten ausbeuterischen Behandlung gegenüber der Beschwerdeführerin (EV, AS 80), der erlittenen Schläge, als sie ihre Kinder besuchen wollte (VHS, 8) und der Zwangsehe mit Schlägen (EV, AS 77), ist es daher maßgeblich wahrscheinlich, dass die Verbrennung der Hand nicht die einzige Misshandlung war, die ihr widerfahren ist und sie auch in Zukunft Gewalt durch die Familie der verstorbenen Ehemänner ausgesetzt sein wird. Die höchst emotionale Schilderung der eigenen Erfahrungen, die Schilderung von Details, die teilweise aus dem Zusammenhang gerissen waren und mit unterschiedlichen Worten erfolgte, ließen für die erkennende Richterin keinen Zweifel daran, dass die Beschwerdeführerin über tatsächlich Erlebtes berichtete.
2.3.3. Die Feststellungen zur Diskriminierung der Beschwerdeführerin aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Bantu waren aufgrund ihrer emotionalen und konsistenten Schilderungen im Verfahren zu treffen, die mit den einschlägigen Länderberichten in Einklang zu bringen sind. Zunächst gab sie zu ihrem Clan an, dieser sei eine Minderheit und sie hätten keine Rechte in Somalia und würden diskriminiert werden (EV, AS 74), auch sei es „normal“, dass man als Minderheit in Somalia bedroht oder verfolgt sei (EV, AS 80). Sie meinte zwar, sie sei nur von den Angehörigen ihrer Ehemänner diskriminiert worden, dies kann jedoch weder in Zusammenschau ihrer Aussagen noch im Lichte der Länderberichte richtig sein, sodass eher davon auszugehen ist, dass die Beschwerdeführerin Diskriminierungen gegenüber ihrem Clan verinnerlicht hat und als normal betrachtet. Ganz aktuell hebt der Länderbericht der ÖB in Nairobi von Oktober 2024 die ethnische Minderheit der Bantu als besonders marginalisiert und schutzlos hervor. Ob den Angehörigen im Einzelfall Verfolgung droht, hängt insbesondere von folgenden Faktoren ab: von der konkreten Minderheitengruppe; vom Zugang zu Schutzmechanismen der großen Clans; vom konkreten Gebiet in dem sich die Person aufhält oder in das sie zurückzukehren versucht; sowie von individuellen Faktoren (ÖB Nairobi, 7). Auch in der aktuellen Länderinformation wird allgemein ausgeführt, dass marginalisierte Gruppen bereits grundsätzlich diskriminiert werden und auf Schwierigkeiten stoßen, ihr Recht auf Teilhabe an wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Prozessen wahrzunehmen. Die Marginalisierung führt zu einer ungerechten und diskriminierenden Verteilung der Ressourcen - etwa beim Zugang zu humanitärer Hilfe. Menschen, die keinem der großen Clans angehören, sehen sich in der Gesellschaft signifikant benachteiligt. Dies gilt etwa beim Zugang zur Justiz; und auch von Politik und Wirtschaft werden sie mitunter ausgeschlossen. Minderheiten und berufsständische Kasten werden in mindere Rollen gedrängt - trotz des oft sehr relevanten ökonomischen Beitrags, den genau diese Gruppen leisten. Mitunter kommt es auch zu physischer Belästigung. Insgesamt ist festzustellen, dass es hinsichtlich der Vulnerabilität und Kapazität unterschiedlicher Minderheitengruppen signifikante Unterschiede gibt (LI, 16.01.2025, 211). Innerhalb der Minderheiten nimmt die ethnische Minderheit der Bantu eine besondere Stellung ein. Die Bantu waren jahrzehntelang systematischer Diskriminierung, Ausgrenzung und Gewalt durch die somalische Regierung und die somalische Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt. Auch wenn sich die Haltung in der somalischen Gesellschaft allmählich verändert, sind sie nach wie vor die am stärksten marginalisierte, ausgegrenzte und ausgebeutete somalische Gemeinschaft. Von Machtpositionen auf lokaler und nationaler Ebene sind sie vielfach ausgeschlossen. Die Bantu werden überall in Somalia rassistisch stigmatisiert und diskriminiert. Die meisten Somali schauen auf die sesshaften Bantu herab. Sie werden als Bürger zweiter Klasse erachtet und befinden sich am untersten Ende der Gesellschaft. Der mangelnde Zugang zu Bildung, Beschäftigung und politischer Vertretung hat einen Kreislauf aus Armut und Ausgrenzung verursacht und die Möglichkeiten für wirtschaftlichen und sozialen Aufstieg eingeschränkt. Dies wiederum verstärkt gesellschaftliche Stereotypen (LI 16.01.2025, 219). Manche Bantu-Gruppen sind mit lokal mächtigen Clans Allianzen eingegangen, um sich zu schützen, was aber nicht für den Subclan der XXXX , dem die Beschwerdeführerin angehört, gilt. Es handelt sich um jenen Subclan, den die nomadischen Clans „jene, über die niemand weint“ und „jene, die niemand rächt“ genannt haben. Die XXXX haben keinen assoziierten Clan, was auf ihrer Andersartigkeit beruht, die teils daher rührt, dass sie als Sklaven nach Somalia kamen und ein anderes Aussehen haben und sie daher von den nomadischen Clans als nicht assimilierbar betrachtet werden (AB, Informationen zum Clan der XXXX ). Dies hat die Beschwerdeführerin sinngemäß bestätigt (EV, AS 74). Im Herkunftsort der Beschwerdeführerin sind die Bantu zudem in der Minderheit, der mächtige Hawiye-Clan ist der dort ansässige Mehrheitsclan. Die Beschwerdeführerin ist eine zweifach verwitwete Frau in Somalia und ist mit der Versorgung eines behinderten Kindes finanziell und emotional mehrfach belastet und sie ist gesellschaftlich durch den Tod der Ehemänner und das behinderte Kind stigmatisiert. Zu diesen Problemen tritt die erdrückende Sorge um ihre anderen leiblichen Kinder hinzu, die in sklavenähnlichen Verhältnissen leben müssen. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Kinder die Clanzugehörigkeit des Vaters übernommen haben und Hawiyeangehörige sind. Es besteht kein Zweifel, dass die Clanzugehörigkeit der Beschwerdeführerin in Kombination mit ihrer persönlichen Lebenssituation eine hohe Vulnerabilität darstellt. An dieser Stelle sei auch darauf hingewiesen, dass die in Österreich behauptete und angezeigte Vergewaltigung eine weitere Demütigung für die Beschwerdeführerin darstellt und ihre hohe Vulnerabilität vor Augen führt. Auch wenn die Beschwerdeführerin im Verfahren angegeben hat, dass sie in Somalia niemandem von der erlittenen Vergewaltigung erzählt hat, ist es maßgeblich wahrscheinlich, dass sie diese im Fall einer hypothetischen Rückkehr nicht geheim halten kann und zu einer gesellschaftlichen Ausgrenzung der Beschwerdeführerin führen wird. Eine Vergewaltigung, die in Somalia bekannt wird, führt zur Verstoßung des Opfers oder zum Eingehen einer Zwangsehe zwischen dem Opfer und dem Täter (LI, Version 7, 229; Landinfo Bericht zu Ehe und Familie, August 2024, Fn 8: „Traditionell wird ein Vergewaltiger auch verurteilt, um sein Opfer zu heiraten. Grundsätzlich hat die Frau das Recht, sich zu weigern, doch laut van Notten wird die Frau zur Heirat gedrängt. Wie verbreitet dies heute ist, ist schwer einzuschätzen.“). Im Fall der Beschwerdeführerin ist die Verstoßung durch die Gesellschaft ein hohes Risiko für die Beschwerdeführerin.
Die Beschwerdeführerin schilderte auch, dass es keinen Kontakt zwischen ihrer Familie und der Familie ihrer verstorbenen Ehemänner gegeben habe, auch habe ihre Familie sie während ihrer Ehen nicht besuchen dürfen, da sie einer Minderheit angehörten (EV, AS 76f). Ihre Familie konnte nichts gegen die Zwangsheirat unternehmen (EV, AS 77) und auch nicht gegen die Wegnahme ihrer Kinder. Diese unterschiedlichen Aspekte verdeutlichen, dass die Beschwerdeführerin als Angehörige der Minderheit der Bantu als Bürgerin zweiter Klasse wahrgenommen wurde und wird und grundlegende familiäre und soziale Bedürfnisse auf das Gröbste missachtet wurden.
Vor dem Hintergrund der erheblichen Diskriminierung der Beschwerdeführerin war es auch glaubwürdig, dass ihr die Angehörigen der Familie ihrer verstorbenen Ehemänner unterstellten, sie habe Unglück über die Familie gebracht, da ihre beiden Ehemänner gewaltsam verstorben seien. Auch ihre Stigmatisierung wegen der Erkrankung ihrer jüngsten Tochter (EB, AS 6; VHS, 7) wird ihr in diesem Zusammenhang geglaubt.
Hinzu kommt, dass in der Länderinformation in Bezug auf Frauen und Al Shabaab explizit die Minderheit der Bantu erwähnt wird. Berichtet wird, dass Frauen und Mädchen der Bantu mitunter nicht nur in eine Ehe gezwungen – und zwar unter Todesdrohungen – werden, die Ehe gestaltet sich noch dazu eher als temporäre sexuelle Versklavung (LI, 157; LI 16.01.2025, 158, 174). Der Herkunftsort der Beschwerdeführerin steht unter der Kontrolle von Al Shabaab und die Beschwerdeführerin selbst hatte bereits Erfahrung mit Al Shabaab, da diese ihren ersten Ehemann getötet hatten. Ihre Antwort auf die Frage, ob sie konkret Probleme mit Al Shabaab hatte, verwunderte daher: „Ich selbst nicht, aber sie töteten meinen 1. Mann.“ (EV, AS 77), war Al Shabaab doch der Grund, warum sie überhaupt in die aussichtslose Situation der Zwangsehe und des Verlustes ihrer Kinder gelangte und unterstreicht den Eindruck, dass die Beschwerdeführerin wahrheitsgemäß und ohne Übertreibungen ihre Verhältnisse im Verfahren darzustellen versuchte. Es ist nicht maßgeblich wahrscheinlich, dass jede Angehörige der Bantu, die unter der Herrschaft von Al Shabaab lebt, in eine Zwangsehe und Versklavung gezwungen wird, im Fall der Beschwerdeführerin ist aufgrund ihrer spezifischen Vulnerabilität durch die bereits erzwungene Ehe und ihr damit verbundenes psychisches Leid und ihre Stigmatisierung aber von einer erhöhten Gefahr der Zwangsehe mit einem Mitglied von Al Shabaab auszugehen.
Die Feststellung, dass die Beschwerdeführer weder Zugang zu staatlichen Rechtsschutzeinrichtungen noch zum informellen Recht hat, basiert auf ihren Aussagen (EV, AS 81; VHS, 9), die vor dem Hintergrund der Länderberichte glaubwürdig waren. Die Rechtsordnung in Somalia richtet sich nach einer Mischung aus dem nationalen Strafgesetzbuch sowie dem traditionellen (Xeer) und dem islamischen Gewohnheitsrecht (Scharia). Das traditionelle Recht und islamisches Gewohnheitsrecht gelten auch als informelles Justizsystem, das von 80-90 % der Somalis bevorzugt wird, da es leichter zugänglich, schneller, transparenter und billiger ist (LI 16.01.2025, 119).
Die staatlichen Sicherheitskräfte und die Justiz sind nicht in der Lage, staatlichen Schutz in Zentral- und Südsomalia, somit in der Herkunftsregion der Beschwerdeführerin zu gewährleisten. Befinden sich Angehörige einer Minderheit in Gefahr oder sind diese bedroht, kann nicht davon ausgegangen werden, dass Zugang zu effektivem staatlichem Rechtsschutz gewährleistet ist. Staatlicher Schutz ist auch im Falle von Clankonflikten von geringer Relevanz, weshalb die „Regelung“ der Konflikte den Clans selbst überlassen bleibt (LI vom 16.01.2025, 116f). Abgesehen davon, dass der Clanschutz in Gebieten unter Kontrolle und Einfluss von Al Shabaab eingeschränkt ist (vgl. LI, 16.01.2025, 124), ist der Zugang zum Gewohnheitsrecht für die Beschwerdeführerin aber de facto nicht möglich, da dieses bei Minderheiten nicht angewendet wird. Das patriarchale Clansystem und das Gewohnheitsrecht an sich bieten für Frauen keinen Schutz (SEM, Focus Somalia, 49; UNHCR-RL Somalia, 72f). Frauen haben im Xeer kaum eine Stimme, können in diesem System nicht aktiv werden und sind auf ein männliches Netzwerk angewiesen (LI, 16.01.2025, 120). Auch in der aktuellen Länderinformation mit Verweis auf den Asylländerbericht der ÖB in Nairobi wird bestätigt, dass Frauen, die aus Minderheiten stammen, besonders vulnerabel hinsichtlich sexueller Gewalt, Kriminalität, Ausbeutung und Diskriminierung sind und gleichzeitig kaum Zugang zu Justiz oder Clanschutz haben.
Die Gefahr, dass die Beschwerdeführerin eine neuerliche Zwangsheirat mit einem Angehörigen der Familie der verstorbenen Ehemänner oder einem anderen Clanzugehörigen eingehen muss, wird jedoch als gering eingeschätzt. Dies ergibt sich zunächst aus dem Umstand, dass sie bereits vier Jahre als unverheiratete Frau in Somalia im eigenen Familienverband lebte, ohne neuerlich zwangsverheiratet zu werden. Eine diesbezügliche Angst brachte sie auch nicht konkret vor, zumal sie angab: „Wir heiraten nur innerhalb der Jareer. Wir dürfen nur innerhalb derselben Volksgruppe heiraten.“ (EV, AS 74), was auch mit dem Bericht des SEM, Focus Somalia, übereinstimmt, demzufolge die Bantu teils sogar Mischehen zwischen den einzelnen Bantu-Gruppen ablehnen (SEM, Focus Somalia, 12). Auch unter dem Gesichtspunkt, dass die Zwangsehe der Beschwerdeführerin wegen der Kinder eingegangen wurde, kann daraus keine Gefahr einer neuerlichen Zwangsheirat erkannt werden. Da die Kinder der Beschwerdeführerin mittlerweile ohnedies bereits bei der Familie der verstorbenen Ehemänner leben, ergibt sich auch daraus keine Notwendigkeit mehr, dass die Beschwerdeführerin als Ehefrau in diese Familie erneut zwangsverheiratet wird. Abgesehen davon sieht auch der Brauch der „Witwenerben“, der bedeutet, dass eine Witwe den Bruder ihres verstorbenen Mannes heiratet, damit dieser sich um die finanziellen Bedürfnisse der Witwe und ihrer Kinder kümmert und der wohl bei der Beschwerdeführerin zu ihrem größten Nachteil angewendet wurde, nur eine einmalige Wiederverheiratung innerhalb der Familie des verstorbenen Mannes vor (vgl. Landinfo Bericht zu Ehe und Familie, August 2024, Pkt. 4.6.).
Für einen sonstigen Eingriff in ihre sexuelle Sphäre, wie dies eine Reinfibulation wäre, bestanden keine ausreichenden Anhaltspunkte, zumal kein diesbezügliches Vorbringen erstattet wurde. Den Länderinformationen ist zu entnehmen, dass eine Reinfibulation nach einer Geburt stattfinden kann, wenn die betroffene Frau dies wünscht. Eine Quelle erläutert, dass im somalischen Kontext die Infibulation durchgeführt wird, um die Jungfräulichkeit vor der Ehe zu „beweisen“ und demnach eine Reinfibulation nach einer Geburt bzw. nach einer eingegangenen Ehe keinen Sinn ergibt (LI [Version 6], 227). Mit fünf Geburten und zwei Ehen besteht gegenüber der Beschwerdeführerin keine Erwartungshaltung der somalischen Gesellschaft mehr, ihre Jungfräulichkeit durch eine Infibulation nachzuweisen, sodass selbst nach einer möglichen Vergewaltigung eine Reinfibulation äußerst unwahrscheinlich erscheint.
2.4. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Die Feststellungen zur im vorliegenden Zusammenhang maßgeblichen Situation in Somalia stützen sich auf die Länderinformation der Staatendokumentation zu Somalia in der Fassung vom 08.01.2024, Version 6, und vom 16.01.2025, Version 7, die EUAA, Country Guidance: Somalia, August 2023, den Bericht des Schweizer Staatssekretariats für Migration, Focus Somalia, Clans und Minderheiten vom 31.5.2017, die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 04.05.2017 zu Somalia, Jareer, Biyomaal und die Anfragebeantwortung von ACCORD zu Somalia vom 12.05.2016, Information zum Clan der XXXX . Zum Entscheidungszeitpunkt liegt eine aktuelle Version der Länderinformation der Staatendokumentation zu Somalia vom 16.01.2025 vor.
Die in das Verfahren einbezogenen Berichte beruhen auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nicht-regierungsoffiziellen Stellen und bieten dennoch ein in den Kernaussagen übereinstimmendes Gesamtbild ohne wesentliche Widersprüche, weshalb im vorliegenden Fall für das Bundesverwaltungsgericht kein Anlass besteht, an der Richtigkeit der getroffenen Länderfeststellungen zu zweifeln.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht (vgl. auch die Verfolgungsdefinition in § 2 Abs. 1 Z 11 AsylG 2005, die auf Art. 9 der Statusrichtlinie verweist). Die Verfolgung kann auch auf Ereignissen beruhen, die eingetreten sind, nachdem der Fremde seinen Herkunftsstaat verlassen hat (objektive Nachfluchtgründe) (§ 3 Abs. 2 AsylG 2005).
Flüchtling im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention ist, wer sich aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung wegen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Überzeugung, außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Art. 9 der Statusrichtlinie lautet:
(1) Um als Verfolgung im Sinne des Artikels 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention zu gelten, muss eine Handlung
a) aufgrund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sein, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellt, insbesondere der Rechte, von denen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten keine Abweichung zulässig ist, oder
b) in einer Kumulierung unterschiedlicher Maßnahmen, einschließlich einer Verletzung der Menschenrechte, bestehen, die so gravierend ist, dass eine Person davon in ähnlicher wie der unter Buchstabe a beschriebenen Weise betroffen ist.
(2) Als Verfolgung im Sinne von Absatz 1 können unter anderem die folgenden Handlungen gelten:
a) Anwendung physischer oder psychischer Gewalt, einschließlich sexueller Gewalt,
b) gesetzliche, administrative, polizeiliche und/oder justizielle Maßnahmen, die als solche diskriminierend sind oder in diskriminierender Weise angewandt werden,
c) unverhältnismäßige oder diskriminierende Strafverfolgung oder Bestrafung,
d) Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes mit dem Ergebnis einer unverhältnismäßigen oder diskriminierenden Bestrafung,
e) Strafverfolgung oder Bestrafung wegen Verweigerung des Militärdienstes in einem Konflikt, wenn der Militärdienst Verbrechen oder Handlungen umfassen würde, die unter den Anwendungsbereich der Ausschlussklauseln des Artikels 12 Absatz 2 fallen, und
f) Handlungen, die an die Geschlechtszugehörigkeit anknüpfen oder gegen Kinder gerichtet sind.
(3) Gemäß Artikel 2 Buchstabe d muss eine Verknüpfung zwischen den in Artikel 10 genannten Gründen und den in Absatz 1 des vorliegenden Artikels als Verfolgung eingestuften Handlungen oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen bestehen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zentraler Aspekt der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention definierten Verfolgung im Herkunftsstaat die wohlbegründete Furcht davor. Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist. Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen. Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht; die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. etwa VwGH 14.07.2021, Ra 2021/14/0066, mwN).
Nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person ist als „Verfolgung“ im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (vgl. Art. 9 Abs. 1 der Statusrichtlinie). Ob dies der Fall ist, haben die Asylbehörde bzw. das BVwG im Einzelfall zu prüfen und in einer die nachprüfenden Kontrolle ermöglichenden Begründung darzulegen (vgl. VwGH 16.12.2021, Ra 2021/18/0387, mwN).
Während im Allgemeinen davon ausgegangen wird, dass „bloße“ Diskriminierung in der Regel nicht als Verfolgung gelten kann, könnte eine systematisch betriebene Diskriminierung oder Benachteiligung in ihrer kumulativen Wirkung sehr wohl Verfolgung bedeuten und internationalen Schutz rechtfertigen. Verfolgung liegt etwa dann vor, wenn die Diskriminierungsmaßnahmen Konsequenzen mit sich bringen, welche die betroffene Person in hohem Maße benachteiligen, z. B. eine erhebliche Einschränkung des Rechts, ihren Lebensunterhalt zu verdienen, des Rechts auf Religionsausübung oder des Zugangs zu verfügbaren Bildungseinrichtungen. (UNHCR-RL zur geschlechtsspezifischen Verfolgung, 07.05.2002, Pkt. 14).
Gemäß den UNHCR-RL zu Somalia gehören zu den relevanten Überlegungen zur Beurteilung der begründeten Furcht vor Verfolgung von Angehörigen einer ethnischen Minderheit wie den Bantu die relative Machtposition der ethnischen Gruppe im Herkunfts- und/oder Siedlungsgebiet des Antragstellers, die Geschichte der interethnischen Beziehungen in diesem Gebiet und die Frage der Entrechtung dieser Minderheit (UNHCR-RL, Somalia, 75).
Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 ist Voraussetzung für die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten die Glaubhaftmachung, dass dem Asylwerber im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinn des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention, demnach aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung, droht. Voraussetzung für die Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ist also, dass die begründete Furcht einer Person vor Verfolgung in kausalem Zusammenhang mit einem oder mehreren Konventionsgründen steht (vgl. VwGH 21.05.2021, Ro 2020/19/0001, mwN).
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierungen ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintan zu halten. Auch eine auf keinem Konventionsgrund beruhende Verfolgung durch Private hat asylrelevanten Charakter, wenn der Heimatstaat des Betroffenen aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren (vgl. VwGH 10.04.2020, Ra 2019/19/0415, mwN).
Auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des festgestellten Sachverhaltes ergibt sich, dass die behauptete Furcht der Beschwerdeführerin, in ihrem Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, begründet ist.
Die Beschwerdeführerin war in Somalia durch das Eingehen einer Zwangsehe bereits geschlechtsspezifischer und körperlicher Gewalt ausgesetzt und zur Zwangsarbeit gezwungen worden. Eine Vorverfolgung ist als ernsthafter Hinweis für die Begründetheit der Furcht vor Verfolgung im Sinne des Art. 4 Abs. 4 Statusrichtlinie und damit als Indiz für eine mögliche Verfolgung anzusehen (VwGH 18.07.2022, Ra 2021/18/0416); wenngleich eine Vorverfolgung für sich genommen auch nicht hinreichend ist (VwGH 07.03.2023, Ra 2022/18/0284). Beide Ehen, die die Beschwerdeführerin einging, waren besonders stigmatisierte Mischehen, die zur Folge hatten, dass die Familie der Ehemänner ihr als Minderheitenangehörige die Kinder wegnehmen und ihr verbieten konnte, ihre Kinder zu treffen und wenn sie es doch täte, sie mit körperlicher Gewalt bestraft werden würde. Das Verbot, ihre Kinder zu sehen, war besonders qualvoll für die Beschwerdeführerin, weil sie wusste, dass ihre Kinder unter sklavenähnlichen Bedingungen leben mussten und sie ihnen nicht helfen konnte. Der Kontaktabbruch zu ihren älteren Kindern war für die Beschwerdeführerin unerträglich und fügte ihr erhebliches psychisches Leid in einem Ausmaß zu, das mit psychischer Gewalt gleichgesetzt werden kann. Versuche, ihre älteren Kinder zu treffen, würden zu weiterer Gewalt gegen die Beschwerdeführerin führen. Die Beschwerdeführerin ließe sich mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit nicht davon abhalten, den direkten Kontakt zu ihren Kindern zu suchen und in der Folge Gewalt ausgesetzt zu sein.
Neben dem familiären Aspekt war die Beschwerdeführerin erheblicher Diskriminierung im Alltag ausgesetzt und es wird ihr als Angehörige eines Minderheitenclans weder staatlicher noch Clanschutz zuteil. Erschwerend tritt hinzu, dass sie Stigmatisierung durch ihre behinderte Tochter und den Tod ihrer beiden Ehemänner erfährt und der Gefahr der Verstoßung wegen einer möglichen Vergewaltigung in Österreich, somit einem Sachverhalt, der sich erst nach der Flucht aus dem Herkunftsstaat verwirklicht hat, ausgesetzt ist.
Die familiären Umstände der Beschwerdeführerin und das damit verbundene psychische Leid und die drohende Gewalt, wenn sie ihre Kinder sehen möchte, die Diskriminierung aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer ethnischen Minderheit und ihre Stigmatisierung und die Gefahr, durch Al Shabaab zwangsverheiratet und versklavt zu werden, sind Umstände, die in ihrer Kumulierung so gravierend sind, dass sie eine asylrelevante Verfolgung der Beschwerdeführerin darstellen. Die Diskriminierungen gegenüber der Beschwerdeführerin bilden in ihrer Gesamtheit eine Eingriffsintensität, die als asylrelevante Verfolgung anzusehen ist.
Die Verfolgung beruht auf ihrer Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Bantu und steht damit im Konnex zum Verfolgungsgrund der „Rasse“ der Genfer Flüchtlingskonvention. Weder der Staat noch im Staat gelebtes Gewohnheitsrecht bieten der Beschwerdeführerin auch nur ansatzweise Schutz vor dieser Verfolgung.
Die Beschwerdeführerin ist schutzlos zahlreichen Akteuren in der somalischen Gesellschaft ausgesetzt. Einerseits erleidet sie Verfolgung durch die Familie ihrer verstorbenen Ehemänner, andererseits rassistische Diskriminierung durch die Gesellschaft, in der die Bantu weiterhin rassistisch stigmatisiert werden und zuletzt durch Al Shabaab.
Zum Vorbringen in der Beschwerde und in der mündlichen Verhandlung, die Beschwerdeführerin sei als Angehörige der sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen asylrelevanter Verfolgung ausgesetzt, ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin im Fall ihrer Rückkehr auf ein familiäres Netz zurückgreifen kann und wieder bei ihrer Familie leben würde, wo auch ihr älterer, erwachsener Bruder lebt und somit eine männliche, erwachsene Person im Familienhaus anwesend ist.
Das Vorliegen weiterer Verfolgungsgründe aufgrund von Religion, Nationalität, politischer Einstellung oder Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden Frauen konnte nicht festgestellt werden.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung.