Spruch
W170 2298650-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Thomas MARTH über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid der Zivildienstserviceagentur vom 22.07.2024, Zl. 563566/1/ZD/24, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 21.08.2024, 563566/15/ZD/0824, auf Grund des Vorlageantrags nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:
A)
Die Beschwerde wird gemäß §§ 28 Abs. 2 VwGVG, 1 Abs. 4 ZDG abgewiesen und die Beschwerdevorentscheidung bestätigt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
Das Bundesverwaltungsgericht hat über die rechtzeitige und zulässige Beschwerde auf Grund des Vorlageantrags erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. XXXX , geb. XXXX , (in Folge: Beschwerdeführer) ist ein männlicher österreichischer Staatsbürger und wurde am 03.03.2020 bei der Stellungskommission des Militärkommandos Wien einer Stellung unterzogen, mit mündlich verkündetem Bescheid der Stellungskommission des Militärkommandos Wien vom selben Tag, 2010 W 1020 B/02/08/00/07, wurde in Anwesenheit des Beschwerdeführers dessen Tauglichkeit festgestellt. Gegen den Beschluss wurde kein Rechtsmittel ergriffen.
Im Rahmen der Musterung hat der Beschwerdeführer keinen Zivildienstantrag gestellt.
1.2. Ebensowenig hat der Beschwerdeführer bis zum 09.07.2021, an diesem Tag erhielt er den Einberufungsbefehl des MilKdo Burgenland vom 07.07.2021, B/02/08/00/07, für den 05.09.2022, eine Zivildiensterklärung gestellt.
Der Einberufungsbefehl wurde mehrfach abgeändert, nämlich
mit Bescheid des MilKdo Burgenland vom 27.06.2022, P1606062/8-MilKdo B/Kdo/ErgAbt/2022 (1), wurde der Beschwerdeführer nunmehr für den 02.10.2023 einberufen; der Bescheid wurde am 29.06.2022 zugestellt;
mit Bescheid des MilKdo Burgenland vom 07.07.2023, P1606062/11-MilKdo B/Kdo/ErgAbt/2023 (1), wurde der Beschwerdeführer nunmehr für den 01.10.2024 einberufen; der Bescheid wurde am 12.07.2023 zugestellt und
mit Bescheid des MilKdo Burgenland vom 04.07.2024, P1606062/14-MilKdo B/Kdo/ErgAbt/2024 (1), wurde der Beschwerdeführer nunmehr für den 03.11.2025 einberufen; der Bescheid wurde am 09.07.2024 zugestellt.
Seit dem 09.07.2021 war bzw. ist immer ein Einberufungsbefehl gegen den Beschwerdeführer aufrecht.
1.3. Der Beschwerdeführer hat nur am 17.07.2024 eine Zivildiensterklärung beim Militärkommando Burgenland eingebracht; dies war seine erste und bisher einzige Zivildiensterklärung.
1.4. Der Beschwerdeführer hat glaubhaft gemacht, dass er den Einsatz von Waffengewalt auf Grund der Folgen, insbesondere auch für nur sekundär betroffene Personen („innocent bystanders“) grundsätzlich ablehnt und im Rahmen seines Dienstes für die Republik Österreich lieber Personen helfen will als an Waffen ausgebildet zu werden.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Die Feststellungen zu 1.1 bis 1.3. ergeben sich aus der Aktenlage, die den Parteien in der mündlichen Verhandlung vorgehalten wurde und der diese nicht entgegengetreten sind; vielmehr wurde der Sachverhalt von den Parteien bestätigt.
2.2. Die Feststellungen zu 1.4. ist auf die lebensnahen Ausführungen des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung hinsichtlich insbesondere der Vorfälle im Herbst 2021, wo der Beschwerdeführer im „Tenniskammerl“ des Campus seinen Schläger bespannt und von einer Schießerei in unmittelbarer Nähe gehört hat sowie der Wahrnehmung der psychischen Folgen von Waffengewalt von „innocent bystanders“ hinsichtlich des Freundes und dessen Freundin, der sich im Frühjahr 2024 bei einer Schießerei in einer Schule verstecken musste sowie eines anderen Freundes, der Ende September, Anfang Oktober 2024 Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls wurde. Diese psychische Betroffenheit erklärt auch die intensive Beschäftigung des Beschwerdeführers mit solcher Kriminalität, auch wenn er bei den anderen von ihm genannten Fällen weder mittelbar noch unmittelbar betroffen war.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A)
3.1. Gemäß Art. 9 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit des einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, Andachten und Beachtung religiöser Gebräuche auszuüben. Gemäß Art. 9 Abs. 2 EMRK darf die Religions- und Bekenntnisfreiheit nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind.
Gemäß Art. 4 Abs. 2 EMRK darf niemand gezwungen werden, Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verrichten, gemäß Art. 4 Abs. 3 lit b EMRK gilt jede Dienstleistung militärischen Charakters, oder im Falle der Verweigerung aus Gewissensgründen in Ländern, wo diese als berechtigt anerkannt ist, eine sonstige an Stelle der militärischen Dienstpflicht tretende Dienstleistung nicht als Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne dieses Artikels.
Schon hier ist allerdings auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (unter Hinweis auf EKMR vom 02.04.1973, Nr 5591/72) hinzuweisen, nach der sich aus Art. 9 in Zusammenhalt mit Art. 4 Abs. 3 lit b EMRK ergibt, dass kein Vertragsstaat verpflichtet ist, Waffendienstverweigerer anzuerkennen. Aus dieser Auffassung, welcher der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen VfSlg 8033/1977 und 11253/1987 beigepflichtet hat, folgt, dass aus der Nichtbefreiung von der Verpflichtung zur Wehrdienstleistung keine Verletzung des durch Art. 9 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes abgeleitet werden kann (VfGH 10.10.1997, B 1021/96; B 1454/96; B 2256/96).
Aus diesen Normen ist daher für den Beschwerdeführer trotz seiner grundsätzlichen Ablehnung von Waffengewalt nichts zu gewinnen. Es bleibt daher das verfassungsgesetzlich aufzufindende System zu untersuchen.
3.2. Gemäß Art. 9a Abs. 3 1. Satz B-VG ist jeder männliche Staatsbürger wehrpflichtig. Gemäß Art. 9a Abs. 4 B-VG hat, wer die Erfüllung der Wehrpflicht aus Gewissensgründen verweigert und hievon befreit wird, die Pflicht, einen Ersatzdienst (Zivildienst) zu leisten.
Der gesamte § 1 ZDG steht im Verfassungsrang.
Gemäß § 1 Abs. 1 ZDG können Wehrpflichtige im Sinne des WG 2001, die zum Wehrdienst tauglich befunden wurden, erklären (1.) die Wehrpflicht nicht erfüllen zu können, weil sie es – von den Fällen der persönlichen Notwehr oder Nothilfe abgesehen – aus Gewissensgründen ablehnen, Waffengewalt gegen Menschen anzuwenden, und daher bei Leistung des Wehrdienstes in Gewissensnot geraten würden und (2.) deshalb Zivildienst leisten zu wollen (Zivildiensterklärung).
Gemäß § 1 Abs. 2 ZDG (in der ab dem 01.01.2023 geltenden Fassung) ist die Ausübung dieses Rechtes dem Wehrpflichtigen mindestens sechs Monate nach Abschluss jenes Stellungsverfahrens, bei dem er erstmals für den Wehrdienst tauglich befunden wurde, gewährleistet, es sei denn, der Wehrpflichtige hätte darauf ausdrücklich und schriftlich verzichtet. Das Recht ruht vom zweiten Tag vor einer Einberufung zum Präsenzdienst bis zur Entlassung aus diesem oder bis zur Behebung des Einberufungsbefehls. Wird nach der Einberufung zum Grundwehrdienst dieser vollständig geleistet, ruht das Recht darüber hinaus drei Jahre, gerechnet vom Tage, für den der Wehrpflichtige einberufen war. Die für die Einberufung zum Grundwehrdienst zuständige Behörde hat den Wehrpflichtigen mindestens 21 Tage vor Zustellung des Einberufungsbefehls über dessen bevorstehende Erlassung zu informieren.
Gemäß § 1 Abs. 2 ZDG (in der von 01.01.2006 bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung) ist die Ausübung dieses Rechtes dem Wehrpflichtigen mindestens sechs Monate nach Abschluss jenes Stellungsverfahrens, bei dem er erstmals für den Wehrdienst tauglich befunden wurde, gewährleistet, es sei denn, der Wehrpflichtige hätte darauf ausdrücklich und schriftlich verzichtet. Das Recht ruht vom zweiten Tag vor einer Einberufung zum Präsenzdienst bis zur Entlassung aus diesem oder bis zur Behebung des Einberufungsbefehls. Wird nach der Einberufung zum Grundwehrdienst dieser vollständig geleistet, ruht das Recht darüber hinaus drei Jahre, gerechnet vom Tage, für den der Wehrpflichtige einberufen war. Eine Norm, nach der der Wehrpflichtige 21 Tage vor Zustellung des Einberufungsbefehls über dessen bevorstehende Erlassung zu informieren gewesen wäre, war dem Gesetz bis zum Ablauf des 31.12.2022 unbekannt.
Das bedeutet, dass (jedenfalls vor Ablauf des 31.12.2022) das Recht, eine Zivildiensterklärung abzugeben mindestens sechs Monate nach Abschluss des Stellungsverfahrens, bei denen der Wehrpflichtige für tauglich erklärt wurde, gewährleistet sein musst. Dies war im Falle des Beschwerdeführers nach dem am 03.03.2020 abgeschlossenem Stellungsverfahren der Zeitraum bis zum Ablauf des 03.09.2020. Der Einberufungsbefehl wurde erst am 09.07.2021 erlassen, dem Beschwerdeführer wäre daher sogar ein Zeitraum von 1 ½ Jahren zur Abgabe einer Zivildiensterklärung zur Verfügung gestanden.
Es ist auch nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinsichtlich der Wirksamkeit der Zivildiensterklärung nur der Zustellzeitpunkt des ersten Einberufungsbefehls relevant, der Verwaltungsgerichtshof führt auch ausdrücklich aus, dass das Recht zur Abgabe einer Zivildiensterklärung bis zu einer ersatzlosen Behebung des Einberufungsbefehls ruht (zu alledem VwGH 23.05.2013, 2013/11/0099; VwGH 02.11.2021, Ra 2021/11/0124). Noch deutlicher ist der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 02.11.2021, Ra 2021/11/0124, wo er ausführt, dass der ursprüngliche Einberufungstermin mit dem u.a. auf § 68 Abs. 2 AVG gestützten Bescheid des Militärkommandos aus militärischen Rücksichten durch einen späteren Einberufungstermin ersetzt wird, nicht dazu dient, dem Wehrpflichtigen erneut die Möglichkeit zur Abgabe einer Zivildiensterklärung zu verschaffen.
3.3. Genau das ist hier auch der Fall. Es ist dem Beschwerdeführer bis vom 03.03.2020 bis zum 07.07.2021 (zweiter Tag vor der ersten Einberufung) freigestanden, eine Zivildiensterklärung abzugeben. Dass sich das Dilemma seines Gewissens erst nach dieser Zeit entwickelt habe, spielt für das Gesetz – insbesondere auch im Lichte der Ausführungen unter 3.1. – keine Rolle, da sich weder aus Art. 9a Abs. 4 B-VG – der nur eine Pflicht, aber kein Recht anordnet – noch aus § 1 ZDG, der sich als gesamtes im Verfassungsrang befindet, kein Recht ableiten lässt, auch noch in der Zeit, in der das Recht auf Abgabe einer Zivildiensterklärung ruht, eine solche abzugeben. Dieser Auslegung steht der klare Wortlaut der Verfassungsbestimmung entgegen; diese ist als Verfassungsbestimmung einer verfassungskonformen Auslegung nicht zugänglich.
Daher kann das Bundesverwaltungsgericht dem Bescheid der Zivildienstserviceagentur vom 22.07.2024, Zl. 563566/1/ZD/24, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 21.08.2024, 563566/15/ZD/0824, auch nicht entgegentreten und ist die Beschwerde abzuweisen und die Beschwerdevorentscheidung zu bestätigen.
Zu B) Zulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes fehlt.
Es ist keine explizite Rechtsprechung für den Fall einer Änderung der Gewissenslage eines Wehrpflichtigen während der langen Dauer der Aufrechterhaltung seines Einberufungsbefehls zu finden, daher ist die Revision zulässig.