Spruch
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Ewald SCHWARZINGER über die Beschwerde von XXXX , geboren XXXX , gegen den Bescheid der Zivildienstserviceagentur (ZISA) vom 19.11.2024, Zahl: 518589/2-ZD/24 zu Recht erkannt:
A) Der Beschwerde wird gemäß § 28 Abs 2 VwGVG stattgegeben und gem § 6 Abs 2 ZDG festgestellt, dass die Zivildienstpflicht des XXXX erloschen ist.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
1. Der 2003 geborene Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) wurde nach seiner erstmaligen Stellung am 23.09.2021 für tauglich befunden.
2. Am 29.09.2021 brachte der BF eine Zivildiensterklärung ein und stellte die Zivildienstserviceagentur (ZISA) mit Bescheid vom 25.10.2021 rechtskräftig den Eintritt der Zivildienstpflicht fest.
3. Am 18.11.2024 brachte der BF einen Widerruf seiner Zivildiensterklärung ein, wo er im Begleitschreiben angab, er habe erst an diesem Tag mit der Post die Kopie des Zuweisungsbescheides erhalten. Das Original sei ihm anscheinend schon vor einem Monat zugesendet worden, doch habe er nie etwas erhalten.
4. Mit dem im Spruch angeführten Bescheid stellte die ZISA zusammengefasst fest, dass der Zuweisungsbescheid am 25.10.2024 zugestellt, der Widerruf daher nicht fristgerecht eingebracht worden sei und das Recht zur Abgabe einer Widerrufserklärung gem § 6 Abs 1 und 2 ZDG ruhe. Die Zivildienstpflicht sei nicht erloschen.
5. Mit E-Mail vom 02.12.2024 brachte der BF Beschwerde gegen den oa am 22.11.2024 ihm in Kopie zugestellten Bescheid ein. Er führte nochmals aus, dass ihm der Originalbescheid nicht zugestellt worden und auch kein gelber Zettel hinterlassen worden sei. Gleichzeitig ersuchte er um Verschiebung seines Zivildienstes bis nach den Sommerferien 2025, weil er sich in einer laufenden Ausbildung befinde.
6. Mit Schriftsatz vom 05.12.2024 (eingelangt beim BVwG am nächsten Tag) legte die belangte Behörde – ohne von der Möglichkeit einer Beschwerdevorentscheidung Gebrauch zu machen – die Beschwerde und den Verfahrensakt dem BVwG zur Entscheidung vor (OZ 1)
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Der BF ist tauglich.
Mit mit 23.10.2024 datiertem Bescheid wurde er ab 01.01.2025 (Dienstantritt 02.02.2025) einer Einrichtung zum Ableistung des Zivildienstes zugewiesen (im Folgenden: Zuweisungsbescheid).
Die Urschrift des Zuweisungsbescheides (die im Akt einliegt), enthält die Fertigungsklausel „Der Leiter der Zivildienstagentur
Mag. XXXX
ist aber nicht unterschrieben, trägt keinen Beglaubigungsvermerk und ist nicht elektronisch signiert.
Es kann auch nicht festgestellt werden, dass der Zuweisungsbescheid am 25.10.2024 durch Hinterlegung an den BF zugestellt wurde.
Der Zuweisungsbescheid (in Kopie) wurde dem BF am 18.11.2024 zugestellt und hat dieser noch am selben Tag einen „WIDERRUF DER ZIVILDIENSTERKLÄRUNG“ abgegeben und eigenhändig unterschrieben.
2. Beweiswürdigung:
Die Tauglichkeit und die Abgabe der Widerrufserklärung am 18.11.2024 sind unstrittig.
Strittig ist der Zeitpunkt der Zustellung des Zuweisungsbescheides und damit die Auslösung der Frist zur Abgabe einer gültigen Erklärung des Widerrufs der Zivildiensterklärung. Ab dem 15. Tag nach Zustellung des Zuweisungsbescheides ruht das Recht zur Abgabe eines Widerrufes.
Auf Grund der fehlenden Unterschrift, einer Beglaubigung oder elektronischen Signatur auf der im Akt einliegenden Urschrift sind Zweifel aufgetaucht, ob der Zuweisungsbescheid überhaupt rechtskonform gegenüber dem BF erlassen wurde. Diese Zweifel haben sich nach rechtlicher Prüfung bestätigt und ist das nicht der Fall, weil er die gesetzlichen Voraussetzungen nicht erfüllt (vgl dazu hinten die rechtlichen Ausführungen).
Aber auch seine Zustellung (durch Hinterlegung) ist aus den folgenden Gründen nicht rechtswirksam erfolgt.
Die ZISA geht davon aus, dass der Zuweisungsbescheid vom 23.10.2021 noch am 25.10.2021 durch Hinterlegung zugestellt wurde. Sie stützt sich dabei offenbar auf die Angaben auf dem Rücksendekuvert das im Akt einliegt.
Auf diesem Kuvert ist angegeben bzw angekreuzt, dass der Bescheid ab 25.10.2024 beim Postamt zur Abholung bereit lag und eine Abgabenachricht in die Abgabeeinrichtung eingelegt wurde. Es findet sie aber auch ein Aufkleber auf dem Kuvert aus dem hervorgeht, dass der Bescheid am 12.11.2024 als „Nicht behoben“ an die ZISA zurückübermittelt wurde, wo er am 13.11.2024 eingelangt ist. Ein vom Zusteller unterschriebener Zustellnachweis (Hinterlegungsnachweis) findet sich nicht im Akt.
Im Akt befinden sich – neben dem schon angeführten Kuvert – lediglich Ausdrucke aus dem internen Computersystem der ZISA mit dem Eintrag RS „2024-10-25“ und ein Aktenvermerk wo angeführt ist „Widerruf vom 18.11.2024 - Zuweisung RS: 25.10.2024 – letzter Tag der Frist zur Abgabe einer Widerrufserklärung 08.11.2024.“
In einem weiteren Aktenvermerk ist festgehalten, dass am 02.12.2024 ein Anruf des BF bei der ZISA erfolgt und die Rechtsauskunft erteilt worden sei, dass der Aufschubantrag an die zuständige Stelle weitergeleitet worden sei.
Der BF hat bereits in seiner Mail vom 18.11.2024, 13:29 Uhr, mit dem er die Widerruferklärung an die ZISA geschickt hat, angeführt, dass ihm der Bescheid am 18.11.2024 mit der Post zugestellt wurde: „ … ich habe heute per Post meinen Zivildienstbescheid erhalten, auf dem darauf stand, dass ich per 01.01.2025 eingewiesen werde. Das Original wurde mir anscheinend vor einem Monat zugesendet, doch leider habe ich nie etwas bekommen und konnte mich daher zu dem Thema nicht melden. Ob die Post an eine andere Adresse geschickt wurde oder doch nur vor die Haustür gelegt wurde weis ich nicht. Fakt ist ich habe nie etwas erhalten. Heute kam eine Kopie des Bescheides und ich habe mich sofort bei den notwendigen Personen gemeldet. […]“
Auch in seiner Beschwerde gab der BF nochmals an, dass ihm der Originalbescheid mit dem ihm der Zivildienst angeordnet wurde, nicht zugestellt wurde. Er gab dazu an: „Laut Information soll ein gelber Zettel hinterlassen worden sein, um den Bescheid bei der Post abzuholen. Weder ich noch meine Familie haben diesen Zettel erhalten, und niemand hat den Erhalt bestätigt. Daher hatte ich keine Möglichkeit, rechtzeitig einen Antrag auf Verschiebung einzureichen. Die Post kontrolliert mein Vater gründlich jeden Tag sobald sie angekommen ist und verteilt die jeweiligen Briefe an unsere Familie. Es wurde nie etwas von uns weggeschmissen oder sonst was, ich haben NIE etwas erhalten.“
Danach führt er noch an, dass er seit 11.10.2024 die Berufsreifeprüfung Lehre und Matura in Form eines Tageskurses macht, die bis 12.09.2025 dauere und dafür einen Kursbeitrag von 1.713,60 Euro entrichtet hat, und bittet er um Verschiebung seiner Zivildienstzuweisung bis mindestens nach den Sommerferien 2025.
Bei objektiver Würdigung der Angaben des BF und aufgrund des Rücksendekuverts steht fest, dass der Zuweisungsbescheid vom 23.10.2024 dem BF nicht (durch Hinterlegung) am 25.10.2024 zugestellt wurde. Der BF hatte keinen Grund, wäre tatsächliche eine Hinterlegungsanzeige an seiner Abgabestelle hinterlegt worden, nicht zeitnah, so wie er es am 18.11.2024 getan hat, auf einen Zuweisungsbescheid zu reagieren. Er war bereits damals in der oa Ausbildung.
Der Bescheid wurde – wie das im Akt befindliche Rücksendekuvert und die neuerliche Zustellung „einer Kopie“ (die im Akt nicht dokumentiert ist, sich aber aus den glaubhaften Angaben der BF bei der Einbringung der Widerrufserklärung und der Beschwerde ergibt) zeigen – an die ZISA retourniert.
Das BVwG verkennt nicht, dass die bloße Behauptung, keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden zu haben, nicht als Angebot eines Gegenbeweises anzusehen ist (VwGH 19.03.2003, 2002/08/0061). Im vorliegenden Fall sind die Angaben des BF aber schlüssig und konnte die ZISA keinen Rückschein bzw Zustellnachweis vorlegen, der eine öffentliche Urkunde darstellen würde, sondern lediglich das Rücksendekuvert. Im vorliegenden Fall, in dem ein Nachweis der ordnungsgemäßen Hinterlegung des Bescheides nicht vorlag, ist der Beweis einer Zustellung nicht erbracht worden. Der BF konnte daher das Vorliegen eines Zustellmangels ausreichend bescheinigen.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zulässigkeit und Verfahren
Gemäß § 7 Abs 4 VwGVG beträgt die Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid einer Behörde vier Wochen. Diese Frist wurde eingehalten und liegen auch sonst keine Gründe für eine Unzulässigkeit der Beschwerde vor.
Gemäß § 27 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) hat das Verwaltungsgericht – soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet – den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4) zu überprüfen.
Der Verfahrensgegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wird durch die Begründung und das darin enthaltene Begehren in der Beschwerde begrenzt, es besteht kein Neuerungsverbot (vgl. Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2. Aktualisierte Auflage, 2019, § 27, K2). Von Amts wegen hat das BVwG jedoch Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der den angefochtenen Bescheid erlassenden Behörde aufzugreifen; ebenso kann es eine relevante Verletzung der Verfahrensvorschriften als auch allfällige inhaltliche Rechtswidrigkeit (die nicht ausdrücklich in der Beschwerde geltend gemacht wurde) von Amts wegen aufgreifen; Grundsatz der Amswegigkeit (siehe Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, 2. aktualisierte Auflage, 2019 § 27, K3).
Gemäß § 28 Abs 2 VwGVG hat das BVwG über Beschwerden nach Art 130 Abs 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht.
Wie oben bereits ausgeführt steht der in der Angelegenheit maßgebliche Sachverhalt aufgrund der Aktenlage fest.
Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs 4 VwGVG Abstand genommen werden, da der Sachverhalt aus der Aktenlage geklärt ist und eine mündliche Erörterung die weitere Klärung des Sachverhaltes oder der Rechtsfrage nicht erwarten lässt. Dem Entfall der Verhandlung stehen auch weder Art 6 Abs 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl 1958/210 (keine „civil rights“) noch Art 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl Nr C 83 vom 30.03.2010 S 389 (kein Bezug zu EU-Normen) entgegen.
Zu A)
3.2. Gesetzliche Grundlagen
§ 6 Abs 6 ZDG lautet:
(1) Der Zivildienstpflichtige kann die Zivildiensterklärung widerrufen. Hiezu muss er erklären, dass er die Erfüllung der Wehrpflicht nicht mehr aus den in § 1 Abs. 1 genannten Gründen verweigere. Die Widerrufserklärung ist schriftlich oder mündlich bei der Zivildienstserviceagentur oder beim Militärkommando einzubringen. Das Recht, die Widerrufserklärung abzugeben ruht ab dem 15. Tag nach Zustellung eines Zuweisungsbescheides zum Zivildienst bis zu dessen vorzeitiger Beendigung und ist nach vollständiger Ableistung des ordentlichen Zivildienstes ausgeschlossen.
(2) Mit Einbringung einer Widerrufserklärung gemäß Abs. 1 erlischt die Zivildienstpflicht. Die Zivildienstserviceagentur hat mit Bescheid festzustellen, ob die Zivildienstpflicht erloschen ist.
(3) […]
(4) Mit Einbringung einer Widerrufserklärung (Abs. 2) und mit Aufhebung der Zivildienstpflicht (Abs. 3) unterliegt der Betreffende der Wehrpflicht im Sinne des Wehrgesetzes. Die Zivildienstserviceagentur hat das Militärkommando davon unverzüglich in Kenntnis zu setzen und ihm gleichzeitig die in § 5 Abs. 3 angeführten Unterlagen zurück zu übermitteln.
(5) Zeiten des abgeleisteten ordentlichen Zivildienstes sind in den Grundwehrdienst einzurechnen. Vom Wehrpflichtigen gemäß Abs. 4 ist jedoch mindestens ein Grundwehrdienst in der Dauer von vier Monaten zu leisten.
(6) (Verfassungsbestimmung) Das Recht, eine Zivildiensterklärung abzugeben, ruht für die Dauer eines Jahres nach Einbringung einer Widerrufserklärung (Abs. 2) oder nach Aufhebung der Zivildienstpflicht (Abs. 3).
3.3. Beurteilung des konkreten Sachverhaltes
Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Zuweisungsbescheid erlassen wurde, weil die im Akt einliegende Urschrift des Zuweisungsbescheides zwar die Fertigungsklausel des Behördenleiters der ZISA trägt aber entgegen § 18 Abs 2 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) weder dessen eigenhändige Unterschrift als Genehmigenden noch eine elektronische Signatur (noch eine Amtssignatur noch eine Beglaubigung der Kanzlei). Er ist daher nichtig.
Gemäß § 18 Abs 3 AVG muss jede schriftliche Erledigung durch die Unterschrift – bzw bei elektronisch erstellten Erledigungen durch ein Verfahren zum Nachweis der Identität des Genehmigenden und der Authentizität der Erledigung – genehmigt und einem bestimmten Organwalter zurechenbar sein. Andernfalls kommt eine Erledigung selbst dann nicht zustande, wenn ihre Ausfertigung allen Anforderungen des § 18 Abs 4 AVG genügt (vgl VwGH 29.11.2011, 2010/10/0252).
Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat in seinem Beschluss vom 24.09.2024, G 32/2024 festgestellt, dass der § 74 ZDG, wonach schriftliche Ausfertigungen die unter Verwendung elektronischer Datenverarbeitungsanlagen hergestellt wurden, weder einer Unterschrift noch einer Beglaubigung bedürfen, durch § 18 Abs 4 AVG derogiert wurde.
Im Gegenstand liegt unstrittig kein elektronisch signierter Bescheid vor, daher handelt es sich um eine sonstige Ausfertigung iSd § 18 Abs 4 dritter Satz AVG.
Daher muss die Bescheidurkunde entweder vom Genehmigenden (im Original) unterschrieben sein oder eine Beglaubigung der Kanzlei (im Original) enthalten. Fehlt es in einem solchen Fall an einer Unterschrift oder Beglaubigung, ist der Bescheid den Parteien gegenüber nicht wirksam geworden (VwGH 25.11.2015, Ra 2015/16/0102).
Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 18 Abs 3 und 4 AVG konnten im Gegenstand nicht festgestellt werden.
Der BF konnte darüber hinaus auch glaubhaft machen, dass ihm der Zuweisungsbescheid vom 23.11.2024 nicht am 25.10.2024 durch Hinterlegung zugestellt wurde. Dieser kam ihm in Kopie erst am 18.11.2024 zu.
Der „WIDERRUF DER ZIVILDIENSTERKLÄRUNG“ vom 18.11.2024 ist demnach nicht außerhalb der in § 6 Abs 1 ZDG angeführte Frist ergangen und ist festzustellen, dass die Zivildienstpflicht des BF gem § 18 Abs 2 ZDG erloschen ist.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Auf die oben dargestellte Judikatur des VwGH und des VfGH wird verwiesen.