JudikaturBVwG

L511 2236878-1 – Bundesverwaltungsgericht Entscheidung

Entscheidung
01. August 2022

Spruch

2236878– /7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a JICHA als Vorsitzende und die fachkundigen Laienrichter*innen Mag. SIGHARTNER und Mag.a WOLTRAN als Beisitzer*innen über die Beschwerde von XXXX gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice XXXX vom 24.08.2020, Zahl: XXXX , nach Beschwerdevorentscheidung vom 22.10.2020, Zahl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird die Beschwerdevorentscheidung des Arbeitsmarktservice XXXX , vom 22.10.2020, Zahl: XXXX , behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Arbeitsmarktservice XXXX zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Verfahrensinhalt

1. Verfahren vor dem Arbeitsmarktservice [AMS]

1.1. Beschwerdeführer stellte am 16.06.2020 mit Geltendmachung ab 01.07.2020 einen Antrag auf Arbeitslosengeld (Aktenzahl der elektronisch übermittelten Aktenteile [AZ] 7).

1.2.Mit Bescheid des AMS vom 24.08.2020, Zahl: XXXX , wurde dem Antrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm § 12 AlVG mangels Arbeitslosigkeit keine Folge gegeben (AZ 17).

Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer stehe seit 01.02.2016 in Deutschland in einem aufrechten Dienstverhältnis.

1.3. Mit Schreiben vom 28.09.2020 [gemeint 28.08.2020] erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde gegen diesen Bescheid (AZ 19).

Begründend führte er aus, er sei bis 2020 bei der XXXX [W GmbH] in Deutschland beschäftigt gewesen. Der Insolvenzverwalter jener Gesellschaft habe ihn gekündigt bzw. freigestellt und er erhalte keinerlei Gehaltszahlungen oder Versicherungsleistungen von der W GmbH. Mit der formalen Ausreise aus Deutschland erhalte er auch keine Leistungen mehr durch die deutsche Bundesagentur für Arbeit.

1.4. Mit Beschwerdevorentscheidung [BVE] vom 22.10.2020, Zahl: XXXX , wies das AMS die am 01.09.2020 eingelangte Beschwerde ab (AZ 6; (OZ 2).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Beschwerdeführer sei von der Erbringung der Arbeitsleistung zur W GmbH ab dem 01.07.2020 befreit gewesen und sein Dienstverhältnis zu jenem Unternehmen sei mit 31.10.2020 durch den Insolvenzverwalter gekündigt worden. Zum Zeitpunkt der Antragstellung (und bis 31.10.2020) sei der Beschwerdeführer also in einem aufrechten Dienstverhältnis gestanden, weshalb Arbeitslosigkeit ausgeschlossen sei.

1.5. Mit Schreiben vom 09.11.2020 beantragte der Beschwerdeführer fristgerecht die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (AZ 6).

2. Die belangte Behörde legte am 13.11.2020 dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] die Beschwerde samt Auszügen aus dem Verwaltungsakt in elektronischer Form und auf Ersuchen des BVwG weitere Aktenteile vor (Ordnungszahl des Gerichtsverfahrensaktes [OZ] 1 [=AZ 1-25], OZ 2-3).

2.1. Mit Schreiben vom 24.02.2021 legte der Beschwerdeführer eine Entgeltbescheinigung der deutschen Bundesagentur für Arbeit vom 19.01.2021 vor und führte aus, dass er aufgrund des deutschen Leistungsbezuges nun in Österreich für die Zeiträume 01.07.2020 bis 02.07.2021 und 01.08.2020 bis 30.09.2020 um Arbeitslosengeld ansuche (OZ 4).

2.2. Das BVwG nahm Einsicht in das elektronische Datensystem des Dachverbandes der österreichischen Sozialversicherung [DVA] (OZ 5).

II. Zu A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1. Der Beschwerdeführer stellte am 16.06.2020 mit Geltendmachung ab 01.07.2020 einen Antrag auf Leistungsbezug aus der Arbeitslosenversicherung (AZ 7).

1.2. Der Beschwerdeführer stand ab 01.02.2016 in einem aufrechten Dienstverhältnis bei der XXXX in Deutschland. Aufgrund der Insolvenz der W GmbH wurde der Beschwerdeführer im Juni 2020 zum 31.10.2020 gekündigt und ab 01.07.2020 widerruflich, ab 29.07.2020 unwiderruflich von der Arbeit bei seinem insolventen Dienstgeber freigestellt (AZ 20). Ab 01.07.2020 erhielt der Beschwerdeführer kein Entgelt mehr von der W GmbH, da diese die Gehälter aus der Insolvenzmasse nicht mehr bedienen konnte (AZ 12-15, 20, 21).

1.3. In Deutschland liegen für den Beschwerdeführer Versicherungszeiten bis einschließlich 30.06.2020 vor. Von 03.07.2020 bis einschließlich 09.08.2020 bezog der Beschwerdeführer Arbeitslosengeld in Deutschland. Der Bezug wurde bis zum 01.07.2021 zugesprochen, endete jedoch auf Grund der Ausreise nach Österreich (AZ 12-15: PDU1, OZ 4). Die Sozialversicherungsbeiträge wurden ab 03.07.2020 von der (deutschen) Bundesagentur für Arbeit bezahlt (AZ 22).

1.4. Von 14.09.2020 bis 31.10.2020 erhielt der Beschwerdeführer über das AMS ein Fachkräftestipendium, seit 01.11.2020 bis laufend steht er im Leistungsbezug des AMS (OZ 5).

2. Beweisaufnahme und Beweiswürdigung

2.1. Die Beweisaufnahme erfolgte durch Einsicht in die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Auszüge aus dem Verwaltungsverfahrensakt (OZ 1 [=AZ 1-25]; OZ 2-4) und dem Gerichtsakt, aus denen sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt. Zur Entscheidungsfindung wurden vom BVwG insbesondere folgende Unterlagen herangezogen:

Bescheid und Beschwerdevorentscheidung des AMS (AZ 17, 6)

Beschwerde und Vorlageantrag des Beschwerdeführers (AZ 19, 5)

Antrag auf Leistung aus der Arbeitslosenversicherung (AZ 7)

Formular U1, ausgestellt von der Agentur für Arbeit XXXX vom 14.08.2020 (AZ 12-15)

Schreiben des Insolvenzverwalters der W GmbH vom 29.07.2020 (AZ 20)

Schreiben der W GmbH vom 26.06.2020 (AZ 21)

2.2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich ohne weitere Interpretation unmittelbar aus den jeweils zitierten Aktenteilen, die allen Verfahrensbeteiligten bekannt sind und denen weder der Beschwerdeführer noch das AMS entgegengetreten sind.

3. Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zur Gänze aus den den Verfahrensparteien bekannten vorliegenden Aktenteilen und war weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig.

4. Rechtliche Beurteilung

4.1.Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch einen Senat ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 56 Abs. 2 AlVG (vgl. VwGH vom 07.09.2017, Ra2017/08/0081). Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die das AMS im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die an die Stelle des Ausgangsbescheides getretene Beschwerdevorentscheidung, wobei der Ausgangsbescheid Maßstab dafür bleibt, ob die Beschwerde berechtigt ist oder nicht, da sich diese gegen den Ausgangsbescheid richtet und ihre Begründung auf diesen beziehen muss (VwGH 20.05.2015, Ra2015/09/0025 mwN).

Die Beschwerde und der Vorlageantrag sind rechtzeitig und auch sonst zulässig (§§ 7, 9 und 15 VwGVG).

4.2. Stattgabe der Beschwerde

4.2.1. Mit der verfahrensgegenständlichen Beschwerdevorentscheidung wurde dem Antrag des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld mangels Vorliegen von Arbeitslosigkeit keine Folge gegeben, da die Abweisung der Beschwerde im Rahmen der Beschwerdevorentscheidung als Erlassung eines mit dem Erstbescheid spruchmäßig übereinstimmenden Bescheides anzusehen ist (vgl. VwGH 18.03.2014, 2013/22/0332 mwN).

4.2.2. Das AMS gab dem Antrag des Beschwerdeführers wegen Vorliegens eines aufrechten Dienstverhältnisses zur W GmbH keine Folge.

4.2.3.Gemäß § 7 Abs. 1 AlVG hat Anspruch auf Arbeitslosengeld, wer der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (Z1), die Anwartschaft erfüllt (Z2) und die Bezugsdauer noch nicht erschöpft hat (Z3). Der Arbeitsvermittlung steht zur Verfügung, wer eine Beschäftigung aufnehmen kann und darf (Abs. 3) und arbeitsfähig (§ 8), arbeitswillig (§ 9) und arbeitslos (§ 12) ist (Abs. 2 leg.cit).

Gemäß § 12 Abs. 3 iVm Abs. 6 lit. a AlVG gilt als arbeitslos, wer aus einer oder mehreren Beschäftigungen ein Entgelt erzielt, dass die im § 5 Abs. 2 ASVG angeführten Beträge [die Geringfügigkeitsgrenze] nicht übersteigt […].

4.2.4. Aus den Feststellungen ergibt sich, dass der Beschwerdeführer ab 01.07.2020 nicht nur von der Arbeit bei seinem insolventen Dienstgeber freigestellt war, sondern dass er ab diesem Zeitpunkt auch kein Entgelt mehr erzielte.

Zwischen 01.07.2020 und 31.10.2020 stand der Beschwerdeführer somit noch in einem aufrechten Dienstverhältnis mit der W GmbH erzielte jedoch keinerlei Entgelte mehr, weshalb der Beschwerdeführer gemäß § 12 Abs. 3 iVm Abs. 6 lit. a AlVG in diesem Zeitraum als arbeitslos gilt.

4.2.5. Die Nichtgewährung der beantragten Leistungen mangels Vorliegen von Arbeitslosigkeit erweist sich somit als rechtswidrig.

4.3.Da aus der Aktenlage nicht ersichtlich ist, ob im Fall des Beschwerdeführers die übrigen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld im Einzelnen vorliegen und andererseits das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen für die Zuerkennung von Arbeitslosengeld auch gar nicht Gegenstand des Beschwerdeverfahrens war, kann das BVwG hier nur mit einer Zurückverweisung im Sinne von § 28 Abs. 3 VwGVG vorgehen, wobei das AMS gemäß § 28 Abs. 3 letzter Satz VwGVG an die rechtliche Beurteilung durch das BVwG gebunden ist.

Im konkreten Fall bedeutet dies, dass der Antrag des Beschwerdeführers auf Arbeitslosengeld nicht erneut unter Hinweis auf das Vorliegen eines aufrechten Beschäftigungsverhältnisses bei der W GmbH abgewiesen werden darf.

III. ad B) Unzulässigkeit der Revision

Die sich aus dem festgestellten Sachverhalt ergebende rechtliche Subsumtion bedurfte angesichts des klaren Wortlauts des § 12 Abs. 3 iVm Abs. 6 lit. a AlVG keiner Lösung einer erheblichen Rechtsfrage. Zur Unzulässigkeit der Revision bei eindeutiger Rechtslage (trotz fehlender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes) etwa VwGH 26.02.2020, Ro2020/09/0002.

Der Entfall der mündlichen Verhandlung steht weder mit der Judikatur der Höchstgerichte noch mit der Judikatur des EGMR in Widerspruch, siehe dazu insbesondere VwGH 26.01.2017, Ra2016/07/0061 mwN, und es ergeben sich auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage, so dass insgesamt die Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht vorliegen.