IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. Daniela Regina Denk über die Beschwerde der ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vom 2. Juli 2019 gegen den Bescheid des ***FA*** vom 4. Juni 2019 betreffend Haftungsbescheid / Sonstige 2019 zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Bescheid vom 04.06.2019 wurde die nunmehrige Beschwerdeführerin als Haftungspflichtige gemäß § 9 iVm §§ 80 ff BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der ***GmbH/Primärschuldnerin*** im Ausmaß von EUR 43.032,85 in Anspruch genommen.
Sie wurde aufgefordert diesen Betrag innerhalb eines Monats ab Zustellung des Bescheides zu entrichten
Mit Eingabe vom 20.06.2019 brachte die Beschwerdeführerin dagegen eine Beschwerde ein. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Auftragslage durch die Weltwirtschaftskrise in den Jahre 2009 bis 2012 und den damit einhergehenden Ölpreisverfall stark einbrach. Es wurden unter persönlichen Entbehrungen über Jahre Jobs gehalten und Steuern gezahlt.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom 20.08.2020 wurde die Beschwerde vom 20.06.2019 als unbegründet abgewiesen.
Die Beantragung der Vorlage der Beschwerde an das Bundesfinanzgericht erfolgte mit Schreiben vom 15.09.2020 und wurde am 20.10.2020 dem Bundesfinanzgericht vorgelegt.
Mit Beschluss des Geschäftsverteilungs-Ausschusses vom 28.03.2022 wurde gegenständlicher Fall mit Stichtag 01.04.2022 der GA 1069 übertragen.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin war seit 01.07.2009 bis zur Löschung im Firmenbuch am tt.07.2019 eingetragene handelsrechtliche Geschäftsführerin der ***GmbH/Primärschuldnerin*** (Primärschuldnerin). Das Unternehmen beschäftigte sich im Zeitraum 01.01.2009 bis 30.06.2018 mit der Petrochemie, Instandhaltung und Servicierung großer Tankanlagen und Betriebstankstellen.
Der Abgabenrückstand bestand infolge Nichtentrichtung der im Zeitraum 17.12.2012 bis 15.07.2013 und 17.10.2016 bis 15.03.2018 fällig gewordenen Lohnabgaben. Die Beschwerdeführerin war im Zeitraum vom 01.07.2009 bis tt.07.2019 zur Geschäftsführerin und damit zur Vertreterin der abgabenschuldnerischen Firma ***GmbH/Primärschuldnerin*** bestellt und daher gemäß § 18 GmbHG zur Vertretung der Gesellschaft berufen.
Mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom 01.08.2013 AZ 6 S 129/13g wurde über das Vermögen der ***GmbH/Primärschuldnerin*** das Sanierungsverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 20.11.2013 wurde der am 30.10.2013 angenommene Sanierungsplan rechtskräftig bestätigt und das Sanierungsverfahren aufgehoben. Gemäß diesem Beschluss erhielten die Insolvenzgläubiger eine Gesamtquote von 30%. Hinsichtlich der die Sanierungsplanquote übersteigenden Abgabenrückstände (Insolvenzforderungen) trat die Rechtswirkung des § 156 Abs. 1 IO ein.
Demnach waren 70 % der Abgabenforderungen, die im Sanierungsverfahren zu den Konkursforderungen einzuordnen waren, bei der Firma ***GmbH/Primärschuldnerin*** nicht mehr einbringlich.
Weiters wurde mit Beschluss des Handelsgerichtes Wien AZ 28 S 12/18w vom 02.02.2018 über das Vermögen der Gesellschaft das Konkursverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 28.03.2019 wurde das Konkursverfahren mangels Kostendeckung aufgehoben. Der angeführte Rückstand war daher bei der Primärschuldnerin zur Gänze uneinbringlich. Davon waren folgende Abgabenschuldigkeiten betroffen:
Mit Haftungsbescheid vom 04.06.2019 wurde die Beschwerdeführerin aufgefordert Abgabenschuldigkeiten in Höhe von EUR 43.032,85 binnen eines Monats ab Zustellung des Bescheides zu entrichten.
2. Beweiswürdigung
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in die vom Finanzamt elektronisch vorgelegten Aktenteilen, das elektronische Abgabenkonto der Primärschuldnerin und der Haftungspflichtigen und das Firmenbuch.
Das Bestehen des Abgabenanspruchs ist unstrittig.
Aus dem Firmenbuchauszug der ***GmbH/Primärschuldnerin*** geht hervor, dass die Beschwerdeführerin vom 01.07.2009 bis tt.07.2019 Geschäftsführer der ***GmbH/Primärschuldnerin*** war und diese am tt.07.2019 gemäß § 40 FBG infolge von Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gelöscht wurde. Somit steht die Uneinbringlichkeit der Abgabenschuldigkeiten fest.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff leg. cit. BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln die sie verwalten entrichtet werden.
Im gegenständlichen Fall steht die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben (Lohnsteuer 2008 bis 2018 laut Aufstellung) bei der Primärschuldnerin unbestritten fest, da die ***GmbH/Primärschuldnerin*** am tt.07.2019 wegen Vermögenslosigkeit im Firmenbuch gemäß § 40 FBG amtswegig gelöscht wurde.
Die Haftung nach § 9 BAO erstreckt sich vor allem auf Abgaben, deren Fälligkeitstermin in die Zeit der Vertretungstätigkeit fällt (vgl. Ritz, BAO6, § 9 Tz 26). Jedoch beginnt die Verantwortung als Geschäftsführer einer Gesellschaft nicht erst mit der Begründung der Vertretungsfunktion, weil der Geschäftsführer auch verpflichtet ist, bis dahin angesammelte Abgabenrückstände zu begleichen (VwGH 16.9.2003, 2000/14/0162). Die Beschwerdeführerin fungierte vom 01.07.2009 bis tt.07.2019 als handelsrechtliche Geschäftsführerin der ***GmbH/Primärschuldnerin***.
Vermögenslosigkeit und/oder Arbeitslosigkeit des Haftenden stehen in keinem erkennbaren Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung. Eine allfällige, derzeitige Uneinbringlichkeit schließt es nämlich nicht aus, dass künftig neu hervorkommendes Vermögen und künftig erzielte Einkünfte zur Einbringlichkeit führen können (vgl. etwa VwGH 29.06.1999, 99/14/0128; 14.12.2006, 2006/14/0044; 28.05.2008, 2006/15/0007; 28.05.2008, 2006/15/0089).
Der Beschwerdeführerin oblag daher als vertretungsberechtigtes Organ der ***GmbH/Primärschuldnerin*** die Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Gesellschaft. Insbesondere hatte sie im Rahmen dieser Verpflichtung für die rechtzeitige und vollständige Entrichtung der Abgaben Sorge zu tragen.
Gemäß § 78 EStG 1988 hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung einzubehalten. Gemäß § 79 Abs. 1 EStG 1988 hat der Arbeitgeber die gesamte Lohnsteuer, die in einem Kalendermonat einzubehalten war, spätestens am 15. Tag nach Ablauf des Kalendermonates in einem Betrag an das Finanzamt abzuführen. Gleiches gilt auch für den Dienstgeberbeitrag und Dienstgeberzuschlag.
Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können. Für Abgaben, die der Vertretene als Abfuhrverpflichteter nicht ordnungsgemäß abgeführt hat (wie hier für Lohnsteuern) haftet der Vertreter in voller Höhe, und zwar auch dann, wenn liquide Mittel zur Abfuhr dieser Abgaben nicht oder nicht in ausreichendem Maß vorhanden waren (vgl. VwGH 05.04.2011, 2009/16/0106).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt bei der Lohnsteuer der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht zum Tragen. Aus der Bestimmung des § 78 Abs. 3 EStG 1988, wonach in Fällen, in denen die dem Arbeitgeber zur Verfügung stehenden Mittel zur Zahlung des vollen vereinbarten Arbeitslohnes nicht ausreichten, die Lohnsteuer von dem tatsächlich zur Auszahlung gelangenden niedrigeren Betrag zu berechnen und einzubehalten ist, ergibt sich nämlich, dass jede vom Beschwerdeführer vorgenommene Zahlung voller vereinbarter Arbeitslöhne, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel nicht auch für die darauf entfallende Lohnsteuer ausreichen, eine schuldhafte Verletzung seiner abgabenrechtlichen Pflichten mit den Rechtsfolgen des § 9 Abs. 1 BAO darstellt (vgl. für viele etwa VwGH 23.04.2008, Zl. 2004/13/0142, mwN).
Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 08.07.2009, 2009/15/0013 ausgesprochen, dass ungeachtet wirtschaftlicher Schwierigkeiten von einer schuldhaften Pflichtverletzung des Geschäftsführers auszugehen ist, wenn die Lohnsteuer nicht einbehalten und zur Gänze an das Finanzamt abgeführt wird (siehe auch VwGH 18.12.2001, 2001/15/0187, wonach das allfällige Fehlen liquider Mittel das Unterlassen der Abfuhr von Lohnsteuer nicht entschuldigen kann).
Daher ergibt sich, dass die einbehaltene Lohnsteuer zur Gänze zur späteren Abfuhr zu verwenden ist und bei sich bis zum Abfuhrzeitpunkt geänderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht dem Gleichbehandlungsgebot unterliegt. Somit trifft den Vertreter nach § 80 BAO die Verpflichtung, die Lohnsteuer einerseits einzubehalten und andererseits - ungeachtet wirtschaftlicher Schwierigkeiten und des Gleichbehandlungsgebotes - zur Gänze dem Finanzamt zum Fälligkeitstag abzuführen (VwGH 19.10.2017, Ra 2016/16/0097). Diese Pflicht hat die Beschwerdeführerin nicht erfüllt.
Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Heranziehung zur Haftung in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen. Von einer ermessenswidrigen Inanspruchnahme wird vor allem dann gesprochen, wenn die Abgabenschuld vom Hauptschuldner ohne Gefährdung und ohne Schwierigkeit rasch eingebracht werden kann. Ist eine Einbringlichmachung beim Primärschuldner unzweifelhaft nicht gegeben, kann die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden von der Abgabenbehörde bei ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigt werden (VwGH 16.12.1999, 97/16/0006). Aus dem Zusammenhalt des oben Dargelegten folgt, dass - bei pflichtgemäßem Handeln - die haftungsgegenständlichen Abgaben während der Geschäftsführertätigkeit der Beschwerdeführerin zu entrichten gewesen wären und diese Pflicht von der Beschwerdeführerin schuldhaft nicht erfüllt wurde. Dieses Verschulden war kausal für den Eintritt der Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin.
Die Inanspruchnahme der Beschwerdeführerin als Haftungspflichtige erfolgte daher zu Recht und war spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die gegenständliche Entscheidung hatte die Beurteilung der Haftungsvoraussetzungen im Einzelfall zum Gegenstand und gibt die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wieder, womit keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vorliegt.
Wien, am 15. Juli 2025